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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 20.11.2007
Aktenzeichen: 1 Ss 230/07
Rechtsgebiete: StPO, StGB


Vorschriften:

StPO § 246a
StGB § 64
Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt setzt gemäß § 246 a StPO zwingend voraus, dass der Tatrichter sich bei der Anordnung der Maßregel sachverständiger Hilfe bedient. Es ist deshalb rechtsfehlerhaft, wenn das Gericht es unterlässt, in der Hauptverhandlung einen Sachverständigen über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten zu vernehmen.
URTEIL

Strafsache

gegen K.B.

wegen Diebstahls.

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft Dortmund gegen das Urteil des Amtsgerichts Dortmund vom 7. August 2006 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm in der Sitzung vom 20. 11. 2007, an der teilgenommen haben:

für Recht erkannt:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den dazu getroffenen Feststellungen aufgehoben.

In diesem Umfang wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Dortmund zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Dortmund hat den Angeklagten wegen Diebstahls in einem besonders schweren Fall zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt und zugleich die Unterbringung des Angeklagten in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Nach den getroffenen Feststellungen hat der - geständige - Angeklagte am 26. Februar 2006 gegen 13.36 Uhr die verglaste Eingangstür der Filiale des Schleckermarktes in Dortmund eingetreten und ist anschließend in das Gebäude eingedrungen. Dort entnahm er den Auslagen 28 Schachteln Zigaretten. Bei der Tat stand der Angeklagte unter dem Einfluss von Drogen.

Im Rahmen der Strafzumessung hat das Amtsgericht die "kriminelle Vergangenheit und die einschlägigen Vorstrafen" ebenso berücksichtigt wie den Umstand, dass der Angeklagte nach seinem eigenen Eingeständnis im Dezember 2005 eine Therapie gegen seine Drogensucht begonnen, diese aber am ersten Tag wieder abgebrochen habe, weil ihm "die Art der Therapie nicht gefallen hat".Aufgrund der Betäubungsmittelbeeinflussung des Angeklagten zur Tatzeit hat das Amtsgericht "unterstellt", dass die Tat durch die "Drogensucht bedingt war" und der Angeklagte sich Wertgegenstände verschaffen wollte, um weitere Drogen zu kaufen.

Die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt hat das Amtsgericht wie folgt begründet:

"Da der Angeklagte bereits mehrfach unter Drogeneinfluss strafrechtlich in Erscheinung getreten ist, er im erheblichen Umfange betäubungsmittelabhängig war, die vorgeworfene Tat im Rahmen der Betäubungsmittelabhängigkeit begangen hat und, auch nach seinen eigenen Angaben, in Zukunft mit weiteren entsprechenden Straftaten, infolge seiner Betäubungsmittelabhängigkeit zu rechnen ist, die wie sich auch bei dieser Tat gezeigt haben, von erheblicher rechtswidriger Kriminalität geprägt sind, hielt das Gericht die Voraussetzungen des § 64 StGB hinsichtlich einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt für vorliegend.

Zwar hat das Gericht kein Gutachten über die Drogenabhängigkeit des Angeklagten eingeholt, dies erschien auch nicht notwendig, da die Drogenintoxikation durch das Gutachten der Universität Bonn bestätigt war und sich aus den in der Vergangenheit vorliegenden Straftaten, insbesondere der der Verurteilung vom 19.04.2004 zugrunde liegenden Straftaten ergibt, dass der Angeklagte im erheblichen Umfange betäubungsmittelabhängig war und nach seinen Angaben auch noch ist.

Insbesondere hat der Angeklagte selber um eine Einweisung in eine Entziehungsanstalt gebeten, da er nach seiner eigenen Einschätzung davon ausgeht, dass eine freiwillige Therapie bei ihm nicht den notwendigen Druck erzeugt, um ihn dauerhaft diese Therapie durchführen zu lassen."

Gegen diese Entscheidung richtet sich die auf die Anordnung der Maßregel beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft Dortmund, mit der die Verletzung formellen Rechts gerügt wird. Sie ist der Auffassung, das Amtsgericht habe gegen die Vorschrift des § 246 a StPO verstoßen, indem es die Maßregel angeordnet habe, ohne einen geeigneten Sachverständigen hinzuzuziehen, der zu den Unterbringungsvoraussetzungen unter Berücksichtigung der Drogenkarriere des Angeklagten sowie zu den Behandlungsaussichten sachkundig-psychiatrisch/psychologisch hätte Stellung nehmen können.

Die Generalstaatsanwaltschaft ist dem Rechtsmittel beigetreten. Sie ist mit ergänzenden Ausführungen jedoch der Auffassung, dass der Rechtsfolgenausspruch insgesamt der Aufhebung unterliege.

II.

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung im gesamten Rechtsfolgenausspruch und in diesem Umfang zur Zurückverweisung der Sache an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Dortmund.

1.

Die von der Staatsanwaltschaft erklärte Beschränkung der Revision ist zulässig, soweit dies den Schuldspruch betrifft, denn die vom Amtsgericht getroffenen Feststellungen tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen Diebstahls in einem besonders schweren Fall und bilden eine ausreichende Grundlage für die Rechtsfolgenentscheidung.

Die weitergehende Beschränkung der Revision auf die Anordnung der Maßregel ist hingegen unwirksam. Grundlegende und unabdingbare Voraussetzung für die Zulässigkeit von Beschränkungen innerhalb des Rechtsfolgenausspruchs ist die Trennbarkeit des Beschwerdepunktes von dem nicht angegriffenen Teil des Strafausspruchs. Das Erfordernis der Widerspruchsfreiheit der das Verfahren stufenweise abschließenden Urteile, die als einheitliches Ganzes anzusehen sind, muss gewahrt werden (vgl. BGHSt 19, S. 46, 48). Ordnet ein Gericht - wie hier - die Unterbringung des Angeklagten gemäß § 64 StGB an, so wird aber häufig zwischen der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt und dem Strafausspruch ein untrennbarer Zusammenhang bestehen, weil nicht auszuschließen ist, dass im Falle der Anordnung der Unterbringung auf eine geringere Strafe erkannt worden wäre (OLG Hamm, Beschluss vom 16. März 2006 - 2 Ss 67/06 -).

Die Generalstaatsanwaltschaft hat dazu u.a. wie folgt Stellung genommen:

"Zwar kann vorliegend den Strafzumessungserwägungen des Amtsgerichts nicht ohne weiteres entnommen werden, dass der Angeklagte bei einer unterbliebenen Anordnung der Maßregel zu einer abweichenden Strafe verurteilt worden wäre; indes enthalten die Strafzumessungserwägungen, obwohl das Amtsgericht die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet hat, keine Ausführungen zu der Frage, ob der Angeklagte aufgrund der festgestellten Betäubungsmittelbeeinflussung bei der Tatbegehung in seiner Einsichts- bzw. Steuerungsfähigkeit beeinflusst war. Da entsprechende Feststellungen im Falle der Zuziehung eines ärztlichen Sachverständigen gemäß § 246 a StPO, dessen Nichtbeachtung die Revision rügt, jedoch zu erwarten gewesen wären, kann nicht ausgeschlossen werden, dass in diesem Fall die gegen den Angeklagten verhängte Strafe anders bemessen worden wäre."

Diesen Ausführungen tritt der Senat bei und bemerkt ergänzend, daß die nicht wirksame Beschränkung der Revision auf den Maßregelausspruch keine weiteren Auswirkungen auf das Rechtsmittel im übrigen hat. Vielmehr muß das Urteil in diesem Fall bis zu dem Teil als angefochten gelten, der als logisch vorangehender Teil eine selbständige Nachprüfung zuläßt (RGSt 65, S. 296, 297). Somit unterliegt der Rechtsfolgenausspruch insgesamt der revisionsrechtlichen Überprüfung durch den Senat.

2. Diese Prüfung führt hier zur Aufhebung des gesamten Strafausspruchs einschließlich der angeordneten Maßregel und in diesem Umfang zur Zurückverweisung an das Amtsgericht.

Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt setzt gemäß § 246 a StPO zwingend voraus, dass der Tatrichter sich bei der Anordnung der Maßregel sachverständiger Hilfe bedient. Es ist deshalb - wie die Revision zu Recht rügt - rechtsfehlerhaft, wenn das Gericht es unterlässt, in der Hauptverhandlung einen Sachverständigen über den Zustand des Angeklagten und die Behandlungsaussichten zu vernehmen (BGH NStZ-RR 2004, S. 204; BGH NStZ 2000, S. 215; Gollwitzer in Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl., § 246 a Rdnr. 1 m.w.N.). Sowohl bei der Feststellung eines Hanges als auch bei der erforderlichen Gefährlichkeitsprognose bedarf es der Hinzuziehung eines geeigneten Sachverständigen, der mit der Durchführung einer maßnahmespe zifischen Untersuchung zu beauftragen ist. Dabei ist auch festzustellen, ob der Täter nach der bisherigen Entwicklung seiner Sucht, nach seiner physischen und psychischen Struktur und ggf. trotz seiner kriminellen Prägung (noch) therapierbar ist (vgl. BVerfG, NJW 1995, S. 1077; BGH NStZ 2000, S. 215). Diese Verpflichtung des Tatrichters zur sachkundigen Begutachtung wird auch nicht deshalb entbehrlich, weil der Angeklagte nach den getroffenen Feststellungen zur Tatzeit unter Drogeneinfluß stand. Dieser Umstand ebenso wie das Einverständnis des Angeklagten mit der Anordnung der Maßregel und auch die in anderen Verfahren erworbene eigene Sachkunde des Gerichts sind nicht geeignet, die sachverständige Begutachtung des Angeklagten zu ersetzen (BGH NStZ-RR 2004, S. 204).

Da das Amtsgericht die Maßregel der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet hat, ohne sich dabei sachverständiger Hilfe zu bedienen, konnte die Anordnung der Unterbringung keinen Bestand haben. Wegen der nicht auszuschließenden Wechselwirkung zwischen der erkannten Maßregel und der Höhe der erkannten Freiheitsstrafe war die angefochtene Entscheidung deshalb im Rechtsfolgenausspruch insgesamt aufzuheben und das Verfahren in diesem Umfang an eine andere Abteilung des Amtsgerichts Dortmund zurückzuverweisen.

Ende der Entscheidung

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