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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Urteil verkündet am 31.10.2002
Aktenzeichen: 3 U 21/02
Rechtsgebiete: UWG, HWG


Vorschriften:

UWG § 2
UWG § 3
HWG § 3
Die Behauptung, ein Arzneimittel sei um 28 % günstiger als ein Referenzmittel, ist irreführend, wenn dies nur bei einer Umstellung im Verhältnis 1:1 richtig ist, das Mittel in der Praxis aber höher dosiert werden muß, um die gleichen Wirkungen wie das Referenzmittel zu erzielen.
HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 U 21/02

Verkündet am: 31. Oktober 2002

In dem Rechtsstreit

- "28 % günstiger"

hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, 3. Zivilsenat, durch die Richter Brüning, v. Franqué, Spannuth nach der am 19. September 2002 geschlossenen mündlichen Verhandlung

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Antragstellerin wird das Urteil des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 12, vom 11. Dezember 2001 abgeändert. Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Verfügung bei Vermeidung eines für jeden Fall der schuldhaften Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zur Höhe von 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, verboten, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs in der Werbung für das Ciclosporin-Generikum "C" die Behauptung aufzustellen, dieses sei "28 % günstiger als S".

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Antragsgegnerin zu tragen.

und beschlossen:

Der Streitwert wird auch für die Rechtsmittelinstanz auf 255.646 € (500.000 DM) festgesetzt.

Tatbestand:

Die Antragstellerin vertreibt das Original-Medikament S zur Immunsuppression insbesondere bei Transplantationen. Die Antragsgegnerin hat auf Grund einer Zweitzulassung das Generikum C auf den Markt gebracht und bewirbt es gegenüber Ärzten damit, daß es um 28 % günstiger sei. Es ist unstreitig, daß dies im Hinblick auf den Preis für die gleiche Menge des Wirkstoffs Ciclosporin zutrifft.

Die Antragstellerin hält die Werbung für irreführend. Da der Vergleich bei den Einzelwerten für C stets schlechtere Ergebnisse zeige, müsse mehr C gegeben werden, um die gleichen Wirkungen wie mit S zu erzielen, und dann sei es nicht um 28 % günstiger.

Das Landgericht hat es abgelehnt, ein Verbot zu erlassen,

im geschäftlichen Verkehr in der Werbung für das Ciclosporin-Generikum "C" die Behauptung aufzustellen, dieses sei "28 % günstiger als S".

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Antragstellerin hat Erfolg. Es ist in einem für das Verfügungsverfahren ausreichenden Grade wahrscheinlich, daß die Aussage, C sei "28 % günstiger als S," die angesprochenen Verkehrskreise irreführt (§§ 2, 3 UWG, 3 HWG).

Die Antragsgegnerin wendet sich mit ihrer Werbung an die Ärzte, in deren Interesse es liegt, die ihnen gesetzten Budgetgrenzen nicht zu überschreiten. Sie entnehmen der Behauptung, daß sie 28 % der Kosten einsparen können, wenn sie bei Transplantationspatienten S gegen C austauschen. Diese Aussage ist in ihrer Allgemeinheit nicht richtig, denn sie stimmt nur, wenn die therapeutischen Gegebenheiten erlauben, eine Umstellung im Verhältnis 1:1 vorzunehmen, weil die in C enthaltene Menge des Wirkstoffes Ciclosporin bei dem einzelnen Patienten nicht dazu nötigt, mehr zu verabreichen, als wenn die Behandlung mit S fortgesetzt würde. Wiese die Antragsgegnerin auf diesen Umstand hin, wäre die Werbung nicht irreführend und deshalb von dem Verbot nicht erfaßt.

Es ist hingegen nicht glaubhaft, daß die Aussage in ihrer Allgemeinheit zutrifft. Zwar erkennt der Arzt, daß es um gemittelte Werte geht und die Angabe auf die gleiche Wirkstoffmenge bezogen werden muß. Er wird deshalb nicht glauben, in jedem Einzelfall ohne Korrekturen auskommen zu können. Er wird aber annehmen, den Fällen, bei denen bei einer Neudosierung zusätzlich C gegeben werden müsse, stehe eine entsprechende Anzahl von Fällen gegenüber, bei denen es weniger sei, so daß sich beides im Mittel ausgleiche. Der Umstand, daß er aus der Aussage nichts für den Einzelfall herleiten kann, bedeutet nicht, daß er keine Schlüsse auf die Gesamtheit seiner Einzelfälle zieht. Die uneingeschränkte Angabe, C sei um 28 % günstiger als S kann er nur so verstehen, daß er zwar im Einzelfall nicht sicher sein kann, mit der gleichen Wirkstoffmenge auszukommen, daß er aber "unterm Strich" 28 % der Kosten einspart, wenn er statt S nur noch C verwendet.

Diese Einschätzung des Arztes trifft nicht zu. Nach dem vorliegenden Sach- und Streitstand muß der Senat davon ausgehen, daß der Arzt im Mittel nicht mit derselben Gesamtmenge an Ciclosporin bei allen seinen Patienten auskommt, wenn er S durch C ersetzt. Um dieselben therapeutischen Ergebnisse wie mit S zu erzielen, muß er mehr C verwenden, weil der in beiden Medikamenten enthaltene Wirkstoff Ciclosporin in C eine geringere therapeutische Wirksamkeit entfaltet, als er es in S tut.

Deshalb sind vielfach Nachdosierungen erforderlich, die nicht durch Verringerungen in anderen Fällen aufgewogen werden. Braucht der Arzt im Mittel aber mehr C, als es einer Umstellung von 1:1 entspricht, kann er insgesamt nicht 28 % an Kosten einsparen.

Es ist nicht festzustellen, daß sich S bezogen auf die Gesamtheit aller Patienten im Verhältnis 1:1 durch C ersetzen läßt. Der Nachweis, daß alle Ärzte, die S durch C ersetzt haben, im Mittel auf Nachdosierungen verzichten konnten, ist nicht geführt. Die Antragsgegnerin hat dazu die Erklärung von Dr. S., leitendem Oberarzt der C., vorgelegt (Anlage 16 im Parallelverfahren 3 U 371/01), wonach sich nach seinen Erfahrungen S problemlos durch C ersetzen lasse. In der Regel seien keine Umdosierungen erforderlich. Es gebe - wie es auch von S bekannt sei - das Erfordernis, das Medikament in Einzelfällen höher oder niedriger zu dosieren. "Eine tendentielle Erhöhung der Dosis von C(r) nach Umstellung besteht nicht. ...

Zusammenfassend ist die Umstellung von S(r) auf C(r) in der Dosisäquivalenz 1:1 auch in unserer Klinik sicher und effektiv."

Das ist eine gewichtige Stimme, die zu Gunsten der Antragsgegnerin spricht. Trotzdem erscheint sie dem Senat aus mehreren Gründen nicht ausreichend, um darauf seine Entscheidung zu stützen. Bezogen auf die hier allein maßgebliche Frage, ob die Verwendung von C das Budget des Arztes um 28 % entlastet, ist die Aussage zu unbestimmt. Die fehlende "Tendenz" erscheint eher als subjektive Einschätzung, solange sie nicht mit konkreten Zahlen untermauert wird, weil eine Quantifizierung der Kostenersparnis entsprechende Berechnungen voraussetzt. Eine durchgängige Umstellung 1:1 würde zwar den Schluß erlauben, daß 28 % eingespart werden, dem steht aber die Tatsache entgegen, daß auch nach der Erklärung von Dr. Schmidt Umdosierungen erforderlich sind, also nicht in allen Fällen im Verhältnis 1:1 umgestellt werden kann, und es gerade darauf ankommt, ob sich die höheren und die niedrigeren Dosierungen gegenseitig so aufwiegen, daß sie insgesamt kostenneutral bleiben.

Es kommt als weiteres hinzu, daß sich Dr. S. nicht zur therapeutischen Praxis bei der Anwendung von Immunsuppressiva in seiner Klinik äußert. Der Zeuge M. hat gesagt, daß es nach seinen Kenntnissen in Transplantations-Zentren eine Praxis gebe, die Dosis am unteren Rand des therapeutisch Vertretbaren zu wählen, um etwaige Nebenwirkungen zu minimieren. Es kann also durchaus sein, daß bei einer Umstellung auf C durch den angesprochenen Arzt die Grenze des therapeutisch Vertretbaren nach unten überschritten wird und zu Nachdosierungen zwingt, während diese Notwendigkeit in der Klinik von Dr. S. nicht gegeben sein muß, wenn dort eine Dosierung im Mittelfeld des "therapeutischen Fensters" üblich sein sollte, so daß bei einer Umstellung die Toleranzen größer wären.

Kann die Erklärung von Dr. S. schon nicht den erforderlichen Grad überwiegender Wahrscheinlichkeit vermitteln, daß die Behauptung der Antragsgegnerin richtig ist, so gibt es sogar Anhaltspunkte dafür, daß das Gegenteil zutrifft. Die Antragstellerin hat mit der Anlage Bf AST 3 eine Zusammenfassung der Untersuchungen zur Analyse der Dosis/Blutspiegel-Relation beim Wechsel von S auf C vorgelegt. Die Einwendungen, die Prof. H. dagegen erhebt (Anlage 13 im Parallelverfahren 3 U 371/01), sind einleuchtend, für den vorliegenden Rechtsstreit aber unerheblich. Er verweist darauf, daß eine retrospektive Untersuchung keine verallgemeinerungsfähigen Aussagen erlaube und den Anforderungen, die an eine wissenschaftlich tragfähige Untersuchung zu stellen sind, nicht genüge. Das mag sein. Die dort wiedergegebenen Daten beruhen aber auf tatsächlichen Feststellungen, ob und wie sich nach einer Umstellung der Blutspiegel verändert hat und Nachdosierungen vorgenommen worden sind. Hier findet sich also in der praktischen Anwendung eine Antwort auf die Frage, ob bei einem bestimmten Kollektiv von Patienten die Umstellung auf C gegenüber S eine Erhöhung des Gesamtciclosporins erfordert, so daß die Ersparnis weniger als 28 % beträgt. Was den Wert der Untersuchung als wissenschaftliche Studie schmälert, erlaubt - weil es um das Verhalten der Therapeuten gegenüber bestimmten Patienten geht - Rückschlüsse auf das Verhalten der Ärzte in der Praxis, die ihr therapeutisches Verhalten nicht von studienbedingten Vorgaben abhängig gemacht haben.

Bei zwölf der 22 in die Analyse einbezogenen Patienten wurde die Wirkstoffdosis beibehalten, also im Verhältnis 1:1 umgestellt. Obwohl bei zehn dieser zwölf Patienten der Blutspiegel abfiel, sahen es die behandelnden Ärzte als therapeutisch vertretbar an, die Dosis nicht zu ändern, so daß im Hinblick auf diese Patienten die Kostenersparnis in der Tat 28 % betragen haben muß. Bei drei Patienten wurde die Dosis verringert, bei mehr als doppelt so vielen, nämlich sieben, sahen sich die Ärzte aber veranlaßt, die Dosis zu erhöhen. Zwar wird nicht mitgeteilt, um wieviel die Dosis verringert worden ist, so daß - jedenfalls theoretisch - die Möglichkeit besteht, daß die Dosis in den drei Fällen um mehr als das Doppelte von dem verringert worden ist, um das sich die Dosis bei den sieben Patienten erhöht hat. Das ist aber nicht nur nach allgemeinen Erwartungen unwahrscheinlich, sondern erscheint ausgesprochen fernliegend, weil nach der Reduzierung bei allen drei Patienten der Spiegel abgesunken, mit allzu großen Dosisverringerungen also kaum zu rechnen ist.

Für wissenschaftlich haltbare statistische Aussagen mag die Basis zu schmal sein. Für den im einstweiligen Verfahren zu verlangenden Grad überwiegender Wahrscheinlichkeit genügt die Untersuchung aber um so mehr, als sie die Erwartungen bestätigt, die sich an die Untersuchungen zur Bioäquivalenz beider Produkte knüpfen. Zwar drückt die Bioäquivalenz nur die Beziehung zwischen den bei der Untersuchung beider Medikamente statistisch gewonnenen Mittelwerten aus. Diese Mittelwerte sind aber aus Einzelerhebungen gewonnen, also bei individuell bestimmbaren Probanden. Liegt der Mittelwert von C unter dem von S, ist zu erwarten, daß bei Anwendung von C in Einzelfällen die für die Bioäquivalenz maßgebende Grenze von 80 % der Wirksamkeit unterschritten wird, eine Feststellung, die die von der Antragstellerin vorgelegte Graphik (Anlage Bf AST 5 im Parallelverfahren 3 U 371/01) bestätigt.

Für statistische Erhebungen an gesunden Probanden ist das unerheblich. Bei Transplantationspatienten, bei denen es aus therapeutischen Gründen notwendig ist, die Grenze des Vertretbaren einzuhalten, zwingt eine Unterschreitung dazu, mehr von dem Wirkstoff zu verabreichen, weil es für den Patienten völlig gleichgültig ist, ob die Mittel bioäquivalent sind, hingegen existentiell entscheidend, daß das Transplantat nicht abgestoßen wird und der Blutspiegel die therapeutisch erforderliche Konzentration des Wirkstoffes aufweist, was sich nur mit zusätzlichen Gaben erreichen läßt. Muß die Unterschreitung bei C aber häufiger durch zusätzliche Gaben aufgefangen werden, als es nötig wäre, wenn weiter S verabreicht würde, muß die Kostenersparnis geringer als 28 % sein. Daß dies in der Praxis auch tatsächlich so ist, wird durch die Aussage des Zeugen M. glaubhaft gemacht, denn ist es bei den Transplantationszentren in nennenswertem Umfang Praxis, sich möglichst an der Untergrenze des "therapeutischen Fensters" zu halten, so ist mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, daß die Umstellung auf C auch häufiger dazu führt, daß es zu Unterschreitungen des therapeutisch Vertretbaren kommt, als wenn die Behandlung mit S fortgesetzt würde.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Antragsgegnerin nach § 91 ZPO zu tragen.

Ende der Entscheidung

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