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Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Urteil verkündet am 28.11.2002
Aktenzeichen: 3 U 57/02
Rechtsgebiete: BGB, HWG, UWG, ZPO


Vorschriften:

BGB § 242
HWG § 11 Nr. 6
UWG § 13 Abs. 5
ZPO § 1
1. (a) Die Angabe "mit zero-order-kinetik" für einen Beta-Blocker ist eine fachsprachliche, nicht in den deutschen Sprachgebrauch eingegangene Bezeichnung im Sinne des § 11 Nr. 6 HWG. Dass damit die gleichmäßige Freisetzung des Wirkstoffs in der Retardtablette gemeint ist, erschließt sich dem durchschnittlichen Leser nicht.

(b) Die Angabe "mit zero-order-kinetik" auf der Faltschachtel des Arzneimittels enthält deren Verwendung auch außerhalb der Fachkreise, obwohl der Beta-Blocker verschreibungspflichtig ist; die Angabe begegnet u. a. den Laien als Patienten.

(c) Die Angabe "mit zero-order-kinetik" auf der Faltschachtel ist Werbung im Sinne des § 11 Nr. 6 HWG, sie weist auf den Vorteil des Beta-Blockers durch die gleichmäßige Wirkstofffreisetzung hin. Da die Angabe nicht nach den AMG-Bestimmungen vorgeschrieben ist, bleibt es bei der Anwendung des § 11 Nr. 6 HWG insoweit.

2. Es ist keine rechtsmissbräuchliche Verfahrensvermehrung, wenn der Antragsteller zunächst mit der Unterlassungsverfügung gegen die Bezeichnung auf der Faltschachtel eines Arzneimittels in einer Wirkstoffstärke vorgeht und später dieselbe Bezeichnung für weitere Wirkstoffstärken desselben Mittels mit einer zweiten einstweiligen Verfügung angreift, weil der Verletzer wider Erwarten nur das erste Verbot betreffend die eine Wirkstoffstärke befolgt.


HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 U 57/02

Verkündet am: 28. November 2002

In dem Rechtsstreit

hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, 3. Zivilsenat, durch die Richter Brüning, v. Franque, Spannuth nach der am 28. November 2002 geschlossenen mündlichen Verhandlung für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Antragsgegnerin gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 15, vom 6. Februar 2002 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. und beschlossen:

Der Wert des Streitgegenstandes wird auch für das Berufungsverfahren auf 500.000 € festgesetzt.

Gründe:

A.

Die Parteien vertreiben Arzneimittel, und zwar u. a. verschreibungspflichtige sog. ß-Rezeptoren-Blocker (Beta-Blocker) und stehen miteinander im Wettbewerb.

Die Antragsgegnerin vertreibt das Generika-Arzneimittel "Mxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx O.K. Retardtabletten" in den Wirkstoffstärken zu 50 mg, 100 mg und 200 mg. Auf der äußeren Umhüllung (Faltschachtel) der Arzneimittelpackung steht jeweils der Hinweis: "ß-Rezeptorenblocker mit zero-order-kinetik" (Anlage ASt 1).

Die Antragstellerin beanstandet diese Angabe als Verstoß gegen §11 Nr. 6 HWG, §1 UWG und nimmt die Antragsgegnerin deswegen im einstweiligen Verfügungsverfahren auf Unterlassung in Anspruch, und zwar vorliegend wegen der Verwendung auf der MXXXXXXXXX-Faltschachtel der Wirkstoffstärken zu 50 mq und 200 mq.

Im vorangegangenen Verfügungsverfahren gleichen Rubrums hat die Antragstellerin am 10. Januar 2002 eine Beschlussverfügung des Landgerichts Hamburg (315 O 6/02) erwirkt, und zwar betreffend das Werben mit derselben Angabe auf der Faltschachtel des Arzneimittels "Mxxxxxxxxx-xxxxxxxxxxxO.K. 100 mq Retardtabletten". Mit dem Urteil vom 6. Februar 2002 hat das Landgericht die Beschlussverfügung bestätigt. Die dagegen gerichtete Berufung (HansOLG Hamburg 3 U 56/02) hat die Antragsgegnerin zurückgenommen. Auf die Beiakte HansOLG Hamburg 3 U 56/02 wird Bezug genommen.

Der mit dem Arzneimittel der Antragsgegnerin konkurrierende Beta-Blocker "Bxxxxx-xxx" der Antragstellerin enthält die Wirksubstanz MXXXXXXXXX - und zwar als Mxxxxxxxxx-Succinat - in einer speziellen, patentgeschützten Galenik, so dass der Wirkstoff bei gleichmäßiger Freisetzung konstante Blutspiegel erzeugt und das Präparat als 1 x 1-Dosierung verabreicht werden kann. In dem Arzneimittel "Mxxxxxxxxx-xxxxxO.K. Retardtabletten" der Antragsgegnerin ist -wie bei denen anderer Generika-Hersteller - der Wirkstoff Mxxxxxxxxx-Tartrat enthalten.

Das Landgericht hat mit dem Urteil vom 6. Februar 2002 der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Verfügung unter Androhung von Ordnungsmitteln verboten, für das Arzneimittel Mxxxxxxxxx-xxxxxx OK 50 mg und 200 mg Retardtabletten auf der Faltschachtel mit der Aussage: "ß-Rezeptorenblocker mit zero-order-kinetik" zu werben.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Antragsgegnerin. Die Antragstellerin verteidigt das Urteil des Landgerichts.

B.

Die zulässige Berufung der Antragsgegnerin hat in der Sache keinen Erfolg. Sie ist demgemäß zurückzuweisen.

Der Verfügungsantrag gemäß der Beschlussverfügung ist auch nach Auffassung des Senats zulässig.

1.) Gegenstand des Unterlassungsantrages ist das Werben für das Arzneimittel "Mxxxxxxxxx-xxxxxxx O.K. Retardtabletten" in den Wirkstoffstärken zu 50 mg und 200 mg jeweils mit der Aussage: "ß-Rezeptorenblocker mit zero-order-kinetik" auf der Faltschachtel, und zwar nur wegen des Bestandteils:" zero-order-kinetik". Die Wendung "ß-Rezeptorenblocker" innerhalb der beanstandeten Angabe ist dabei nicht angegriffen.

Ausgehend vom Verletzungsfall (Anlage ASt 1) geht es bei dem Verbot um die Verwendung der Angabe auf der Faltschachtel, und zwar ohne einen erläuternden Zusatz an jener Stelle.

2.) Der Unterlassungsantrag ist hinreichend bestimmt und demgemäß zulässig.

Im Verbot wird allerdings auf das "Werben" mit der beanstandeten Aussage auf der Faltschachtel abgestellt und zwischen den Parteien besteht Streit über die Frage, ob es sich bei der Angabe auf der Faltschachtel um Werbung handelt oder nicht. In solchen Fällen führt eine Wendung, deren Sinngehalt zwischen den Parteien gerade streitig ist, zur Unzulässigkeit des Unterlassungsantrages, wenn durch sie die Reichweite des Verbots bestimmt werden soll (BGH WRP1992,560 -Unbestimmter Unterlassungsantrag II, GRUR 2000, 438 - Gesetzeswiederholende Unterlassungsanträge).

Im vorliegenden Fall aber herrscht über die Verbotsbestimmung "zu werben" Klarheit und Einigkeit, es geht -wie ausgeführt- um die Verwendung der Angabe: "ß-Rezeptorenblocker mit zero-order-kinetik" auf der Faltschachtel des Arzneimittels, dieses Tun wird als unzulässige Werbung beanstandet.

Demgemäß ist die Formulierung "zu werben" nicht unbestimmt, obwohl die Parteien das angegriffene Verhalten rechtlich unterschiedlich bewerten. Es handelt sich insoweit nur um ein Begründungselement des Verbotes.

3.) Zu Recht hat das Landgericht den Verfügungsantrag nicht wegen Rechtsmissbrauchs (§ 13 Abs. 5 UWG) als unzulässig angesehen.

Die Antragstellerin hatte allerdings vor Einreichung des hiesigen Verfügungsantrages (bei Gericht eingegangen am 25. Januar 2002) am 10. Januar 2002, wie ausgeführt, eine Beschlussverfügung des Landgerichts mit gleichlautendem Verbot betreffend das Arzneimittel "Mxxxxxxxxx-xxxxxxxO.K. 100 mg Retardtabletten" erwirkt (Beiakte HansOLG Hamburg 3 U 56/02), während es vorliegend um die Wirkstoff stärken zu 50 mg und 200 mg geht.

Die Antragstellerin hat insoweit aber keine unnötige Vermehrung von Verfahren betrieben. Die Antragsgegnerin hatte nur genau das Verbot der Beschlussverfügung (Beiakte HansOLG Hamburg 3 U 56/02) betreffend die Wirkstoff stärke 100 mg befolgt, während sie die MXXXXXXXXX-Faltschachtel n der Wirkstoff stärken zu 50 mg und 200 mg mit der beanstandeten Angabe weiter verwendete. Da keine durchgreifenden Anhaltspunkte für eine rechtlich unterschiedliche Beurteilung nach den einzelnen Wirkstoff stärken ersichtlich sind, hatte die Antragstellerin davon ausgehen können, dass das erste Verfügungsverfahren zwischen den Parteien eine Klärung insgesamt bringen würde. Die anschließende Abmahnung betreffend die Wirkstoff stärken zu 50 mg und 200 mg vom 23. Januar 2002 blieb jedoch erfolglos, so dass auch das zweite - hiesige - Verfügungsverfahren erforderlich wurde.

Der Unterlassungsantrag gemäß dem Urteilsausspruch des Landgerichts ist auch nach Auffassung des Senats begründet (§ 11 Nr. 6 HWG, § 1 UWG).

Das gilt für das Verbot der Angabe betreffend die Wirkstoffstärke zu 50 mg des Arzneimittels (vgl. nachfolgend unter Ziffer 1 .-4.) und ebenso zu 200 mg (vgl. unter Ziffer 5.).

1.) Nach §11 Nr. 6 HWG darf außerhalb der Fachkreise für Arzneimittel nicht mit fremd- oder fachsprachlichen Bezeichnungen geworben werden, soweit sie nicht in den deutschen Sprachgebrauch eingegangen sind. Die Verwendung der beanstandeten Bezeichnung "ß-Rezeptorenblocker mit zero-order-kinetik" auf der Faltschachtel des Arzneimittels "Mxxxxxxxxx-xxxxxxxO.K. 50 mg Retardtabletten" verstößt gegen diese Vorschrift, und zwar wegen der Angabe: "zero-order-kinetik".

(a) Die Angabe "zero-order-kinetik" als solche ist eine fachsprachliche Bezeichnung, die nicht in den deutschen Sprachgebrauch eingegangen ist. Ob sie auch eine fremdsprachliche Bezeichnung im Sinne dieser Vorschrift ist, kann dahingestellt bleiben.

(aa) Fachsprachliche Bezeichnungen sind Bezeichnungen, die durch explizite Definitionen zum Terminus geformt wurden und die der Verständigung zwischen Angehörigen eines fachlich abgegrenzten Kommunikationsbereichs dienen sollen (Doepner, Heilmittelwerbegesetz, 2. Auflage, § 11 Nr. 6 HWG, Rz. 15). Um so eine Bezeichnung handelt es sich bei "zero-order-kinetik". Dieser Begriff setzt sich aus drei Wörtern zusammen, mit denen der allgemeine Verkehr schon im Einzelnen nur teilweise und eher ungenaue Vorstellungen verbinden kann, die Bedeutung des zusammengesetzten Begriffs erschließt sich daraus aber nicht.

Dieser Gesamtbegriff gehört nicht zu den vom Verbotsbereich des § 11 Nr. 6 HWG ausgenommenen Bezeichnungen der Gemeinsprache; denn Gemeinsprache ist die im ganzen Sprachgebiet gültige, allen Angehörigen der Sprachgemeinschaft verständliche und zum allgemeinen, nicht speziell fachgebundenen Gedankenaustausch gebrauchte Form der Sprache (Doepner, a. a. O. §11 Nr. 6 HWG, Rz. 17). Davon kann bei "zero-order-kinetik" nicht ausgegangen werden.

So wird man teilweise wissen, dass "zero" die Null bzw. "nichts" bedeutet, z. B. ist "zero" im Roulettspiel das Gewinnfeld der Bank, auf dem Spieler nichts gewinnt. Das Wort "order" erinnert an das kaufmännische Bestellen ("ordern"). "Kinetik" bedeutet in der Physik die Lehre von den nicht im Gleichgewicht befindlichen Kräften, so dürfte der Begriff "kinetische Energie" (für Bewegungsenergie) manchen geläufig sein.

Selbst denjenigen, die alle drei Wörter einzeln begrifflich zutreffend verstehen, erschließt sich die Bedeutung der Gesamtbezeichnung "zero-order-kinetik" nicht, für die übrigen Teile des Publikums ohnehin nicht. Denn diese Angabe bedeutet, dass das betreffende Arzneimittel so zubereitet ist, dass der Wirkstoff gleichmäßig abgegeben und entsprechend gleichmäßig im Körper abgebaut wird ("Freisetzung nullter Ordnung" bzw. "Kinetik nullter Ordnung"), so dass die Tablette nur einmal am Tag eingenommen werden muss. Wie zwischen den Parteien unstreitig ist, geht es insoweit um den "linearen Abbau" des Wirkstoffes im Körper. Für den durchschnittlichen Leser ist aber schon die gedankliche Verbindung von "zero" zu einer "gleichmäßigen Freisetzung" nicht herzustellen, die spezielle Bedeutung der Angabe lässt sich ohnehin nicht ableiten.

(bb) Die fachsprachliche Bezeichnung "zero-order-kinetik" ist nicht in den allgemeinen deutschen Sprachgebrauch eingegangen (§ 11 Nr. 6 HWG).

Der "allgemeine deutsche Sprachgebrauch" ist nicht mit der Gemeinsprache identisch, maßgeblich für den Eingang in den allgemeinen Sprachgebrauch ist das Verstehen der Bezeichnung, für den Gebrauch ist nicht etwa nur auf den aktiven, sondern auch auf den passiven Wortschatz abzustellen. Das ergibt sich aus dem Schutzzweck des §11 Nr. 6 HWG, die Vorschrift soll vor allem Suggestions- und Verwirrungsgefahren entgegenwirken (Doepner, a. a. O. § 11 Nr. 6 HWG, Rz. 20-21).

Die obigen Ausführungen zeigen, dass die in Rede stehende Bezeichnung nicht allgemein verständlich ist und demgemäß nicht zum allgemeinen passiven (oder gar aktiven) Wortschatz gehört. Zwar sind an das Verstehen der fachsprachlichen Bezeichnung nicht allzu hohe Anforderungen zu stellen, es genügt eine Parallelwertung in der Laiensphäre (BGH GRUR 1995, 615 - Sauerstoff-Mehrschritt-Therapie) und damit ein Erfassen ihrer Bedeutung auch nur ungefähr. Das kann aber vorliegend bei einer so komplexen Begriffsbildung nicht angenommen werden, denn es ist auf den durchschnittlich gebildeten medizinischen Laien bzw. den deutschsprechenden Durchschnittsleser abzustellen (Doepner, a. a. O. § 11 Nr. 6 HWG, Rz. 30).

(b) Die beanstandete Angabe auf der Arzneimittelpackung wird jedenfalls auch außerhalb der Fachkreise im Sinne des § 11 Nr. 6 HWG verwendet, hiervon ist bereits das Landgericht zutreffend ausgegangen.

Der Umstand, dass das Arzneimittel "Mxxxxxxxxx-xxxxxxxO.K. 50mg Retardtabletten" verschreibungspflichtig ist, steht dem nicht entgegen. Angaben auf der äußeren Umverpackung eines Arzneimittels erreichen nicht nur die Fachkreise, sondern auch das allgemeine Publikum im Bereich der Patienten. Das entspricht der objektiven Zielrichtung, und zwar auch bei verschreibungspflichtigen Mitteln.

Für die in Rede stehende Angabe ergibt sich nichts anderes, obwohl sie von beachtlichen Teilen des angesprochenen Laienpublikums, wie oben ausgeführt, begrifflich nicht verstanden wird. Man erwartet auf der Verpackung wichtige Hinweise, die gerade auch für die Patienten von erheblicher Bedeutung sein können und die man sich gegebenenfalls vom Arzt oder Apotheker erklären oder "übersetzen" lassen kann. Wegen der objektiven, auch auf das allgemeine Publikum bezogenen Zielrichtung der Angabe kommt es - wie auch sonst bei der Abgrenzung zwischen Fach- und Publikumswerbung - auf den etwaigen Willen des Herstellers, damit etwa nur Fachkreise anzusprechen, nicht an (vgl. Doepner, a. a. O. §2 HWG, Rz. 14, § 11 Nr. 6 HWG Rz. 11).

(c) Mit der Verwendung der angegriffenen Bezeichnung auf der Faltschachtel wird für das Arzneimittel "Mxxxxxxxxx-xxxxxxxO.K. 50 mg Retardtabletten" geworben, demgemäß handelt es sich auch nach Auffassung des Senats insoweit grundsätzlich um Werbung im Sinne des § 11 Nr. 6 HWG. Eine in solchen Fällen möglicherweise vorzunehmende Normkorrektur wegen anderer arzneimittel- bzw. heilmittelwerberechtlicher Vorschriften kommt vorliegend nicht in Betracht.

(aa) Der heilmittelrechtliche Werbebegriff ist nach der zutreffenden herrschenden Meinung weit zu verstehen. Eine heilmittelwerberechtlich relevante Werbung sind alle informationsvermittelnden und meinungsbildenden Aussagen, die darauf abzielen, die Aufmerksamkeit des Adressaten zu erwecken und deren Entschlüsse mit dem Ziel der Förderung des Warenabsatzes zu beeinflussen (Doepner, a. a. O. §1 HWG, Rz.9-11 m. w. Nw.).

Für die Vorschrift des §11 Nr. 6 HWG gilt auch im Hinblick auf ihren Schutzzweck nichts anderes. Mit ihr soll der Gefahr der Verwirrung und Irreführung des Laienpublikums begegnet werden, die bei der Verwendung solcher fachsprachlichen Bezeichnungen sehr ausgeprägt ist (BGH, a. a. O. - Sauerstoff-Mehrschritt-Therapie).

(bb) Die Bezeichnung "ß-Rezeptorenblocker mit zero-order-kinetik" ist Werbung in diesem weiten Sinne.

Sie weist auf den Vorteil des Beta-Blockers (mit "zero-order-kinetik") hin, dass - wie ausgeführt - der Wirkstoff so gleichmäßig freigesetzt wird, dass eine einmalige Tagesdosis möglich ist. Damit handelt es sich objektiv und subjektiv um Werbung. Auf dem Arzneimittelmarkt kann mit dieser genannten Produkteigenschaft Aufmerksamkeit und ein Verschreibungs- und Anwendungsinteresse geweckt werden. Auch wenn der Laie die Bezeichnung nicht (richtig) versteht, kann der Verkehr sie als besonderen Hinweis einordnen und so zu einer positiven Bewertung kommen. Das liegt schon nach der Lebenserfahrung auf der Hand.

(aaa) Der Anwendung des §11 Nr. 6 HWG steht nicht etwa entgegen, dass die Bezeichnung auf der äußeren Umverpackung sachlich gehalten und nicht typisch "reklamehaft" gestaltet ist. Der Verkehr mit Arzneimitteln erwartet gerade auch nüchtern-sachliche Angaben (st. Rspr. zum Werbebegriff des HWG: BGH GRUR 1991, 860 - Katovit, GRUR 1999, 179 - Patientenwerbung; HansOLG Hamburg MagazinDienst 2002, 119; vgl. zu §3 a HWG bei der Verwendung einer Arzneimittelbezeichnung auf der Packung im Rahmen der klinischen Studien noch vor der Zulassung: HansOLG Hamburg, MagazinDienst 2002, 770 = PharmaRecht 2002, 292).

(bbb) Aus dem Umstand, dass das Arzneimittel "Mxxxxxxxxx-xxxxxxxO.K. 50 mg Retardtabletten" verschreibungspflichtig ist und damit dem allgemeinen Publikumswerbeverbot des §10 Abs. 1 HWG unterliegt, ergibt sich nichts anderes. Diese Vorschrift soll den Gefahren medikamentöser Selbstbehandlung begegnen und bezweckt damit etwas anderes als §11 Nr. 6 HWG; im übrigen stellt auch §10 Abs. 1 HWG im Ausgangspunkt auf den weiten heilmittelwerberechtlichen Werbebegriff ab (Doepner, a. a. O. §10 HWG, Rz. 15).

(ccc) Es kann für die grundsätzliche Einordnung der beanstandeten Angabe als Werbung im Sinne des § 11 Nr. 6 HWG dahingestellt bleiben, ob es sich insoweit um eine arzneimittelrechtlich vorgeschriebene Angabe auf der Packung handelt oder nicht.

Sachliche Hinweise auf ein Arzneimittel, die es positiv darstellen und so regelmäßig geeignet sind, seinen Absatz zu fördern, behalten diese Funktion auch dann, wenn es sog. Pflichtangaben sind. Deswegen wäre es verfehlt, arzneimittelrechtlich vorgeschriebenen Hinweisen z. B. auf Packungen oder Packungsbeilagen generell die Qualifikation als Werbung abzusprechen und mit dieser nicht tragfähigen Begründung die Anwendbarkeit des § 11 Nr. 6 HWG zu verneinen (Doepner, a. a. O. § 11 Nr. 6 HWG, Rz. 11).

(cc) Allerdings erfährt der nach obigen Ausführungen weit zu fassende heilmittelwerbe-rechtliche Werbebegriff des HWG gemeinschaftsrechtlich sowie nach der Gesetzessystematik und unterschiedlichen Teleologie von AMG und HWG eine normative Korrektur dahingehend, dass alle Angaben, die arzneimittelrechtlich für die Packung oder Packungsbeilage vorgeschrieben oder gestattet sind, unabhängig von ihrer etwaigen Werbeeignung und den Intentionen des Werbenden nicht als heilmittelwerberechtlich relevante Absatzwerbung anzusehen sind und damit nicht in den Anwendungsbereich des HWG fallen. So sind vom Verbot des § 11 Nr. 6 HWG alle diejenigen arzneimittelrechtlich vorgeschriebenen Informationen ausgenommen, die der Verbraucher mit dem Erwerb des Arzneimittels zwangsläufig erhält und erhalten soll (Doepner, a. a. O. §11 Nr. 6 HWG, Rz. 11), insbesondere die arzneimittelrechtlich vorgeschriebenen Pflichtangaben (Doepner, a. a. O., § 1 HWG, Rz. 19 m. w. Nw.; vgl. für Pflichtangaben in der Packungsbeilage: BGH GRUR 98, 959 - Neurotrat forte).

Dagegen wäre es keine gesetzmäßige Normkorrektur, etwa auch bei freiwilligen zusätzlichen Hinweisen, z.B. bei Erläuterungen der Pflichtangaben, die Norm des §11 Nr. 6 HWG außer Kraft zu setzen. Hierfür besteht auch kein anzuerkennendes Bedürfnis. Denn freiwillige, nicht vorgeschriebene oder nicht speziell gestattete Hinweise können ohne weiteres unter Beachtung des § 11 Nr. 6 HWG in einer allgemein verständlichen Sprache gemacht werden, gerade wenn sie dem besseren Verständnis z. B. der Pflichtangaben oder sonst der Anwendung des Arzneimittels dienen sollen und für die gesundheitliche Aufklärung wichtig sind. Anders als bei vorgeschriebenen Angaben kann insoweit kein Gesetzeskonflikt mit dem Verbot des § 11 Nr. 6 HWG entstehen (vgl. zur freiwilligen, zusätzlich angeführten "Informationslyrik" innerhalb der Gebrauchsinformation als Absatzwerbung: Doepner, a. a. O. § 11 Nr. 6 HWG Rz. 11), das demgemäß hier uneingeschränkt anzuwenden ist.

(dd) Von einer auf der äußeren Verpackung vorgeschriebenen Pflichtangabe im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 5 AMG betreffend die Darreichungsform des Arzneimittels kann vorliegend nicht ausgegangen werden. Insoweit kommt nach den obigen Grundsätzen eine Suspendierung des Verbots gemäß § 11 Nr. 6 HWG nicht in Betracht.

Die Darreichungsform ist die galenische Form, in der das Arzneimittel angewendet wird (Kloesel/Cyran, AMG, § 10 AMG Rz.23) und sie ist Bestandteil der Zulassungsunterlagen (vgl. § 22 Abs. 1 Nr. 4 AMG).

Dass für das Arzneimittel "Mxxxxxxxxx-xxxxxxx O.K. 50 mg Retardtabletten" als Darreichungsform die in Rede stehende Angabe ("... mit zero-order-kinetik") bei der Zulassung angegeben worden wäre, ist aber nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich.

Aus den Angaben in der Gebrauchsinformation des Arzneimittels für die Wirkstoff stärken zu 100 mg und zu 200mg - eine solche für die Wirkstoffstärke zu 50 mg liegt nicht vor - ergibt sich vielmehr, dass diese Angabe jedenfalls dort nicht aufgeführt ist. Es heißt unter der Rubrik "Darreichungsform und Inhalt" jeweils nur: "... Packung mit 30 Retardtabletten (N 1) ..." (vgl. für die Wirkstoff stärke zu 100 mg: Anlage ASt2 der Beiakte und für die Wirkstoff stärke zu 200 mg: Anlage ASt 2 der hiesigen Akte).

(ee) Das Argument der Antragsgegnerin, es handele sich bei dem Hinweis "ß-Rezepto-renblocker mit zero-order-kinetik" um eine Pflichtangabe gemäß § 11 Abs. 1 Nr. 4 AMG, greift nicht durch.

Nach dieser Vorschrift muss die Packungsbeilage des Arzneimittels die Stoff- oder Indikationsgruppe oder die Wirkungsweise enthalten. Diese Information dient der Transparenz des Arzneimittelmarktes und soll dem Patienten und den Fachkreisen eine schlagwortartige Einordnung des Arzneimittels in den Arzneischatz ermöglichen (Kloesel/Cyran, AMG, § 11 AMG Rz. 25).

Dass für das Arzneimittel "Mxxxxxxxxx-xxxxxxx O.K. 50 mg Retardtabletten" als Stoff- oder Indikationsgruppe oder als Wirkungsweise die in Rede stehende Angabe ("... mit zero-order-kinetik") bei der Zulassung angegeben worden wäre, ist aber wiederum nicht vorgetragen und auch sonst nicht ersichtlich.

Jedenfalls ist diese Angabe in der Gebrauchsinformation des Arzneimittels für die Wirkstoffstärken zu 100 mg und zu 200mg dort nicht aufgeführt. Es heißt unter der Rubrik "Stoff- oder Indikationsgruppe oder Wirkungsweise" jeweils nur: "ßrselektiver Betarezeptorenblocker" (vgl. für die Wirkstoff stärke zu 100 mg: Anlage ASt 2 der Beiakte und für die Wirkstoffstärke zu 200 mg: Anlage ASt 2 der hiesigen Akte).

Deswegen kann dahingestellt bleiben, inwieweit bei einer für die Packungsbeilage nach § 11 Abs. 1 Nr. 4 AMG vorgeschriebenen Bezeichnung deren Wiederholung auf der äußeren Umverpackung als zusätzliche Angabe im Sinne des § 10 Abs. 1 Satz 3 AMG zulässig wäre und dann auch dort - obwohl sie auf der äußeren Umverpackung nicht gesetzlich vorgeschrieben ist - vom Werbeverbot des § 11 Nr. 6 HWG suspendiert wäre.

2.) Die Antragsgegnerin hat die beanstandete Angabe auf der äußeren Umverpackung des Arzneimittels in der Wirkstoffstärke zu 50 mg verwendet (Anlage ASt 1).

3.) Mit dem Verstoß gegen § 11 Nr. 6 HWG handelt die Antragsgegnerin Wettbewerbswidrig (§ 1 UWG). Die verletzte Norm schützt die Volksgesundheit und ist sittlich fundiert.

Allerdings gilt der Grundsatz, dass ein Verstoß gegen wertbezogene Normen per se wettbewerbswidrig im Sinne des §1 UWG ist, ohne dass es der Feststellung weiterer Unlauterkeitsumstände bedarf, nicht uneingeschränkt. Besondere Umstände des Einzelfalles können dazu führen, auch bei solchen Fallgestaltungen in eine Prüfung des Gesamtverhaltens des Verletzers nach dem konkreten Anlass, dem Zweck und Mittel, den Begleitumständen und Auswirkungen seines Wettbewerbsverhaltens anzutreten (BGH GRUR 1999, 1128- Hormonpräparate). Derartige Umstände sind vorliegend nicht erkennbar. So kann insbesondere nicht von einem Bagatellverstoß gesprochen werden, berechtigte Interessen zu Gunsten der Antragsgegnerin sind ebenfalls nicht gegeben.

In diesem Zusammenhang kann auch nicht das Argument der Antragsgegnerin durchgreifen, der beanstandete Hinweis ("... mit zero-order-kinetik") auf der Umverpackung sei ihr vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) als Zulassungsbehörde genehmigt worden.

Die Antragstellerin hat das Vorbringen der Antragsgegnerin hierzu bestritten. Diese hat ihre Behauptung nicht glaubhaft gemacht. Insoweit kann dahingestellt bleiben, unter welchen Voraussetzungen eine behördliche Genehmigung verbindlich ist und den Vorwurf des unlauteren Verhaltens entkräftet, wenn nach dieser verfahren wird.

4.) Nach alledem ist der Unterlassungsantrag betreffend das Arzneimittel in der Wirkstoffstärke zu 50 mg begründet.

5.) Der Unterlassungsantrag gemäß dem Urteilsausspruch des Landgerichts ist auch hinsichtlich des Arzneimittels in der Wirkstoff stärke zu 200 mg begründet (§ 11 Nr. 6 HWG, § 1 UWG).

Die Antragsgegnerin hat die Angabe auch auf dieser Arzneimittelumverpackung verwendet (Anlage ASt 1). Im übrigen geltend die obigen Ausführungen unter Ziffer 1 .-4. zu "Mxxxxxxxxx-xxxxxxxO.K. 50 mg Retardtabletten" entsprechend; hierauf wird Bezug genommen.

Nach alledem war die Berufung der Antragsgegnerin zurückzuweisen. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

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