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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Beschluss verkündet am 07.11.2001
Aktenzeichen: 5 U 103/01
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 41 Nr. 6
ZPO § 48
Ein Richter, der nicht an dem angefochtenen Widerspruchsurteil, sondern lediglich an der vorangegangenen Beschlussverfügung mitgewirkt hat, ist selbst dann nicht gem. § 41 Nr. 6 ZPO kraft Gesetzes von der Ausübung des Richteramts im Berufungsrechtszug ausgeschlossen, wenn das angefochtene Urteil auf die zugrundeliegende einstweilige Verfügung Bezug nimmt.
HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT Beschluß

5 U 103/01 312 O 151/01

In dem Rechtsstreit

hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, 5. Zivilsenat, am durch die Richter Rieger, Dr. Koch, Spannuth

am 07.11.2001 beschlossen:

Tenor:

Es wird festgestellt, dass der Vorsitzende Richter am Oberlandesgericht Gä. bei der Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits nicht kraft Gesetzes von der Ausübung des Richteramtes ausgeschlossen ist.

Gründe:

1. Der Vorsitzende Richter am Oberlandesgericht Gä. hat mit Dienstlicher Äußerung vom 28.09.2001 angezeigt, dass er in dem vorliegenden Rechtsstreit als Vorsitzender der Zivilkammer 15 des Landgerichts Hamburg bei dem Erlass der einstweiligen Verfügung vom 13.12.1999 mitgewirkt hat, die sodann mit Urteil der Zivilkammer 12 des Landgerichts Hamburg am 10.04.2001 - ohne Mitwirkung von VRiOLG Gä. - bestätigt worden ist.

Die Parteien hatten Gelegenheit zu der Dienstlichen Äußerung von VRiOLG Gä. Stellung zu nehmen.

2. Aufgrund des angezeigten Sachverhalts ist VRiOLG Gä. nicht kraft Gesetzes, insbesondere nicht in entsprechender Anwendung von § 41 Nr. 6 ZPO von der Ausübung des Richteramts in dem zur Entscheidung stehenden Rechtsstreit ausgeschlossen.

a. Im Hinblick auf die Dienstliche Äußerung von VRiOLG Gä. hat der Senat über die Frage des Ausschlusses durch Beschluss zu entscheiden, denn aufgrund der angezeigten Umstände und der insoweit unterschiedlichen Beurteilung in der obergerichtlichen Rechtsprechung bestehen zumindest i.S.v. § 48 ZPO "aus anderer Veranlassung Zweifel" darüber, ob ein Ausschlussgrund kraft Gesetzes vorliegt.

b. Ein Ausschlusstatbestand besteht jedoch weder in unmittelbarer noch in entsprechender Anwendung von § 41 Nr. 6 ZPO. Andere Ausschließungsgründe sind ebenfalls nicht ersichtlich.

aa. Eine unmittelbare Anwendung von § 41 Nr. 6 ZPO scheidet schon deshalb aus, weil VRiOLG Gä. nicht "in einem früheren Rechtszug" an der "angefochtenen Entscheidung" mitgewirkt hat. Hiermit ist nach dem Wortlaut der Vorschrift für den vorliegenden Rechtsstreit ausschließlich das instanzabschließende Urteil der Zivilkammer 12 vom 10.04.2001 gemeint, an dem VRiOLG Gä. nicht beteiligt war.

bb. Eine über den Wortlaut hinausgehende entsprechende Anwendung von § 41 Nr. 6 ZPO auf solche Fälle, in denen der in zweiter Instanz mit dem Rechtsstreit befasste Richter zwar nicht an der unmittelbar angefochtenen, aber einer dieser vorangegangenen Entscheidung mitgewirkt hat, kommt nach Auffassung des Senats entgegen der wohl überwiegenden Meinung in der Rechtsliteratur nicht in Betracht.

(1) In diesem Sinne hatte allerdings bereits im Jahr 1968 das OLG München (NJW 1969, 754) entschieden und dabei der Bestimmung des § 41 Nr. 6 ZPO den Willen des Gesetzgebers entnommen, einen Richter in späteren Rechtszügen stets dann von der Ausübung des Richteramtes fernzuhalten, wenn er in einer anderen Instanz über die Rechtmäßigkeit der früheren Entscheidung zu befinden hätte. Dies hat das OLG München für eine der vorliegenden Situation vergleichbare Sachlage mit der Begründung bejaht, materiell gehe es um die Frage, ob das Widerspruchsgericht die einstweilige Verfügung zu Recht bestätigt bzw. aufgehoben habe. Dieser Auffassung haben sich im Ergebnis - allerdings weitgehend ohne Begründung - die Mehrzahl der Kommentatoren der Zivilprozessordnung angeschlossen (z.B. Zöller/Vollkommer, 22. Aufl., § 41 Rdn. 13; Thomas-Putzo, 23. Aufl., § 41 Rdn. 7, Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, 59. Aufl., § 41 Rdn. 15; Stein-Jonas, 21. Aufl., § 41 Rdn. 18).

(2) Demgegenüber hat das OLG Rostock in einer neueren Entscheidung (NJW-RR 1999, 1444, 1445) die Auffassung vertreten, eine erweiternde Anwendung des § 41 Nr. 6 ZPO auf Fälle der vorliegenden Art komme nicht in Betracht. Dieser überzeugenden und ausführlich begründeten Entscheidung schließt sich der Senat an (ebenso: Münchener-Kommentar-Feiber, ZPO, § 41 Rdn. 26; Wieczorek, ZPO, 2. Aufl., Rdn. CIIf2). Das OLG Rostock hat sich in seinen Ausführungen mit allen wesentlich rechtlichen Argumenten auseinandergesetzt und diese in zutreffender Weise gewürdigt. Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat auf diesen Beschluss des OLG Rostock vom 02.09.1998 inhaltlich Bezug. Das OLG Rostock hat zutreffend festgestellt, dass insbesondere dem Wortlaut der Vorschrift ein weitergehender Wille des Gesetzgebers nicht zu entnehmen ist, da die Norm ausdrücklich und unmissverständlich nur die - hier nicht einschlägige - Situation "bei dem Erlass der angefochtenen Entscheidung", nicht aber diejenige "bei einer die Sache betreffenden Entscheidung" regelt. Angesichts der Tatsache, dass der Gesetzgeber trotz des seit der Entscheidung des OLG München nunmehr verstrichenen Zeitraums von über 30 Jahren und mehrfacher ZPO-Novellen keine Veranlassung zu einer Erweiterung des Wortlauts gesehen hat, erscheint es dem Senat zumindest zum heutigen Zeitpunkt wenig schlüssig, (noch) einen von dem Wortlaut der Norm abweichenden Willen des Gesetzgebers zu unterstellen. Zudem hat das OLG Rostock überzeugend dargelegt, dass es bei der Widerspruchsentscheidung allenfalls in der formalen Tenorierung, hingegen nicht in der sachlichen Befassung des Gerichts (lediglich) um eine Bestätigung oder Aufhebung der zugrundeliegenden Beschlussverfügung geht. Denn dem Widerspruchsgericht liegt aufgrund des umfassenden zweiseitigen Vortrags der Parteien nicht selten eine vollkommen andere Tatsachengrundlage vor als bei der zumeist einseitig auf den Antragstellervortrag erlassenen einstweiligen Verfügung. Auch deshalb erscheint es dem Senat sachlich-rechtlich nicht vertretbar, über den Wortlaut der gesetzlichen Bestimmung hinaus einen Ausschluss kraft Gesetzes des (nur) an dem Erlass einstweiligen Verfügung beteiligten Richter anzunehmen. Vielmehr versteht der Senat die gesetzliche Regelung in § 41 Nr. 6 ZPO in der Weise, dass die dort geregelten Rechtsfolgen nur dann eintreten sollen, wenn der Richter in der angefochtenen Entscheidung unmittelbar (und nicht nur mittelbar) mitgewirkt hat. Ein derartiges Normverständnis steht auch im Einklang damit, dass es neben der hier vorliegenden Sachverhaltsgestaltung eine Vielzahl anderer Fälle der "Vorbefassung" gibt, in denen der Gesetzgeber den beteiligten Richter gerade nicht kraft Gesetzes generell von der weiteren Mitwirkung ausgeschlossen, sondern die konkrete Entscheidung der Feststellung einer möglichen individuellen Befangenheit i.S.v. § 43 ZPO überlassen hat (siehe zu weiteren Fallgruppen im Einzelnen: Wieczorek a.a.O.). So ist etwa ein Zivilrichter, der über einen Sachverhalt zu befinden hat, in dem er zuvor schon als Strafrichter geurteilt hat, mindestens in gleicher Weise aufgrund seiner Vorbefassung veranlasst gewesen, sich zu dem Fall eine konkrete Auffassung zu bilden. Dies gilt in noch stärkerem Maße etwa dann, wenn ein Rechtsmittelgericht auf eine Beschwerde Prozesskostenhilfe mit materiell-rechtlicher Begründung erlassen hat und zu einem späteren Zeitpunkt als Berufungsgericht mit derselben Sache befasst wird. In ähnlicher Weise mit einem Fall vorbefasst ist ein Gericht, das ein Urteil in einem einstweiligen Verfügungsverfahren erlassen hat und später über die parallele Hauptsacheklage zu entscheiden hat. In allen diesen Konstellationen hat der Gesetzgeber es nicht für geboten angesehen, den später entscheidenden Richter kraft Gesetzes von der Mitwirkung auszunehmen, sondern dies ausdrücklich auf die in § 41 Nrn. 1 bis 6 ZPO geregelten Fallgruppen beschränkt. Der Senat entnimmt dieser Beschränkung auf bestimmte Fallgruppen das Vertrauen des Gesetzgebers, dass ein Richter im Regelfall trotz einer Vorbefassung in der Lage ist, bei einer späteren Entscheidung seine früher bzw. in anderem Zusammenhang vertretene Auffassung im Lichte des weiteren Vorbringens der Parteien (selbstkritisch) zu überprüfen und gegebenenfalls zu einer abweichenden Entscheidung zu gelangen.

Sofern konkrete Gründe vorliegen, die zu Zweifeln hieran Anlass geben, steht den Parteien das Rechtsinstitut der Ablehnung wegen Befangenheit zu Seite. Solche sind im vorliegenden Fall von den Parteien weder vorgetragen noch ersichtlich.

Ein Ausschluß des Vorsitzenden Richters am Oberlandesgerichts Gä. kraft Gesetzes auf der Grundlage von § 41 Nr. 6 ZPO kommt danach nicht in Betracht. Denn wegen der verfassungsmäßigen Forderung, den gesetzlichen Richter im voraus möglichst eindeutig zu bestimmen, ist diese Vorschrift entgegen der wohl herrschenden Auffassung einer ausweitenden Auslegung nicht zugänglich. Für Erwägungen rechtspolitischer Natur ist im Rahmen einer streng am Wortlaut des Gesetzes orientierten Anwendung kein Raum (BGH NJW 1981, 1273, 1274 unter Bezugnahme auf die zu § 23 Abs. 2 StPO ergangene Rechtsprechung des BVerfG).

Ende der Entscheidung

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