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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Urteil verkündet am 16.05.2007
Aktenzeichen: 5 U 220/06
Rechtsgebiete: UWG, ChemG


Vorschriften:

UWG § 3
UWG § 4 Nr. 11
UWG § 8
ChemG § 15 a
1. Ein "Anti-Marder-Spray", dessen Inhaltsstoffe bestimmungsgemäß über die Geruchsorgane des Tieres aufgenommen werden, kann ein Biozid im Sinne der §§ 15 a, 3 b ChemG sein.

2. Ein weites Verständnis des "Biozid"-Begriffes entspricht dem Sinn und Zweck des ChemG und der Richtlinie 98/8/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.2.1998 über das Inverkehrbringen von Biozid-Produkten (Abl. EG Nr. L 123 S. 1).

3. § 15 a ChemG ist im Sinne von § 4 Nr. 11 UWG dazu bestimmt, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln.


HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftszeichen: 5 U 220/06

Verkündet am: 16. Mai 2007

In dem Rechtsstreit

hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, 5. Zivilsenat, durch die Richter nach der am 02. Mai 2007 geschlossenen mündlichen Verhandlung für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Antragsstellerin wird das Anerkenntnis-Teil-Schluss-Urteil des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 12, vom 19.9.2006 (312 O 654/06), soweit nicht rechtskräftig, abgeändert.

Die Antragsgegnerin wird weiter verurteilt, es bei Vermeidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, von Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu 6 Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens € 250.000,-, Ordnungshaft insgesamt höchstens 2 Jahre)

zu unterlassen

im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken für das Biozid-Produkt "Anti-Marder-Spray" zu werben, insbesondere in der Aufmachung gemäß der dem landgerichtlichen Urteil beigefügten Fotokopie der Anlage Ast 1, ohne den Hinweis gemäß § 15 a Abs. 2 ChemG

"Biozide sicher verwenden. Vor Gebrauch stets Kennzeichnung und Produktinformationen lesen."

hinzuzufügen.

Von den Kosten des Rechtsstreites erster Instanz trägt die Antragsstellerin 1/5 und die Antragsgegnerin 4/5. Die Kosten der Berufung trägt die Antragsgegnerin.

Gründe:

I.

Die Parteien sind Wettbewerber im Bereich des Vertriebes von Desinfektionsmitteln.

Die Antragsgegnerin bewarb im März 2005 in dem als Beilage zum "Landwirtschaftlichen Wochenblatt" vertriebenen Magazin "A. aktuell", Ausgabe 1/2005, unter anderem ihre Produkte DESINTEC WH-L cid, DESINTEC Jodes, DESINTEC FL-P, DESINTEC FL-R und das "Anti-Marder-Spray" (Anlage Ast 1). Das in der Berufungsinstanz allein noch streitgegenständliche Produkt "Anti-Marder-Spray" bewarb sie hierbei wie folgt (Anlage Ast 1, Seite 18):

"Neu im Programm ist unter anderem das Produkt "Wildschwein-Stopp" zur Reduzierung von Schwarzwildschäden an Getreide-, Mais- und Kartoffelnäcker sowie das "Anti-Marder-Spray", das Marder auf Dachböden, Schuppen und unter Autohauben zuverlässig vertreibt.

.......

Die gesamten Produkte wirken durch naturidentische Duftstoffe, die dem Wild die Gefahr durch natürliche Feinde wie Wolf, Bär, Luchs und Mensch signalisieren."

Die Antragsstellerin ist der Auffassung, dass wegen Fehlens des Hinweises nach § 15 a ChemG

"Biozide sicher verwenden. Vor Gebrauch stets Kennzeichnung und Produktinformationen lesen."

die Antragsgegnerin für die oben bezeichneten Produkte in wettbewerbswidriger Weise werbe, da es sich jeweils um Biozid-Produkte nach § 15 A ChemG handele.

Sie erwirkte die Urteilsverfügung des Landgerichts Hamburg vom 19.9.2006 bezüglich der Produkte DESINTEC WH-L cid, DESINTEC Jodes und DESINTEC FL-P. Das Landgericht wies zugleich den Verfügungsantrag bezüglich der Produkte DESINTEC FL-R und das "Anti-Marder-Spray" zurück. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf den Inhalt des landgerichtlichen Urteils auch zur Ergänzung des Tatbestandes verwiesen.

Die Antragsstellerin verfolgt mit ihrer form- und fristgerecht eingelegten Berufung den Verfügungsantrag bezüglich des Produktes "Anti-Marder-Spray" weiter. Entgegen der Auffassung des Landgerichts handele es sich auch hierbei um ein Biozid im Sinne von § 15 a ChemG.

Sie beantragt,

das Urteil des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 12, vom 19.9.2006 (312 O 654/06) teilweise abzuändern und die Antragsgegnerin weiter zu verurteilen,

es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, von Ordnungshaft oder einer Ordnungshaft bis zu sechs Monaten (Ordnungsgeld im Einzelfall höchstens € 250.000,-, Ordnungshaft insgesamt höchstens zwei Jahre) zu unterlassen,

im geschäftlichen Verkehr zu Wettbewerbszwecken für das Biozid- Produkt "Anti-Marder-Spray" zu werben, insbesondere in der Aufmachung gemäß der dem landgerichtlichen Urteil beigefügten Fotokopie der Anlage Ast 1, ohne den Hinweis gemäß § 15 a Abs. 2 ChemG

"Biozide sicher verwenden. Vor Gebrauch stets Kennzeichnung und Produktinformationen lesen."

hinzuzufügen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das landgerichtliche Urteil unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens.

II.

Die zulässige Berufung ist begründet.

1. Der erforderliche Verfügungsgrund ist gegeben. Die Antragsgegnerin hat die Vermutung der Dringlichkeit gemäß § 12 Abs. 2 UWG nicht widerlegen können. Insoweit verweist der Senat auf die überzeugenden Darlegungen in dem landgerichtlichen Urteil und macht sich diese ausdrücklich zu Eigen. Die Antragsgegnerin hat ihr diesbezügliches Vorbringen auch nicht mehr in der Berufungsinstanz wiederholt.

2. Die Antragsstellerin besitzt auch bezüglich des allein noch in der Berufungsinstanz streitigen Produktes "Anti-Marder-Spray" einen Unterlassungsanspruch nach §§ 3, 4 Nr. 11, 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1 UWG iVm §§ 15 a Abs. 2, 3 b Abs. 1 Nr. 1 ChemG iVm Anhang V der Richtlinie 98/8/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16.2.1998 über das Inverkehrbringen von Biozid-Produkten (ABl. EG Nr. L 123 S. 1).

a. Nach § 15 a Abs. 2 ChemG ist es verboten, für ein Biozid- Produkt zu werben, ohne in einer sich deutlich vom Rest der Werbung abhebenden Weise die folgenden Sätze hinzuzufügen: "Biozide sicher verwenden. Vor Gebrauch stets Kennzeichnung und Produktinformationen lesen". In der Werbung der Antragsgegnerin für das "Anti-Marder-Spray" in dem Magazin "A. aktuell", Ausgabe 1/2005, auf Seite 18 (Anlage Ast 1), die noch am 11.8.2006 von dem Geschäftsführer der Antragsstellerin im Internet aufgefunden wurde (vgl. Anlage Ast 10), findet sich ein entsprechender Hinweis nicht.

b. Bei dem Produkt "Anti-Marder-Spray" handelt es sich um ein Biozid-Produkt im Sinne von § 15 a Abs. 2 ChemG. Nach der Begriffsbestimmung in § 3 b Abs. 1 Nr. 1 ChemG sind Biozid-Produkte Biozid-Wirkstoffe und Zubereitungen, die einen oder mehrere Biozid-Wirkstoffe enthalten, in der Form, in der sie an den Verwender gelangen, die dazu bestimmt sind, auf chemischem oder biologischem Wege Schadorganismen zu zerstören, abzuschrecken, unschädlich zu machen, Schädigungen durch sie zu verhindern oder sie in anderer Weise zu bekämpfen. Diese Voraussetzungen liegen bei dem Spray sämtlich vor.

aa. Denn bei dem Spray handelt es sich um eine Zubereitung, in der Biozid-Wirkstoffe enthalten sind. Biozid-Wirkstoffe sind nach der Definition in § 3 b Abs. 1 Nr. 2 ChemG Stoffe mit allgemeiner oder spezifischer Wirkung auf oder gegen Schadorganismen, die zur Verwendung als Biozid-Produkt bestimmt sind. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass das "Anti-Marder-Spray" seine Wirksamkeit dadurch entfaltet, dass die in ihm enthaltenen Duftstoffe von dem Marder über das Geruchsorgan aufgenommen werden. Diese Duftstoffe signalisieren dem Marder die Gefahr durch natürliche Feinde wie Wolf, Bär, Luchs und Mensch (vgl. Anlage Ast 1, S. 18) und besitzen somit eine spezifische, zumindest aber allgemeine Wirkung auf den Marder.

Der Senat folgt insoweit nicht dem Landgericht, welches die Biozid-Eigenschaft des Sprays deshalb verneint, weil es nicht unmittelbar auf den Marder einwirke. Zunächst fordert § 3 b Abs. 1 Nr. 2 ChemG eine solche unmittelbare Wirkung nicht. Darüber hinaus wird eine unmittelbare Wirkung auf den Marder auch nicht verneint werden können, da dieser bestimmungsgemäß die die Anwesenheit natürlicher Feinde signalisierenden Duftstoffe aufnehmen und sich entsprechend seiner natürlichen Reaktion von dem Ort entfernen soll. Die Aufnahme des Sprays erfolgt über die Geruchsorgane und entfaltet somit eine unmittelbare Wirkung.

Wie sich bereits aus dem Produktnamen ergibt, soll das Spray auch gerade als ein Biozid-Produkt eingesetzt werden. Die Werbung in Anlage Ast 1 spricht davon, dass mit dem "Anti-Marder-Spray" die Marder auf Dachböden, Schuppen und unter Autohauben zuverlässig vertrieben werden. Durch diese Produktbeschreibung ist die erforderliche Bestimmung gegeben.

Das in dieser Auslegung des Biozid-Begriffes zum Ausdruck kommende weite Verständnisses entspricht auch dem Sinn und Zweck der Richtlinie sowie des ChemG. Der Senat hat bereits in seinem Urteil vom 28.3.2007 (5 U 136/06) darauf hingewiesen, dass der EG-Richtliniengeber und demzufolge auch der nationale Gesetzgeber einen möglichst weiten Biozid-Begriff gewählt haben, um betroffene biologisch oder chemisch wirkende Produkte einem geordneten, europaweiten Zulassungsverfahren zu unterwerfen. Nur auf diese Weise wird der Zweck der Regelungen, Menschen und die Umwelt vor schädlichen Einwirkungen gefährlicher Stoffe und Zubereitungen zu schützen, gewährleistet. Erst dann, wenn dieses Zulassungsverfahren die Biozid-Eigenschaft ergibt, erwachsen hieraus weitere Hinweispflichten und Werbeverbote. Findet eine -vermutete- Biozid-Eigenschaft hingegen keine Bestätigung, unterliegt das Produkt auch keinen weiteren Beschränkungen nach der Richtlinie.

bb. Entgegen der Auffassung der Beklagten ist auch davon auszugehen, dass es sich bei einem Marder um einen Schadorganismus im Sinne der obigen Begriffsbestimmung handelt. Denn nach § 3 b Abs. 1 Nr. 6 ChemG sind Schadorganismen solche Organismen, die für den Menschen, seine Tätigkeiten oder für Produkte, die er verwendet oder herstellt, oder für Tiere oder die Umwelt unerwünscht oder schädlich sind. Marder sind als Tiere grundsätzlich nicht zu den Schadorganismen zu rechnen. Sie sind jedoch dann zu den Schadorganismen zu zählen, soweit sie aufgrund ihres Verhaltens für den Menschen schädlich sein können oder für ihn in bestimmten Situationen zumindest unerwünscht sind. Bereits aus der Werbung der Antragsgegnerin ergibt sich, dass der Mensch die Anwesenheit eines Marders "auf Dachböden, in Schuppen und unter Autohauben" als zumindest lästig und somit als unerwünscht empfindet. Es ist den Mitgliedern des Senates darüber hinaus aus eigener Anschauung selbst bekannt, dass Marder "unter Autohauben" erhebliche Schäden an dem Fahrzeug anzurichten in der Lage sind.

cc. Das "Anti-Marder-Spray" dient unstreitig der Bekämpfung und Abschreckung der Marder, auch um auf diese Weise Schädigungen z.B. an Kraftfahrzeugen zu verhindern.

c. Das Spray gehört weiterhin einer Produktart an, die in Anhang V der Richtlinie 98/8/EG aufgeführt ist.

aa. Das von der Antragsgegnerin beworbene "Anti-Marder-Spray" ist unter die "Produktart 19: Repellentien und Lockmittel" zu subsumieren. Hierunter fallen Produkte zur Fernhaltung oder Köderung von Schadorganismen. Bei diesen kann es sich nach den von der Richtlinie selbst gegebenen Beispielsbeschreibungen einerseits um wirbellose Tiere wie z.B. Flöhe, aber auch um Wirbeltiere wie z.B. Vögel handeln. Da der Marder zu der letzteren Tierart zu rechnen ist, fällt er grundsätzlich auch unter die von der Produktart 19 genannten "Schadorganismen".

Die Argumentation der Antragsgegnerin vermag nicht zu überzeugen, wenn sie vorträgt, unter "Repellentien" seien begrifflich allein Abwehrmittel gegen Insekten zu verstehen (vgl. AG 4, 5). Eine solche begriffliche Beschränkung ist dem Anhang V Produktart 19 der Richtlinie nicht zu entnehmen. Vielmehr werden hier unter dem Begriff der Repellentien Produkte zur Fernhaltung (lat.: repellere= zurückstoßen) verstanden und zwar in Bezug auf wirbellose Tiere und Wirbeltiere. Für die Auslegung der Antragsgegnerin, dass die Wirbeltiere nur in Bezug auf die Lockmittel genannt werden, ist nach dem Wortlaut der Regelung nichts ersichtlich. Diesem weiten Verständnis entspricht auch die von der Antragsstellerin eingeholte Stellungnahme der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin vom 17.1.2007 (Anlage Ast B 1). Hiernach sind unter diese Produktart auch solche zu subsumieren, die nicht dem Schutz der menschlichen oder tierischen Hygiene dienen.

bb. Das "Anti-Marder-Spray" ist aber auch unter die "Produktart 23: Produkte gegen sonstige Wirbeltiere" einzuordnen. Hierunter ist im Anhang V angemerkt, dass es sich hierbei um Bekämpfungsmittel gegen Schädlinge handelt. Der Begriff des Schädlings ist nach dem Verständnis des Senates wieder im Sinne von Schadorganismus zu verstehen, der seinerseits in Art. 1 Abs. 2 f der Richtlinie 98/8/EG inhaltsgleich wie in § 3 b Abs. 1 Nr. 6 ChemG definiert ist.

d. Bei § 15 a Abs. 2 ChemG handelt es sich um eine Vorschrift, die im Sinne von § 4 Nr. 11 UWG auch dazu bestimmt ist, im Interesse der Marktteilnehmer das Marktverhalten zu regeln. Dieses kommt schon darin zum Ausdruck, dass sich die Vorschrift ausdrücklich mit der Werbung für Biozid-Produkte befasst und entsprechende Hinweispflichten zugunsten des Verbrauchers statuiert.

e. Die erforderliche Wiederholungsgefahr ergibt sich aus dem unstreitigen Verstoß und ist indiziert.

3. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 92 I ZPO.

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