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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 01.02.2005
Aktenzeichen: 1 Ss 16/05
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 203
Zur Informations- und Umgrenzungsfunktion der Anklage.
Beschluss

Strafsache

gegen B.H.

wegen Diebstahls u.a.

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 2. kleinen Strafkammer des Landgerichts Siegen vom 1. Oktober 2004 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 01. 02. 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.

Das Verfahren wird - was die Verurteilung des Angeklagten durch das angefochtene Urteil wegen Hehlerei, begangen "Anfang 2004", und den Vorwurf des Diebstahls aus der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Siegen vom 26. April 2004 (101 Js 196/04) angeht - eingestellt.

Die Kosten des Verfahrens trägt die Staatskasse. Es wird davon abgesehen, die notwendigen Auslagen des Angeklagten der Staatskasse aufzuerlegen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Lennestadt hat den Angeklagten von dem mit der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Siegen vom 26. April 2004 erhobenen Vorwurf, er habe am 26. Januar 2004 aus den Auslagen der Firma K. in Lennestadt zwei Wildlederjacken zum Gesamtpreis von 300,00 € entwendet, aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Wegen des außerdem erhobenen Vorwurfs des Fahrens ohne Fahrerlaubnis wurde der Angeklagte zu einer Freiheitsstrafe von zwei Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt und gegen ihn ein Fahrverbot gemäß § 44 StGB von einem Monat Dauer verhängt.

Die Staatsanwaltschaft Siegen hat diese Entscheidung mit der Berufung angefochten, (nur) soweit der Angeklagte von dem Vorwurf des Diebstahls freigesprochen worden ist. Das Landgericht hat den Angeklagten daraufhin der Hehlerei schuldig gesprochen, insoweit eine Freiheitsstrafe von fünf Monaten festgesetzt und mit der Freiheitsstrafe von zwei Monaten hinsichtlich der nicht angefochtenen und deswegen rechtskräftigen Verurteilung wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Monaten ohne Bewährung erkannt. Nach den zu dem Schuldspruch wegen Hehlerei getroffenen Feststellungen hat der Angeklagte an einem nicht mehr genau bestimmbaren Tag Anfang 2004 in der Nähe des Bahnhofs in Grevenbrück von einem Mann, den er aufgrund seines ungepflegten und heruntergekommenen Aussehens der Penner-Szene zurechnete, eine braune Glattlederjacke der Marke "Wallaby" zum Preis von 25,- oder 30,- € erworben, die zuvor aus den Geschäftsräumen der Firma K. entwendet worden war. Der Angeklagte rechnete aufgrund der Gesamtumstände zumindest damit, dass der Verkäufer auf unrechtmäßige Art und Weise in den Besitz der Jacke gelangt war.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben, den Angeklagten von dem Vorwurf des Diebstahls zweier Wildlederjacken freizusprechen und das Verfahren gemäß § 260 Abs. 3 i.V.m. § 349 Abs. 4 StPO einzustellen, soweit der Angeklagte wegen Hehlerei verurteilt wurde.

II.

Die zulässige Revision des Angeklagten hat Erfolg. Sie führt auf die Sachrüge zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Einstellung des Verfahrens.

1. Die Verurteilung wegen Hehlerei kann keinen Bestand haben. Insoweit besteht das Verfahrenshindernis der fehlenden Anklage, denn das Landgericht hat den Angeklagten wegen einer Tat verurteilt, die nicht Gegenstand einer zugelassenen Anklage ist.

Anklage und Eröffnungsbeschluss sind Verfahrensvoraussetzungen. Sie bestimmen Umfang und Grenzen der Verhandlung, denn Gegenstand der Urteilsfindung ist gemäß § 264 Abs. 1 StPO allein die in der Anklage bezeichnete Tat, wie sie sich nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung darstellt. Die Anklage ist danach maßgebend dafür, was dem Gericht zur Überprüfung und Entscheidung unterbreitet ist (vgl. § 155 StPO). Der Eröffnungsbeschluss, der endgültig bestimmt, welche Taten das Gericht untersucht, kann nur solche Taten zum Gegenstand haben, die in der Anklage enthalten sind und auf die sich der Verfolgungswille der Staatsanwaltschaft bezieht (Meyer-Goßner, StPO, 47. Aufl., § 264 Rdnr. 7 a m.w.N.). Das Fehlen von Anklage und/oder Eröffnungsbeschluss oder der Umstand, dass Anklage und/oder Eröffnungsbeschluss sich jedenfalls nicht auf die Tat erstrecken, die Gegenstand der Urteilsfindung gewesen ist, stellen vom Revisionsgericht stets zu prüfende absolute Verfahrenshindernisse dar (Meyer-Goßner, a.a.O. Rdnr. 12; Dahs/Dahs, Die Revision im Strafprozeß, 5. Aufl., Rdnr. 98 m.w.N.).

Die Strafkammer hat den Angeklagten wegen einer Hehlerei verurteilt, die er Anfang 2004 in der Nähe des Bahnhofs in Grevenbrück begangen haben soll. Dort soll er von einer der Penner-Szene zuzurechnenden Person eine braune Glattlederjacke der Marke "Wallaby" erworben haben, deren Besitz jene Person zuvor auf unrechtmäßige Art und Weise erlangt haben soll. Diese Tat war aber nicht Gegenstand der unverändert zur Hauptverhandlung zugelassenen Anklage der Staatsanwaltschaft Siegen vom 26. April 2004. Gegenstand dieser Anklage war vielmehr der Vorwurf, am 26. Januar 2004 in Lennestadt aus den Auslagen der Firma K. zwei Wildlederjacken zum Gesamtpreis von 300,- € entwendet zu haben. Weder der Ort, der Hergang, die Zeit noch das Objekt (eine Glattlederjacke ist keine Wildlederjacke) der vom Landgericht festgestellten Tat stimmen mit den entsprechenden Angaben in der Anklageschrift überein. Damit steht fest, dass die von dem Landgericht festgestellte Tat nicht von Anklage und Eröffnungsbeschluss umfasst ist. Gegenstand der Urteilsfindung des Landgerichts war damit entgegen § 264 Abs. 1 StPO eine andere als die in der Anklage bezeichnete Tat. Was den Schuldspruch wegen Hehlerei angeht, fehlt es somit an der Verfahrensvoraussetzung einer Anklage und derjenigen eines dahin lautenden Eröffnungsbeschlusses. Dies führt zur Aufhebung des Urteils und zur Einstellung des Verfahrens insoweit gemäß § 206 a StPO.

2. Auch was den mit der Anklage der StA Siegen vom 26. April 2004 erhobenen Vorwurf des Diebstahls von zwei Wildlederjacken am 26. Januar 2004 aus den Auslagen der Firma K. in Lennestadt angeht, war das Verfahren gemäß § 206 a StPO einzustellen. Denn die Anklageschrift leidet an einem im gerichtlichen Verfahren nicht behebbaren Mangel.

Funktion der Anklage ist die Bestimmung des Verfahrensgegenstandes. Sie unterrichtet den Angeschuldigten über den gegen ihn erhobenen Vorwurf - Informationsfunktion - und bezeichnet in persönlicher und sachlicher Hinsicht den Gegenstand, über den das Gericht im Eröffnungsverfahren zu entscheiden hat - Umgrenzungsfunktion - (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 200 Rdnr. 2). Sie hat deswegen die Tat mit der Angabe von Zeit und Ort als historisches Ereignis in der Weise zu schildern, dass die Identität des gemeinten geschichtlichen Vorgangs klargestellt wird (BGHSt 16, 47). Die Tat muss sich dabei von anderen gleichartigen Straftaten desselben Täters zweifelsfrei unterscheiden lassen (BGHR StPO § 200 Tat 3).

Diesen Anforderungen genügt die Anklage vom 26. April 2004 nicht. Denn sie ist nicht geeignet, den Gegenstand des vorliegenden Strafverfahrens (um die Verurteilung des Angeklagten wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis geht es insoweit nicht mehr, s.o.) unverwechselbar zu bestimmen. Zwar enthält sie (vgl. insoweit Bl. 27 d.A.) scheinbar hinreichend konkrete Angaben zu Tatzeit und Tatort ("Am 26.01.2004 in Lennestadt") und zur Tat ("Er entwendete aus den Auslagen der Firma K. zwei Wildlederjacken zum Gesamtpreis von 300,00 €"). Der Ausgang der Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Lennestadt am 14. Juni 2004, die den Freispruch des Angeklagten von dem Vorwurf des in der Anklageschrift umschriebenen Diebstahls zum Ergebnis hatte, in Verbindung mit dem Vermerk des amtierenden Strafrichters vom 24. Juni 2004 (vgl. Bl. 57 d.A.), auf dessen Inhalt Bezug genommen wird, belegt bereits, dass die Anklage vom 26. April 2004 nicht geeignet war, dem Gericht hinreichend bestimmt zu vermitteln, welche konkrete Tat Gegenstand seiner Urteilsfindung sein sollte. Damit korrespondiert, dass die Anklagebehörde selbst ausweislich ihrer Berufungsbegründung vom 29. Juli 2004 (vgl. Bl. 63 d.A.) maßgebliche Anteile der von ihr erstellten Anklageschrift in Zweifel gezogen hat. In der staatanwaltlichen Berufungsbegründung heißt es nämlich u.a.:

"Das Amtsgericht hat den Angeklagten vom Vorwurf des Diebstahls zweier Lederjacken, welchen der Angeklagte laut Anklageschrift am 26.01.2004 begangen haben soll, freigesprochen. Nach der Aktenlage ist ersichtlich, dass es sich bei der in der Anklageschrift angegebenen Tatzeit um ein Versehen handelt, da sich bereits aus der Anzeige ergibt, dass Tatzeit der 22.01.2004 war. Auch das Amtsgericht Lennestadt ist in dem Urteil davon ausgegangen, dass Tatzeit der 22.01.2004 war. Der Angeklagte hat sich bezüglich der Geschehnisse vom 22.01.2004 und nicht bezüglich der Geschehnisse vom 26.01.2004 eingelassen, so dass die unrichtige Bezeichnung der Tatzeit unschädlich ist. Ebenfalls versehentlich wurde dem Angeklagten in der Anklageschrift zur Last gelegt, am Tattag zwei Lederjacken entwendet zu haben, während aus der Anzeige ersichtlich ist, dass am 22.01.2004 nur eine Büffellederjacke der Marke "Wallaby" entwendet worden war. Daher wird die Berufung beschränkt auf den Freispruch von dem Vorwurf, am 22.01.2004 aus den Auslagen der Firma K. Sauer-/Siegerland eine Büffellederjacke der Marke "Wallaby" entwendet zu haben."

Dass die Anklage vom 26. April 2004 die ihr nach der Verfahrensordnung zukommende Funktion nicht erfüllt, wird schließlich auch durch eine innerhalb der Abteilung 181 der Staatsanwaltschaft Siegen erfolgte Mitteilung vom 24. August 2004 (vgl. Bl. 93 d.A.) verdeutlicht, in welcher in dem Verfahren 181 Js 950/04 das Verfahren 5 Ds 181 Js 196/04 B 14/04 - (bei Letzterem handelt es sich um das vorliegende Verfahren) davon in Kenntnis gesetzt worden ist, "dass wegen des Diebstahls von zwei Wildlederjacken im Dezember 2003 das Verfahren gemäß § 170 II StPO eingestellt wurde".

Weiter heißt es:

"Zu dem Diebstahl im Dezember 2003 hat niemand Beobachtungen gemacht, wann genau und unter welchen Tatumständen die Jacken gestohlen wurden. Die Einlassung des Beschuldigten (Anmerkung des Senats: es handelt sich um den Angeklagten des vorliegenden Verfahrens), er habe die Jacke, die bei ihm sichergestellt wurde, von seinem verstorbenen Freund erhalten, kann nicht widerlegt werden."

Angesichts dieser Umstände liegt auf der Hand, dass mit der Anklage vom 26. April 2004 eine den gesetzlichen Anforderungen genügende Anklage nicht vorliegt. Dies hat die Aufhebung des angefochtenen Urteils (die rechtskräftige Verurteilung wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis wird davon nicht berührt) und die Einstellung des Verfahrens gemäß § 206 a StPO auch wegen des insoweit erhobenen Vorwurfs zur Folge. Ein Freispruch des Angeklagten durch den Senat von dem Anklagevorwurf des Diebstahls zweier Lederjacken oder eine Zurückverweisung an die Vorinstanz zur Neuverhandlung kommt bei dieser Verfahrenslage nicht in Betracht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 Abs. 1 u. Abs. 3 Nr. 2 StPO.

Ende der Entscheidung

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