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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 07.07.2005
Aktenzeichen: 2 Ws 147/05
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 121 Abs. 1
StPO § 121 Abs. 2
StPO § 122 Abs. 1
1. Wird Untersuchungshaft wegen "derselben Tat" i.S.d. § 121 Abs. 1 StPO durch mehrere -verschiedene Taten i.S.d. § 264 Abs. 1 StPO betreffende- Haftbefehle angeordnet und aus einem der Haftbefehle vollzogen, während im übrigen (zunächst) Überhaft notiert ist, entfällt ab Urteilserlass in der vollzogenen Haftsache die Haftbeschränkung des § 121 StPO auch im übrigen; das Haftprüfungsverfahren vor dem Oberlandesgericht nach § 122 Abs. 1 StPO findet nicht statt.

2. Das (erstinstanzliche) Urteil beendet den Fristablauf des § 121 StPO auch dann endgültig, wenn in der Rechtsmittelinstanz Einstellung gemäß § 154 Abs. 2 StPO erfolgt.

3. In die (neue) Fristberechnung nach § 121 StPO ist zumindest der Zeitraum zwischen Urteilsverkündung und Erlass des Einstellungsbeschlusses nicht einzubeziehen; ob gleiches auch für die Haftzeit vor Urteilsverkündung gilt, bleibt dahingestellt.


HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT - 2 . Strafsenat - Beschluss

Geschäftszeichen: 2 Ws 147/05

In der Strafsache

hier betreffend Haftprüfung gemäß §§ 121, 122 Abs. 1 StPO

hat der 2. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg am 7. Juli 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Harder den Richter am Oberlandesgericht Dr. Augner den Richter am Oberlandesgericht Dr. Mohr

beschlossen:

Tenor:

Es wird festgestellt, dass derzeit ein Haftprüfungsverfahren nach § 121 StPO nicht stattfindet.

Gründe:

I.

1. Der Angeklagte hat sich in dem Verfahren 3002 Js 48/04 der Staatsanwaltschaft Hamburg aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Hamburg vom 26. Mai 2004 seit dem 26. Dezember 2004 in Untersuchungshaft befunden (Tatvorwurf des Haftbefehls: versuchte Falschbeurkundung in Tateinheit mit Urkundenfälschung vom 5. Januar 2004). Der Haftbefehl wurde am 27. Dezember 2004 verkündet.

Am 31. Januar 2005 verurteilte das Amtsgericht Hamburg den Angeklagten wegen dieses Tatvorwurfs zu 6 Monaten Freiheitsstrafe und ordnete Haftfortdauer gemäß § 268 b StPO an. Auf die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Angeklagten beraumte das Landgericht Hamburg Hauptverhandlung an, in welcher am 6. April 2005 das Verfahren 3002 Js 48/04 im Hinblick auf die in dem Verfahren 3090 Js 3/05 der Staatsanwaltschaft Hamburg bestehende Straferwartung nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt wurde; der Haftbefehl vom 26. Mai 2004 wurde aufgehoben und der Angeklagte in dieser Sache entlassen. Er verblieb aber in Haft in anderer Sache:

2. Am 27. Dezember 2004 hatte das Amtsgericht Hamburg gegen den Angeklagten Haftbefehl in dem Verfahren 3090 Js 3/05 erlassen. (Tatvorwurf des Haftbefehls: Vergehen nach § 92 Abs. 1 Nr. 1 AuslG vom 16. Juli 2004 bis 26. Dezember 2004). Der Haftbefehl wurde verkündet und Überhaft notiert. Am 31. März 2005 erließ das Amtsgericht Hamburg in der Sache 3090 Js 3/05 neuen Haftbefehl (Tatvorwürfe: 11 weitere, zum Teil tateinheitlich und gewerbsmäßig begangene, Delikte der Urkundenfälschung, der mittelbaren Falschbeurkundung und des in zwei Fällen versuchten Betruges in der Zeit vom 20. Oktober 2003 bis 6. Juli 2004 sowie der Verstoß gegen das Ausländergesetz vom 16. Juli 2004 bis 26. Dezember 2004); mit amtsgerichtlichem Beschluss vom 5. April 2005 wurde der Haftbefehl vom 27. Dezember 2004 aufgehoben und durch den Haftbefehl vom 31. März 2005 ersetzt. Der neue Haftbefehl wurde verkündet; hierfür sitzt der Angeklagte seit 6. April 2005 ein.

Mit Beschluss vom 27. Mai 2005 eröffnete das Landgericht Hamburg wegen der haftbefehlsgegenständlichen Anklagevorwürfe das Hauptverfahren vor dem Amtsgericht Hamburg; gemäß § 207 Abs. 4 StPO wurde die Fortdauer der Untersuchungshaft angeordnet. Mit Beschluss vom 15. Juni 2005 verwies das Amtsgericht die Sache nach § 270 StPO an das Landgericht.

Das Landgericht hat die Akten unter Bezugnahme auf die §§ 121, 122 StPO dem Senat zur Entscheidung über die Fortdauer der Untersuchungshaft vorgelegt.

II.

Ein Haftprüfungsverfahren vor dem Oberlandesgericht findet zur Zeit nicht statt. Über die Fortdauer des Vollzugs der Untersuchungshaft wegen derselben Tat über 6 Monate hinaus hat das Oberlandesgericht nur zu befinden, solange kein Urteil ergangen ist, das auf Freiheitsstrafe oder eine freiheitsentziehende Maßregel der Besserung und Sicherung erkennt (§ 121 Abs. 1, Abs. 2 StPO). An dieser Voraussetzung fehlt es; ein Urteil ist bereits ergangen.

1. Das Amtsgericht Hamburg hat mit Urteil vom 31. Januar 2005 gegen den Angeklagten auf Freiheitsstrafe erkannt. Dieses Urteil betrifft auch dieselbe Tat im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO, derentwegen die Untersuchungshaft in dem Verfahren 3090 Js 3/05 vollzogen wird. Denn die in dem Verfahren 3002 Js 48/04 erhobenen Vorwürfe gehörten zu "derselben Tat" im Sinne des § 121 Abs. 1 StPO.

Der Begriff "derselben Tat" in § 121 StPO ist nach heute nahezu allgemeiner Ansicht nicht identisch mit dem Tatbegriff des § 264 StPO, sondern weiter zu verstehen. Nach insbesondere auch der neueren Rechtsprechung umfasst der Begriff alle Taten eines Beschuldigten von dem Zeitpunkt an, in dem sie bekannt geworden sind und daher in den Haftbefehl hätten aufgenommen werden können; das gilt auch, wenn wegen der Taten (im Sinne des § 264 StPO) mehrere Ermittlungsverfahren anhängig sind, ohne dass es auf eine Verbindung oder deren Möglichkeit ankommt (vgl. nur HansOLG Hamburg, StV 1989, 489; OLG Hamm, NStZ-RR 2002, 382; Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., § 121 Rn. 11, 12; Boujong in KK-StPO, 5. Aufl., § 121 Rn. 11; Hilger in LR-StPO, 25. Aufl., § 121 Rn. 16; Lemke in HK-StPO, 3. Aufl., § 121 Rn. 9; Pfeiffer, StPO, 5. Aufl., § 121 Rn. 4). Damit sind hier von Tatidentität im Sinne des § 121 StPO umfasst neben der Tat (im Sinne des § 264 StPO) des Haftbefehls vom 26. Mai 2004 auch sämtliche Taten der Haftbefehle vom 27. Dezember 2004/31. März 2005. Vom Zeitpunkt der am 26. Dezember 2004 erfolgten Festnahme an war die Aufnahme aller in den Haftbefehlen vom 27. Dezember 2004/31. März 2005 erfassten Taten (im Sinne des § 264 StPO) in den Haftbefehl vom 26. Mai 2004 möglich, da die insoweit verfahrensgegenständlichen Tatgeschehnisse vom 20. Oktober 2003 bis 26. Dezember 2004 bekannt waren.

2. Liegt der Anordnung und dem Vollzug der Untersuchungshaft nur eine einzige Tat (im Sinne des § 264 StPO) zugrunde, so beendet der Erlass eines Urteils des vorstehend bezeichneten freiheitsentziehenden Inhalts die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Haftprüfung; das Haftprüfungsverfahren insgesamt entfällt.

Wird die Untersuchungshaft wegen mehrerer Taten (im Sinne des § 264 StPO) angeordnet und vollzogen und ist eine dieser Taten abgeurteilt, so muss dasselbe gelten. Dies ergibt sich nach dem Wortlaut des § 121 StPO als Konsequenz aus dem Tatbegriff des § 121 StPO, der anders in derartigen Fällen sinnvoll nicht angewandt werden kann. Nach Ergehen eines (auch nur "Teil"-)Urteils ist es nämlich nicht möglich, das Haftprüfungsverfahren wegen der nicht abgeurteilten Taten (im Sinne des § 264 StPO) sinnvoll durchzuführen. Selbst wenn sich nämlich im Haftprüfungsverfahren wegen der nicht abgeurteilten Taten ergäbe, dass ihretwegen Untersuchungshaft nicht zu vollziehen ist, könnte der Beschuldigte (hier: Angeklagte) nicht auf freien Fuß gesetzt werden, solange die Untersuchungshaft wegen der abgeurteilten Tat fortzudauern hat; eine Prüfung und Entscheidung insoweit ist dem Oberlandesgericht gesetzlich verwehrt. Eine Anordnung betreffend Aufhebung oder Fortdauer der Haft wegen der nicht abgeurteilten Taten würde folglich für die Zeit der Fortdauer der Haft wegen der abgeurteilten Tat nichts bewirken; das Haftprüfungsverfahren wegen der nicht abgeurteilten Taten liefe leer.

Als Ergebnis eines solchen Haftprüfungsverfahrens könnte das Oberlandesgericht somit nur folgenlos und jeder unmittelbaren rechtlichen Außenwirkung entbehrend die Feststellung treffen, dass die Untersuchungshaft auch oder aber nicht wegen der nicht abgeurteilten Taten vollzogen werden dürfe. Eine solche rein deklaratorische Entscheidung aber würde sich vom Wortlaut ebenso wie von Sinn und Zweck des Haftprüfungsverfahrens nach § 121 StPO entfernen, den Anspruch eines Beschuldigten, binnen angemessener Frist abgeurteilt oder aus der Untersuchungshaft entlassen zu werden, rechtswirksam unmittelbar umsetzbar zu sichern. Das Haftprüfungsverfahren nach § 121 StPO findet nämlich von Gesetzes wegen ausdrücklich nur bei Vollzug der Untersuchungshaft statt. Diese gesetzliche Ausgestaltung des Rechtsinstituts der Haftprüfung hat umgekehrt zur zwingenden Folge, dass bei Vollzug der Untersuchungshaft wegen "derselben Tat" das (besondere) Rechtsschutzbedürfnis für die Durchführung eines Haftprüfungsverfahrens wegen der nicht abgeurteilten Taten (im Sinne des § 264 StPO) mangels möglicher Haftentlassung nicht besteht. In diesem Verfahren könnte allein eine Überprüfung rein deklaratorischen Charakters erreicht werden, ob die Untersuchungshaft zu Recht angeordnet worden war. Für die Prüfung steht aber das Beschwerdeverfahren als Grundverfahren offen, welches weitergehenden Rechtsschutz mit unmittelbarer Außenwirkung zur Verfügung stellt (siehe zu alledem OLG Koblenz, NStZ 1982, 343 m.abl.Anm. Dünnebier; OLG Hamm, NStZ 1985, 425 f.; OLG Hamm, NStZ-RR 2002, 382 f.; Wankel in KMR-StPO, § 121 Rn. 6, 7 a; Meyer-Goßner, a.a.O., § 121 Rn. 10; Krause in AK-StPO, § 121 Rn. 11; Lemke, a.a.O., § 121 Rn. 8; Pfeiffer, a.a.O., § 121 Rn. 3; ähnlich OLG Oldenburg, MDR 1974, 60; OLG Karlsruhe, MDR 1994, 191 f.).

Die Gegenmeinung, die in Fällen der vorliegenden Art eine Haftprüfung für erforderlich hält (siehe dazu OLG Frankfurt, NJW 1966, 2423; OLG München, NStZ 1986, 423 f.; OLG Stuttgart, StV 1995, 201 f.; Boujong, a.a.O., § 121 Rn. 5; Hilger, a.a.O., § 121 Rn. 22; Paeffgen in SK-StPO, § 121 Rn. 27; ders., NStZ 1989, 518) überzeugt nicht. Diese Auffassung wendet im Wesentlichen ein, ein Angeklagter dürfe der Vorteile eines Haftprüfungsverfahrens nach § 121 StPO nicht schon dann entbehren, wenn er nur wegen eines von mehreren verfolgten Delikten zu einer eventuell nur geringfügigen Freiheitsstrafe verurteilt worden sei und die Untersuchungshaft in dem Verfahren über 6 Monate hinaus auch noch wegen der übrigen Tatkomplexe andauere; auch im Übrigen werde der Angeklagte anderenfalls benachteiligt: Wäre die erkannte Strafe, eventuell durch die weitere Untersuchungshaft, verbüßt oder ergehe ein Gnadenerweis, würde das Haftprüfungsverfahren erst wieder ausgelöst mit der Folge, dass der Angeklagte sich länger in Haft befände als bei regulärer Haftprüfung. Diese Erwägungen sind indessen mit Wortlaut und Institutszweck des § 121 StPO wie vorstehend dargestellt ebenso wenig zu vereinbaren wie sie auch zu dem Tatbegriff des § 121 StPO in Widerspruch stehen. Dass eine Rechtsschutzlücke nicht besteht, ist vorstehend gleichfalls bereits ausgeführt worden.

3. Ab Verkündung des Urteils vom 31. Januar 2005 richtete sich der Vollzug der Untersuchungshaft mithin wieder allein nach den allgemeinen Vorschriften (insbesondere den §§ 120, 116 StPO). Der Wegfall der Haftbeschränkung nach dem Urteilserlass war endgültig; § 121 StPO bleibt auch dann unanwendbar, wenn die Verurteilung zu Freiheitsentziehung in der Rechtsmittelinstanz wieder aufgehoben und eine andere Rechtsfolge ausgesprochen wird oder Zurückverweisung an die Vorinstanz erfolgt (siehe nur Meyer-Goßner, a.a.O., § 121 Rn. 9; Boujong, a.a.O., § 121 Rn. 5; Pfeiffer, a.a.O., § 121 Rn. 3; Paeffgen, a.a.O., § 121 Rn. 6). Nichts anderes gilt, wenn - wie hier - in der Rechtsmittelinstanz Einstellung nach § 154 Abs. 2 StPO erfolgt.

4. Da die Haft sowohl wegen der abgeurteilten als auch der noch nicht abgeurteilten "Taten" vollzogen wurde, lief ab Verkündung des Urteils vom 31. Januar 2005 die Frist für die oberlandesgerichtliche Haftprüfung nicht; mit Ergehen des Urteils wegen eines Teils der den Gegenstand der mehreren Haftbefehle bildenden "Taten" war der Fristenlauf beendet. Folge dessen ist, dass zumindest der Zeitraum vom 31. Januar 2005 (Urteilsverkündung) bis 6. April 2005 (Einstellung des Verfahrens 3002 Js 48/04 und Aufhebung des Haftbefehls vom 26. Mai 2004) nicht in die Fristberechnung einzubeziehen ist (siehe zu dieser Berechnungsweise OLG Hamm, NStZ-RR 2002, 382 f.). Es verbleibt demgemäß für den Fristenlauf des § 121 StPO maßgeblich nurmehr eine Haftzeit von allenfalls etwa 4 Monaten, während deren ohne Haftbeschränkung wegen Urteilserlasses die Untersuchungshaft vollzogen wurde.

Ende der Entscheidung

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