Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamburg
Urteil verkündet am 20.06.2006
Aktenzeichen: 7 U 9/06
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 2 Abs. 1
Die Veröffentlichung eines Bildes, das eine Person öffentlichen Interesses in einer privaten Situation an einem Platz unter vielen Menschen zeigt, verletzt nicht die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Privatsphäre. Insoweit sind die Gerichte an die tragenden Gründe der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Dezember 1999 (BVerfGE 101, 361) gebunden.

Hinsichtlich der Frage, ob sich die abgebildete Person an einem Platz unter vielen Menschen aufgehalten hat, trifft die Presse eine erweiterte Darlegungslast. Kommt die Presse dieser Darlegungslast nicht nach, ist davon auszugehen, dass die Person in der abgebildeten Situation nicht von vielen Menschen umgeben war.


HANSEATISCHES OBERLANDESGERICHT IM NAMEN DES VOLKES URTEIL

Geschäftszeichen: 7 U 9/06

In der Sache

hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg, 7. Zivilsenat, durch die Richter Dr. Raben, Lemcke, Meyer nach der am 20. Juni 2006 geschlossenen mündlichen Verhandlung für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg, Zivilkammer 24, vom 9. Dezember 2005 - Geschäftsnummer 324 O 684/05 - wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist hinsichtlich des Verbotsausspruchs gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 40.000,00 Euro, hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

1. Mit seiner Klage hat der Kläger die Unterlassung der erneuten Veröffentlichung einer in "..." vom 21. Juli 2005 (Nr. 30/2005) auf Seite 5 veröffentlichten Fotografie begehrt, die ihn an der Seite seiner Freundin bei einem Spaziergang in St. Tropez zeigt.

Zu den Einzelheiten des Sachverhalts wird auf den Inhalt des Tatbestandes des erstinstanzlichen Urteils verwiesen.

Mit Urteil vom 9. Dezember 2005, auf dessen Entscheidungsgründe ebenfalls verwiesen wird, hat das Landgericht der Unterlassungsklage stattgegeben.

Gegen dieses ihr am 19. Dezember 2005 zugestellte Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer am 18. Januar 2006 eingelegten und am 13. Februar 2006 begründeten Berufung.

Sie rügt im Wesentlichen, dass das beanstandete Foto ein Bildnis aus dem Bereich der Zeitgeschichte sei. Dafür gebe es zwei Gründe: Der Kläger sei als einer der hervorragendsten Fußballspieler und als "Welttorwart" eine so genannte absolute Person der Zeitgeschichte. Außerdem berichte der Artikel, den dieses Foto nebst anderen Fotos von prominenten Personen illustriere, über das Treffen vieler Prominenter in St. Tropez und damit über ein zeitgeschichtliches Ereignis.

Im Übrigen macht die Beklagte mit der Berufung geltend, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (NJW 2000, 1021ff) ein Privatsphärenschutz entfalle, wenn sich der Einzelne an Plätzen in der Öffentlichkeit unter vielen Menschen aufhalte. Bei dem beanstandeten Foto handele es sich um ein Bild, das den Kläger unter vielen Menschen zeige, während er am helllichten Tag in aller Öffentlichkeit auf der Promenade von St. Tropez spazieren gehe.

Dagegen erwidert der Kläger, er sei mit seiner Freundin allein auf dem Gehsteig gewesen, auf dem Foto sei weiter niemand zu sehen, sie seien nicht von zahlreichen Personen umgeben gewesen.

2. Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet.

Das Landgericht hat die Beklagte zu Recht zur Unterlassung einer erneuten Veröffentlichung des beanstandeten Fotos verurteilt, weil dem Kläger insoweit ein Anspruch aus §§ 823 Abs. 2, 1004 Abs. 1 S. 2 BGB analog in Verbindung mit §§ 22, 23 KUG zusteht.

Das Berufungsvorbringen führt zu keinem anderen Ergebnis.

Dem Landgericht ist darin zu folgen, dass offen bleiben kann, ob der Kläger eine so genannte absolute Person der Zeitgeschichte ist, und dass ebenfalls dahin stehen kann, ob sein Bild einen Artikel über ein zeitgeschichtliches Ereignis illustriert; denn die Veröffentlichung verletzt rechtswidrig ein berechtigtes Interesse des Klägers im Sinne des § 23 Abs. 2 KUG. Auch der Senat sieht in der Veröffentlichung des Fotos, das den Kläger und seine Freundin bei einem Spaziergang im Urlaub zeigt, während sie sich zwar in der Öffentlichkeit, aber nicht unter vielen Menschen befinden, eine Verletzung seiner schutzwürdigen Privatsphäre.

a) Bei der Frage, in welchem Umfang einer in der Öffentlichkeit stehenden Person Schutz vor der Veröffentlichung von Bildnissen zuzubilligen ist, ist abzuwägen zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Betroffenen einerseits und dem Informationsinteresse der Allgemeinheit sowie der Pressefreiheit auf der anderen Seite. Hierbei sind grundsätzlich die in der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 24. Juni 2004 (NJW 2004, 2647ff.) niedergelegten Grundsätze, die insbesondere den Schutzumfang von Art. 8 EMRK bestimmen, zu beachten.

Die Gewährleistungen der Europäischen Menschenrechtskonvention beeinflussen die Auslegung der Grundrechte des Grundgesetzes, und zwar in der Weise, dass die Europäische Menschenrechtskonvention in der Auslegung des EGMR als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite der Grundrechte und rechtsstaatlichen Grundsätze des Grundgesetzes dient, sofern dies nicht zu einer Einschränkung oder Minderung des Grundrechtsschutzes nach dem Grundgesetz führt (BVerfG, NJW 2004, 3407, 3409ff.). Dem entsprechend müssen sich die Gerichte mit den Urteilen des EGMR auseinandersetzen und sie in die nationale Rechtsordnung einpassen. Im Fall eines Konflikts beansprucht indes das Grundgesetz weiter Vorrang (BVerfG, a.a.O.; Soehring/Seelmann-Eggebert, NJW 2005, 571, 577). In diesem Zusammenhang ist die Bindungswirkung zu beachten, die gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur Auslegung des Grundgesetzes zukommt.

b) Wie der Senat bereits in anderen Fällen entschieden hat (vgl. u.a. Urteil vom 31.1.2006, AfP 2006,179), besteht diese Bindungswirkung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts nicht nur insoweit, als Gesetze für verfassungswidrig oder verfassungsgemäß erklärt werden. Vielmehr haben auch die tragenden Gründe der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, soweit sie Ausführungen zur Auslegung der Verfassung enthalten, bindende Wirkung. Der Senat folgt in dieser Frage der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 1, 14, 37; 96, 375, 404). Bis zu einer etwaigen Änderung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Auslegung des Grundgesetzes sind deshalb insbesondere die in diesem Sinne tragenden Gründe des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Dezember 1999 (BVerfGE 101, 361ff.) bei der Abwägung der betroffenen Grundrechte für die Grenzen des Privatsphärenschutzes vorrangig zu beachten.

c) Zum Privatsphärenschutz im Sinne von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG hat das Bundesverfassungsgericht im Urteil vom 15. Dezember 1999 (a.a.O., 384) ausgeführt:

" ... Plätzen, an denen sich der Einzelne unter vielen Menschen befindet, fehlt es von vornherein an den Voraussetzungen des Privatsphärenschutzes im Sinn von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG. Sie können das Rückzugsbedürfnis nicht erfüllen und rechtfertigen deswegen auch nicht den grundrechtlichen Schutz, den dieses Bedürfnis aus Gründen der Persönlichkeitsentfaltung verdient. ..."

Diese Rechtssätze, die die rechtliche Grundlage für die teilweise Zurückweisung der Verfassungsbeschwerde der dortigen Klägerin darstellen, sind tragende Gründe, weil sie nicht hinweggedacht werden können, ohne dass das konkrete Entscheidungsergebnis nach dem in der Entscheidung zum Ausdruck gekommenen Gedankengang entfiele (BVerfGE 96, 375, 404). Ob das Bundesverfassungsgericht in den konkreten Fällen zutreffend davon ausgegangen ist, dass die tatsächlichen Voraussetzungen, nämlich der Aufenthalt der Abgebildeten an einem belebten Ort, vorlagen, ist hingegen nicht von Bedeutung, da eine Bindungswirkung nicht an die konkrete Entscheidung, sondern allein an die tragenden Grundsätze der Entscheidung besteht.

d) Im vorliegenden Fall ist prozessual davon auszugehen, dass sich der Kläger nicht unter vielen Menschen aufgehalten hat, als die beanstandete Abbildung aufgenommen wurde, so dass die oben genannten tragenden Gründe der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 15.12.1999 nicht heranzuziehen sind und daher einer Auslegung des Grundgesetzes im Sinne der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nicht entgegenstehen.

Auf dem Foto selbst sind zweifelsfrei nur der Kläger und seine Begleiterin zu sehen. Ob sich seinerzeit weitere Personen in der Nähe aufhielten, ist zwischen den Parteien streitig.

Zwar obliegt die Darlegungs- und Beweislast für dieses Kriterium, da es sich um die Voraussetzungen der für den Kläger streitenden Ausnahmevorschrift des § 23 Abs.2 KUG handelt, grundsätzlich dem Kläger.

Ist streitig, wie sich die konkreten Umstände der abgebildeten Situation gestaltet haben, kommen jedoch im Rahmen von Unterlassungsansprüchen die Grundsätze der so genannten erweiterten Darlegungslast zum Tragen. Insoweit hat der Senat in einem Urteil vom 19. Januar 2005 (Geschäftsnummer 7 U 19/04), gegen das der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 16. Mai 2006 (Geschäftsnummer VI ZR 60/05) die Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen hat, ausgeführt,

" ... dass es dem Abgebildeten praktisch unmöglich und auch nicht zuzumuten wäre, zu den maßgeblichen Gegebenheiten der konkreten Situation vorzutragen, wenn er nicht einmal wissen kann, wann genau die fraglichen Fotografien gefertigt worden sind. Umgekehrt ist es demjenigen, der die Bildnisse verbreitet, möglich und zumutbar, bei den (Paparazzi-) Fotografen diesbezügliche Details zu ermitteln. ... Diese letztlich auf dem auch ein Prozessverhältnis beherrschenden Grundsatz von Treu und Glauben und Zumutbarkeitserwägungen beruhende Darlegungslastverteilung entspricht der Praxis in anderen Zivilsachen in entsprechenden Konstellationen (vgl, etwa BGH NJW 99, 579f.; NJW RR 1999, 1152 f.; Zöller, ZPO, 24. Aufl., § 138 Rn. 8 b; vor § 284 Rn. 18 mit weiteren Nachweisen). Etwas anders könnte allenfalls dann gelten, wenn es sich bei den durch die Fotos gezeigten Situationen um Ausnahmevorfälle handeln würde, die sich etwa dem Kläger besonders eingeprägt haben müssten. ...

An dieser Auffassung hält der Senat fest, so dass die Beklagte die erweiterte Darlegungslast hinsichtlich der streitigen Frage trifft, ob sich der Kläger bei Bildaufnahme unter vielen Menschen aufgehalten hat. Der Beklagtenvortrag, der Kläger sei am helllichten Tage in aller Öffentlichkeit auf der Promenade von St.Tropez spazieren gegangen, ist nicht hinreichend konkret, sondern lässt offen, zu welcher Uhrzeit und in welchem Bereich der nicht überall gleichermaßen belebten Promenade der Spaziergang unternommen wurde und ob sich andere Menschen - gegebenenfalls in welcher Zahl - dort aufhielten. Ist aber die Beklagte der ihr obliegenden erweiterten Darlegungslast nicht nachgekommen, ist zu ihren Lasten davon auszugehen, dass der Kläger in der abgebildeten Situation nicht von vielen Menschen umgeben war.

e) Die Beachtung der vom EGMR in der Entscheidung vom 24.6.2004 aufgestellten Kriterien führt zu dem Ergebnis, dass die Veröffentlichung des Fotos rechtswidrig in das durch §§ 22, 23 Abs. 2 KUG geschützte Recht des Klägers am eigenen Bild eingegriffen hat.

Zwar mag bei den Lesern der von der Beklagten verlegten Zeitschrift "..." ein großes Interesse an Bild-Informationen über das Leben des weithin bekannten Klägers bis hin zu seiner Urlaubsgestaltung bestehen. Dieses Interesse ist allerdings nicht als berechtigt anzusehen, da weder das Bild noch der bebilderte Artikel einen Beitrag zu einer Diskussion von allgemeinem Interesse leistet, sondern lediglich Unterhaltungswert hat.

Das reine Unterhaltungsinteresse der Allgemeinheit muss nämlich hinter dem wirksamen Schutz des Privatlebens des Klägers zurücktreten, da diesem nicht zuzumuten ist, ständig darauf gefasst zu sein, in privaten Situationen wie auf einer Urlaubsreise auch abseits belebter Plätze zu Veröffentlichungszwecken abgelichtet zu werden. Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, haben gerade die Personen, die (aus welchen Gründen auch immer) besonders häufig für eine Berichterstattung in den Medien fotografiert werden, ein besonderes Interesse daran, im Urlaub von derartigen Belästigungen verschont zu bleiben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.

Die Revision ist gemäß § 543 Abs. 2 S. 1 Ziff. 1 ZPO zuzulassen. Die Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung hinsichtlich der Frage, in welchem Maße vor dem Hintergrund der Entscheidung des EGMR vom 24.6.2004 prominente Personen gegen die Verbreitung von Abbildungen aus ihrer Privatsphäre zu schützen sind, insbesondere, ob ein solcher Schutz auf Situationen beschränkt bleibt, in denen die Betroffenen sich in die Abgeschiedenheit zurückgezogen haben, wie dies der bisherigen Rechtsprechung der deutschen Obergerichte entsprach.

Ende der Entscheidung

Zurück