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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 12.05.2005
Aktenzeichen: 3 Vollz(Ws) 28/05
Rechtsgebiete: StVollzG


Vorschriften:

StVollzG § 115 Abs. 1 Satz 2 n.F.
StVollzG § 115 Abs. 1 Satz 3 n.F.
Zur Anwendung des § 115 Abs. 1 Satz 2, 3 StVollzG in der seit 01.04.05 geltenden Fassung.
HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT 3. Strafsenat Beschluss

3 Vollz (Ws) 28/05

In der Strafvollzugssache des

hat der 3. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg am 12.05.05 durch

Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Dr. Rühle Richter am Oberlandesgericht Sakuth Richter am Landgericht Pesch

beschlossen: Tenor:

1. Dem Beschwerdeführer wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zur Erhebung der Rechtsbeschwerde gemäß der Antragsschrift vom 17.03.05 gewährt.

2. Auf die Rechtsbeschwerde des Beschwerdeführers wird der Beschluss des Landgerichts Hamburg - Große Strafkammer 9 als Strafvollstreckungskammer - vom 08.02.05 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Hamburg zurückverwiesen.

3. Der Streitwert wird auf 1.000,- € festgesetzt (§§ 52 Abs. 1, 60 GKG).

Gründe:

I. Dem Beschwerdeführer ist auf seinen Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 120 Abs. 1 StVollzG i. V. m. § 45 StPO bezüglich seiner Beschwerdeschrift vom 17.03.05 zu gewähren. Aus dem Vermerk des Rechtsantragsdienstes mit Datum vom selben Tage ergibt sich, dass die Versäumung der mit dem 11.03.05 abgelaufenen Rechtsbeschwerdefrist ihre Ursache nicht in einem schuldhaften Verhalten des Beschwerdeführers, sondern in der Bearbeitungsdauer beim Rechtsantragsdienst hatte.

II. Der Beschwerdeführer ist gegenwärtig Strafgefangener in der Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel (JVA). Zuvor war er vom 07.06.02 bis zum 15.06.04 bei der Beschwerdegegnerin in stationärer Behandlung.

Im Rahmen der von Amts wegen vorzunehmenden Prüfung der Verfahrensvoraussetzungen - hier Inhalt des Antragsbegehrens des Beschwerdeführers - hat der Senat der Akte den folgenden Verfahrensgang entnehmen können:

Mit Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 02.11.04 hat der Beschwerdeführer beantragt,

die Beschwerdegegnerin zu verpflichten, ihm einen Abschlussbericht, ärztliche Befunde und einen Nachweis über die Dauer seines Aufenthalts bei der Beschwerdegegnerin auszuhändigen.

Mit Schriftsatz vom 27.01.05 überreichte die Beschwerdegegnerin dem Gericht im anhängigen Verfahren Kopien mehrerer Schreiben:

- Einen an die JVA gerichteten Arztbrief vom 15.06.04

- Ein an den Beschwerdeführer gerichtetes Schreiben vom 16.11.04, in dem ihm seine Aufenthaltsdauer in der forensischen Abteilung der Beschwerdegegnerin bescheinigt wird

- Ein Schreiben an die Behörde für Soziales und Familie vom 04.03.04, in dem ausgeführt wird, dass anbei die "relevanten ärztlichen Unterlagen" über den Beschwerdeführer übersandt werden. Die zitierten ärztlichen Unterlagen waren dem Schriftsatz an das Gericht vom 27.01.05 nicht beigefügt.

Mit Verfügung vom 01.02.05 wurde die Übersendung von Kopien des Schriftsatzes vom 27.01.05 nebst Anlagen an den Beschwerdeführer veranlasst und von der Strafvollstreckungskammer angefragt, ob das Antragsbegehren damit erledigt sei.

Mit Schriftsatz vom 03.02.05 antwortete der Beschwerdeführer und machte geltend, dass ihm diese Unterlagen bereits bekannt seien. Es ginge ihm um die Einsicht in die wirklich wichtigen Unterlagen, dazu gehöre ein Abschlussbericht, ärztliche Befunde etc. Die Begleitschreiben seien irrelevant.

Mit dem angefochtenen Beschluss vom 08.02.05 lehnte die Strafvollstreckungskammer den Antrag auf gerichtliche Entscheidung ab und führte zur Begründung u. a. aus, dass der Beschwerdeführer genau die Unterlagen erhalten habe, deren Aushändigung er mit seinem Antrag geltend gemacht habe. Dies habe er in seinem Schriftsatz vom 03.02.05 selbst eingeräumt.

U.a. gegen diese Auslegung seines Antragsbegehrens wendet sich der Beschwerdeführer mit seiner auf die Verletzung materiellen Rechts gestützten Rechtsbeschwerde.

III. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Eine Überprüfung der landgerichtlichen Entscheidung ist zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung geboten.

Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet.

1. Zu den Verfahrensvoraussetzungen für einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß §§ 109 ff StVollzG gehört es, dass die Strafvollstreckungskammer das Begehren eines Antragstellers richtig erfasst und vollständig bescheidet.

Diesen Anforderungen wird die angefochtene Entscheidung nicht gerecht. Zwar war das Antragsbegehren des Beschwerdeführers im Schriftsatz vom 02.11.04 noch unbestimmt, indem lediglich pauschal von "ärztlichen Befunden" die Rede war. Auf die Nachfrage der Kammer mit Verfügung vom 01.02.05 hat der Beschwerdeführer jedoch mit Schriftsatz vom 03.02.05 unmissverständlich deutlich gemacht, dass es ihm um die im Begleitschreiben vom 04.03.04 zitierten "relevanten ärztlichen Unterlagen" geht.

Dieses Begehren wird in dem angefochtenen Beschluss wegen fehlerhaften Auslegung des Antrages jedoch nicht entschieden.

2. Soweit der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hinsichtlich der begehrten Bescheinigung über die Aufenthaltsdauer in der Einrichtung der Beschwerdegegnerin zurückgewiesen worden ist, sind die notwendigen Feststellungen in dem angefochtenen Beschluss lückenhaft. Aus dem mitgeteilten Parteivortrag der Beschwerdegegnerin lässt sich die Behauptung entnehmen, dass dem Beschwerdeführer eine Aufenthaltsbescheinigung bereits vor Antragstellung am 16.11.04 überreicht worden sei. Dieser Vortrag ist offensichtlich widersprüchlich und hätte der näheren Aufklärung bedurft. Da der Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 02.11.04 datiert, deutet das Datum der Aufenthaltsbescheinigung (16.11.04) darauf hin, dass diese nach Antragstellung erstellt und demgemäß auch erst später überreicht worden ist. Bei dieser Konstellation hätte der Antrag aber nicht abgewiesen, sondern mit einer möglicherweise anderen Kostenfolge für erledigt erklärt werden müssen.

3. In dem angefochtenen Beschluss wird wörtlich ausgeführt:

"Wegen des übrigen Vortrags der Parteien wird auf die von ihnen eingereichten Anträge und auf die gerichtliche Akte verwiesen."

Diese Art der Darstellung des Streitstandes gibt dem Senat zu folgenden Anmerkungen Anlass: Die gewählte Verfahrensweise ist nicht mit den Grundsätzen des Rechtsbeschwerdeverfahrens vereinbar.

Wie in den §§ 116 Abs. 2, 118 Abs. 2, 119 Abs. 2 StVollzG zum Ausdruck kommt, beschränkt sich die Prüfungskompetenz des Rechtsbeschwerdegerichts auf die Rechtskontrolle. Das Rechtsbeschwerdegericht ist also keine zweite Tatsacheninstanz. Es hat den Sachverhalt zugrundezulegen, den das Tatgericht, also die Strafvollstreckungskammer, als erste und letzte Tatsacheninstanz festgestellt hat (allgemeine Auffassung; vgl. die zahlreichen Nachweise bei Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, 10. Aufl., § 119 StVollzG Rdnr. 2). Dafür ist Grundvoraussetzung, dass die Strafvollstreckungskammer die relevanten Feststellungen erschöpfend benennt. Ein pauschaler Hinweis auf den Inhalt der Akte kann dieser Funktion nicht gerecht werden. Anderenfalls wäre das Rechtsbeschwerdegericht gezwungen, eigene Feststellungen zu treffen, um einen subsumierbaren Sachverhalt gewinnen zu können. Es würde damit gegen elementare Grundsätze des Rechtsbeschwerdeverfahrens verstoßen.

Auch mit der seit dem 01.04.05 geltenden Ergänzung des § 115 Abs. 1 StVollzG sind die Strafvollstreckungskammern nicht von der Aufgabe entbunden worden, in ihren Beschlüssen die relevanten Feststellungen deutlich zu machen. Sinn und Zweck der Ergänzung des § 115 Abs. 1 StVollzG ist es nämlich nicht, die Prüfungskompetenzen des Rechtsbeschwerdegerichts auf die tatsächliche Ebene zu erweitern, sondern lediglich mit der in § 115 Abs. 1 S. 2 StVollzG ermöglichten Verweisungstechnik die Schreibkräfte des Landgerichts und die Richter von unnötiger Schreibarbeit zu entlasten. In diesem Anliegen beschränkt sich das gesetzgeberische Vorhaben. Dies ergibt sich aus dem Gesetzesantrag der Freien und Hansestadt Hamburg vom 24.09.03 (BR-Drucks. 697/03, S. 2), dem Gesetzgebungsantrag des Bundesrates, der Stellungnahme der Bundesregierung (BT-Drucks. 15/2252, S. 6 f) und der Beschlussempfehlung des Rechtssausschusses des Bundestages (BT-Drucks. 15/4537, S. 1).

Demgemäß muss nach wie vor unmissverständlich klargestellt werden, von welchen Feststellungen das Gericht bei seiner Entscheidung ausgegangen ist und welchen Parteivortrag es für relevant gehalten hat. In diesem Zusammenhang weist der Senat vorsorglich auf folgendes hin: Auch wenn ein Schriftstück gemäß § 115 Abs. 1 S. 2 StVollzG nach Herkunft und Datum genau bezeichnet wird, ist es möglich, dass die Verweisung im Einzelfall gleichwohl nicht den Grundsätzen des Rechtsbeschwerdeverfahrens genügt. Insbesondere bei den ganz überwiegend nicht anwaltlich vertretenen Strafgefangenen handelt es sich regelmäßig um juristische Laien, deren Ausdrucksweise oft nicht präzise ist. Nicht selten ist eine Auslegung ihres Vortrags erforderlich. Insbesondere bei mehrdeutigen Formulierungen oder widersprüchlich erscheinendem Parteivortrag wird es deshalb unumgänglich bleiben, durch eigene Wortwahl klarzustellen, in welcher Weise die Strafvollstreckungskammer diesen Vortrag ausgelegt hat.

Ende der Entscheidung

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