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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 22.12.2000
Aktenzeichen: (2) 4 Ausl. 226/2000 (111/00)
Rechtsgebiete: IRG


Vorschriften:

IRG § 73
Leitsatz:

Zur Zulässigkeit der Auslieferung, wenn der Verfolgte im Ausland wegen des Dienstahls von vier Kühen eine Freiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten zu verbüßen hat.]


(2) 4 Ausl. 226/2000 (111/00) OLG Hamm Senat 2

Beschluss

Auslieferungssache betreffend den türkischen Staatsangehörigen E.Ö.,

wegen Auslieferung des Verfolgten aus Deutschland in die Türkei zum Zwecke der Strafvollstreckung,

(hier: Anordnung der förmlichen Auslieferungshaft sowie Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung).

Auf den Antrag der Generalstaatsanwaltschaft in Hamm vom 20. Dezember 2000 hat der 2. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 22.12.2000 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht und die Richter am Oberlandesgericht beschlossen:

Tenor:

1. Gegen den Verfolgten wird die förmliche Auslieferungshaft angeordnet.

2. Die Auslieferung des Verfolgten zum Zwecke der Vollstreckung der mit Beschluss des Amtsgerichts 1. Instanz Bogazliyan vom 16. Februar 1998 verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten wird für zulässig erklärt.

Gründe:

Die Generalstaatsanwaltschaft hat die Vorgänge mit den Anträgen übersandt, gegen den Verfolgten die förmliche Auslieferungshaft anzuordnen und die Auslieferung des Verfolgten in die Türkei für zulässig zu erklären.

Zur Begründung wird folgendes ausgeführt:

"Mit Verbalnote vom 26.07.2000 (Bl. 183 d. A.) hat die Botschaft der Republik Türkei über das Auswärtige Amt (Bl. 182 d. A.) die Auslieferungsunterlagen und das Auslieferungsersuchen der türkischen Behörden übermittelt (Bl. 110 f d. A.).

Das Ersuchen ist gestützt auf den Haftbefehl der Staatsanwaltschaft Bogazliyan vom 17.02.1998 (Bl. 120 und 142 d. A.) zur Vollstreckung einer Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten.

Grundlage des Haftbefehles sind der Gesamtstrafenbeschluss des Amtsgerichts erster Instanz in Bogazliyan vom 16.02.1998, mit dem die Urteile des genannten Gerichts vom 21.12.1992 mit den Nrn. 1992/154-212, 1992/157-215 und 1992/155-213, mit denen der Verfolgte zu Freiheitsstrafen von drei Jahren zwei Monaten, einem Jahr und zehn Monaten und drei Jahren zwei Monaten verurteilt worden war, auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren und sechs Monaten zusammengefasst worden sind (Bl. 144 f d. A.). In den diesem Beschluss zugrunde liegenden Urteilen wird dem Angeklagten zur Last gelegt:

a) am 28.03.1992 soll er wiederum mit dem genannten Mittäter in den späten Nachtstunden an dem vorgenannten Ort eine Kuh aus dem Besitz der F.A. gestohlen haben (Bl. 161 ff d.A.),

b) am 13.05.1992 gegen 24.00 Uhr sollen der Verfolgte und sein Mittäter wiederum am genannten Ort eine Kuh aus dem Besitz des Y.Y. gestohlen haben (Bl. 146 ff d.A.),

c) am 26.07.1992 gegen 23.30 Uhr sollen wiederum der Verfolgte und sein Mittäter am genannten Ort eine Kuh aus dem Besitz des A.K. gestohlen haben, nachdem sie die Stalltür aufgebrochen hatten (Bl. 169 ff d.A.).

Auch die unter Nr. a) und b) genannten Taten sollen jeweils durch Eindringen in das befriedete Besitztum bzw. die Häuser der Geschädigten erfolgt sein (Bl. 146 f d. A.).

Das Urteil 1992/156 (Bl. 153 ff d. A.) ist offenbar nicht Gegenstand des Auslieferungsbegehrens.

Der Verfolgte ist zu den Auslieferungsunterlagen angehört worden (Bl. 196 f d. A.) und hat sich zur Sache eingelassen.

Gegen ihn besteht der vorläufige Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 20.07.2000 (Bl. 51 f d. A.), der seit dem 16.11.2000 vollstreckt wird (zu vgl. Bl. 206 d. A.). An diesem Tage ist der Verfolgte in dem Verfahren 32 Js 768/98 StA Dortmund durch das Amtsgericht Dortmund wegen uneidlicher Falschaussage zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt worden. Der gegen ihn bestehende Haftbefehl des Amtsgerichts Dortmund vom 27.04.2000 wurde aufgehoben, da das Urteil im Hauptverhandlungstermin rechtskräftig geworden war.

Die Voraussetzungen für die Anordnung der förmlichen Auslieferungshaft sind gegeben.

Die Auslieferungsunterlagen liegen vollständig vor. Die Straftaten, derentwegen die Auslieferung begehrt wird, sind sowohl nach türkischem als auch nach deutschem Recht als Diebstahl und Diebstahl im besonders schweren Falle strafbar und mit Freiheitsstrafe im Höchstmaß von mindestens einem Jahr bedroht. Darüber hinaus hat der Verfolgte noch eine Freiheitsstrafe von mehr als sechs Monaten zu verbüßen.

Die Anordnung der förmlichen Auslieferungshaft ist geboten. Insoweit nehme ich - hinsichtlich der Haftgründe - auf die Gründe des Senatsbeschlusses über die Anordnung der vorläufigen Auslieferungshaft, die unverändert fortgelten, Bezug.

Der Verfolgte hat in der Türkei eine erhebliche Freiheitsstrafe zu verbüßen, die einen erheblichen Fluchtanreiz darstellt. Ohne die Anordnung der Auslieferungshaft ist die Durchführung des Auslieferungsverfahrens gefährdet.

Die Auslieferung des Verfolgten in die Türkei ist nach diesseitigem Dafürhalten auch zulässig. Die Auslieferungsfähigkeit der ihm vorgeworfenen Straftaten ergibt sich aus Art. 1 und 2 Abs. 1 und 2 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens. Die Höhe der zu vollstreckenden Strafe steht der Zulässigkeit nicht entgegen. Zwar kann eine Auslieferung nicht erfolgen, wenn die ihr zugrunde liegende Akte mit den unabdingbaren Grundsätzen der verfassungsrechtlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland nicht vereinbar sind. Hierzu zählt der Kernbereich der Anforderungen des Rechtsstaatsprinzips. Dieser ist jedoch nicht schon dann betroffen, wenn eine im Ausland verhängte Strafe unter Anlegung der Maßstäbe der deutschen Rechtsordnung von maß- und sinnvollen Strafen als zu hart angesehen wird. Die Auslieferung wird vielmehr erst durch eine Strafe gehindert, die unerträglich hart ist und unter jedem denkbaren Gesichtspunkt als unangemessen erscheint oder die als solche grausam, unmenschlich oder erniedrigend ist (zu vgl. BVerfG in NJW 1994 S. 2884). Von einer unerträglich harten und unter jedem denkbaren Gesichtspunkt als unangemessen erscheinenden Strafe kann meines Erachtens bei dem in Rede stehenden Sachverhalt nicht ausgegangen werden. Auch nach der deutschen Rechtsordnung ist bei einer Verurteilung wegen Diebstahls im besonders schweren Fall in 3 Fällen eine Freiheitsstrafe in der von türkischen Gerichten verhängten Höhe grundsätzlich denkbar. Darüber hinaus dürfte zu berücksichtigen sein, dass das erlangte Diebesgut in der Türkei einen erheblich höheren Stellenwert hat als in der Bundesrepublik Deutschland.

Aufgrund des bisher ermittelten Sachverhaltes handelt es sich bei den vorgelegten Urteilen auch nicht um Abwesenheitsurteile, da sie sämtlich am 21.12.1992 gefällt wurden und der Verfolgte auch an diesem Tage aus der Haft entlassen worden ist, wie sich aus den schriftlichen Unterlagen ergibt und der Verfolgte anlässlich seiner Anhörung durch den Gs-Richter des Amtsgerichts Dortmund auch bestätigt hat (Bl. 196, 197 d. A.).

Auch die von dem Verfolgten behauptete Misshandlung während der Haft berührt meines Erachtens die Zulässigkeit der Auslieferung nicht, da Anhaltspunkte dafür, dass der Verfolgte bei der Rückkehr in seine Heimat mit politischer Verfolgung und/oder Folter zu rechnen hat, offensichtlich nicht gegeben sind. Nach seinen eigenen Angaben ist ein hier gestellter Asylantrag nämlich abgelehnt worden (Bl. 108 d. A.)."

Der Senat schließt sich dem nach eigener Prüfung im Wesentlichen an.

Ergänzend ist folgendes anzumerken:

Gegenstand des Auslieferungsbegehrens ist nach Auffassung des Senats auch die Verurteilung durch das Amtsgericht 1. Instanz Bogazliyan vom 21. Dezember 1992 mit dem Aktenzeichen 1992/156, das als Ausfertigung in türkischer Sprache sowie in deutscher Übersetzung von den türkischen Behörden übermittelt worden ist (Bl. 126 ff. und 153 ff.d.A.). Anderenfalls ließe sich bei den von der Generalstaatsanwaltschaft berücksichtigten Einzelstrafen von 2 x 3 Jahren 2 Monaten sowie einem Jahr und zehn Monaten die Gesamtfreiheitsstrafe von neun Jahren sechs Monaten nicht nachvollziehen.

Auch dieser genannten Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und zwei Monaten liegt der Diebstahl einer Kuh aus einem geschlossenen Stall zugrunde.

Der Senat ist im Übrigen bei seiner Zulässigkeitsprüfung davon ausgegangen, dass der Verfolgte, wie mit Schreiben der Leitenden Staatsanwaltschaft Bogazliyan vom 3. Juli 2000 an die Deutschen Justizbehörden mitgeteilt (Bl. 55 ff. d.A.), im Falle seiner Auslieferung nach 1303 Tagen Strafhaft bedingt entlassen wird.

Nach alledem war die förmliche Auslieferungshaft anzuordnen sowie die von den türkischen Behörden begehrte Auslieferung des Verfolgten für zulässig zu erklären.

Ende der Entscheidung

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