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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Urteil verkündet am 11.09.2003
Aktenzeichen: 3 U 367/01
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 823 Abs. 1
BGB § 1004
Selbst wenn es erforderlich sein sollte, unter dem Gesichtspunkt der Meinungsfreiheit die Rechtswidrigkeit einer unberechtigten Schutzrechtsverwarnung als Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb anders zu bestimmen, als es bisher in der Rechtsprechung geschehen ist, ist die Rechtswidrigkeit jedenfalls dann zu bejahen, wenn der Abmahnung ein falscher Sachverhalt zugrunde liegt.
HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 U 367/01

Verkündet am: 11. September 2003

In dem Rechtsstreit

hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, 3. Zivilsenat, durch die Richter Gärtner, v. Franqué, Spannuth nach der am 21.08.2003 geschlossenen mündlichen Verhandlung für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 15, vom 15. November 2002 wird zurückgewiesen, soweit der Rechtsstreit nicht übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Zwangsvollstreckung durch eine Sicherheitsleistung von 500.000 € abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

und beschlossen:

Der Streitwert wird für die Berufungsinstanz auf 511.292 € (1 Mio. DM) festgesetzt. Er ermäßigt sich mit der Erledigungserklärung der Parteien auf 460.163 € (900.000 DM).

Tatbestand:

Die Beklagte vertreibt über ein selektives Vertriebssystem Kosmetika angesehener Marken, an denen sie Rechte besitzt. Den angeschlossenen Fachhandelsgeschäften ist vertraglich untersagt, die Markenware an Wiederverkäufer außerhalb des Vertriebssystems zu verkaufen. Die Beklagte bringt eine zehnstellige Codenummer auf der Ware an, mit deren Hilfe sie durch Testkäufe außerhalb ihres Vertriebssystems feststellen will, an wen sie die Ware geliefert hat und insbesondere, ob ihr Markenrecht erschöpft ist, ob die Ware also innerhalb oder außerhalb der Europäischen Union und des Europäischen Wirtschaftsraumes im Sinne des § 24 Abs. 1 MarkenG (im folgenden: Europa) in den Verkehr gebracht worden ist.

Die Klägerin vertreibt von der Beklagten stammende Markenware an Einzelhändler, die nicht zum Vertriebssystem der Beklagten gehören. Sie lieferte solche Ware, die zuvor von der Beklagten in Europa auf den Markt gebracht worden war, an die Firmen F, Düsseldorf, und B, Hamburg. Die Beklagte mahnte beide Firmen ab und erwirkte gegen letztere eine einstweilige Verfügung, weil es sich, wie sie anhand ihres Codierungssystems festzustellen geglaubt hatte, um von ihr nicht in Europa auf den Markt gebrachte Ware handele. Dabei wußte sie nicht, daß die Klägerin die Ware geliefert hatte.

Die Klägerin sah sich dadurch in ihren Rechten verletzt und hat beantragt,

I. der Beklagten unter Androhung von Ordnungsmittel zu verbieten, Ansprüche gegen Abnehmer der Firma B Trading GmbH wegen des Handelns mit angeblich nicht erschöpfter Ware geltend zu machen, wenn die Waren, auf die sich die geltend gemachten Ansprüche beziehen, tatsächlich von der Firma L GmbH, mit ihr verbundenen Unternehmen oder mit ihrer Zustimmung innerhalb der Europäischen Union und des Europäischen Wirtschaftsraumes in den Verkehr gebracht worden sind;

II. die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Auskunft über den Umfang aller Handlungen gemäß Ziffer I. zu erteilen, und zwar unter Angabe von Namen und Anschriften der abgemahnten Unternehmen;

III. festzustellen, daß die Beklagte der Klägerin allen Schaden ersetzen muß, der dieser durch Handlungen gemäß Ziffer I. bereits entstanden ist oder künftig entstehen wird.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Das Landgericht, auf dessen Entscheidung zur Vervollständigung des Tatbestandes Bezug genommen wird, hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Hiergegen wendet sich diese mit ihrer Berufung, die sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet hat.

Nachdem die Beklagte die verlangte Auskunft erteilt hat, haben die Parteien den Rechtsstreit zum Antrag zu II. übereinstimmend für erledigt erklärt.

Die Beklagte macht Rechtsausführungen und beantragt,

das Urteil des Landgerichts abzuändern und die Klage im noch rechtshängigen Umfang abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen,

und verteidigt die angefochtene Entscheidung mit Rechtsgründen.

Zur Ergänzung des Tatbestandes wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien mit ihren Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Beklagten hat keinen Erfolg.

1. Der Unterlassungsantrag ist zulässig, denn er ist hinreichend bestimmt im Sinne des § 253 Nr. 2 Satz 2 ZPO.

Die Beklagte meint, der Antrag sei nicht hinreichend bestimmt, weil sie selbst nicht erkennen könne, ob sich eine etwaige Abmahnung gegen einen Abnehmer gerade der Klägerin richten würde. Die Bestimmtheit eines Antrages hängt aber nicht von den Erkenntnismöglichkeiten der Beklagten ab.

Gleichwohl muß ein Unterlassungsschuldner wissen, was ihm verboten ist, während die Beklagte nicht wissen kann, ob sie gerade einen Kunden der Klägerin zu Unrecht abmahnt. Diese Ungewißheit, die - wie bereits bemerkt - nicht zur Unbestimmtheit des Antrages führt, kann nicht zu Lasten der Klägerin gehen, denn die Beklagte wird durch diesen Umstand keineswegs beschwert. Mit der falschen Behauptung gegenüber Abnehmern, es werde mit nicht erschöpfter Ware gehandelt, darf die Beklagte in den Gewerbebetrieb keines Lieferanten eingreifen. Die Beschränkung des Verbotes auf Abnehmer der Klägerin trägt lediglich der Tatsache Rechnung, daß deren Interessen nur verletzt sein können, wenn gerade ihre Abnehmer abgemahnt werden.

Im übrigen enthält die Beschränkung auf Kunden der Klägerin den von der Beklagten vermißten Bezug zur konkreten Verletzungshandlung.

2. Das Landgericht hat die Klage für begründet erachtet, weil die Beklagte durch ihre Schutzrechtsverwarnung gegenüber Abnehmern der Klägerin unmittelbar in deren Gewerbebetrieb eingegriffen und damit wegen der Erschöpfung ihrer Markenrechte rechtswidrig (§§ 823 Abs. 1 GBG, 24 MarkenG) und wegen unterlassener sorgfältiger Prüfung schuldhaft gehandelt habe und deshalb zum Schadenersatz verpflichtet sei.

Da die Beklagte einräumt, daß das Landgericht die anerkannten Grundsätze zur unberechtigten Schutzrechtsverwarnung "im Ansatz" richtig entwickelt und sie lediglich falsch angewendet habe, brauchen diese Grundsätze hier nicht wiederholt zu werden. Es genügt, auf die tragenden Gesichtspunkte der Berufung einzugehen und im übrigen auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil zu verweisen, die sich der Senat zu eigen macht.

a. Die Beklagte meint, es fehle an einem Eingriff in die Geschäftsbeziehungen der Klägerin, weil sich das Geschäftsgebaren der beiden abgemahnten Firmen nicht geändert habe und sie insbesondere den Vertrieb von Waren, die die Klägerin geliefert habe, nicht eingestellt hätten. Jedenfalls fehle es an der Unmittelbarkeit und Betriebsbezogenheit des Eingriffs.

Ein Eingriff wird nicht durch seine Folgen definiert, so daß hierauf nicht weiter eingegangen werden muß.

Die unmittelbare Betriebsbezogenheit des Eingriffs läßt sich nicht mit dem Argument verneinen, daß sich die Abmahnung an die Abnehmer der Klägerin und nicht unmittelbar an diese gerichtet habe, so daß sie auch nur mittelbar betroffen gewesen sei. Hier setzt die Beklagte das Mittel, mit dem der Eingriff bewerkstelligt wurde, mit diesem selbst gleich. Die unmittelbare Betriebsbezogenheit ergibt sich aus der Natur der Sache, denn da die Beklagte Einzelhändler, die von einem bestimmten Händler beliefert worden sein müssen, wegen eines markenverletzenden Vertriebs abgemahnt hat, hat sie unmißverständlich zum Ausdruck gebracht, daß deren Lieferant die gelieferte Ware unter Verletzung ihrer Rechte geliefert habe, woraus sich als unabweisbare Folge ergibt, daß die Abgemahnten derartige Ware von diesem Lieferanten hinfort nicht beziehen dürfen, wenn die Rechte der Beklagten gewahrt werden sollen. Daß diese Abmahnung möglicherweise zugleich ein Eingriff in den Betrieb der Abgemahnten ist, ändert an diesem Ergebnis nichts, weil dieselbe Handlung im Verhältnis zum einen einen unmittelbaren Eingriff durch ein unmittelbar wirkendes Mittel, im Verhältnis zum anderen jedoch einen unmittelbaren Eingriff durch ein mittelbar wirkendes Mittel darstellen kann.

Da sich dieser Eingriff unmittelbar gegen einen bestimmten Lieferanten richtet, von dem der Abgemahnte bezogen hat, wird er nicht dadurch zu einem mittelbaren, daß der Lieferant der Beklagten nicht bekannt ist. Zutreffend formuliert die Beklagte, daß der Lieferant bei der Abnehmerverwarnung "an seiner empfindlichen Stelle" getroffen werde. Diese Empfindlichkeit hängt nicht davon ab, daß der Verwarnende den Lieferanten benennen kann. Entgegen der Auffassung der Beklagten kennzeichnet es deshalb den Eingriff durch eine Abnehmerverwarnung nicht, daß der Abmahnende den Lieferanten kennt, aber darauf verzichtet, gegen ihn selbst vorzugehen, obwohl er es könnte.

b. Die Beklagte meint, das Landgericht habe zu Unrecht den verwarnten Abnehmer in einer Zwangslage gesehen, denn dieser könne - wie gerade der vorliegende Fall zeige - sehr schnell die Schutzrechtslage klären.

Damit verfehlt die Beklagte den Argumentationszusammenhang. Das Landgericht hat - mit Billigung der Beklagten - dargelegt, daß nicht jedes Vorgehen auf Grund angemaßter Rechte schon rechtswidrig sei. Ein Eingriff in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb ist ein offener Tatbestand, dessen Erfüllung noch keine Rechtswidrigkeit indiziert (Palandt/Thomas, BGB, 62. Auflage, § 823, Rdnr. 19). Diese muß vielmehr zusätzlich festgestellt werden und ist regelmäßig zu verneinen, wenn lediglich zu Unrecht bestimmte Rechte gegenüber einem anderen geltend gemacht werden, solange es ausreichende und zumutbare Möglichkeiten für den Betroffenen gibt, sich ohne Nachteile dagegen zu wehren. Solche ausreichenden und zumutbaren Möglichkeiten bestehen dann nicht, wenn der Abnehmer und dessen Verwarnung das Mittel darstellen, in den Geschäftsbetrieb einzugreifen, weil der Abnehmer keinen Einblick in den maßgeblichen Geschäftsbetrieb des Lieferanten hat und deshalb die Gefahr besteht, daß er allen Schwierigkeiten dadurch entgehen möchte, daß er sich der Abmahnung beugt, ohne daß der betroffene Lieferant dem entgegenwirken kann. Diese Gefährdung begründet bei der unberechtigten Abnehmerverwarnung die Rechtswidrigkeit des Eingriffs auf Grund angemaßter Rechte.

Welche tatsächlichen Möglichkeiten bestehen, diesem rechtswidrigen Angriff zu begegnen, ist belanglos, denn es kennzeichnet nicht das Wesen einer Gefährdung, daß sich die Gefahr, der man begegnen möchte, auch verwirklicht. Schnelle Rückfragen bei dem Lieferanten können vielleicht zu einer schnellen Klärung führen und so ermöglichen, den rechtswidrigen Angriff folgenlos abzuwehren. Dieser bleibt gleichwohl rechtswidrig.

Allerdings hat Ullmann (Die Verwarnung aus Schutzrechten - mehr als eine Meinungsäußerung?, GRUR 2001, 1027 ff.) gewichtige Gründe dagegen vorgetragen, eine unberechtigte Schutzrechtsverwarnung als rechtswidrigen Eingriff in den Gewerbebetrieb anzusehen, weil sie im Grunde nicht mehr sei als eine Meinungsäußerung zur Schutzrechtslage und die Reaktion des Verwarnten im Rahmen des unternehmerischen Risikos liege.

Doch ändert das im vorliegenden Fall nichts. Selbst wenn man dem grundsätzlich zu folgen bereit ist, ergibt sich daraus nicht zwingend die Konsequenz, sich entgegen einer gefestigten Rechtsprechung von der Anwendung des § 823 Abs. 1 BGB in Fällen unberechtigter Schutzrechtsverwarnungen "verabschieden" zu müssen (vgl. Ullmann, a.a.O., p. 1029). Es ist ausreichend, den Gesichtspunkt der Meinungsfreiheit im Rahmen des Urteils über die Rechtswidrigkeit zu berücksichtigen, deren Grenzen sich allerdings erheblich verschieben würden. Es steht aber ganz außer Frage, daß falsche Behauptungen nicht am Schutz der Meinungsfreiheit teilhaben. Die Beklagte hat ihre Abmahnungen auf einen falschen Sachverhalt gegründet, denn unstreitig waren die Rechte der Beklagten an der von der Klägerin gelieferten Ware erschöpft. Demnach hat die Beklagte auf keinen Fall in berechtigter Wahrnehmung ihrer Meinungsfreiheit gehandelt. Ihre Abmahnungen waren in jedem Fall rechtswidrig.

c. Das Feststellungsinteresse der Klägerin entfällt nicht deshalb, weil sie einen Schaden bisher nicht substantiiert vorgetragen hat und das Landgericht darüber nur spekuliert habe. Das Feststellungsinteresse beruht ja gerade darauf, daß der Geschädigte seinen Schaden nicht substantiieren kann, sonst müßte er auf Leistung klagen. Das Landgericht mußte nur entscheiden, ob ein Schaden entstanden sein könne, und hat einen Beispielfall für eine solche Möglichkeit gebildet. Es muß nicht der einzige sein. Tatsächlich ist nicht abzusehen, welche Auswirkungen die unrechtmäßige Abmahnung gehabt hat und noch haben kann. So ist nicht ausgeschlossen, daß sich die Abmahnung bei anderen Abnehmern herumspricht und diese aus Vorsicht von einem Warenbezug bei der Klägerin absehen, um allen Eventualitäten vorzubeugen.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 a, 97, 708 Nr. 10, 711 alter und 543 Abs. 2 neuer Fassung der ZPO. Es entspricht billigem Ermessen, der Beklagten auch die Kosten für den erledigten Teil des Rechtsstreits aufzuerlegen, weil - wie das Landgericht zu Recht angenommen hat - der Auskunftsanspruch bis zu seiner Erfüllung begründet war. Die Voraussetzungen für eine Revisionszulassung sind nicht erfüllt. Der Senat hat anerkannte Grundsätze angewendet. Beweislastfragen, die in der Stüssy-Entscheidung zur Vorlage an den EuGH und dessen Stellungnahme geführt haben, stellen sich hier nicht, denn die Rechtsverletzung ist auf der Grundlage von unstreitigen Tatsachen festgestellt worden.

Ende der Entscheidung

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