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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Urteil verkündet am 23.11.2006
Aktenzeichen: 3 U 43/05
Rechtsgebiete: HWG, GG, UWG


Vorschriften:

HWG § 10 Abs. 1
GG Art. 5
UWG § 3
UWG § 4 Nr. 11
UWG § 8
1.) Verbreitet der Pharmahersteller im Internet Angaben zur Indikation (zu den Anwendungsgebieten) und/oder die Gebrauchsinformationen für seine verschreibungspflichtigen Arzneimittel außerhalb der Fachkreise ohne Passwortschutz, so verstößt das gegen das Werbeverbot des § 10 Abs. 1 HWG.

2.) Der grundsätzlich weite HWG-Werbebegriff erfasst bei § 10 Abs. 1 HWG auch die sachlich gehaltenen und informativen Pflichtangaben. Nur soweit die Verwendung der Pflichtangaben vorgeschrieben ist (z. B. auf und/oder in der Packung), erfährt das Werbeverbot des § 10 Abs. 1 HWG eine normative Korrektur.


HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 U 43/05

Verkündet am: 23. November 2006

In dem Rechtsstreit

hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, 3. Zivilsenat, durch die Richter Gärtner, Spannuth, Dr. Löffler nach der am 24. August 2006 geschlossenen mündlichen Verhandlung für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 15, vom 3. Februar 2005 wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass die Beklagte verurteilt wird, es bei Meidung der vom Landgericht genannten Ordnungsmittel zu unterlassen, im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs im Internet werbliche Informationen (nämlich Angaben zur Indikation und/oder die Gebrauchsinformation) über verschreibungspflichtige Arzneimittel in einer Weise zu verbreiten, dass diese Informationen auch außerhalb der medizinischen Fachkreise ohne weiteres zugänglich sind.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 350.000.- € abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

und beschlossen:

Der Wert des Streitgegenstandes wird auch für das Berufungsverfahren auf 300.000 € festgesetzt.

Gründe:

A.

Die Parteien sind forschende Arzneimittelunternehmen und stehen miteinander im Wettbewerb.

Die Beklagte hat für ihr verschreibungspflichtiges Arzneimittel so_vv im Internet auf ihrer Website "www.so_vv.de" für Patienten frei zugänglich und ohne Passwortschutz geworben (Anlagen K 4-5) und dort über einen Link die Gebrauchsinformation von so_vv frei zugänglich gemacht (Anlage K 6).

Die Klägerin beanstandet das als Verstoß gegen § 10 Abs. 1 HWG und nimmt mit der vorliegenden Klage die Beklagte deswegen auf Unterlassung in Anspruch.

In dem vorangegangenen einstweiligen Verfügungsverfahren gleichen Rubrums (Landgericht Hamburg 312 O 576/03) erwirkte die Klägerin gegen die Beklagte am 31. Juli 2003 eine Beschlussverfügung, deren Verbotsausspruch zu Ziffer I. 2. mit dem vorliegend in erster Instanz gestellten Klageantrag übereinstimmt. Auf die Beiakte Landgericht Hamburg 312 O 576/03 wird Bezug genommen.

Die Klägerin hat vorgetragen:

An sich habe die Beklagte - wie auch sonst in der Pharmabranche üblich - auf ihren Websites für die von ihr vertriebenen verschreibungspflichtigen Arzneimittel so_vv, bru_oo und ziz---- (Anlagen K 5-8) einen Passwortschutz vorgesehen.

Die Beklagte habe aber gleichwohl auf diesen drei Websites werbliche Informationen über diese Arzneimittel ohne Passwortschutz zugänglich gemacht, und zwar insbesondere den Produktnamen (auch bereits in der Internetadresse) und die Abbildung der Produktpackung und die Beschreibung der Indikation (Bl. 66; vgl. für so_vv: Anlage K 5). Außerdem habe die Beklagte über den Link für das jeweilige Arzneimittel die Gebrauchsinformation jedem zugänglich gemacht (vgl. für so_vv: Anlage K 6, für bru_oo und ziz----: Anlagen K 7-8). Die Verteilung von Gebrauchsinformationen außerhalb der Funktion als Packungsbeilage sei Werbung für das Arzneimittel, entsprechendes gelte für die Verlinkung durch die Antragsgegnerin. Zudem sei am Ende der verlinkten Gebrauchsinformation noch eine Weiterleitungsfunktion ("an einen Kollegen oder Freund") vorgesehen (für so_vv: Anlage K 6).

Nach der Vollziehung der Beschlussverfügung (Beiakte Landgericht Hamburg 312 O 576/03) habe die Beklagte ihre drei Websites umgestaltet (Anlagen K 9-11). Dort könne der Patient aber noch immer lesen, dass so_vv gegen Gelenkschmerz helfe, bru_oo gegen Osteoporose und ziz---- gegen Asthma. Zudem berühme sich die Beklagte generell, für verschreibungspflichtige Arzneimittel im Internet ohne Passwortschutz werben zu können.

Die von der Gegenseite aufgeworfenen Punkte zum Verfassungsrecht und zum Gemeinschaftsrecht stünden dem geltend gemachten Unterlassungsanspruch nicht entgegen.

Gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 10 HWG beständen im Hinblick auf Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG und Art. 12 Abs. 1 GG keine Bedenken (BGH GRUR 1996, 806 - HerzASS).

Auf die europarechtliche Primärrechtmäßigkeit des Art. 88 Abs. 1 EG-Arzneimittelkodex (Richtlinie 2001/83/EG) bzw. der früheren Vorschrift des Art. 3 Abs. 1 Richtlinie 92/28/EWG, die ebenfalls ein Publikumswerbeverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel statuierten, komme es nicht an. § 10 Abs. 1 HWG sei schon vor diesen Richtlinien, und zwar im Jahre 1978 in der jetzigen Fassung eingeführt worden. Insoweit handele es sich um autonomes deutsches Recht, das unabhängig von europäischem Sekundärrecht bestehe. Im Übrigen gehe der EuGH von der Rechtmäßigkeit des Publikumswerbeverbots für verschreibungspflichtige Arzneimittel aus (EuGH, GRUR Int. 2004, 418 - DocMorris).

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, es bei Meidung von bestimmten Ordnungsmitteln zu unterlassen,

im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs im Internet werbliche Informationen über verschreibungspflichtige Arzneimittel in einer Weise zu verbreiten, dass diese Informationen auch außerhalb der medizinischen Fachkreise ohne weiteres zugänglich sind.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen,

vorab das Verfahren auszusetzen zur Vorlage an den EuGH (Bl. 15), hilfsweise an das BVerfG (Bl. 15).

Die Beklagte hat vorgetragen:

Art. 88 Abs. 1 EG-Arzneimittelkodex sei nichtig, für diese Vorschrift fehle es an einer gemeinschaftsprimärrechtlichen Rechtsgrundlage. Auf der Grundlage von Art. 95 Abs. 1 EG habe jedenfalls Art. 88 Abs. 1 Richtlinie 2001/83/EG aufgrund des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung gemäß Art. 5 Abs. 1 EG nicht erlassen werden dürfen. Denn es handele sich bei Art. 88 Abs. 1 Richtlinie 2001/83/EG nicht um eine Maßnahme zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten, welche die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes zum Gegenstand habe. Art. 88 Abs. 1 Richtlinie 2001/83/EG diene vielmehr einer Harmonisierung der Gesundheitspolitik, die gemäß Art. 152 EG ausgeschlossen sei (vgl. dazu EuGH GRUR 2001, 67 - Tabakwerbung).

Zudem fehle es an der gemäß Art. 253 EG erforderlichen Begründung des Art. 88 Abs. 1 Richtlinie 2001/83/EG in deren Erwägungsgründen, die Ausführungen dort seien nicht tragfähig. Schließlich greife Art. 88 Abs. 1 Richtlinie 2001/83/EG ungerechtfertigt in die Gemeinschaftsgrundrechte der Meinungsfreiheit, der unternehmerischen Freiheit und der Informationsfreiheit sowie in das aus dem Recht auf körperliche Unversehrtheit herzuleitende Selbstbestimmungsrecht der Patienten ein.

Würde vom EuGH im Wege der Vorlage Art. 88 Abs. 1 Richtlinie 2001/83/EG für ungültig erklärt, so sei § 10 Abs. 1 HWG ebenfalls nichtig; diese Vorschrift sei die innerstaatliche Umsetzungsnorm des Art. 88 Abs. 1 Richtlinie 2001/83/EG.

Im Übrigen stelle § 10 Abs. 1 HWG einen ungerechtfertigten Eingriff in die Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG und Art. 12 Abs. 1 und 2 Abs. 2 Satz 1 GG dar. Deswegen sei das durch eine Vorlage an das BVerfG zu klären, wenn das Gericht nicht zu dem Ergebnis käme, dass der Inhalt der streitgegenständlichen Internetseiten nicht unter das Verbot des § 10 Abs. 1 HWG fiele. Hilfsweise sei § 10 Abs. 1 HWG in diesem Sinne auszulegen:

Es gehe bei ihrem (der Beklagten) Internet-Auftritt darum (Bl. 45-46), dass - ungeschützt durch ein Passwort - die Produktverpackung des betreffenden Arzneimittels abgebildet sei, ein Link zur Gebrauchsinformation (Packungsbeilage) installiert sei und zu den betreffenden Krankheitsbildern die jeweiligen Indikationen und Informationen angegeben seien (z. B. bei so_vv: Hinweise zu Gelenkschmerzen und Rheuma) und dass ein Link zur Weiterleitung des Beitrags an Dritte eingerichtet sei. Bei dem Abdruck der Packungsbeilage und der Verpackung handele es sich nicht um Öffentlichkeitswerbung (Bl. 46 ff), entsprechendes gelte für die weiteren Informationen auf der Internetseite (Bl. 58 ff).

Durch Urteil vom 3. Februar 2005 hat das Landgericht der Klage stattgegeben. Auf das Urteil und auf den Berichtigungsbeschluss des Landgerichts vom 14. Februar 2005 (Bl. 120) wird wegen aller Einzelheiten Bezug genommen.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Beklagte mit der Berufung, die sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet hat.

Die Beklagte wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen. Ergänzend trägt sie noch vor:

Zu Unrecht habe das Landgericht der Klage stattgegeben. Art. 88 Abs. 1 Richtlinie 2001/83/EG sei nichtig und die Gültigkeit dieser EG-Vorschrift sei als Vorfrage zu klären. § 10 Abs. 1 HWG verstoße zudem gegen die GG-Grundrechte und sei verfassungswidrig.

Ungeachtet dessen handele es sich bei der angegriffenen Internetpräsentation jedenfalls nicht um verbotene Werbung im Sinne des § 10 Abs. 1 HWG. Das Landgericht habe nicht beachtet, dass eine Packungsbeilage bereits nach ihrem Inhalt als Werbung ungeeignet sei und dass die Gebrauchsinformation vorliegend nur auf gezielten Zugriff des Interessenten zugänglich gemacht werde. Ein solches Informationsangebot trage berechtigten Interessen der Patienten Rechnung, insbesondere vor dem Hintergrund der sonstigen im Internet frei verfügbaren Informationen über verschreibungspflichtige Arzneimittel. Die beanstandeten Internetseiten gefährdeten nicht die Arzneimittelsicherheit, sondern förderten diese sogar.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des landgerichtlichen Urteils die Klage abzuweisen,

hilfsweise 1. Vorlage an den EuGH (Bl. 147) 2. Vorlage an das BVerfG (Bl. 147), hilfsweise Zulassung der Revision.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass das Verbot des landgerichtlichen Urteils nach den Worten "werbliche Informationen" folgendermaßen ergänzt wird: "(nämlich Angaben zur Indikation und/oder die Gebrauchsinformation)".

Die Klägerin wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen und verteidigt das landgerichtliche Urteil. Ergänzend trägt sie noch vor:

Entgegen der Ansicht der Beklagten handele es sich bei der Darstellung der Arzneimittel auf ihren Internetseiten um Werbung im Sinne des § 10 Abs. 1 HWG. Es bestehe keine Veranlassung, für das Internet Ausnahmen von § 10 Abs. 1 HWG zu schaffen. § 10 Abs. 1 HWG entspreche der Vorgabe des Art. 88 Abs. 1 Richtlinie 2001/83/EG; diese Gemeinschaftsvorschrift verstoße ihrerseits nicht gegen primäres Gemeinschaftsrecht. § 10 Abs. 1 HWG sei auch nicht verfassungswidrig.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien und der von ihnen überreichten Anlagen wird ergänzend auf den gesamten Akteninhalt einschließlich der Beiakte Landgericht Hamburg 312 O 576/03 Bezug genommen.

B.

Die zulässige Berufung der Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Sie ist daher mit der aus dem Urteilsausspruch des Senats ersichtlichen Maßgabe zurückzuweisen.

I.

Der Gegenstand des Berufungsverfahrens ist die Unterlassungsklage gemäß der Verurteilung durch das Landgericht mit der von der Klägerin in der Berufungsverhandlung vorgenommenen Ergänzung im Verbotsausspruch gemäß dem Urteilsausspruch des Senats.

Der Gegenstand des demgemäß von der Klägerin verfolgten Unterlassungsantrages ist das Verbreiten von werblichen Informationen - und zwar von Angaben zur Indikation und/oder die Gebrauchsinformation - im Internet über verschreibungspflichtige Arzneimittel in einer Weise, dass diese Informationen auch außerhalb der medizinischen Fachkreise ohne weiteres zugänglich sind:

1.) Entsprechend den Erörterungen des Antrages in der Berufungsverhandlung hat die Klägerin klarstellen lassen, dass es ihr um das Verbreiten der in Rede stehenden Informationen über verschreibungspflichtige Arzneimittel im Internet ohne Passwortschutz außerhalb der Fachkreise geht, nicht aber um deren Verbreitung mit Passwortschutz innerhalb der Fachkreise.

2.) Außerdem hat die Klägerin klarstellen lassen, dass es ihr nicht um die Abbildung einer Packung als solche und auch nicht um den Namen eines Arzneimittels als solchen auf den Internetseiten geht, sondern einerseits um Angaben zur Indikation und andererseits um die Gebrauchsinformation bezüglich der verschreibungspflichtigen Arzneimittel der Beklagten auf deren Internetseiten.

Mit der Wendung "Angaben zur Indikation" sind in verallgemeinerter Form Hinweise auf das Anwendungsgebiet des betreffenden verschreibungspflichtigen Arzneimittels gemeint, so z. B. wie auf der Internetseite der Beklagten (Anlage K 5), auf der das Arzneimittel so_vv genannt ist und zugleich Hinweise über "Gelenkschmerz" stehen bzw. über einen weiterführenden Link dort angekündigt werden. Gegenstand des Verbots ist also insoweit nicht das bloße Informieren über "Gelenkschmerz" ohne Anknüpfung an ein bestimmtes Arzneimittel, sondern gerade die Verbindung zwischen der Nennung eines Arzneimittels und solchen Indikationsangaben.

3.) Verbotsgegenstand ist (und war ) allerdings nicht die sog. Weiterleitungsfunktion (der Link) auf der Internetseite der Beklagten, mit der ein Patient das dort vorgefundene Informationsmateriell Dritten zuleiten konnte. Dieser Umstand kann daher, anders als es das Landgericht gemeint hat, nicht zur Begründung des Unterlassungsanspruchs herangezogen werden.

II.

Der mit dem Klageantrag in der Fassung gemäß dem Urteilsausspruch des Senats geltend gemachte Unterlassungsanspruch ist aus den §§ 8, 3, 4 Nr. 11 UWG, § 10 Abs. 1 HWG begründet.

1.) Gemäß § 10 Abs. 1 HWG darf für verschreibungspflichtige Arzneimittel nur bei Ärzten, Zahnärzten, Tierärzten, Apothekern und Personen, die mit diesen Arzneimitteln erlaubterweise Handel treiben, geworben werden.

2.) Das beanstandete Verhalten der Beklagten verstößt auch nach Auffassung des Senats gegen § 10 Abs. 1 HWG.

Mit den Angaben zur Indikation und/oder den Gebrauchsinformationen für die verschreibungspflichtigen Arzneimittel der Beklagten, die diese streitgegenständlich auf ihren Internetseiten ohne Passwortschutz für jedermann zugänglich veröffentlicht, handelt es sich um Werbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel außerhalb der Fachkreise im Sinne des § 10 Abs. 1 HWG.

(a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats im Einklang mit der zutreffenden herrschenden Meinung ist der heilmittelrechtliche Werbebegriff weit zu verstehen. Eine heilmittelrechtlich relevante Werbung sind alle informationsvermittelnden oder meinungsbildenden Aussagen, die darauf abzielen, die Aufmerksamkeit des Adressaten zu erwecken und deren Entschlüsse mit dem Ziel der Förderung des Warenabsatzes zu beeinflussen (Doepner, Heilmittelwerbegesetz, 2. Auflage, § 1 HWG, Rz. 9-11 m. w. Nw.).

Für die Vorschrift des § 10 Abs. 1 HWG gilt auch im Hinblick auf ihren Schutzzweck nichts anderes. Mit ihr soll die Gesundheit von Mensch oder Tier vor den Folgen des unkontrollierten Umgangs mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln, die als nicht ungefährlich anzusehen sind, geschützt werden. Das Werbeverbot ergänzt und erweitert den Schutz, der durch die Vorschriften über die Verschreibungspflicht (vgl. § 48 AMG) gewährt wird. Es verhindert, dass solche Mittel den Verbrauchern vor Augen geführt werden und sie unter dem Eindruck der Werbung auf die Verschreibung dieser Mittel drängen. Die Ärzte und Tierärzte sollen lediglich auf Grund eigener Sachkunde und unter Berücksichtigung des jeweiligen Einzelfalles über eine bestimmte Medikation entscheiden. Ein Konflikt im Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient durch von der Werbung getragene Patientenwünsche, die immerhin den sachlichen Erfordernissen entgegen stehen können, soll von vornherein vermieden werden (Gröning, Heilmittelwerberecht, § 10 HWG Rz. 11).

(b) Veröffentlicht die Beklagte auf ihren Internetseiten gegenüber dem Laienpublikum Angaben zur Indikation ihrer verschreibungspflichtigen Arzneimittel und/oder stellt sie die Gebrauchsinformationen für ihre verschreibungspflichtigen Arzneimittel ohne Passwortschutz ins Internet, so betreibt sie Werbung im Sinne des § 10 Abs. 1 HWG. Daran kann nach Auffassung des Senats kein vernünftiger Zweifel bestehen.

Die streitgegenständlichen Angaben zur Indikation bzw. die Gebrauchsinformation im Internet ist objektiv und subjektiv Werbung für die dadurch beschriebenen Arzneimittel. Mit den so dargestellten Produkteigenschaften kann Aufmerksamkeit auf dem Arzneimittelmarkt und bezüglich der damit hervorgehobenen Arzneimittel ein Verschreibungs- und Anwendungsinteresse geweckt werden. Das von den Beklagten herangezogene Informationsinteresse der Laien steht dem nicht entgegen, sondern stützt die angenommene Eignung solcher Angaben zu Werbezwecken.

(aa) Der Anwendung des § 10 Abs. 1 HWG steht nicht etwa entgegen, dass die Angaben zur Indikation und/oder die Gebrauchsinformation bezüglich der verschreibungspflichtigen Arzneimittel der Beklagten nach dem Streitgegenstand nicht näher bestimmt sind und deswegen unabhängig vom jeweiligen Inhalt und von der jeweiligen Darstellungsform verboten sein sollen und demgemäß auch dann, wenn sie sachlich gehalten und nicht typisch "reklamehaft" gestaltet sind. Dies dürfte im Übrigen entsprechend den arzneimittelrechtlichen Vorgaben für Gebrauchsinformationen bei diesen ohnehin eher die Regel sein.

Der Verkehr mit Arzneimitteln erwartet insoweit gerade auch nüchtern-sachliche Angaben, gleichwohl handelt es sich um Werbung im Sinne des HWG (ständige Rechtsprechung zum Werbebegriff des HWG: BGH GRUR 1999, 179 - Patientenwerbung; OLG Hamburg PharmaRecht 2003, 130, jeweils m. w. Nw.).

(bb) Für die Einordnung des beanstandeten Verhaltens der Beklagten als Werbung im Sinne des § 10 Abs. 1 HWG ist es nicht von durchgreifender Bedeutung, dass es sich im Falle der Angaben zur Indikation nach dem Streitgegenstand jedenfalls auch um solche Angaben handeln kann, die als Pflichtangaben Teil der arzneimittelrechtlichen Zulassung des jeweiligen Mittels sind und dass die Gebrauchsinformation Pflichtangaben enthält und als solche am Zulassungsverfahren Teilhabe hat.

Nach ständiger Rechtsprechung des Senats behalten sachliche Hinweise auf und über ein Arzneimittel, die es positiv darstellen und so regelmäßig geeignet sind, seinen Absatz zu fördern, diese Funktion auch dann, wenn es sog. Pflichtangaben sind. Das gilt uneingeschränkt auch im Hinblick darauf, dass Pflichtangaben nicht nur "positiv" das Arzneimittel beschreiben, sondern auch Hinweise auf Nebenwirkungen enthalten, bis hin zu Warnhinweisen von erheblichem Gewicht. Insgesamt bleibt die Werbefunktion gleichwohl verständigerweise bestehen, denn wirksame Arzneimittel genießen Vertrauen und Wertschätzung trotz der Nebenwirkungen. Und es wäre verfehlt, arzneimittelrechtlich vorgeschriebenen Hinweisen z. B. auf Packungen oder Packungsbeilagen etwa generell die Qualifikation als Werbung abzusprechen und mit dieser nicht tragfähigen Begründung die Anwendung von § 10 Abs. 1 HWG zu verneinen.

Allerdings erfährt der weite Werbebegriff gemeinschaftsrechtlich und nach der Gesetzessystematik und unterschiedlichen Teleologie von AMG und HWG eine normative Korrektur dahingehend, dass alle Angaben, die arzneimittelrechtlich für die Packung oder Packungsbeilage vorgeschrieben oder ausdrücklich gestattet sind, unabhängig von ihrer etwaigen Werbeeignung und den Intentionen des Werbenden nicht als heilmittelwerberechtlich relevante Absatzwerbung anzusehen sind und damit nicht in den Anwendungsbereich des HWG (hier des § 10 Abs. 1 HWG) fallen. So sind vom Verbot des § 10 Abs. 1 HWG selbstverständlich alle diejenigen arzneimittelrechtlich vorgeschriebenen Informationen ausgenommen, die der Verbraucher mit dem Erwerb des Arzneimittels zwangsläufig erhält und erhalten soll, insbesondere die arzneimittelrechtlich vorgeschriebenen Pflichtangaben (Doepner, a. a. O., § 1 HWG Rz. 19 m. w. Nw.; BGH GRUR 1998, 959 - Neurotrat forte).

Dagegen wäre es keine gesetzmäßige Normkorrektur, bei freiwilligen Hinweisen auf verschreibungspflichtige Arzneimittel des Pharmaherstellers - nichts anderes sind die streitgegenständlichen Angaben der Beklagten auf ihren Internetseiten - etwa aus Nützlichkeitserwägungen im Hinblick auf bestehende Informationsbedürfnisse der potentiellen Interessenten die Norm des § 10 Abs. 1 HWG außer Kraft zu setzen. So ist nach zutreffender Ansicht schon eine Absatzwerbung gegeben, wenn innerhalb einer Gebrauchsinformation mit ihren vorgeschriebenen Pflichtangaben mit zusätzlichen Angaben eine sog. "Informationslyrik" zu Gunsten des betreffenden Arzneimittels betrieben wird (Doepner, a. a. O. § 11 Nr. 6 HWG Rz. 11; OLG Hamburg a. a. O.). Das muss für den vorliegenden Sachverhalt um so mehr gelten; die Beklagte stellt von sich aus die Angaben ins Internet, von einer nur zwangsläufigen Kenntnisnahme durch den Patienten im Rahmen des Verschreibungs- und Verordnungsvorgangs kann keine Rede sein.

(cc) Zu Recht hat das Landgericht dem Umstand, dass die Hinweise zu den verschreibungspflichtigen Arzneimitteln - nach dem Streitgegenstand - auf den Internetseiten der Beklagten veröffentlicht sind und insoweit nicht aktiv an den Patienten herangetragen werden, keine durchgreifende Bedeutung beigemessen. Jedenfalls ist nicht angezeigt, deswegen etwa das Eingreifen von § 10 Ab. 1 HWG insoweit zu verneinen.

Die Internetwerbung wird zwar regelmäßig von solchen Patienten zur Kenntnis genommen, die die Internetseiten ihrerseits aktiv aufrufen; insoweit werden sie nicht unaufgefordert von ihr gleichsam "überfallen" und so durch sie beeinflusst. Die sog. Pull-Situation der Internetnutzer ändert aber nichts daran, dass es sich um aktiv von der Beklagten erstellte und veröffentlichte Hinweise handelt. Insoweit ist der Sachverhalt wettbewerbsrechtlich nicht anders zu beurteilen als etwa bei Faltblättern für verschreibungspflichtige Arzneimittel, die - unterstellt - in einer Apotheke zur unkontrollierten Mitnahme ausliegen. In beiden Fällen geht es vordringlich um das Veröffentlichen durch den Werbenden, und zwar durch das Bereitstellen des Materials durch diesen.

(dd) Auch nach Auffassung des Senats ergibt sich aus dem von der Beklagten noch betonten Gesichtspunkt eines Informationsbedürfnisses durch den Pharmahersteller für die Anwendung des § 10 Abs. 1 HWG nichts anderes.

Der Gesetzeszweck des § 10 Abs. 1 HWG bleibt gleichwohl bestehen, auch wenn sich Patienten über das Internet anderweitig über verschreibungspflichtige Arzneimittel informieren können. Derartige Informationsmöglichkeiten hat es schon vor dem Internet gegeben, mögen sie auch jetzt buchstäblich auf Knopfdruck erfolgen und so erheblich erleichtert sein und an Umfang zugenommen haben. Trotz bestehender anderweitiger Informationsmöglichkeiten hat der Gesetzgeber die besonderen Gefahren durch Werbung des Herstellers außerhalb der Fachkreise gesehen und sich bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln gegen deren Zulässigkeit entschieden. Dass der Patient damit regelmäßig erst nach der Verschreibung bzw. Verordnung des Arzneimittels nähere Informationen hierüber erhält, ist vom Gesetzgeber entsprechend dem oben dargestellten Gesetzeszweck so gewollt. Dass Patienten und Pharmahersteller gleichwohl eine solche Herstellerwerbung - auch aus verschiedenen Intentionen - für nützlich halten mögen, ändern an dem klaren gesetzlichen Regelungsgehalt des § 10 Abs. 1 HWG nichts.

3.) Mit dem Verstoß gegen § 10 Abs. 1 HWG handelt die Beklagte unlauter einer Vorschrift im Sinne des § 4 Nr. 11 UWG zuwider. § 10 Abs. 1 HWG ist auch dazu bestimmt, im Interesse der Marktteilnehmer das Markverhalten zu regeln, indem bestimmte Werbemaßnahmen allgemein verboten sind. Die vom Landgericht vorgenommene Einordnung der Norm als "wertbezogene" spielt für § 10 Abs. 1 HWG - anders als für § 1 UWG a. F. - keine entscheidungserhebliche Rolle.

4.) Auch die weiteren Voraussetzungen des Unterlassungsanspruchs sind gegeben. Der Antrag erfasst nach seiner redaktionellen Überarbeitung in der Berufungsverhandlung die konkrete Verletzungsform.

III.

Nach alledem war die Berufung der Beklagten mit der aus dem Urteilsausspruch des Senats ersichtlichen Maßgabe zurückzuweisen.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Soweit die Klägerin ihren Klageantrag ergänzt hat, liegt lediglich eine redaktionelle Überarbeitung und keine teilweise Klagezurücknahme vor. Das Klagebegehren war schon in erster Instanz im Sinne des oben geschilderten Streitgegenstandes deutlich geworden.

1.) Ein Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (Art. 100 GG) ist nicht veranlasst.

Die gebotene vorgenommene Anwendung des § 10 Abs. 1 HWG ist mit dem Grundgesetz vereinbar, wie bereits das Landgericht zutreffend angenommen hat.

Das Grundrecht der Pharmahersteller auf freie Meinungsäußerung und das Grundrecht der Verbraucher, sich aus allgemein zugänglichen Quellen zu informieren (Art. 5 GG) finden ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze (Art. 5 Abs. 2 GG). Den oben aufgezeigten gewichtigen Gemeinwohlbelangen hat der Gesetzgeber in § 10 Abs. 1 HWG insoweit den Vorrang gegeben. Entsprechendes gilt für Art. 12 GG. Das ist unter Beachtung der Wechselwirkung der Grundrechte verfassungsgemäß. Auf die Ausführungen des Landgerichts wird Bezug genommen.

2.) Eine Vorlage an den EuGH (Art. 234 EG) kommt auch nach Auffassung des Senats nicht in Betracht.

Den Bestimmung des Art. 86 ff. Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel, zuletzt geändert durch die Richtlinien 2004/24/EG und 2004/27/EG (jeweils) des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004, ist nicht zu entnehmen, dass die streitgegenständlichen Veröffentlichungen der Beklagten keine Werbung darstellen. Insoweit ist nicht erkennbar, dass die auch vom Senat so vorgenommene Anwendung des § 10 Abs. 1 HWG gemeinschaftswidrig wäre. Vielmehr entspricht die deutsche Vorschrift, worauf auch das Landgericht abgestellt hat, Art. 88 Abs. 1 Richtlinie 2001/83/EG (EuGH GRUR Int. 2004, 418 - DocMorris). Insbesondere im Hinblick auf die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes vermag auch der Senat nicht zu erkennen, dass die Vorschrift des Art. 88 Abs. 1 Richtlinie 2001/83/EG ihrerseits gegen primäres Gemeinschaftsrecht verstoßen könnte. Auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts wird Bezug genommen.

Schon deswegen steht die Anwendung der § 10 Abs. 1 HWG mit den gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften und Entscheidungen im Einklang.

3.) Eine Zulassung der Revision ist nicht veranlasst (§ 543 Abs. 2 ZPO n. F.). Die Rechtssache geht, wie die vorstehenden Ausführungen zeigen, über die Anwendung gesicherter Rechtsprechungsgrundsätze auf den vorliegenden Sachverhalt nicht hinaus. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung, die Zulassung der Revision ist weder zur Fortbildung des Rechts noch zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.

Hierbei hat der Senat berücksichtigt, dass das OLG München in Übereinstimmung mit der dortigen Vorinstanz in einer ebenso gelagerten Rechtssache es für richtig gehalten hat, insoweit § 10 Abs. 1 HWG nicht anzuwenden (Anlagen B 4-5). Dass ein Sachverhalt von den Gerichten rechtlich unterschiedlich bewertet wird, erfüllt noch nicht das Merkmal der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung.

Ende der Entscheidung

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