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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Urteil verkündet am 23.11.2006
Aktenzeichen: 3 U 95/06
Rechtsgebiete: UWG


Vorschriften:

UWG § 2 Abs. 1 Nr. 1
UWG § 3
UWG § 5 Abs. 2 Nr. 1
UWG § 8 Abs. 1
Irreführende Angaben zur finanziellen Unterstützung des Gesundheitssystems durch private Krankenversicherungen.
HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

3 U 95/06

Verkündet am: 23. November 2006

In dem Rechtsstreit

hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, 3. Zivilsenat, durch die Richter Gärtner, Spannuth, Terschlüssen nach der am 9. November 2006 geschlossenen mündlichen Verhandlung für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Antragsgegners gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 29. März 2006, Az. 315 O 95/06, wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung fallen dem Antragsgegner zur Last.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin nimmt den Antragsgegner wegen einer Anzeigenkampagne aus Wettbewerbsrecht auf Unterlassung in Anspruch.

Die Antragstellerin ist als Ersatzkasse Teil der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Der Antragsgegner ist ein Verband der privaten Krankenversicherungen (PKV). Ihm gehören nahezu alle privaten Krankenkassen in Deutschland an. Zweck des Verbandes ist die Vertretung seiner Mitgliedsunternehmen und die Förderung der Interessen der privaten Krankenversicherungen.

In der Bundesrepublik Deutschland bestehen die gesetzlichen und die privaten Krankenkassen nebeneinander (sog. Dualität). Die Reform des deutschen Gesundheitswesens wird seit längerem kontrovers diskutiert. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass gesetzlich und privat Krankenversicherte den gleichen Anspruch auf die nach Maßgabe der jeweiligen medizinischen Indikation bestmögliche Behandlung haben.

Anfang Februar 2006 schaltete der Antragsgegner im Rahmen einer groß angelegten Werbekampagne unter dem Slogan "Für eine gesunde Zukunft" verschiedene, teilweise ganzseitige, bundesweite Anzeigen, u.a. in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), der Süddeutschen Zeitung (SZ) und der ZEIT. Die Werbung wurde auch im Internet verbreitet. Insgesamt wurden acht Anzeigenmotive verwendet, denen ein einheitlicher Ablauf, nämlich der Dialog verschiedener Organe bzw. Körperteile zugrunde lag. Dieser Dialog wurde durch Sprechblasen dargestellt (Anlagenkonvolut ASt 1). In einer der Anzeigen wurde beispielsweise ausschnittweise ein Mann gezeigt, der einen Säugling auf dem Arm hält. In Höhe des Ohrs des Kindes und in Höhe des Herzbereichs des Mannes befanden sich Sprechblasen. In der zum Kindesohr gehörenden Sprechblase hieß es:

"Ohr: Was, wenn ich mich entzünde? Bekomme ich dann wirklich die beste Behandlung? Wir sind doch nicht privat versichert!"

In der zum Herz gehörenden Sprechblase hieß es dann:

"Herz: Na hör mal! Die Privaten stärken unser Gesundheitssystem jedes Jahr mit 9,5 Milliarden Euro zusätzlich. Denn Privatpatienten zahlen höhere Preise und Arzthonorare. Das kommt allen Versicherten zugute: durch bessere Behandlungsmethoden und modernste Geräte. Damit es auch dir gut geht!"

Die weiteren Anzeigenmotive weisen, bis auf die jeweils einleitenden Sätze in den Sprechblasen, einen identischen Wortlaut auf. Wegen der Gestaltung der Anzeigenkampagne im Einzelnen wird auf das Anlagenkonvolut ASt 1 sowie die Anlage ASt 2 Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 7. Februar 2006 mahnte die Antragstellerin den Antragsgegner diesbezüglich wegen unzulässiger Spitzenstellungsberühmung, wettbewerbswidriger Angstwerbung sowie Irreführung hinsichtlich des behaupteten zusätzlichen Stärkung des Gesundheitssystems durch die Privaten mit 9,5-Milliarden Euro ab (Anlage ASt 3). Der Antragsgegner ließ jedoch mit Antwortschreiben vom 14. Februar 2006 mitteilen, dass er nicht bereit sei, die verlangte Unterlassungsverpflichtungserklärung abzugeben (Anlage ASt 4). Ebenfalls am 14. Februar 2006 reichte der Antragsgegner eine entsprechende Schutzschrift beim Landgericht Hamburg ein (Aktenzeichen 315 AR 77/06).

Nachfolgend erwirkte die Antragstellerin die vorliegende einstweilige Verfügung des Landgerichts Hamburg, vom 17. Februar 2006, Aktenzeichen 315 O 151/06, mit welcher dem Antragsgegner bei Vermeidung der gesetzlichen Ordnungsmittel verboten wurde, wie nachfolgend in Anlagenkonvolut ASt 1 wiedergegeben zu werben.

Mit der Beschlussverfügung wurden die als Anlagenkonvolut ASt 1 zur Akte gereichten 8 Anzeigen fest verbunden.

Auf den Widerspruch des Antragsgegners hat das Landgericht diese einstweilige Verfügung mit Urteil vom 29. März 2006, Aktenzeichen 315 O 151/06, bestätigt. Gegen dieses Urteil hat der Antragsgegner frist- und formgerecht Berufung eingelegt und diese auch frist- und formgerecht begründet.

Zur Begründung seiner Berufung wiederholt und vertieft der Antragsgegner seinen erstinstanzlichen Vortrag, wonach sich aus den streitgegenständlichen Anzeigen keine Alleinstellungsberühmung ergebe. Vielmehr werde der in der ersten Sprechblase aufgeworfenen Frage einer etwaigen Besserstellung der Privatpatienten in der zweiten Sprechblase jeweils ausdrücklich widersprochen. Maßgeblich sei insoweit die Gesamtaussage der einzelnen Anzeige, nicht jedoch eine isolierte Betrachtung der ersten Sprechblase.

Die Angabe "Die Privaten stärken unser Gesundheitssystem jedes Jahr mit 9,5 Milliarden Euro zusätzlich" sei zutreffend. Das ergebe sich aus der als Anlage CBH 12 zur Akte gereichten Studie "Der überproportionale Finanzierungsbeitrag der PKV im Jahr 2004" des Wissenschaftlichen Instituts der PKV (WIP) sowie der als Anlage CBH 20 vorgelegten weiteren Stellungnahme des WIP. Er nehme mit der Anzeigenkampagne lediglich an der aktuell stattfindenden öffentlichen Diskussion über mögliche Reformen des Gesundheitswesens teil. In diesem Rahmen weise er darauf hin, dass die privaten Krankenversicherungen einen maßgeblichen Beitrag zur Aufrechterhaltung und Stärkung der Funktion des deutschen Gesundheitssystems leisteten. Da es sich um eine Kampagne mit wertenden, meinungsbildenden Inhalten und Angaben handele, unterliege sie dem grundrechtlichen Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG.

Der Antragsgegner beantragt,

unter Abänderung des am 29. März 2006 verkündeten Urteils des Landgerichts Hamburg, Az. 315 O 151/06, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung abzuweisen.

Die Antragstellerin beantragt,

die Berufung des Antragsgegners zurückzuweisen.

Die Antragstellerin verteidigt das erstinstanzliche Urteil und tritt der Berufung des Antragsgegners unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrages entgegen. Danach liege in der streitgegenständlichen Werbung eine unzulässige Alleinstellungsberühmung. Es werde fälschlich behauptet, dass Privatpatienten stets die beste Behandlung bekämen, was für gesetzlich Versicherte nicht gewährleistet sei. Darin liege auch eine Herabsetzung der gesetzlichen Krankenversicherung.

Außerdem seien die Anzeigen auch insoweit irreführend, als behauptet werde, dass die Privaten das Gesundheitssystem jährlich mit 9,5 Milliarden Euro stützten. Zum einen sei nämlich nicht gewährleistet, dass die von den Privatpatienten bezahlten -unstreitig- höheren Preise und Honorare in beste Behandlungsmethoden und modernste Geräte investiert würden, und auf diese Weise auch den gesetzlich Versicherten zugute kommen könnten. Denn es bleibe dem jeweiligen Arzt überlassen, ob er diese Einnahmen für sich privat verwende oder in die Ausstattung seiner Praxis investiere. Zum anderen seien in den mit € 9,5 Milliarden angegebenen Stützungsleistungen rund € 7,5 Milliarden Beihilfeleistungen enthalten (Anlagen ASt 5 und ASt 6). Diese müssten unberücksichtigt bleiben, da sie nicht von den Privatversicherungen oder den Privatversicherten aufgebracht würden, sondern steuerfinanziert seien. Darüber hinaus erweckte die Angabe den falschen Eindruck, dass die Privatversicherten tatsächlich 9,5 Milliarden Euro zusätzlich in das Gesundheitssystem -bestehend aus GKV und PKV- einzahlten. Es sei jedoch in der Werbung nicht erkennbar, dass es sich insoweit um eine rein hypothetische Berechnung handele, welcher zugrunde gelegt worden sei, dass sämtliche Privatversicherten gesetzlich versichert seien. Zudem treffe die These einer Subventionierung des Gesundheitswesens durch die privaten Krankenversicherungen nicht zu (Anlage ASt 7).

In der Berufungsinstanz hat die Antragstellerin -wie bereits vorprozessual geschehen- erneut die Ansicht vertreten, dass die streitgegenständlichen Werbeanzeigen auch als unzulässige Angstwerbung im Sinne von § 4 Nr. 2 UWG anzusehen seien.

Hinsichtlich der weiteren tatsächlichen Feststellungen wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen. Bezüglich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die von den Parteien zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen, die Schutzschrift vom 14. Februar 2006 (Aktenzeichen 315 AR 77/06) sowie das Protokoll der Berufungsverhandlung vom 9. November 2006 Bezug genommen.

II.

Die Berufung des Antragsgegners ist zulässig, aber unbegründet.

1.

Gegenstand des Unterlassungsantrages ist die konkrete Verwendung der acht Werbeanzeigen, welche als Anlagenkonvolut ASt 1 zur Akte gereicht, und sowohl mit der Beschlussverfügung vom 17. Februar 2006, als auch mit dem landgerichtlichen Urteil vom 29. März 2006 verbunden worden sind.

2.

Die Anzeigenkampagne stellt gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG eine Wettbewerbshandlung des Antragsgegners zugunsten seiner Mitgliedsunternehmen dar.

Die streitgegenständliche Werbung ist irreführend im Sinne von §§ 3, 5 Abs. 2 Nr. 1, 8 Abs. 1 UWG. Maßgeblich ist insoweit, wie die angesprochenen Verkehrskreise die streitgegenständlichen Angaben verstehen.

a.

Für die Beantwortung der Frage, ob Werbung als irreführend anzusehen ist, ist auf das Verständnis des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsadressaten der Werbung abzustellen (BGH GRUR 2003, 247, 248 - Thermal Bad; BGH NJW 2004, 439 - Mindestverzinsung; BGH WRP 2005, 480, 483 - Epson Tinte). Die Verkehrsanschauung orientiert sich in erster Linie am Wortsinn der Werbeaussage, d. h. am allgemeinen Sprachgebrauch und am allgemeinen Sprachverständnis (BGH GRUR 2003, 247, 248 - Thermal Bad; Baumbach/Hefermehl-Bornkamm, Wettbewerbsrecht, 23. Aufl. 2004, § 5 Rn. 2.65).

Die streitgegenständliche Werbung wendet sich an die allgemeine Verkehrskreise, denn die monierten Anzeigen sind sowohl in verschiedenen bundesweit verbreiteten Tages- und Wochenzeitschriften, als auch im Internet verbreitet worden. Für das Verständnis der beanstandeten Anzeigen ist mithin auf den Erkenntnishorizont dieser allgemeinen Verkehrskreise abzustellen. Da die Mitglieder des Senats zu den angesprochenen Verkehrskreisen gehören, kann der Senat das Verkehrsverständnis aus eigener Anschauung beurteilen.

b.

Die streitgegenständliche Werbung ist nicht bereits deshalb irreführend, weil sie den falschen Eindruck vermitteln würde, dass Privatpatienten stets die beste Behandlung bekämen, was für gesetzlich Versicherte nicht der Fall sei.

Ein solches Verständnis kann den vorliegenden Anzeigen -entgegen der Ansicht der Antragstellerin und des Landgerichts- bei der gebotenen Gesamtbetrachtung jedoch nicht entnommen werden. Zwar wird in der jeweils ersten Sprechblase die Frage aufgeworfen, ob auch gesetzlich Versicherte die beste Behandlung erhalten ("Bekomme ich dann wirklich die beste Behandlung? Wir sind doch nicht privat versichert!"). Diese Frage wird jedoch in der zweiten Sprechblase dahingehend beantwortet, dass beste Behandlungsmethoden und modernste Geräte allen Versicherten zugute kommen (Das kommt allen Versicherten zugute: durch beste Behandlungsmethoden und modernste Geräte."). Der Abschlusssatz "Damit es auch Dir gut geht!" schränkt dieses Verständnis keineswegs ein, sondern bekräftigt die vorangegangene Aussage.

Mithin kann den streitgegenständlichen Anzeigen nicht entnommen werden, dass Privatpatienten stets die beste Behandlung bekämen, was für gesetzlich Versicherte nicht der Fall sei. Daher liegen keine irreführenden Angaben im Sinne von § 5 Abs. 2 Nr. 1 UWG vor. Auch eine Herabsetzung der gesetzlichen Krankenversicherung erfolgt somit nicht.

c.

Die streitgegenständlichen Anzeigen sind jedoch im Hinblick auf die Angabe "Die Privaten stärken unser Gesundheitssystem jedes Jahr mit 9,5 Milliarden Euro zusätzlich..." irreführend.

Auch insoweit ist auf das Verständnis des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Durchschnittsadressaten der Werbung abzustellen. Danach ist den Angaben zu entnehmen, dass "die Privaten", d.h. die privaten Krankenversicherungen, den mit 9,5 Milliarden Euro angegeben "Stärkungsbeitrag" erbringen. Dies trifft jedoch auch nach den vom Antragsgegner vorgelegten Studien und Stellungnahmen nicht zu. Die als Anlagen CBH 12 vorgelegte Studie "Der überproportionale Finanzierungsbeitrag der PKV im Jahr 2004", auf die sich der Antragsgegner im Wesentlichen stützt, ist lediglich zu dem Ergebnis gekommen, dass die privat Versicherten, also nicht die privaten Krankenversicherungen, einen Mehrumsatz von rund 9,5 Milliarden Euro erbrächten. Dieser Mehrumsatz wird nicht von den privaten Krankenversicherungen allein, sondern -jedenfalls auch- in nicht unerheblichem Umfang von der Beihilfe erbracht (vgl. Anlagen CBH 11, CBH 21 und CBH 22).

Deshalb liegt insoweit eine Irreführung der angesprochenen Verkehrskreise vor, als behauptet wird, der gesamte Mehrumsatz von € 9,5 Milliarden würde durch die privaten Krankenversicherungen ("die Privaten") erbracht.

Weiter liegt eine Irreführung darin, dass der falsche Eindruck erweckt wird, dass die genannten 9,5 Milliarden Euro vollen Umfangs in beste Behandlungsmethoden und modernste Geräte investiert würden. Davon kann -auch nach dem Vortrag der Antragstellerin- nicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ausgegangen werden. Anhaltspunkte dafür, dass die von den Privatpatienten bezahlten -unstreitig- höheren Preise und Honorare vollen Umfangs in beste Behandlungsmethoden und modernste Geräte investiert werden, und auf diese Weise auch den gesetzlich Versicherten zugute kommen können, liegen nicht vor. Es bleibt vielmehr den Empfängern der Honorare überlassen, ob sie diese Einnahmen privat verwenden oder in ihre Praxen und Labore investieren.

Der Unterlassungsanspruch ist somit aus §§ 3, 5 Abs. 2 Nr. 1, 8 Abs. 1 UWG begründet.

Demgegenüber kann sich der Antragsgegner auch nicht mit Erfolg auf Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG berufen, denn die Verwendung inhaltlich falscher Angaben unterliegt nicht dem grundrechtlichen Schutz des Art. 5 GG.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Ob die weiteren werblichen Angaben auch deshalb irreführend sind, weil die Ermittlung der genannten € 9,5 Milliarden Mehrumsatzes methodisch zweifelhaft erscheint, kann für die Entscheidung des hiesigen Rechtsstreits offen bleiben.

3.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

Ende der Entscheidung

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