Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 28.12.2007
Aktenzeichen: (2) 4 Ausl. 504/99 (416/07)
Rechtsgebiete: StGB, IRG


Vorschriften:

StGB § 57 Abs. 1
StGB § 129 a
IRG § 9
IRG § 15
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

1. Die - erneute - Auslieferung des Verfolgten aus Deutschland nach Frankreich zur Strafverfolgung wegen der in dem Haftbefehl des Untersuchungsrichters beim Landgericht Paris (Tribunal de Grande Instance de Paris) vom 12. Januar 1999 (Nr. xxx) in Verbindung mit der Sachverhaltsschilderung im Bericht der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Paris vom 01. Oktober 1999 näher bezeichneten Tat wird nunmehr für unzulässig erklärt.

2. Der - förmliche - Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 17. Januar 2005 (xxx) wird aufgehoben.

Damit sind zugleich auch die Beschlüsse des Senats vom 11. und 24. August 2005 (xxx) sowie vom 10. Mai 2007 (xxx) betreffend die Haftverschonung gegenstandslos.

Gründe:

I.

Der Verfolgte, der sich seit dem 12. September 1997 zunächst in Untersuchungshaft befunden hatte, ist durch seit dem 25. Februar 1999 rechtskräftiges Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 17. Februar 1999 wegen Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung in Tateinheit mit zwei Fällen des versuchten Totschlags jeweils tateinheitlich mit gefährlicher Körperverletzung, begangen zwischen April 1995 und dem 12. September 1997, zu einer Freiheitsstrafe von 10 Jahren verurteilt worden.

Diese Strafe, die durch den Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof (xxx) vollstreckt wird, verbüßte der Verfolgte unter Anrechnung von 531 Tagen Untersuchungshaft zunächst vom 25. Februar 1999 bis zum 03. Februar 2000.

Vom 03. Februar 2000 bis zum 06. Juli 2000 war die Vollstreckung der Strafe unterbrochen, weil der Verfolgte in diesem Zeitraum bereits einmal den französischen Behörden im vorliegenden Verfahren vorübergehend für die Dauer von 4 Monaten zur Strafverfolgung ausgeliefert und überstellt worden war.

Nach seiner Rücküberstellung wurde die Strafe dann ab dem 06. Juli 2000 bis zum Halbstrafenzeitpunkt am 11. Februar 2003 weiter vollstreckt.

Vom 12. Februar 2003 bis zum Zweidrittelzeitpunkt am 14. Mai 2003 wurde sodann durch die Staatsanwaltschaft Aschaffenburg in dem Verfahren xxx ein Teil einer zehnmonatigen Freiheitsstrafe, die wegen unerlaubten Führens einer Schusswaffe und anderer Straftaten unter Einbeziehung einer durch das Amtsgericht Kleve ausgesprochene Strafe verhängt worden war, vollstreckt.

Sodann wurde seit dem 15. Mai 2003 die zehnjährige Freiheitsstrafe weiter vollstreckt, wobei 2/3 dieser Strafe am 11. Januar 2005 verbüßt waren.

Durch Beschluss vom 05. Juli 2005 hat der 3. Strafsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg die Vollstreckung der Reste der Freiheitsstrafe aus seinem Urteil vom 17. Februar 1999 (xxx) sowie aus dem Urteil des Amtsgerichts Obernburg vom 05. Mai 1994 (xxx) gem. § 57 Abs. 1 StGB zur Bewährung ausgesetzt, die Bewährungszeit bis zum 19. Juli 2008 festgesetzt und den Entlassungstermin auf den 20. Juli 2005 bestimmt.

Demgemäss war die Strafvollstreckung am Tagende des 20. Juli 2005 beendet.

Seit dem 21. Juli 2005 wurde zunächst im vorliegenden Auslieferungsverfahren aufgrund des förmlichen Auslieferungshaftbefehls des Senats vom 17. Januar 2005 (xxx) die Auslieferungshaft vollzogen.

Durch Senatsbeschluss vom 11. August 2005, ergänzt durch Senatsbeschluss vom 24. August 2005 (xxx), ist der Auslieferungshaftbefehl außer Vollzug gesetzt und dem Verfolgten u. a. aufgegeben worden, sich einmal wöchentlich (freitags) bei der für seine Wohnung zuständigen Polizeidienststelle persönlich zu melden.

Die Haftentlassung erfolgte sodann noch am 11. August 2005.

Nach den Erkenntnissen des Senats kommt der Verfolgte seitdem seiner Meldeauflage, die zuletzt noch durch Senatsbeschluss vom 10. Mai 2007 bestätigt worden ist, beanstandungsfrei nach, wobei zudem darauf hinzuweisen ist, dass dem Verfolgten auch durch den Bewährungsbeschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 05. Juli 2005 eine monatliche Meldepflicht bei der Polizei auferlegt worden war.

Wegen weiterer Einzelheiten zum Vollstreckungsstand wird auf die genannten Senatsbeschlüsse vom 17. Januar 2005, 11. und 24. August 2005 sowie vom 10. Mai 2007 Bezug genommen.

II.

Dem noch immer bestehenden französischen Auslieferungsbegehren liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

Zunächst hatte die Botschaft der französischen Republik mit Verbalnote vom 20. September 1999 (Nr. xxx) um vorübergehende Auslieferung des Verfolgten für die Dauer von 4 Monaten gebeten, damit in dem dem Haftbefehl des Untersuchungsrichters beim Landgericht Paris (Tribunal de Grande Instance de Paris) vom 12. Januar 1999 (Nr. xxx) zugrundeliegenden Strafverfahren die auf den 14. Februar 2000 festgesetzte Hauptverhandlung gegen den Verfolgten und eine Reihe weiterer Beschuldigter durchgeführt werden konnte.

Der Senat hatte damals durch Beschluss vom 06. Januar 2000 (xxx) die diesbezügliche vorübergehende Auslieferung des Verfolgten nach Frankreich zur Strafverfolgung für zulässig erklärt.

Daraufhin war der Verfolgte - nachdem der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung durch Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 31. Januar 2000 in dem Verfahren xxx abgelehnt worden war - am 03. Februar 2000 den französischen Behörden überstellt und übergeben worden.

Die Rücküberstellung in die Bundesrepublik Deutschland erfolgte sodann wie erwähnt am 06. Juli 2000.

Während der Zeit der vorübergehenden Auslieferung des Verfolgten nach Frankreich sind dort gegen ihn - soweit es den bei den Akten befindlichen Unterlagen entnommen werden kann - folgende Urteil ergangen:

Nachdem offensichtlich bereits am 14. Februar 2000 eine mündliche Verhandlung in Anwesenheit des Verfolgten stattgefunden hatte, ist er durch Urteil der 16. Kammer des Landgerichts Paris (Tribunal de Grande Instance de Paris) vom 26. April 2000 wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung zur Begehung terroristischer Handlungen - Tatzeit zwischen dem 12. September 1994 und dem 12. September 1997 - zu einer Freiheitsstrafe von 8 Jahren verurteilt worden.

Bei diesem Urteil, welches sich bislang nicht bei den Akten befindet, sondern indirekt in den später ergangenen Entscheidungen und Mitteilungen erwähnt wird, handelt es sich offensichtlich um ein Versäumnisurteil (Abwesenheitsurteil), welches nicht in Anwesenheit des Verfolgten verkündet worden ist.

Auf den Einspruch des Verfolgten gegen dieses Urteil ist nach durchgeführten Verhandlungen am 11. Mai 2000 und am 13. Juni 2000, bei denen der Verfolgte offenbar anwesend war, durch in seiner Anwesenheit verkündetes Urteil der 16. Kammer des Landgerichts Paris vom 04. Juli 2000 dem Einspruch zumindest weitgehend stattgegeben worden, soweit dies den nicht ganz klaren und eindeutigen Angaben im genannten Urteil und der daraus gefertigten deutschen Übersetzung entnommen werden kann.

Durch Urteil der 10. Kammer des Appellationsgerichts von Paris (COUR D?APPEL DE PARIS) vom 19. März 2001 (Aktennummer xxx) ist nach einer Verhandlung am 19. Februar 2001 in Abwesenheit des Verfolgten das Urteil der 16. Kammer des Landgerichts Paris offenbar aufgehoben und die Sache an die zuständige 16. Strafkammer des Landgerichts Paris zurückverwiesen worden, damit von Grund auf neu entschieden wird.

Somit ist das französische Verfahren noch immer bei der 16. Kammer des Landgerichts Paris anhängig, was auch durch die letzten Mitteilungen der französischen Behörden in Form einer Note der französischen Botschaft vom 10. Januar 2007 an das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen unter Beifügung einer Darlegung des Verfahrensablaufs und Verfahrensstands vom 07. Dezember 2006 sowie einem Schreiben des französischen Justizministeriums an die Generalstaatsanwaltschaft in Hamm vom 22. Dezember 2006 bestätigt wird.

Nachdem in der Folgezeit seit März 2001 das Landgericht in Paris das Verfahren zunächst offenbar nicht weiter betrieben und die französischen Behörden im Hinblick auf eine erneute Auslieferung des Verfolgten nichts unternommen hatten, haben sie erstmals mit Verbalnote ihrer Botschaft vom 29. Dezember 2004 ihren Auslieferungsantrag betreffend die Strafverfolgung des Verfolgten erneuert und bekräftigt, worauf dann der erwähnte Auslieferungshaftbefehl des Senats vom 17. Januar 2005, auf den auch insoweit Bezug genommen wird, erlassen wurde.

Eine Entscheidung über die Zulässigkeit einer - erneuten - Auslieferung des Verfolgten nach Frankreich erging zunächst nicht, da zum Einen ein entsprechender Antrag der Generalstaatsanwaltschaft nicht gestellt worden war und sich zum Anderen die Auslieferungsakten als Beiakten beim Verwaltungsgericht Arnsberg und später beim Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen befanden, wo über die Asylanspruch des Verfolgten zu entscheiden war.

Überdies hatten sich die französischen Behörden auch weiterhin nicht erneut und mit weitergehenden Erklärungen zum Verfahrensstand in Frankreich gemeldet.

Erst mit der genannten Verbalnote vom 10. Januar 2007, die mit einer Erklärung des Staatsanwalts in Paris vom 06. Dezember 2006 über das Justizministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen am 17. Januar 2007 bei der Generalstaatsanwaltschaft in Hamm einging, und einem Schreiben des französischen Justizministeriums vom 22. Dezember 2006, welches direkt bei der Generalstaatsanwaltschaft in Hamm am 15. Februar 2007 einging, wurde unter Bezugnahme auf den ursprünglichen und offenbar noch bestehenden Haftbefehl des Untersuchungsrichters in Paris vom 12. Januar 1999 das Auslieferungsersuchen erneuert und im Übrigen darauf hingewiesen, dass eine vorübergehende Überstellung für vier Monate ausreichend sei, zumal eine Verhandlung vor dem Strafgericht auf den 12. Januar 2007 angesetzt sei.

Der daraufhin am 12. Februar 2007 gestellte Antrag der Generalstaatsanwaltschaft, die erneute Auslieferung für zulässig zu erklären, ist sodann zunächst durch Senatsbeschluss vom 10. Mai 2007, auf den ebenfalls voll inhaltlich Bezug genommen wird, zurückgestellt worden.

III.

Unter den dargelegten Umständen und den Besonderheiten des vorliegenden Falles war nunmehr die - erneute - Auslieferung des Verfolgten nach Frankreich zur Strafverfolgung für unzulässig zu erklären.

Dabei bedarf es keines erneuten Eingehens und einer Erörterung der in den genannten Senatsbeschlüssen bereits ausführlich erfolgten Auseinandersetzung mit der Frage, ob die Auslieferung schon im Hinblick auf § 9 IRG bzw. Art. 9 EuAlübk unzulässig sein könnte und insoweit ein Auslieferungshindernis besteht.

Auch kann es dahingestellt bleiben, ob sich ein solches nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 129 a StGB ergeben könnte (vgl. insoweit u. a. BGH NStZ 2007, 401 m. w. N.).

Angesichts der Sachbehandlung durch die französischen Behörden und des dortigen Verfahrensablaufs erscheint es jedenfalls nunmehr auch im Hinblick auf die Schwere der ihm in Frankreich zur Last gelegten Straftat unverhältnismäßig und mit dem Grundsatz der Beendigung eines Verfahrens in angemessener Zeit nicht mehr zu vereinbaren, den Verfolgten noch auszuliefern. Dies würde unter den besonderen Umständen des Falles dem im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und dem Anspruch auf ein faires rechtsstaatliches Verfahren widersprechen.

Im Grunde haben die französischen Behörden und insbesondere das mit der Sache befasste Gericht seit dem Jahr 2001 das Verfahren offenbar zunächst nicht weiter betrieben und erst auf den 12. Januar 2007 eine Verhandlung angesetzt, von der die deutschen Behörden überhaupt erst nach diesem Datum in Kenntnis gesetzt worden sind. Danach wiederum ist eine Tätigkeit der französischen Justiz über ein weiteres Jahr bis heute nicht festzustellen.

Überdies wird weiterhin der ursprüngliche Haftbefehl des Untersuchungsrichters aus dem Jahr 1999 zur Grundlage des Auslieferungsersuchens gemacht, obwohl zwischenzeitlich auch die Möglichkeit bestanden hätte, das Auslieferungsverfahren möglicherweise auf der Grundlage eines europäischen Haftbefehls und unter einbeziehung des gegenwärtigen Verfahrensstandes weiter zu betreiben.

Diese Umstände haben den Senat nunmehr zu der Überzeugung gelangen lassen, dass jedenfalls zum jetzigen Zeitpunkt und damit wohl auch für die Zukunft die Auslieferung für unzulässig zu erklären ist, zumal die zögerliche Behandlung nicht etwa auf ein Verhalten des Verfolgten wie Flucht oder Untertauchen, sondern allein auf die äußerst zögerliche Behandlung der Sache und die sich teilweise über mehrere Jahre erstreckende Untätigkeit der französischen Justiz zurückzuführen ist.

Ob der Strafverfolgungsanspruch der französischen Behörden darüber hinaus bereits generell als verwirkt anzusehen ist, weil eine sich über längere Zeit und sogar Jahre erstreckende Untätigkeit festzustellen ist, brauchte der Senat vorliegend nicht zu entscheiden (vgl. für den Fall einer längeren Untätigkeit einer Staatsanwaltschaft in Bezug auf die Einlegung eines - unbefristeten - Rechtsmittels Beschluss des hiesigen 4. Strafsenats vom 13. November 2003 in 4 Ws 576 - 578/03).

IV.

Die Unzulässigkeit der Auslieferung führt zugleich zur Aufhebung des Auslieferungshaftbefehls und der Gegenstandslosigkeit der Beschlüsse betreffend die Haftverschonung, da ein Haftgrund nach § 15 IRG nicht mehr vorliegt.

Ende der Entscheidung

Zurück