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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Urteil verkündet am 26.09.2007
Aktenzeichen: 5 U 36/07
Rechtsgebiete: UWG, VTabakG


Vorschriften:

UWG § 8 Abs. 1
VTabakG § 21a Abs. 3
VTabakG § 21a Abs. 4
1. Selbst bei Meinungsverschiedenheiten der Parteien über die Reichweite einer gesetzlichen Regelung sind gesetzeswiederholende Unterlassungsanträge dann nicht zu beanstanden, wenn die gesetzliche Regelung komplexe, von dem Verletzer für sich in Anspruch genommene Ausnahmetatbestände enthält, die sich einer abweichenden, aber gleichwohl eindeutigen verbalen Beschreibung letztlich entziehen. In derartigen Fällen kann auch eine Beschränkung auf die konkrete Verletzungsform nicht zwingend erforderlich sein.

2. Der Wortlaut von § 21a Abs. 3 und 4 VTabakG ist nicht teleologisch darauf zu reduzieren bzw. primärrechtlich dahin auszulegen, dass hiervon nur solche Sachverhalte umfasst werden, die eine potentiell grenzüberschreitende Wirkung haben.

3. Werbende Produktinformationen für Tabakerzeugnisse im Internet richten sich auch dann an eine "breite Öffentlichkeit", wenn der Zugang zu der Internet-Seite zwar durch eine Benutzeranmeldung mit Passwort gesichert ist, die Registrierungsprozedur aber grundsätzlich jedem volljährigen Nutzer eröffnet wird, der im Inland wohnt.


HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

5 U 36/07

In dem Rechtsstreit

Verkündet am: 26. September 2007

hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, 5. Zivilsenat, durch die Richter Betz, Rieger, Lübbe nach der am 05. September 2007 geschlossenen mündlichen Verhandlung für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Antragsgegnerin gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 12, vom 06. Februar 2007 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Gründe:

I.

Die Parteien sind Wettbewerber in der Herstellung und im Vertrieb von Tabakerzeugnissen.

Am 29. 12.06 sind mit §§ 21a ff. des Vorläufigen Tabakgesetzes in Deutschland Werbeverbote für Tabakerzeugnisse in Kraft getreten. Während die Antragstellerin daraufhin ihre "Markenwebsites" für Tabakprodukte im Internet vom Netz genommen und hierüber in einer Pressemitteilung am 03.01.07 informiert hat (Anlage AS4), unterhält die Antragsgegnerin weiterhin - zum Beispiel für ihr Produkt "L." (Anlage AS5) - einen derartigen Internetauftritt. Dieser richtet sich allerdings nur an die volljährige inländische Bevölkerung und ist passwortgeschützt.

Dieses Verhalten beanstandet die Antragstellerin unter Hinweis darauf, dass auch eine derartige Werbemaßnahme mit § 21a VTabakG unvereinbar ist, als wettbewerbswidrig.

Die Antragstellerin hat in erster Instanz beantragt,

1. die Antragsgegnerin zu verurteilen, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu € 250.000.-, ersatzweise Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, diese zu vollziehen an dem Geschäftsführer, zu unterlassen,

für Tabakerzeugnisse im Internet zu werben, sofern nicht die Voraussetzungen des §§ 21 a Abs. 3 Satz 2 des Vorläufigen Tabakgesetzes erfüllt sind.

Das Landgericht hat die Antragsgegnerin mit einstweiliger Verfügung vom 04.01.07 entsprechend zur Unterlassung verpflichtet und diese Verfügung auf den mit einem Abweisungsantrag verbundenen Widerspruch der Antragsgegnerin mit Urteil vom 06.02.07 aufrechterhalten.

Hiergegen richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Antragsgegnerin. Die Antragsgegnerin verfolgt in zweiter Instanz unter Vertiefung ihres erstinstanzlichen Sachvortrags ihr Abweisungsbegehren weiter. Die Antragstellerin verteidigt auf der Grundlage der bereits erstinstanzlich gestellten Anträge das landgerichtliche Urteil.

Wegen der tatsächlichen Feststellungen im Übrigen wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils sowie auf die von den Parteien zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Landgericht hat die Antragsgegnerin zu Recht und mit zutreffender Begründung zur Unterlassung verurteilt. Der Senat kann zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen auf die Ausführungen in dem angefochtenen Urteil Bezug nehmen. Die Berufungsbegründung der Antragsgegnerin rechtfertigt keine abweichende Entscheidung. Sie gibt dem Senat Anlass zu folgenden ergänzenden Anmerkungen:

1. Die konkrete Fassung des Unterlassungsantrags erweist sich letztlich auch nach Auffassung des Senats als zulässig. Das Landgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die Formulierung eines an den Gesetzeswortlaut angelehnten Unterlassungsantrages nicht grundsätzlich zu beanstanden ist.

a. Allerdings ist in der höchstrichterlichen Rechtsprechung anerkannt, dass ein auf die Verurteilung zur Unterlassung gerichteter Unterlassungsantrag, der sich darauf beschränkt, die Tatbestandsmerkmale des Gesetzes, auf das er sich stützt, wieder zu geben, grundsätzlich unbestimmt ist (BGH GRUR 00, 438, 440 - Gesetzeswiederholende Unterlassungsanträge). Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn die in die Antragsfassung übernommenen Tatbestandsmerkmale bei ihrer Anwendung auf konkrete Fälle in vieler Hinsicht der Auslegung bedürfen werden und deshalb als Bestandteil eines Unterlassungsantrags den Anforderungen des Bestimmtheitsgebots, das angestrebte Verbot klar zu umreißen, nicht genügen können (BGH GRUR 00, 438, 440 - Gesetzeswiederholende Unterlassungsanträge). Die bloße Wiedergabe des gesetzlichen Verbotstatbestandes genügt dem Erfordernis der Bestimmtheit jedenfalls dann nicht, wenn streitig ist, welche von mehreren Verhaltensweisen dem gesetzlichen Verbotstatbestand unterfällt.

b. Ein derartiger Sachverhalt liegt hier jedoch im Ergebnis nicht vor.

aa. Allerdings besteht zwischen den Parteien grundlegender Streit über die Auslegung von Rechtsvorschriften, auf die sich der Unterlassungsantrag bezieht. Der Ausnahmeregelung des § 21a Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 i.V.m. Abs. 4 VTabakG entnimmt die Antragsgegnerin - anders als die Antragstellerin - im Ergebnis eine Befugnis, Tabakwerbung unverändert sowohl in Printmedien als auch im Internet an eine "geschlossene Benutzergruppe" der Raucher zu richten. Sie hat in diesem Zusammenhang insbesondere betont, dass an das Kriterium eines "redaktionellen Inhalts" keine besonderen Anforderungen zustellen sind. Damit wäre auf der Grundlage ihrer Auffassung durch diese Ausnahmeregelung - i. V. m. Abs. 4 - letztlich auch ihr Internetauftritt gerechtfertigt, wie dieser aus der Anlage AS5 zu ersehen ist, solange nur sichergestellt ist, dass sich dieser ausschließlich an Raucher richtet (von den übrigen Voraussetzungen der Volljährigkeit und des ausschließlichen Inlandsbezugs einmal abgesehen).

bb. Diese Bewertungsunterschiede führen indes nicht zur Unzulässigkeit des gestellten Antrags.

aaa. Der Antragsteller-Vertreter hat in der Senatssitzung zutreffend darauf hingewiesen, dass eine etwaige Unbestimmtheit nicht das begehrte Verbot als solches, sondern diejenigen Sachverhalte beträfe, mit denen sich die Antragsgegnerin aus einem gesetzlich klar umschriebenen Verbotsbereich heraus bewegen könnte. Bereits dieser Umstand steht bei der hier konkret gegebenen Sachlage einer Unzulässigkeit des gestellten Verfügungsantrags entgegen.

bbb. Der Antragsteller-Vertreter hat ebenfalls ausgeführt, dass es angesichts der Komplexität der Regelungsmaterie und der hiervon umfassten Lebenssachverhalte ihm letztlich nicht möglich sei, das begehrte Verbot verbal eindeutiger, aber zugleich umfassend zu formulieren. Diese Darstellung ist für den Senat nachvollziehbar und auch seitens der Antragsgegnerin ohne hinreichend substantiierten Widerspruch geblieben. Auch hieraus ergibt sich die Zulässigkeit der gewählten Fassung des Antrags.

ccc. Allerdings hatte die Antragsgegnerin in diesem Zusammenhang geltend gemacht, die Antragstellerin könne (bzw. müsse) in einem derartigen Fall ihren Angriff auf die konkrete Verletzungsform beschränkten. Eine derartige Beschränkung - die stets möglich ist - hält der Senat indes im vorliegenden Fall weder für sachgerecht noch für zielführend. Denn die Parteien streiten erklärtermaßen um ein abstraktes Normverständnis nationaler und gemeinschaftsrechtlicher Regelungen. Selbst wenn der Internetauftritt der Antragsgegnerin für ihre Marke "L." (Anlage AS5) zum Anlass für den vorliegenden Rechtstreit genommen worden ist, beziehen (bzw. beschränken) sich die rechtlichen Bedenken der Antragstellerin erkennbar nicht auf die konkrete Art und Weise dieses Internetauftritts. Es geht vielmehr im Kern - abstrahierend - darum, ob sich die Antragsgegnerin mit Produktwerbung bzw. -darstellung in diesem Medium überhaupt an einem eingeschränkten Kreis der Öffentlichkeit wenden darf. Für die Klärung dieser allgemeine Rechtsfrage wäre ein auf die konkrete Verletzungsform bezogenes bzw. beschränktes Verbots letztlich nicht zielführend. Denn es könnte die allgemeine Rechtsfrage nicht zufriedenstellend beantworten.

ddd. Dementsprechend hält es der Senat jedenfalls im Hinblick auf die vorliegende Sachverhaltskonstellation für unvermeidlich, verbleibende Ungewissheiten über die Reichweite des Verbotstitels in ein etwaiges Zwangsvollstreckungsverfahren zu verlagern. Ein derartiges Vorgehen ist für andere Sachverhaltskonstellation auch höchstrichterlich anerkannt. Müsste in bestimmten Sachverhaltskonstellation (z.B. bei Belästigungen i.S.v. § 7 Abs. 1 UWG) ein Unterlassungsantrag entsprechend den festgestellten Besonderheiten des festgestellten Einzelfalls gefasst werden, wäre für den Kläger eine antragsgemäße Verurteilung in aller Regel nutzlos, weil der konkrete Wettbewerbsverstoß kaum jemals in gleicher Weise wiederholt werden kann. Dies würde auch die Wirksamkeit des Schutzes gegen unlauteren Wettbewerb in bestimmten Situationen beeinträchtigen. Es ist deshalb bei der Fassung des Klageantrags und des entsprechenden Urteilsausspruchs hinzunehmen, dass das Vollstreckungsgericht bei der Beurteilung behaupteter Verstöße gegen ein in bestimmter Weise gefasstes Unterlassungsgebot auch Wertungen vornehmen muss (BGH CR 05, 338, 340 - Ansprechen in der Öffentlichkeit II). Entsprechende Überlegungen gelten auch im vorliegenden Fall.

2. In der rechtlichen Beurteilung der Auslegung der Reichweite von § 21a Abs. 4 VTabakG in Bezug auf das Medium Internet als "Dienst der Informationsgesellschaft" tritt der Senat der Beurteilung des Landgerichts bei.

a. Durch diese Vorschrift wird zunächst des Internet grundsätzlich und generell denjenigen Veröffentlichungen in Papierform gleichgestellt, die in Abs. 3 Satz 1 mit dem Begriff "Presse oder in einer anderen gedruckten Veröffentlichung" umschrieben werden. Der Senat ist mit dem Landgericht der Auffassung, dass selbst bei einer richtlinienkonformen Auslegung das in § 21a Abs. 3 u. 4 VTabakG normierte Werbeverbot nicht - ohne Rücksicht auf den insoweit eindeutigen Wortlaut des nationalen Gesetzes und der EU-Richtlinie - allein auf die für den Erlass der Richtlinie 2003/33/EG maßgebliche Frage reduziert werden kann, ob auch eine grenzüberschreitende Wirkung bzw. Beeinträchtigung besteht bzw. zu befürchten ist. Der Antragsgegnerin ist ohne Zweifel darin zuzustimmen, dass diese Überlegungen sowohl für den Richtliniengeber als auch für den EuGH bei der Frage nach Sinn und Zweck sowie Erstreckung des Werbeverbots für Tabakwaren im Vordergrund gestanden haben. Bei ihrer abweichende Beurteilung berücksichtigt die Antragsgegnerin hingegen nicht ausreichend, dass der Richtliniengeber in Erwägungsgrund 6 ausdrücklich festgestellt hat, dass der Rundfunk sowie die Dienste der Informationsgesellschaft "schon ihrem Wesen nach grenzüberschreitend" sind. Vor diesem Hintergrund ist der - nicht weiter eingeschränkte - Anwendungsbereich von § 21a Abs. 4 VTabakG zu würdigen.

b. Der Senat teilt deshalb die Auffassung des Landgerichts, dass der Anwendungsbereich von § 21a Abs. 3 und 4 VTabakG nicht - entgegen seinem Wortlaut - teleologisch auf solche Sachverhalte zu reduzieren bzw. primärrechtlich auszulegen ist, die eine potenziell grenzüberschreitende Wirkung haben.

aa. Ein "ungeschriebenes Erfordernis", dass das Verbot nur gilt, wenn die jeweiligen Tabakwerbung potenziell grenzüberschreitende Wirkung haben kann, ist nicht Gesetz geworden. Hierzu hat das Landgericht die zutreffenden Ausführungen gemacht, auf die der Senat Bezug nehmen kann. Eine Wiederholung ist nicht veranlasst. Es ist lediglich darauf hinzuweisen, dass der nationale Gesetzgeber selbst dann, wenn eine bestimmte Vorschrift erklärtermaßen der Umsetzung einer EU-Richtlinie dient, in der konkreten Formulierung z. B. von Verschärfungen solange frei ist, als diese nicht dem Regelungsgegenstand dieser Richtlinie bzw. anderer Vorschriften zuwiderlaufen. Da die maßgebliche Richtlinie gerade keine eindeutige Einschränkung der Zulässigkeit der Tabakwerbung im Internet enthielt, konnte auch der deutsche Gesetzgeber Abs. 4 von § 21a VTabakG entsprechend einschränkungslos formulieren. Der Senat ist mit dem Landgericht der Auffassung, dass auf die von der Antragsgegnerin konstruierten Einschränkungen insoweit auch bewusst verzichtet worden ist, weil die Richtlinie hierfür zumindest keine hinreichende tragfähige Regelungsbevollmächtigung enthält. Dementsprechend kommt es auch auf die Ausführungen der Antragsgegnerin dazu, ob bzw. dass der deutsche Gesetzgeber lediglich den zwingenden Regelungsgehaltsrichtlinie 2003/33/EG umsetzen wollte, nicht weiter an. Denn inhaltlich geht der deutsche Gesetzgeber mit Abs. 4 von § 21a VTabakG über den Regelungsinhalt nicht hinaus, allenfalls enthält die gewählte Formulierung eine zulässige Konkretisierung.

bb. Hinzu kommt eine weitere Überlegung. Die durch das VTabakG in deutsches Recht umgesetzte Richtlinie 2003/33/EG sieht in ihrem maßgeblichen Artikel 3 zwar eine inhaltliche Konkretisierung des denkbaren (und auch in der Überschrift verwendeten) Oberbegriffs "Druckerzeugnisse" auf "Presse und anderen gedruckten Veröffentlichungen" vor. Eine entsprechende Differenzierungen des Oberbegriffs "Dienste der Informationsgesellschaft" fehlt jedoch, obwohl eine entsprechende Konkretisierung ohne Weiteres und ohne Schwierigkeiten möglich gewesen wäre. So hätte etwa auf grenzüberschreitende Dienste oder auf solche Bezug genommen werden können, die sich nicht an durch wirksame Zugangseinrichtungen abgegrenzte geschlossene Benutzergruppen richten. Da diese Beschränkung durch den Richtliniengeber nicht vorgenommen worden ist, verbietet es sich aus Sicht des Senats, bei der Umsetzung in nationales Recht eine durch den Wortlaut nicht veranlasste teleologische Reduktion bzw. Auslegung zuzulassen, deren schlüssige Begründung sich insbesondere erst aus solchen Unterlagen - wie etwa den dem Urteil des EuGH vom 12.12.06 vorangehenden Schlussanträgen des Generalanwalts - ergeben soll, die weitgehend außerhalb der umzusetzenden Richtlinie liegen.

cc. Der Senat teilt zwar die Auffassung der Antragsgegnerin, dass für die Beurteilung der Reichweite einer Richtlinie des Gemeinschaftsrechts sowie der ihrer Umsetzung dienenden nationalen Norm die von dem EuGH aufgestellten Rechtsgrundsätze zu beachten sind. Indes vermag der Senat der Entscheidung des EuGH vom 12.12.06 (Anlage AS3) nicht das einschränkende Verständnis zu entnehmen, auf welches die Antragsgegnerin ihre Rechtsverteidigung maßgeblich stützt. Der EuGH spricht in Erwägungsgrund 53 gerade ausdrücklich und einschränkungslos, von dem Internet als "dem grenzüberschreitenden Medium par excellence" und stellt in Erwägungsgrund 63 fest, dass die Tabakwerbung unter anderem im Internet grenzüberschreitenden Charakter hat. In den folgenden Ausführungen beschäftigt sich der EuGH auch nicht etwa mit der Frage, wie Art. 3 der Richtlinie in seiner konkreten Anwendung auf den Einzelfall zu verstehen ist. Gegenstand des Verfahrens war vielmehr eine Klage der Bundesrepublik Deutschland auf Nichtigerklärung unter anderem dieses Artikels der Richtlinie. Die Ausführungen des EuGH beschäftigen sich dementsprechend in erster Linie mit der Frage, ob bzw. warum der Richtliniengeber eine Rechtsgrundlage sowie eine Veranlassung dafür hatte, entsprechende Sachverhalte zu regeln und ob diese Regelung sachlich gerechtfertigt und verhältnismäßig ist. Soweit sich der EuGH in Erwägungsgrund 79 mit dem Verständnis der dortigen Klägerin auseinander setzt, Art. 3 der Richtlinie erfasse nur nationale Werbeträger ohne grenzüberschreitende Wirkung, entnimmt der Senat auch dieser Äußerung nicht eine für die richtlinienkonforme Auslegung von § 21a VTabakG maßgebliche Äußerung. Denn in diesem Zusammenhang befasst sich der EuGH ausschließlich mit der Frage, ob Artikel 95 EG als Rechtsgrundlage infrage kommt und stellt fest, dass dieses Ergebnis durch die Schlussfolgerung der Klägerin "nicht in Frage gestellt" wird. Eine derartige Äußerung konkretisiert die Anwendung der Norm nicht auf das einschränkende Normverständnis der Antragsgegnerin. Soweit die Antragsgegnerin etwa Erwägungsgrund 149 Gegenteiliges entnimmt, teilt der Senat diese Auffassung ebenfalls nicht. Denn diese Ausführungen des EuGH sind vor dem Hintergrund zu verstehen, dass der Gerichtshof - ebenso wie der Richtliniengeber - das Internet generell als grenzüberschreitendes Medium ansieht.

dd. Letztlich vermag der Senat selbst der Entscheidung des EuGH vom 12.12.06 nicht mit der erforderlichen Deutlichkeit das von der Antragsgegnerin favorisierte Verständnis der Richtlinie zu entnehmen. Deshalb scheidet dieses Urteil als hinreichend eindeutige Grundlage für eine richtlinienkonforme Auslegung im Sinne der Antragsgegnerin aus. Dem Ziel einer einheitlichen Umsetzung einer Richtlinie in den 27 Mitgliedstaaten der Gemeinschaft kann in der Regel ohnehin nur dann Rechnung getragen werden, wenn der eindeutige - hier einschränkungslose - Wortlaut des Richtlinientextes die Grenze des maßgeblichen Verständnisses einer nationalen Auslegung bildet. Dies gilt insbesondere für mögliche Ausnahmeregelungen. Die einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts und der Gleichheitsgrundsatz verlangen es, dass die Begriffe einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts, die für die Ermittlung ihres Sinnes und ihrer Bedeutung nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedsstaaten verweist, in der Regel in der gesamten Gemeinschaft autonom und einheitlich auszulegen sind, wobei die Auslegung unter Berücksichtigung des Regelungszusammenhangs und des mit der Regelung verfolgten Zwecks zu ermitteln ist (EuGH GRUR 03, 425, 427- Ansul/Ajax). Zwar hat der Senat als nationales Gericht bei der Anwendung innerstaatlicher Rechtsvorschriften, die speziell zur Umsetzung einer Richtlinie erlassen worden sind, in Anbetracht des Art 249 Abs. 3 EG davon auszugehen, dass der Staat, wenn er von dem ihm durch eine Bestimmung eingeräumten Gestaltungsspielraum Gebrauch gemacht hat, die Absicht hatte, den sich aus der Richtlinie ergebenden Verpflichtungen in vollem Umfang nachzukommen (EuGH NJW 04, 3547, 3549 - Bernhard Pfeiffer/Deutsches Rotes Kreuz). Insoweit wird der von der Antragsgegnerin in den Vordergrund ihrer Argumentation gestellten systematischen, primärrechtskonformen Auslegung aber durch den Wortlaut der Richtlinie eine Grenze gesetzt, die im vorliegenden Fall auch durch die Rechtsprechung des EuGH keine hinreichend eindeutige Einschränkung erfahren hat. Eine abweichende Handhabung hätte eine erhebliche Rechtsunsicherheit zur Folge, die zum Zwecke der Harmonisierung durch die Richtlinie gerade behoben werden sollte. Auf diese Gefahr weist auch der EuGH in Erwägungsgrund Nr. 4 seines Urteils vom 12.12.06 ausdrücklich hin.

ee. Dementsprechend ist es nach Auffassung des Senats Aufgabe des Richtliniengebers, eindeutig klarzustellen, ob bzw. in welchem Umfang weitere "medienspezifische" Ausnahmeregelungen z. B. für das Internet in den Bereichen zugelassen werden sollen, in denen den ansonsten durch dieses Medium ausgehenden Gefahren wirksam durch besondere Maßnahmen vorgebeugt werden kann. Verbal beschrieben sind diese Ausnahmeregelungen nur für Presse und andere gedruckte Veröffentlichungen. Es obliegt nach Auffassung des Senats - jedenfalls in Abwesenheit hinreichen eindeutiger Vorgaben des EuGH - nicht der Beurteilung der nationalen Gerichte in den einzelnen Mitgliedsländern, ob bzw. in welchem konkreten Umfang nicht identische, sondern nur vergleichbare Ausnahmetatbestände auch für das Medium Internet als "Dienst der Informationsgesellschaft" zuzulassen sind. Insoweit ist der europäische Richtliniengeber bzw. der EuGH zur verbindlichen Bestimmung der gemeinschaftskonformen Auslegung von EU-Richtlinien berufen. Denn insbesondere bei der Beurteilung, in welchen konkreten Fällen tatsächlich die Gefahr einer grenzüberschreitenden Auswirkung besteht bzw. wie einer derartigen Gefährdung wirksam entgegen gewirkt werden kann, können die - auch national unterschiedlichen - Bewertungen deutlich voneinander abweichen. Dementsprechend bedarf es auch keiner Erörterung der von der Antragsgegnerin aufgeworfenen Frage, ob der Richtliniengeber überhaupt die Kompetenz gehabt hätte, Sachverhalte zu regeln, die nicht eine (potenziell) grenzüberschreitende Werbung betreffen. Ohnehin geht es vorliegend in erster Linie um die Auslegung eines nationalen Gesetzes, bei dessen Fassung der Gesetzgeber - wie bereits ausgeführt - freier ist, solange sie dem Regelungsgehalt der Richtlinie nicht zuwider läuft. Dies ist nach Auffassung des Senats nicht der Fall. Dabei handelt es sich - hierauf ist mehrfach bereits hingewiesen worden - gerade bei dem Internet klassisch um ein grenzüberschreitendes Medium, das sich einer wirksamen und vor allem lückenlosen Beschränkung auf nationale Sachverhalte schon aus der Natur der Sache in der Regel entzieht. Dies vermag der Senat aus eigener Sachkunde aufgrund dienstlicher Befassung zu beurteilen.

3. Auch die Beurteilung, die das Landgericht dem Ausnahmetatbestand in § 21a Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 VTabakG gibt, ist nicht zu beanstanden.

a. Bei dem aus der Anlage AS5 im Einzelnen ersichtlichen Internetauftritt der Antragsgegnerin für ihr Zigarettenprodukt "L." handelt es sich letztlich unmittelbar und ausschließlich um Produktwerbung für das Erzeugnis eines einzelnen Herstellers, mag diese auch mit diversen Informationen sachlich "verbrämt" sein. Dementsprechend bezeichnet die Antragsgegnerin diesen Internetauftritt zutreffend auch als "Markenkommunikation". Eine derartige, zu unmittelbaren Werbe- und Kundenbindungszwecken generierte Produktdarstellung eines einzelnen Herstellers ist auch nach Auffassung des Senats ersichtlich nicht von dem Ausnahmetatbestand in § 21a Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 VTabakG erfasst, und zwar unabhängig davon, wie man die Richtlinie 2003/33/EG interpretiert.

b. Nach dem Verständnis des Senats hat diese Vorschrift ausschließlich solche Publikationen im Blick, in denen allgemein redaktionell über Tabakerzeugnisse bzw. Raucherzubehör berichtet wird und daneben zulässigerweise Tabakwerbung betrieben werden kann. Die Vorschrift dient hingegen nicht dazu, der Tabakindustrie die Möglichkeit zu eröffnen, eine grundsätzlich verbotene Werbung für Erzeugnisse im Gewande einer gewissen redaktionellen Einkleidung fortsetzen zu dürfen. Die Antragsgegnerin weist zutreffend auf Erwägungsgrund Nr. 151 der EuGH-Entscheidung vom 12.12.06 hin, wonach das Verbot der Werbung für Tabakerzeugnisse unter anderem im Internet gerade verhindern soll, dass das für gedruckte Veröffentlichungen geltende Verbot auf Grund der Medienkonvergenz durch einen verstärkten Einsatz dieser Medien umgangen wird. Genau dies versucht aber die Antragsgegnerin nach Auffassung des Senats mit dem von der Antragstellerin angegriffenen Internetauftritt.

c. Eine entsprechende Ausnahme ist im Übrigen - soweit ersichtlich - jedenfalls konkret nicht in der umzusetzenden Richtlinie enthalten oder in Art. 3 RL sinngemäß angelegt, so dass auch aus diesem Grund ein nationaler Ausnahmetatbestand eng auszulegen ist. Die von der Antragsgegnerin zitierten Erwägungsgründe der Richtlinie bzw. der EuGH-Entscheidungen beziehen sich erkennbar ebenfalls nicht auf eine derartige Konstellation. Zwar werden die "im Tabakhandel tätigen Personen" sowie die "Veröffentlichungen, die in Drittländern gedruckt und herausgegeben werden" dort möglicherweise nur als Beispiele genannt. Art. 3 der Richtlinie enthält hingegen eine derartige Erweiterung ausdrücklich nicht. Die Vorschrift nennt diese Sachverhaltsgestaltung in Abs. 1 als einzige zulässige Ausnahme, jedenfalls soweit es um "Presse und andere gedruckten Veröffentlichungen" geht, auf die auch die Internetwerbung rückbezogenen ist. Erwägungsgründe einer Richtlinie sind nicht geeignet, aus einer auf bestimmte, enumerativ aufgezählte Sachverhalte bezogenen Regelung eine Beispielsregelung zu machen. An diese, nach dem Wortlaut der Richtlinie nicht auslegungsfähige Begrenzung hält sich der Senat gebunden.

d. Der Senat ist mit dem Landgericht weiter der Auffassung, dass sich die Antragsgegnerin mit ihrem Internetauftritt ohne Weiteres an eine "breite Öffentlichkeit" wendet. Sie spricht ausdrücklich alle volljährigen Raucher - und damit ihren vollständigen potenziellen Kundenkreis - Deutschlands an. Irgendwelche weiteren Einschränkungen nach Sachgesichtspunkten werden nicht vorgenommen. Im Übrigen "richtet" sich eine Werbung letztlich auch dann an eine breite Öffentlichkeit, wenn nicht alle Nutzungsberechtigten davon Gebrauch machen, sich den ihnen angebotenen Zugang konkret zu erschließen. Die Tatsache, dass sich der Interessent einer Registrierungsprozedur unterziehen muss, schränkt das Merkmal der "breiten Öffentlichkeit" in keiner Weise ein. Schon deshalb liegt ein Ausnahmefall i. S. v. Erwägungsgrund Nr. 4 der Richtlinie 2003/33/EG nicht vor. Der Senat entnimmt diesem Erwägungsgrund mit der beispielhaften Erwähnung der "im Tabakhandel tätigen Personen", dass der Richtliniengeber insoweit eine wesentlich stärkere Beschränkung auf bestimmte, durch Sachgesichtspunkte verbundene Personengruppen im Auge hatte. Dementsprechend kommt es auch nach Auffassung des Senats für die Entscheidung des Rechtsstreits nicht entscheidend darauf an, ob die Zugangssicherungen der Antragsgegnerin wirksam sind oder nicht.

d. Schließlich erscheint es wenig überzeugend, wenn die Antragsgegnerin ihre Internetdarstellung als "digitale Entsprechung" zu Hand- und Werbezetteln, Mitteilungsblättern lokaler Vereine, Plakate usw. beurteilt wissen möchte. Dieser Vergleich wird - selbst bei einer Beschränkung auf angemeldete Nutzer, die bestimmte Kriterien erfüllen - den Spezifika eines bundesweiten Internetauftritts nicht in Ansätzen gerecht. Die Annahme, die aus der Anlage AS5 ersichtliche Internetdarstellung wäre als zulässig zu betrachten, wenn sie als auf Papier gedruckte Handzettel verteilt würde, berücksichtigt nicht angemessen den Umfang und die Qualität der "Markenkommunikation" der Antragsgegnerin. Die Fülle der Darstellungen und Informationen sowie die überaus ansprechende Gestaltung lässt eher Assoziationen zu einem "Hochglanzmagazin" aus dem Bereich "special interest" als zu einem "Handzettel" aufkommen.

e. Die Auffassung der Antragsgegnerin, eine Tabakwerbung im Medium Internet sei nicht schlechthin verboten, sondern lediglich dann, wenn die Veröffentlichung im Internet Presseerzeugnissen und andere gedruckten Veröffentlichungen i. S. v. § 21a Abs. 3 Satz 1 VTabakG gleichzustellen ist, führte im Übrigen auch zu schwer lösbaren Abgrenzungsfragen. Der Begriff "Presseerzeugnis" hat einen relativ klar umrissenen Bedeutungsgehalt; die Frage, wann eine Internetveröffentlichung einem Presseerzeugnis gleichsteht, lässt sich demgegenüber kaum verbindlich in allgemeiner Form bestimmen. So kann etwa eine vollständig private Homepage mit für die breite Öffentlichkeit uninteressanten Inhalten, die nicht für die Kenntnisnahme Dritter gedacht, aber auch nicht mit Zugangshindernisse versehen ist, von einer unbeschränkten Vielzahl von Personen zur Kenntnis genommen werden, ohne dass sich insoweit ein Vergleich mit einem "Presseerzeugnis" aufdrängt, selbst wenn der Domain-Inhaber zur Finanzierung seines Werbeauftritts Bannerwerbung eines Tabakkonzerns schaltet. Der Senat hat davon auszugehen, dass der Richtliniengeber unter anderem im Hinblick auf diese Abgrenzungsfragen mit Bedacht davon abgesehen hat, die Frage einer zulässigen Internetwerbung für Tabakerzeugnisse differenziert zu regeln.

4. Der Senat hat keine Veranlassung, den Rechtsstreit im Hinblick auf die zwischen den Parteien streitigen Auslegungsfragen gem. Art. 234 Abs. 1 EG-Vertrag dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen. Eine Verpflichtung zur Vorlage besteht in dem anhängigen Verfügungsverfahren ebenfalls nicht. Hierzu hat der EuGH in den verbundenen Rechtssachen Morson gegen Niederlande u.a. mit Urteil vom 27.10.1982 (Slg. 1982, 3723, 3734) ausgesprochen, dass in summarischen und eilbedürftigen Verfahren den aus den Anforderungen des Art. 177 a.F. (= Art. 234 n.F.) fließenden Anforderungen Genüge getan ist, wenn in einem ordentlichen Verfahren zur Hauptsache eine erneute Prüfung jeder im summarischen Verfahren nur vorläufig entschiedenen Frage des Gemeinschaftsrechts möglich ist. Diese Möglichkeit besteht vorliegend.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO.

Ende der Entscheidung

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