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Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Urteil verkündet am 21.01.2004
Aktenzeichen: 4 U 100/03
Rechtsgebiete: AGBG, BGB


Vorschriften:

AGBG § 9 Abs. 1
BGB § 307 Abs. 1 S. 1
1. Eine Beitrittspflicht des gewerblichen Mieters in einem Einkaufszentrum zu einer Werbegemeinschaft kann formularvertraglich nicht wirksam vereinbart werden.

2. Grundsätzlich wirksam ist aber eine formularvertraglich vorgesehene Beitragspflicht aller gewerblichen Mieter unabhängig vom Beitritt zur Werbegemeinschaft. Dies gilt auch dann, wenn die Beitragshöhe im Mietvertrag nicht bestimmt ist, sondern von der Gemeinschaft bestimmt werden soll.


HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftszeichen: 4 U 100/03

Verkündet am: 21. Januar 2004

In dem Rechtsstreit

hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, 4. Zivilsenat, durch die Richter Dr. Raben, Dr. Bischoff, Albrecht-Schäfer nach der am 21.Januar 2004 geschlossenen mündlichen Verhandlung

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Hamburg, Kammer 17 für Handelssachen, vom 5.2.2003 abgeändert und die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung von 110 % des aus diesem Urteil vollstreckbaren Betrags, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

I. Die Klägerin, eine Werbegemeinschaft in einem Einkaufszentrum, verlangt von der Beklagten, dass diese den Beitritt zu ihr erklärt, und begehrt die Zahlung von pauschalen Werbegemeinschaftsbeiträgen für den Zeitraum ab Gründung der Klägerin im November 2001 bis zum 31. Dezember 2002. Sie stützt sich dabei auf § 19 Nr.1 des zwischen der Beklagten und der Vermieterin geschlossenen Mietvertrags vom 8. 12.1990, der folgenden Wortlaut hat:

Der Mieter verpflichtet sich, auf Verlangen des Vermieters einer Werbegemeinschaft beizutreten. Details werden vom Vermieter festgelegt. Die Kosten werden gem. den Flächen lt. § 8 des Mietvertrages abgerechnet. Der Vermieter ist berechtigt, aus berechtigtem Anlass einen anderen Schlüssel zu bestimmen....

Im Übrigen wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Gegen das ihr am 11.2.2003 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 28.2.2003 Berufung eingelegt und diese am 29.4.2003 nach entsprechender Fristverlängerung begründet.

Die Beklagte vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag und beantragt,

unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Hamburg vom 5.2.2003 die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

II. Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet.

1. Die in § 19 Nr. 1 Satz 1 des Mietvertrags (Anl. K 1) formularmäßig vorgesehene Beitrittspflicht zu einer Werbegemeinschaft ist unwirksam. Zwar ist diese Vertragsklausel nicht schon nach §§ 3 AGBG, 305 c Abs. 1 BGB unwirksam. Gemeinsame Werbung gehört bei Einkaufszentren zum üblichen Vermarktungskonzept (Lindner-Figura, NZM 1999, 738; Wolf/Eckert/Ball, Handbuch des gewerblichen Miet-, Pacht- und Leasingrechts, 8. Aufl., Rdn. 714). In gewerblichen Mietverträgen über Mietobjekte in Einkaufszentren sind Abreden über die gemeinsame Werbung deshalb jedenfalls derzeit nicht ungewöhnlich (so schon OLG Hamm, 6.10.1992, GE 1999, 314; ebenso LG Berlin, NZM 2001, 338; Bub/Treier, Handbuch der Geschäfts- und Wohnraummiete, 3. Aufl., II, Rdn. 501 a; Schmid, Handbuch der Mietnebenkosten, 6. Aufl., Rdn. 5412; anderer Ansicht noch OLG Düsseldorf ZMR 1993, 469; LG Erfurt NZM 1999, 763). Dies entspricht der Kenntnis des Senats von einschlägigen Mietverträgen. Auch die konkrete Bestimmung über die gemeinsame Werbung in § 19 des vorliegenden Mietvertrags ist nicht überraschend. Ihr ist ein eigener Paragraph mit unterstrichener Überschrift gewidmet, der im Wesentlichen ohne weiteres zu verstehen ist. Dessen Kenntnisnahme ist deshalb insbesondere auch vom durchschnittlichen Interessenten an einschlägigen Mietobjekten zu erwarten, ein der Klausel innewohnender Überrumpelungseffekt ist nicht erkennbar.

Die Regelung der gemeinsamen Werbung in § 19 Nr. 1 des Mietvertrags enthält aber eine den Geboten von Treu und Glauben zuwiderlaufende unangemessene Benachteiligung des Vertragspartners (§§ 9 Abs. 1 AGBG, 307 Abs. 1 S. 1 BGB), die in der Beitrittspflicht zu einer Werbegemeinschaft auf Verlangen des Vermieters liegt. Zur Durchführung und Finanzierung der für den Betrieb eines Einkaufszentrums im Interesse von allen Beteiligten angemessenen Werbung bedarf es einer solchen Beitrittspflicht nicht. Zwar mag die Gründung einer Werbegemeinschaft der Mieter eine zweckmäßige Organisationsform für die gemeinsame Werbung sein, will der Vermieter diese nicht in eigener Regie durchführen. Auch mag die Beitrittsmöglichkeit zu einer Werbegemeinschaft wegen der damit verbundenen Mitbestimmungsrechte dem Interesse der Mieter in der Regel eher entsprechen, als eine bloße Umlage der Kosten der vom Vermieter durchgeführten Werbemaßnahmen. Eine auf freiwilliger Grundlage gebildete Werbegemeinschaft kann ihren Zweck jedoch auch ohne den Beitritt aller Mieter erfüllen, wenn nur die Umlage der zweckentsprechenden Kosten auf alle Mieter durch vertragliche Regelungen sichergestellt ist.

Die über eine derartige angemessene Regelung erheblich hinausgehende Zwangsmitgliedschaft ist bedenklich (so auch Wolf/Eckert/Ball Rdn. 714; anderer Ansicht: Bub/Treier II Rdn. 501 a; Fritz, Gewerberaummietrecht, 2. Aufl., Rdn. 127 a; Schmid Rdn. 5413; LG Berlin NZM 2001, 338; offen gelassen vom BGH NJW 1979, 2304 f.), da sie gewichtige Interessen des Mieters verletzen kann. Insbesondere ist die durch Art. 9 Abs. 1 GG gewährleistete Entscheidungsfreiheit tangiert, einer privaten Vereinigung beizutreten oder auch fernzubleiben (vgl. Sachs/Höfling, Grundgesetz, 3. Aufl., Art. 9 Rdn. 21 m.N.). Dabei kann dahingestellt bleiben, inwieweit die grundgesetzliche Gewährleistung auch unmittelbare oder mittelbare Drittwirkung hat (vgl. dazu Sachs/Höfling a.a.O. Rdn. 29). Jedenfalls zeigt sich an ihr das Gewicht des hier formularvertraglich eingeschränkten Mieterinteresses (so auch LG Erfurt NZM 1999, 763 f.). Zudem sind bei der Abwägung nach Treu und Glauben die Grundrechte generell mit zu berücksichtigen (Wolf/Horn/Lindacher, AGB-Gesetz, 4.Aufl., §9 Rdn. 113,141).

Für den hier eingetretenen Fall der Gründung einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts ist zudem auf mögliche weitreichende Haftungskonsequenzen einer Zwangsmitgliedschaft hinzuweisen (vgl. nur Palandt/Sprau, BGB, 63 Aufl., § 714 Rdn. 11 bis 23), die bei einer bloßen Umlage der zweckentsprechenden Kosten nicht auf den Mieter durchschlagen können. Der zur Rechtfertigung der Beitrittspflicht angeführte Gesichtspunkt, es stehe dem Mieter frei, den Mietvertrag abzuschließen und damit die Pflicht zum Beitritt zur Werbegemeinschaft zu begründen (Lindner-Figura NZM 1999, 739), ist gegenüber Formularklauseln nicht stichhaltig, da er jede Inhaltskontrolle ausschließen würde.

2. Die Berufung der Beklagten ist letztlich auch begründet, soweit sie sich gegen den Zahlungsanspruch der Klägerin gemäß dem Klagantrag zu 2) wendet.

a) Zwar ist trotz Unwirksamkeit der in § 19 Nr. 1 S. 1 des Mietvertrags vorgesehenen Beitrittspflicht die dort in S. 3 vorgesehene Umlegung der Kosten auf die Mieter entsprechend den Mietflächen wirksam. Auch wenn Satz 1 gänzlich entfällt, bleibt für die Auslegung von S. 3 angesichts der Überschrift (Werbegemeinschaft) erkennbar, dass es sich um die Kosten der gemeinsamen Werbung einer Werbegemeinschaft für das Einkaufszentrum handelt, zumal da letzteres wiederholt Gegenstand einzelner Regelungen des Mietvertrags ist (z.B. § 18). Außerdem verstößt die Regelung in S. 1 nur im Verhältnis zum Verwendungsgegner gegen §§ 9 Abs. 1 AGBG, 307 Abs. 1 S. 1 BGB, weshalb sie im Übrigen gültig bleibt (vgl. Düsseldorf NJW-RR 2000, 279, 284; Palandt/Heinrichs Vorbemerkung vor § 307 Rdn. 12 a.E.), hier mit dem Inhalt, dass der Mieter berechtigt ist, einer vom Vermieter gegründeten Werbegemeinschaft beizutreten. Zum gleichen Ergebnis führt eine ergänzende Vertragsauslegung, da gesetzliche Vorschriften gemäß §§ 6 Abs. 2 AGBG, 306 Abs. 2 BGB fehlen und die ersatzlose Streichung von Satz 1 keine interessengerechte Lösung ist (vgl. allgemein Palandt/Heinrichs § 306 Rdn. 7). Es wäre dann nämlich aufgrund von S. 3 eine allein vom Vermieter durchgeführte Werbung auf Kosten der Mieter möglich, also ohne deren in Satz 1 implizierten Mitwirkungsrechte.

Gegen die formularvertragliche Vereinbarung einer Beitragspflicht aller Mieter zu den Kosten einer Werbegemeinschaft in einem Einkaufszentrum unabhängig vom Beitritt zu dieser bestehen keine Bedenken, solange alle Mieter potentiell von der mit den Beiträgen finanzierten Werbung profitieren (Wolf/Eckert/Ball Rdn. 714; a.A. OLG Düsseldorf ZMR 1993, 769). Im Falle des Nichtbeitritts ist die Beitragspflicht mangels vorangegangener Pflichtverletzung nicht als Vertragsstrafe zu bewerten (anders Lindner-Figura a.a.O. S. 739).

Die Auslegung von § 19 Nr. 1 des Mietvertrags, insbesondere die Bezugnahme auf die "Kosten" in Satz 3 sowie auf die "Werbegemeinschaft" in der Überschrift und in Satz 1 ergibt, dass die Bestimmung der Beitragshöhe durch die Mitglieder der Werbegemeinschaft erfolgen soll. Auch dagegen bestehen keine durchgreifenden Bedenken. Allerdings hat das OLG Düsseldorf bei einer vergleichbaren Klausel einen Verstoß gegen § 10 Nr. 4 AGBG (§ 308 Nr. 4 BGB) angenommen, der auch im Rahmen von § 9 Abs. 1 AGBG (§ 307 Abs. 1 BGB) beachtlich sei (zustimmend: Bub/Treier II Rdn. 501 a; Lindner-Figura a.a.O.; Wolf/Eckert/Ball Rdn. 715). Ein Verstoß gegen das Verbot des Änderungsvorbehalts gemäß § 10 Nr. 4 AGBG ist jedoch nicht erkennbar, da sich dieses nur auf Änderungen der versprochenen Leistung des Klauselverwenders bezieht. Für Änderungen des Entgelts wäre die Regelung des § 11 Nr. 1 AGBG (§ 309 Nr. 1 BGB) einschlägig, die aber im Rahmen von Dauerschuldverhältnissen nicht gilt.

Zu Recht hat das OLG Hamm bei der Bewertung der nahezu gleichen Klausel allein auf das Transparenzgebot abgestellt und unter Bezugnahme auf das Urteil des BGH vom 16.1.1985 (NJW 1985, 853) darauf hingewiesen, dass an die Bestimmtheit der Beitragsregelung keine unerfüllbaren oder unzumutbaren Anforderungen gestellt werden dürfen. Wegen der unsicheren Entwicklung der zukünftigen Verhältnisse, der der jeweilige Werbeaufwand im Interesse aller Beteiligten angemessen Rechnung tragen müsse, sei die Bezugnahme auf die Festlegungen der Beitragshöhe durch die Werbegemeinschaft ausreichend, auch im Hinblick auf die Einflussmöglichkeit des jeweiligen Mieters durch den jederzeit möglichen Beitritt zu der Gemeinschaft (Urteil vom 6.10.1992, GE 1999, 314). Dem ist zuzustimmen. Ein weiteres Korrektiv (vgl. BGH a.a.O. S. 854) gegen unangemessene Festlegungen seitens der Werbegemeinschaft ergibt sich aus dem Umstand, dass es sich bei den Werbekostenbeiträgen um Mietnebenkosten handelt (vgl. OLG Celle ZMR 1999, 238, 240), für deren Umlegbarkeit jedenfalls im Falle des Nichtbeitritts zur Werbegemeinschaft der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit gilt (vgl. dazu allgemein § 560 Abs. 5 BGB; Schmid Rdn. 1053 ff; Schmidt-Futterer/Langenberg, Mietrecht, 8. Aufl., § 560 Rdn. 71 ff.). Für dessen Einhaltung hat der Mieter entsprechende Kontrollrechte, die auch bei Festsetzung oder Erhöhung von Pauschalbeiträgen gegeben sind (vgl. Schmid Rdn. 2114).

Schließlich bestehen auch gegen den in § 19 Nr. 1 S. 3 bezeichneten Maßstab der Kostenabrechung ("gem. den Flächen lt. § 8 des Mietvertrages") keine Bedenken. Der gleiche Umlegungsmaßstab ist für die Heizungs- und Nebenkosten in §§ 9 Ziff. 6, 10 Ziff. 1 und 2 des Mietvertrags festgelegt. Etwaige Auslegungsprobleme bei Leerstand sind lösbar (vgl. Schmid Rdn. 4010 ff.; Schmidt-Futterer/Langenberg § 556 a Rdn. 34 ff.) und führen entgegen der Meinung des Landgerichts Erfurt (a.a.O.) nicht zu fehlender Transparenz im Sinne von §§ 9 Abs. 1 AGBG, 307 Abs. 1 S. 2 BGB.

b) Die Klägerin kann die geltend gemachten Zahlungsbeträge jedoch nicht mehr verlangen, da ihr (oder der Vermieterin) nach § 19 Nr.1 S.3 des Mietvertrags die Abrechnung der Kosten obliegt und nach Ablauf von mehr als einem Jahr seit dem Ende der hier maßgeblichen Beitragsjahre 2001 und 2002 nunmehr Abrechnungsreife eingetreten ist. Danach können rückständige Vorauszahlungen nicht mehr verlangt werden, sondern lediglich der Abrechnungssaldo (Bub/Treier III Rdn.46; Schmidt-Futterer/Langenberg § 556 Rdn. 455). Eine Abrechnung hat die Klägerin jedoch nicht vorgelegt. Auf diesen Gesichtspunkt hat die Beklagte zu Recht in der mündlichen Verhandlung hingewiesen.

Zwar ist die Satzung der Klägerin möglicherweise dahin auszulegen, dass eine Beitragspauschale zu entrichten ist. Für die Beklagte ist insoweit jedoch der Mietvertrag vorrangig, da hier ausdrücklich eine Abrechnung vorgesehen ist.

3. Angesichts des Ergebnisses der Berufung ergibt sich die Kostenentscheidung aus § 91 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision wird zugelassen, weil die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs.2 S.1 Ziff. 2 ZPO).



Ende der Entscheidung

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