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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 11.07.2002
Aktenzeichen: 3 U 15/02
Rechtsgebiete: MPG, Richtlinie 98/79/EG


Vorschriften:

MPG § 6
MPG § 44
Richtlinie 98/79/EG Art. 22 Abs. 5
Gemäß § 6 MPG n.F. besteht seit dem 1. Januar 2002 grundsätzlich eine CE-Kennzeichnungspflicht für In-vitro-Diagnostika.

Gemäß § 44 MPG können jedoch In-vitro-Diagnostika noch bis zum 7. Dezember 2003 nach den am 7. Dezember 1998 geltenden Vorschriften, d.h. als Arzneimittel nach § 2 Abs. 2 Nr. 4a AMG, erstmalig in Verkehr gebracht werden. Insoweit bedarf es für den Vertrieb keiner CE-Kennzeichnung. Die Regelung des § 44 MPG steht im Einklang mit Art. 22 Abs. 5 der Richtlinie 98/79/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Oktober 1998 über In-vitro-Diagnostika.


HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT Beschluß

3 U 15/02

Verkündet am: 11. Juli 2002

In dem Rechtsstreit

hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, 3. Zivilsenat, durch die Richter

B., Sp., T.

nach der am 25. April 2002 geschlossenen mündlichen Verhandlung beschlossen:

Tenor:

Die Kosten der ersten Instanz werden gegeneinander aufgehoben. Die Kosten der Berufung trägt die Antragstellerin.

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf zunächst € 12,782,00 (= DM 25.000,00) festgesetzt. Ab der Erledigungserklärung vom 25. April 2002 ist der Streitwert gleich der Summe der Kosten beider Instanzen, die durch den Verfügungsantrag entstanden sind.

Entscheidungsgründe:

Nachdem beide Parteien das Verfügungsverfahren in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, war gemäß § 91 a ZPO nur noch über die Kosten beider Instanzen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden.

Danach waren die Kosten des Berufungsverfahrens vollen Umfangs der Antragstellerin aufzuerlegen, weil diese bei Fortsetzung des Rechtsstreits unter Berücksichtigung des Sach- und Streitstandes aller Voraussicht nach unterlegen wäre (1.). Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens waren gegeneinander aufzuheben (2.).

Die Antragstellerin hatte den Antragsgegner auf Unterlassung aus Wettbewerbsrecht in Verbindung mit dem Medizinproduktegesetz (MPG) bzw. der Richtlinie 98/79/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Oktober 1998 über In-vitro-Diagnostika (nachfolgend: Richtlinie 98/79/EG) in Anspruch genommen.

1.

Mit der Berufung hat sich der Antragsgegner nur noch insoweit gegen das Verbot des Landgerichts gewendet, als ihm verboten worden ist, das Produkt "C. Ch.TM", welches nicht als Arzneimittel, sondern als Medizinprodukt auf den Markt gebracht wird, ohne CE-Kennzeichnung zu vertreiben.

a.

Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch ist nicht aus § 1 UWG im Hinblick auf einen Verstoß gegen das MPG begründet.

Zwar besteht gemäß § 6 MPG n.F. seit dem 1. Januar 2002 grundsätzlich eine CE-Kennzeichnungspflicht für In-vitro-Diagnostika. Auch handelt es sich bei den Schwangerschaftstests des Antragsgegners um Medizinprodukte im Sinne von § 3 Ziffer 4 MPG. Ein In-vitro-Diagnostikum ist ein Medizinprodukt, welches u.a. als Reagenz, Reagenzprodukt, Kalibriersubstanz oder -vorrichtung, Kontrollsubstanz oder -vorrichtung, Ausrüstung, Instrument, Apparat oder System -einzeln oder kombiniert- nach der vom Hersteller festgelegten Zweckbestimmung zur In-vitro-Untersuchung von aus dem menschlichen Körper stammenden Proben, verwendet wird und allein oder hauptsächlich dazu dient, Informationen über physiologische Zustände oder Krankheits- oder Gesundheitszustände zu liefern. Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, stellt der Schwangerschaftstest des Antragsgegners ein solches Medizinprodukt dar, denn es handelt sich um ein Instrument bzw. einen Apparat in Kombination mit einem Reagenz, das nach der vom Hersteller festgelegten Zweckbestimmung zur In-vitro-Untersuchung von Proben aus dem menschlichen Körper, nämlich dem Urin einer Frau, verwendet werden soll, um Informationen über deren physiologischen Zustand zu gewinnen, nämlich darüber, ob eine Schwangerschaft besteht oder nicht.

Der Antragsgegner ist jedoch gemäß § 44 MPG berechtigt, sein Produkt zur Zeit noch als Arzneimittel gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 4a AMG auf den Markt zu bringen. Der Rechtsansicht der Antragstellerin, wonach die Übergangsfristen des § 44 MPG nur auf "Altprodukte", die sich bereits am 7. Dezember 1998 auf dem Markt befunden hätten, anwendbar sei, trifft nicht zu. Der Wortlaut des § 44 MPG bestimmt vielmehr, daß In-vitro-Diagnostika "noch bis zum 7. Dezember 2003 nach den am 7. Dezember 1998 geltenden Vorschriften erstmalig in Verkehr gebracht werden" dürfen.

Zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Richtlinie 98/79/EG am 7. Dezember 1998 waren In-vitro-Diagnostika gemäß § 60 Abs. 2 a MPG vom Anwendungsbereich des damals geltenden MPG insgesamt ausgenommen. Sie wurden zu diesem Zeitpunkt als Arzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 4 a AMG angesehen. Daher ist der Antragsgegner gemäß § 44 Abs. 1 MPG berechtigt, seine In-vitro-Diagnostika innerhalb der genanten Übergangszeit nach den Vorschriften des AMG zu vertreiben. Insoweit bedarf es für den Vertrieb keiner CE-Kennzeichnung.

Die Regelung des § 44 MPG steht auch im Einklang mit Art. 22 Abs. 5 der Richtlinie 98/79/EG. Danach war vorgesehen, daß die Mitgliedstaaten für einen Zeitraum von fünf Jahren nach dem Inkrafttreten der Richtlinie das Inverkehrbringen von Produkten, die den zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Richtlinie in ihrem Hoheitsgebiet geltenden Rechtsvorschriften entsprechen, zulassen, und daß sie für einen Zeitraum von zwei Jahren die Inbetriebnahme dieser Produkte gestatten würden. Anhaltspunkte dafür, daß insoweit nur Altprodukte, also bereits auf dem Markt befindliche In-vitro-Diagnostika unter diese Übergangsregelung fallen sollten, ergeben sich weder aus dem Wortlaut der Vorschrift, noch aus dem Gesamtzusammenhang der Regelung oder aus den mit dem Erlaß der Richtlinie verfolgten Zwecken.

Da die Richtlinie 98/79/EG am 7. Dezember 1998 im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht worden ist, trat sie gemäß Art. 23 am 7. Dezember 1998 in Kraft. Zu diesem Zeitpunkt war das Produkt des Antragsgegners als Arzneimittel im Sinne von § 2 Abs. 2 Nr. 4a AMG anzusehen. Es war daher nach dem AMG zu beurteilen und bedurfte deshalb keiner CE-Kennzeichnung. Hinsichtlich der bei dieser Vorgehensweise nach § 72 AMG erforderlichen Einfuhrgenehmigung hat der Antragsgegner das Urteil des Landgerichts vom 26. Oktober 2001 nicht angegriffen.

Unabhängig von der Richtigkeit der vorstehenden rechtlichen Bewertung scheidet ein sittenwidriges Verhalten des Antragsgegners bereits deshalb aus, weil seine rechtliche Beurteilung mit der Bekanntmachung des Bundesministeriums der Gesundheit vom 7. Juni 2000 (Anlage AG 1 a) und der zuständigen Aufsichtsbehörde, dem Amt für Gesundheit und Verbraucherschutz der Behörde für Arbeit, Gesundheit und Soziales der Freien und Hansestadt Hamburg vom 12. August 2001 (Anlage AG 3) im Einklang steht. Der Antragsgegner hat sich hinsichtlich der im Berufungsverfahren streitgegenständlichen CE-Kennzeichnung an diesen amtlichen Vorgaben orientiert. Ein sittenwidriges Verhalten nach § 1 UWG liegt somit nicht vor.

b.

Der geltend gemachte Unterlassungsanspruch ergibt sich auch nicht § 1 UWG i.V.m. der unmittelbaren Anwendung der Richtlinie 98/79/EG. Zwar war die Richtlinie, nachdem die gemäß Art. 22 Abs. 1 der Richtlinie 98/79/EG zum 7. Juni 2000 gesetzte Umsetzungsfrist ergebnislos verstrichen war, gegenüber dem Mitgliedstaat, d.h. der Bundesrepublik Deutschland, unmittelbar anwendbar. Eine unmittelbare Wirkung zwischen Privaten folgt daraus jedoch nicht (vgl. Geiger, EUV/EGV, 3. Auflage, 2000, Art. 249 Rn. 15).

Zudem kann sich der Antragsgegner - wie bereits vorstehend ausgeführt- auch insoweit auf die in der Richtlinie enthaltenen Übergangsregelungen berufen. Bei Zugrundelegung der in Art. 22 der Richtlinie 98/79/EG genannten Übergangsfristen ist der Antragsgegner noch befugt, die von ihm vertriebenen In-vitro-Diagnostika ohne CE-Kennzeichnung in den Verkehr zu bringen. Auch insoweit hat sich der Antragsgegner an den vorgenannten amtlichen Vorgaben (Anlagen AG 1 a und AG 3) orientiert. Ein sittenwidriges Verhalten nach § 1 UWG scheidet somit aus.

Der im Berufungsrechtszug noch geltend gemachte Unterlassungsanspruch hinsichtlich der CE-Kennzeichnungspflicht besteht mithin nicht. Daher wäre das landgerichtliche Urteil bei Fortsetzung des Rechtsstreits entsprechend abzuändern gewesen. Die Antragstellerin wäre mithin nach dem Sach- und Streitstand bei Fortsetzung des Berufungsverfahrens voraussichtlich unterlegen. Somit fallen ihr die Kosten der Berufung zur Last. Es ergeben sich auch keine sonstigen Gesichtspunkte, nach denen es billig wäre, die diesbezüglichen Kosten ausnahmsweise dem Antragsgegner aufzuerlegen.

2.

Die Kosten der I. Instanz waren jedoch gegeneinander aufzuheben.

Gegenstand des landgerichtlichen Verfahrens war noch das Verbot, das Produkt "C. Ch.TM" entweder ohne CE-Kennzeichnung oder ohne Einfuhrerlaubnis nach § 72 AMG in der Bundesrepublik Deutschland zu vertreiben.

In erster Instanz wurde also nicht nur über die CE-Kennzeichnungspflicht, sondern auch über das in etwa gleichwertige Erfordernis einer Einfuhrerlaubnis nach § 72 AMG gestritten. Insoweit war der von der Antragstellerin geltend gemachte Unterlassungsanspruch aus §§ 1 UWG, 72 AMG begründet.

In der Abschlußerklärung des Antragsgegners vom 19. Januar 2002 (Anlage BerAG 2) liegt kein sofortiges Anerkenntnis im Sinne von § 93 ZPO. Der Antragsgegner hat erst in der Berufungsinstanz, nicht jedoch - was noch möglich gewesen wäre- bereits in der ersten Instanz entsprechende Erklärungen abgegeben. Er hat vielmehr noch nach Schluß der mündlichen Verhandlung des Landgerichts vom 10. Oktober 2001 mit Schriftsatz vom 19. Oktober 2001 ausdrücklich die Ansicht vertreten, insoweit bestehe kein Unterlassungsanspruch der Antragstellerin. Hinsichtlich dieses Punktes verbleibt es deshalb bei einer Kostenbelastung des unterliegenden Antragsgegners.

Bezüglich der weiteren Frage einer CE-Kennzeichnungspflicht obsiegt der Antragsgegner, so daß die diesbezüglichen Kosten der Antragstellerin zur Last fallen.

Die erstinstanzliche Kostenentscheidung war daher entsprechend abzuändern, die Kosten gegeneinander aufzuheben.

Ende der Entscheidung

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