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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 26.10.2001
Aktenzeichen: 3 Vollz (Ws) 65/01
Rechtsgebiete: SGB IV, StVollzG, GKG


Vorschriften:

SGB IV § 18
StVollzG § 43
StVollzG § 200
StVollzG § 118 Abs. 1
StVollzG § 118 Abs. 2 Satz 1
StVollzG § 118 Abs. 2 Satz 2
StVollzG § 118 Abs. 3
StVollzG § 116 Abs. 1
StVollzG § 43 Abs. 1
StVollzG § 43 Abs. 2
StVollzG § 43 Abs. 3
GKG § 13 Abs. 1 Satz 1
GKG § 13 Abs. 2
GKG § 17 Abs. 3
Es bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Neuregelung der Gefangenenentlohnung in den §§ 43, 200 StVollzG
HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT 3. Strafsenat Beschluss

3 Vollz (Ws) 65/01

In der Strafvollzugssache des

hat der 3. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg am 26.10.01 durch die Richter Mentz, v. Selle und Sakuth beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Hamburg - Große Strafkammer 9 vom 12.6.01 wird als unbegründet verworfen.

Der Beschwerdeführer trägt die Kosten des Verfahrens und seine notwendigen Auslagen (§ 121 Abs. 2 Satz 1 StVollzG). Der Gegenstandswert wird auf 15.000,- DM festgesetzt.

Gründe:

Der Beschwerdeführer befindet sich seit dem 6. August 1999 in der Justizvollzugsanstalt der Beschwerdegegnerin. Das Strafende wird voraussichtlich am 20. September 2008 erreicht sein. Der Beschwerdeführer übt eine ihm zugewiesene Arbeit aus und erhält die dafür vorgesehene Vergütung gem. §§ 43, 200 StVollzG.

Am 3. Januar stellte der Beschwerdeführer bei der Beschwerdegegnerin den Antrag, ihm ein Arbeitsentgelt von mindestens 20 % der in § 18 SGB IV genannten Bezugsgröße zu zahlen. Auf seinen Widerspruch erließ die Beschwerdegegnerin am 21. März 2001 einen Widerspruchsbescheid, in dem sie sich darauf berief, dass dem Beschwerdeführer aufgrund der gegenwärtigen Gesetzeslage gem. § 200 StVollzG lediglich ein Arbeitsentgelt in Höhe von 9 % der Bezugsgröße nach § 18 SGB IV zustehe.

Gegen diesen Widerspruchsbescheid hat der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 26.3.01 einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt und beantragt, die Beschwerdegegenerin zu verpflichten, ihm ein Arbeitsentgelt von mindestens 20 % der in § 18 SGB IV genannten Bezugsgröße zu zahlen, da die gegenwärtige gesetzliche Regelung verfassungswidrig sei.

Das Landgericht hat mit Entscheidung vom 12. Juni 2001 den Antrag auf gerichtliche Entscheidung abgelehnt. Die §§ 43, 200 StVollzG seien verfassungsgemäß. Eine höhere als die gesetzlich vorgesehene Vergütung stehe dem Beschwerdeführer deshalb nicht zu.

Mit seiner den Erfordernissen des § 118 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 und Abs. 3 StVollzG genügenden Rechtsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung materiellen und formellen Rechts.

Die Rüge der Verletzung formellen Rechts genügt nicht den Anforderungen des § 118 Abs. 2 S. 2 StVollzG. Der Rechtsbeschwerdeführer hat keinerlei Tatsachen vorgetragen, die einen Verfahrensmangel begründen könnten. Sein Vorbringen erschöpft sich in Ausführungen zur Verfassungswidrigkeit der §§ 43, 200 StVollzG und damit in Erörterungen zur materiellen Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Landgerichts.

Soweit die Rechtsbeschwerde die Verletzung materiellen Rechts rügt, ist sie zulässig, und zwar auch nach Maßgabe des § 116 Abs. 1 StVollzG, da hier die Fortbildung des Rechts eine Überprüfung der angefochtenen Entscheidung erfordert. Dafür ist ausschlaggebend, dass das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 1.7.98 (BVerfGE 98, S. 169 ff) das bis zum 31.12.00 geltende gesetzliche Konzept zur Entgeltung der Pflichtarbeit von Strafgefangenen gem. der §§ 43, 200 StVollzG für verfassungswidrig erklärt hat. Aus diesem Grunde hat der Gesetzgeber mit Wirkung vom 1.1.01 das Entgelt für Pflichtarbeit in den §§ 43, 200 StVollzG neu geregelt. Soweit ersichtlich gibt es zu der Frage, ob diese Neuregelung den vom Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung aufgestellten Anforderungen an die Verfassungsmäßigkeit genügt, keine höchstrichterliche Rechtsprechung.

Die zulässige Rechtsbeschwerde ist jedoch unbegründet.

Gem. § 43 Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 200 StvollzG steht dem Beschwerdeführer kein Arbeitsentgelt , das den dort niedergelegten Satz von 9 % der Bezugsgröße nach § 18 SGB IV überschreitet, zu. Ein höheres Entgelt darf die Beschwerdegegnerin von Gesetzes wegen nicht gewähren (vgl. KG, NStZ 1990, 607).

Der Senat hält die gesetzliche Regelung nicht für verfassungswidrig und sieht deshalb auch keine Veranlassung, das Verfahren auszusetzen und gem. Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen Neuregelung einzuholen.

Die gesetzliche Neuregelung wird der aus Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG folgenden Pflicht des Gesetzgebers zur Schaffung eines wirksamen Resozialisierungskonzepts gerecht.

Das Bundesverfassungsgericht hat den Verfassungsrang der Pflicht zur Resozialisierung hinsichtlich der Pflichtarbeit der Gefangenen dahingehend konkretisiert, dass die Pflichtarbeit nur dann ein wirksames Resozialisierungsmittel sein kann, wenn die geleistete Arbeit eine angemessene Anerkennung findet, die geeignet sein muss, dem Gefangenen den Wert regelmäßiger Arbeit für sein künftiges eigenverantwortetes und straffreies Leben in Gestalt eines für ihn greifbaren Vorteils vor Augen zu führen (BVerfG, aaO, S. 201).

Hinsichtlich der Frage, wie diese Anerkennung beschaffen sein muss, hat das Bundesverfassungsgericht betont, dass dem Gesetzgeber insoweit ein weiter Gestaltungsspielraum zur Verfügung stehe (BVerfG, aaO, S. 201). Die Anerkennung müsse nicht notwendig finanzieller Art sein. Es sei auch denkbar, dass die Anerkennung durch nichtmonetäre Vorteile zum Ausdruck gebracht werde, wobei das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich auch die Möglichkeiten der Hafterleichterungen und der Haftzeitverkürzung ("good time") als Mittel der Anerkennung aufgeführt hat (BVerfG, aaO, S. 202).

Der Gesetzgeber hat sich - wie sich aus § 43 Abs. 1 StVollzG ergibt - für eine Mischform aus finanzieller Vergütung und der Anerkennung durch nichtmonetäre Vorteile entschieden, die auch das Bundesverfassungsgericht als verfassungsgemäße Möglichkeiten benannt hat. Insofern wird die Art der gewählten Anerkennung dem Grunde nach dem Resozialierungsgebot gerecht. Der Umstand, dass sich der Gesetzgeber bei der Auswahl dieser Mittel offenbar auch von Kostenfolgen hat leiten lassen (BT-Drucks. 14/4898, S. 1), ist eine verfassungsrechtlich zulässige Erwägung (BVerfG, aaO, S. 201).

Die Anknüpfung der finanziellen Anerkennung an die Bezugsgröße des § 18 SGB IV in § 43 Abs. 2 StVollzG und die Differenzierung der Entlohnung nach der Art der Arbeit und der Leistung des Gefangenen in § 43 Abs. 3 StVollzG genügt ebenfalls den verfassungsrechtlichen Anforderungen (vgl. BVerfG, aaO, S. 199 f). Die mangelnde Einbeziehung der Strafgefangenen in die gesetzliche Altersversicherung ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (BVerfG, aaO, S. 212).

Hinsichtlich der Frage, ob die Höhe der in §§ 43, 200 StVollzG vorgesehenen Entlohnung im Sinne der verfassungrechtlichen Vorgaben angemessen ist, hat das Bundesverfassungsgericht betont, dass dem Gesetzgeber insofern ein weiter Einschätzungsraum zur Verfügung stehe (BVerfG, aaO, S.203).

Der Gesetzgeber hat die Grenzen dieses Einschätzungsraums eingehalten. Die in § 200 StVollzG bestimmte Eckvergütung ist nunmehr fast doppelt so hoch wie die vom Bundesverfassungsgericht als zu niedrig und deshalb für verfassungswidrig erachtete. Außerdem sind in § 43 Abs. 6 bis 9 StVollzG weitere nichtmonetäre Vorteile vorgesehen, die es bei der vom Bundesverfassungsgericht beanstandeten Gesetzeslage nicht gegeben hatte.

Bei der Bestimmung der Höhe der Entlohnung hat sich der Gesetzgeber außerdem von Erwägungen leiten lassen, die das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich als sachgerecht bezeichnet hat. So durfte der Gesetzgeber eine weitergehende Erhöhung der Vergütung durchaus mit der Erwägung ablehnen, dass die Justizvollzugsanstalten dann nicht mehr wettbewerbsfähig seien (BT-Drucks. 14/4898, S. 1; vgl. BVerfG, aaO, S. 202 f). Es liegt auf der Hand, dass der Resozialsierungserfolg erst Recht gefährdet wäre, wenn wegen einer noch höheren Gefangenenentlohnung die ohnehin verhältnismäßig geringe Beschäftigungsquote weiter sinken würde (vgl. BT Drucks. aaO).

Außerdem konnte bedacht werden, dass eine weitergehende Erhöhung der Entlohnung eine "Zwei-Klassen-Gesellschaft" im Justizvollzug zwischen Arbeitenden und Taschengeldbeziehern fördern könnte, wenn nämlich der Unterschied zwischen Taschengeld und Lohn so hoch wäre, dass hier die Gefahr von Abhängigkeiten unter den Gefangenen und die Entstehung einer Subkultur mit den damit verbunden Sicherheitsrisiken gefördert werden könnte (BT-Drucks aaO, vgl. BverfG, aaO, S. 212). Andererseits ist der Abstand zwischen Taschengeld und Einkommen nach §§ 43 Abs.2, 200 StVollzG immer noch so groß, dass jedem Gefangenen deutlich gemacht werden kann, dass sich Arbeit lohnt.

Schließlich ist bei der Beurteilung der Frage, ob das gewährte Entgelt angemessen hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Vorgaben ist, auch zu bedenken, dass der Gesetzgeber von der Möglichkeit eines Haftkostenbeitrages durch die Gefangenen, den das BVerfG ausdrücklich auch im Rahmen der Pflichtarbeit für zulässig erachtet hat (BVerfG, aaO, S. 203), keinen Gebrauch gemacht hat. In Anbetracht dieses Umstandes, wird dem Gefangenen bei gleichzeitiger kostenloser Absicherung seiner Grundbedürfnisse durch die Neuregelung ein nicht unerheblicher finanzieller Spielraum eröffnet.

Nach allem ist die gesetzliche Regelung zur Gefangenenentlohnung verfassungsgemäß und die Rechtsbeschwerde damit unbegründet.

Die Festsetzung des Gegenstandswertes beruht auf § 48 a i.V.m. § 13 Abs. 1 S. 1 GKG. Zwar begehrt der Beschwerdeführer keine bezifferte Geldleistung, so dass § 13 Abs. 2 GKG keine Anwendung findet. Das Interesse des Beschwerdeführers ist jedoch bezifferbar, so dass dieses bestimmbare Interesse für die Bemessung des Gegenstandswertes zugrunde zu legen ist (Hartmann, Kostengesetze, 28. Aufl., § 13 GKG Rdnr.20). Der Beschwerdeführer erstrebt statt ca. 387,- (9 % der Bezugsgröße nach § 18 SGB IV) nunmehr 860,-DM (20 % der Bezugsgröße) monatlich. Bezogen auf die verbleibende Haftdauer wäre die Differenz dieser beiden Summen fast 40.000,- DM. Zugunsten des Beschwerdeführers hat der Senat deshalb den Rechtsgedanken des § 17 Abs.3 GKG berücksichtigt, der bei wiederkehrenden Leistungen den Gegenstandswert auf den ca. dreifachen Jahresbetrag der Differenz zwischen begehrter und erhaltener Leistung beschränkt.



Ende der Entscheidung

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