Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 16.06.2005
Aktenzeichen: 1 Ss 198/05
Rechtsgebiete: StGB


Vorschriften:

StGB § 21
Beim Zusammentreffen mehrerer die Schuldfähigkeit möglicherweise beeinträchtigender Faktoren - hier: der Intelligenzminderung des Angeklagten in Verbindung mit seiner Alkoholisierung bei der Tat - bedarf die Schuldfähigkeitsbeurteilung eingehender Erörterung.
Beschluss

Strafsache

wegen räuberischer Erpressung

Auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 2. großen Strafkammer des Landgerichts Siegen als große Jugendkammer vom 15. Februar 2005 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 16. 06. 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung des Angeklagten bzw. seiner Verteidigerin sowie auf Antrag der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 2 u. Abs. 4 StPO beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird in diesem Umfang zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Siegen zurückverwiesen.

Die weitergehende Revision des Angeklagten wird als unbegründet verworfen.

Gründe:

I.

Der Angeklagte ist durch Urteil des Amtsgerichts Siegen vom 11. Oktober 2004 wegen räuberischer Erpressung zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und zwei Monaten verurteilt worden. Die hiergegen eingelegte Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Siegen mit Urteil vom 15. Februar 2005 verworfen.

Zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten hat das Landgericht u.a. festgestellt, dass seine schulischen Leistungen mangelhaft bis ungenügend gewesen seien, da er intellektuell minder begabt sei und an der Grenze zur geistigen Behinderung stehe. Darüber hinaus habe er angegeben, er habe ein Alkoholproblem und leide darunter. Er habe außerdem regelmäßig Joints geraucht und ab und zu "Koks durch die Nase gezogen". Suchtstrukturen seien bei ihm allerdings nicht festzustellen. Er wolle vielmehr mit einer Therapie vermeiden, in Haft zu kommen oder zu bleiben.

In der Sache selbst hat das Landgericht festgestellt, dass der Angeklagte sich ge-meinsam mit seinem Mittäter S. am 15. Mai 2004 auf dem Stadtfest in Kreuztal aufhielt, wo er etwa eine halbe Flasche Wodka, gemixt mit Cola, getrunken hat. Am späten Abend hätten der Angeklagte und S. beschlossen, eine Gruppe Jugendlicher, die ihnen zufällig begegnet sei, zu überfallen, um sich auf diese Weise Geld zu verschaffen. Nachdem sie die Jugendlichen aufgefordert hätten, ihr Geld herauszugeben, hätten sich zwei der Jugendlichen schnellen Schrittes entfernt, während der Geschädigte T. zurückgeblieben sei. Der Angeklagte habe den Zeugen T. festgehalten und aufgefordert, Geld und Wertsachen herauszugeben. Als dieser sich zunächst geweigert habe, sei er entweder vom Angeklagten oder von S. geschlagen und getreten worden, um der Forderung nach Geld Nachdruck zu verleihen. Infolge der Gewaltanwendung habe der Geschädigte dem Angeklagten sein Handy im Werte von 400,- € und sein Bargeld in Höhe von 1,20 € herausgegeben.

Im Rahmen der Strafzumessung hat die Kammer ausgeführt, ein minder schwerer Fall im Sinne der §§ 253, 255 i.V.m. § 249 Abs. 2 StGB liege nicht vor. Ein solcher sei nur dann gegeben, wenn das Maß der Gewalt gering sei. Hier sei das Maß der angewandten Gewalt nicht unterdurchschnittlich gewesen. Die Tat weiche in ihrer Ausführung nicht von durchschnittlichen Taten nach unten ab. Dass der Angeklagte alkoholisiert gewesen sei, führe auch nicht zur Annahme eines minder schweren Falles, denn die Alkoholisierung sei nicht sonderlich schwerwiegend gewesen. Der Angeklagte sei Alkohol gewöhnt und hätte sich normal verhalten können. Ausfallerscheinungen seien nicht festzustellen.

Gegen dieses Urteil richtet sich die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Revision des Angeklagten, mit der die Verletzung materiellen und formellen Rechts gerügt wird. Im Rahmen der Verfahrensrüge wird die Verletzung der Aufklärungspflicht geltend gemacht. Die Kammer habe es entgegen § 244 Abs. 2 StPO unterlassen, ein Gutachten zur Frage der Schuldfähigkeit oder eingeschränkten Schuldfähigkeit des Angeklagten einzuholen.

II.

Soweit die Revision sich gegen den Schuldspruch wegen räuberischer Erpressung richtet, ist sie nicht begründet, da die Nachprüfung aufgrund der materiellen Rüge insoweit keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben hat.

Die Revision des Angeklagten hat aber bezüglich des Rechtsfolgenausspruches einen vorläufigen Erfolg.

Zwar ist die formelle Rüge, das Gericht habe seine Aufklärungspflicht dadurch verletzt, dass ein Sachverständigengutachten zur Frage der Schuldfähigkeit nicht eingeholt worden ist, nicht in zulässiger Weise erhoben worden. In zulässiger Form ist die Aufklärungsrüge nur dann erhoben, wenn die Revision Tatsachen, die das Gericht zu ermitteln unterlassen hat, sowie die Beweismittel bezeichnet, dessen sich der Tatrichter hätte bedienen sollen. Ferner ist darzulegen, aufgrund welcher Umstände das Gericht sich zu weiteren Ermittlungen hätte gedrängt sehen müssen und welches Ergebnis von der unterbliebenen Beweiswürdigung zu erwarten gewesen wäre. Schließlich muss auch dargetan werden, dass sich die nicht aufgeklärten Tatsachen zugunsten des Revisionsführers ausgewirkt hätten (Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., § 244 Rdnr. 81). Diesen Anforderungen wird das Revisionsvorbringen nicht gerecht, da nicht dargelegt ist, welches Ergebnis von der unterbliebenen Beweiserhebung zu erwarten gewesen wäre. Eine Aufklärungsrüge, die ein dem Angeklagten günstiges Ergebnis - wie im vorliegenden Fall - nur für möglich erachtet, ist unzulässig (Meyer-Goßner, a.a.O.).

Die Revision hat allerdings auf die allgemeine Sachrüge hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruches einen zumindest vorläufigen Erfolg.

Die Erwägungen, mit denen das Landgericht eine erhebliche Verminderung der Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) und damit auch das Vorliegen eines minder schweren Falles verneint hat, halten rechtlicher Nachprüfung nicht Stand. Beim Zusammentreffen mehrerer die Schuldfähigkeit möglicherweise beeinträchtigender Faktoren - hier: der Intelligenzminderung des Angeklagten in Verbindung mit seiner Alkoholisierung bei der Tat - bedarf die Schuldfähigkeitsbeurteilung eingehender Erörterung (BGH NStZ-RR 2004, 162). Nach den Feststellungen steht der intellektuell minder begabte Angeklagte an der Grenze zur geistigen Behinderung. Darüber hinaus ergibt sich aus den Ausführungen des Landgerichts, dass der Angeklagte infolgedessen eine geringe Frustrationstoleranz und hohe Gewaltbereitschaft aufweist. In der Vergangenheit hat sich seine nur geringe Bereitschaft gezeigt, Gesetze und soziale Normen zu achten. Er ist bereits mehrfach strafrechtlich auffällig geworden, u.a. mit Gewaltdelikten. Insgesamt liegt es nach den Feststellungen nahe, dass das Hemmungsvermögen des Angeklagten bei der Tat in rechtlich relevanter Weise beeinträchtigt war, weil seine Fähigkeit, den Tatanreizen in der konkreten Tatsituation zu widerstehen und sich normgemäß zu verhalten, im Vergleich zu der eines "Durchschnittsbürgers", also voll schuldfähigen Menschen, aufgrund seiner psychischen Verfassung in erheblichem Maße verringert war (BGH a.a.O.). Diese "Kombinationswirkung" von Intelligenzminderung und Alkoholbeeinflussung ist von der Kammer nicht berücksichtigt worden. Darüber hinaus hat das Landgericht nicht bedacht, dass bei jugendlichen und heranwachsenden Tätern auch schon eine geringere Alkoholbeeinträchtigung zu einer erheblichen Verminderung der Schuldfähigkeit führen kann (BGH, NStZ 1997, 383). Nichts anderes gilt für junge Erwachsene.

Soweit die Kammer darauf abstellt, dass der Angeklagte "sich normal verhalten habe", Ausfallerscheinungen seien nicht festzustellen gewesen, verkennt die Kammer, dass ein ungestörtes Leistungsverhalten nicht ohne weiteres geeignet ist, die durch eine Alkoholbeeinträchtigung begründete Vermutung der erheblichen Verminderung der Steuerungsfähigkeit auszuräumen. Vielmehr ist dabei zu bedenken, dass allein das äußere Leistungsbild unter Umständen nur wenig darüber auszusagen vermag, ob der Täter trotz alkoholischer Beeinflussung noch über die voll erhalten gebliebene Fähigkeit verfügt, den Tatanreizen zu widerstehen (BGH NStZ 1997, 383).

Dieser Rechtsfehler führt zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruches und insoweit zur Zurückverweisung der Sache an eine andere große Jugendkammer des Landgerichts Siegen.

Nur am Rande bemerkt der Senat, dass auch im Übrigen die Strafzumessungserwägungen der Kammer nicht frei von Rechtsfehlern sind. So sind die Gesichtspunkte, die Tat sei durch nicht unerhebliche Brutalität gekennzeichnet und der Angeklagte habe sich als Haupttäter dargestellt, nicht von den Feststellungen gedeckt.

Ende der Entscheidung

Zurück