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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 20.11.2007
Aktenzeichen: 1 Ss 66/07
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 267
Auch ein den Angeklagten freisprechendes Urteil muß so gefasst sein, dass das Revisionsgericht überprüfen kann, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind, insbesondere ob der den Entscheidungsgegenstand bildende Sachverhalt erschöpfend gewürdigt worden ist. Dementsprechend ist auch in diesem Fall durch den Tatrichter der festgestellte Sachverhalt gemäß den Anforderungen des § 267 Abs. 1 StPO darzulegen.
Beschluss

Strafsache

gegen M.E.

wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen u.a.

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft Dortmund gegen das Urteil der XVII. kleinen Strafkammer des Landgerichts Dortmund vom 13.11.2006 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm in der Sitzung vom 20. 11. 2007, an der teilgenommen haben für Recht erkannt:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben.

Die Sache wird zu erneuter Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Dortmund zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Mit Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Dortmund vom 24.11.2005 wurde dem Angeklagten eine Misshandlung von Schutzbefohlenen in Tateinheit mit fahrlässiger Tötung zum Nachteil seiner am 02.07.1994 geborenen Tochter gemäß den §§ 222, 225 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1, 52 StGB zur Last gelegt.

Dem Angeklagten wurde vorgeworfen, in der Zeit vom 13. bis 17. Mai 2005 seine an einer durch eine Fischvergiftung hervorgerufenen bakteriellen Ruhr erkrankten Tochter B. in Kenntnis ihres von Bauchschmerzen, Durchfall und Erbrechen gekennzeichneten Zustands nicht rechtzeitig in ein Krankenhaus verbracht zu haben, so dass das Kind am 17.05.2005 an einem Herz-Kreislauf-Versagen verstarb.

Das Amtsgericht - Schöffengericht - Dortmund hat den Angeklagten nach seiner Vernehmung sowie der Vernehmung der Zeugen A., G. und R. sowie Anhörung des Sachverständigen Dr. med. Z. von diesem Vorwurf aus tatsächlichen Gründen freigesprochen.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme habe sich weder die für eine Verurteilung nach § 225 StGB erforderliche böswillige Vernachlässigung ergeben noch die für eine Verurteilung nach § 222 StGB erforderliche Erkennbarkeit der akuten Lebensgefahr seiner Tochter.

Die hiergegen gerichtete Berufung der Staatsanwaltschaft Dortmund hat das Landgericht Dortmund nach Vernehmung der Zeugen Dr. Jennifer Krüger und Michael Hofmann (behandelnde Ärzte der Tochter nach Einlieferung in das Krankenhaus) und Anhörung des Sachverständigen Dr. Z. mit Urteil vom 13.11.2006 verworfen. Die Zeugin A. hat vor dem Landgericht - anders als in ihrer Vernehmung vor dem Amtsgericht - die Aussage gem. § 52 StPO verweigert.

Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt:

"...

Die Beweisaufnahme durch die Kammer hat zu denselben tatsächlichen Feststellungen geführt, wie sie bereits das Schöffengericht getroffen hat. Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen wird daher insoweit auf das angefochtene Urteil verwiesen (vgl. BVerfG NJW 04, 210; BGH NStZ-RR 2001, 202; OLG Hamm VRS 102, 206).

Das Berufungsgericht folgt indessen auch insoweit dem Schöffengericht, als dieses ein Verschulden des Angeklagten an dem tragischen Tod seiner Tochter nicht hat feststellen können. Die Kammer verweist insoweit noch einmal ausdrücklich auf die Ausführungen des Sachverständigen Dr. med. Z.. Das angefochtene Urteil ist ihm auszugsweise, soweit er darin erwähnt ist, vorgelesen worden. Der Rechtsmediziner hat daraufhin erklärt, dabei bleibe er auch jetzt. Es sei nicht auszuschließen, dass der erhebliche Flüssigkeitsverlust erst in den letzten zwei Stunden vor dem Tod des Mädchens eingetreten sein könnte, und die Notwendigkeit einer Infusionsbehandlung zum Ausgleich des Flüssigkeitsmangels und insbesondere der Elektrolyte allenfalls für einen erfahrenen Kinderarzt, dem das Mädchen aus regelmäßiger Behandlung vertraut gewesen wäre, erkennbar gewesen sein könnte. Es sei so, dass sich der Stamm der Shigellen alle 20 Minuten verdopple und die tödliche Gefahr für das Kind erst kurz vor ihrem Ableben eingetreten sein könnte. Auf diesen Umstand hat auch das Schöffengericht besonderen Wert gelegt. Dem Angeklagten als medizinischen Laien, der zudem durch die zeitgleich einhergehende Erkrankung seiner schwangeren Ehefrau geistig und auch zeitlich stark beansprucht war, kann daher nicht der subjektive Vorwurf gemacht werden, er habe seine Tochter B. erheblich früher in ärztliche Behandlung übergeben müssen.

...".

Hiergegen richtet sich die frist- und formgerecht eingelegte und begründete Revision der Staatsanwaltschaft Dortmund, mit der sie die Verletzung formellen und materiellen Rechts rügt.

Mit der im einzelnen näher ausgeführten formellen Rüge macht sie einen Verstoß gegen § 267 Abs. 1 StPO geltend; sie meint, das Landgericht habe nicht auf das erstinstanzliche Urteil Bezug nehmen dürfen, da die Kammer nicht von derselben Beweisgrundlage ausgegangen sei. Zudem habe das Landgericht den Umfang seiner Bezugnahme nicht eindeutig dokumentiert.

Mit der Sachrüge beanstandet die Staatsanwaltschaft, dass das von dem Landgericht in Bezug genommene Schöffengericht sowohl in subjektiver als auch objektiver Hinsicht die Anforderungen an eine Sorgfaltspflichtverletzung und die Vorhersehbarkeit des Erfolges überspannt habe.

Die Generalstaatsanwaltschaft ist der Revision mit der Maßgabe beigetreten, dass der von der Staatsanwaltschaft aufgezeigte Verfahrensverstoß sich nicht als Verletzung von § 267 Abs. 1 StPO, sondern von § 267 Abs. 5 StPO darstelle.

II.

Die Revision hat mit der Verfahrensrüge in der Sache - zumindest vorläufig - Erfolg.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat ausgeführt:

"Zwar stellt sich der mit der Verfahrensrüge aufgezeigte Verstoß gegen Verfahrensvorschriften nicht als Verletzung von § 267 Abs. 1 StPO sondern von § 267 Abs. 5 StPO dar, da der Absatz 1 des § 267 StPO den Angeklagten verurteilende Urteile betrifft; gleichwohl greift die in einer den Anforderungen des § 344 Abs. 2 Satz 2 StPO genügenden Weise ausgeführte Verfahrensrüge - ungeachtet dessen, dass das Revisionsgericht die Tragfähigkeit der Urteilsgründe auch auf die Sachrüge hin zu überprüfen hat (Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., § 337 Rdnr. 21; OLG Hamm, Beschluß vom 16.07.1997 - 2 Ss 706, 97) - durch. Auch ein den Angeklagten freisprechendes Urteil muß so gefasst sein, dass das Revisionsgericht überprüfen kann, ob dem Tatrichter Rechtsfehler unterlaufen sind, insbesondere ob der den Entscheidungsgegenstand bildende Sachverhalt erschöpfend gewürdigt worden ist. Dementsprechend ist auch in diesem Fall durch den Tatrichter der festgestellte Sachverhalt gemäß den Anforderungen des § 267 Abs. 1 StPO darzulegen (Meyer-Goßner, a.a.O., § 267 Rdnr. 33).

Zwar kann das Berufungsgericht, sofern die durch das Gericht erster Instanz getroffenen Feststellungen aufgrund einer Beschränkung des Rechtsmittels bereits bindend geworden sind, auf das Urteil erster Instanz Bezug nehmen bzw. von einer Bezugnahme gänzlich absehen (BGHSt 33, 59 ff; BGH NStZ-RR 2001, 202 f; OLG Hamm, Beschluß vom 11.02.2002 - 2 Ss 1077/01 -); ein solcher Fall ist vorliegend indes nicht gegeben und auch soweit das angefochtene Urteil auf die weitergehende Ansicht verweist, wonach eine Verweisung des Berufungsgerichts auf den in erster Instanz festgestellten Sachverhält zulässig sein soll, sofern die neue Hauptverhandlung zu den gleichen Feststellungen geführt hat wie das erstinstanzliche Urteil (BVerfG NJW 2004, 209 ff; OLG Hamm, Urteil vom 27.11.1969 - 2 Ss 1132/69 -, abgedruckt in VRS 39, 278; KK-Engelhardt, StPO, 5. Aufl., 2003, § 267 Rdnr. 5), reicht die durch die Strafkammer vorgenommene Verweisung auf die durch das Amtsgericht getroffenen Feststellungen nicht aus. Ungeachtet dessen, dass die Staatsanwaltschaft Dortmund in ihrer Revisionsbegründung anhand der Hauptverhandlungsprotokolle vom 27.06.2006 und 13.11.2006 im Einzelnen dargelegt hat, dass die Beweisaufnahme der Hauptverhandlung vom 13.11.2006 nicht zuletzt durch die zusätzliche Einvernahme der sachverständigen Zeugen Dr. K. und des Arztes H. durch die Strafkammer von dem Umfang der Beweisaufnahme erster Instanz abweichend war, ohne dass den Urteilsausführungen entnommen werden kann, aus welchen Gründen trotz der ergänzenden Einvernahme dieser Zeugen weitergehende Feststellungen nicht zutreffen waren, würde eine zulässige Verweisung - um eine Klarheit und Sicherheit der Gesamtdarstellung zu gewährleisten - zumindest voraussetzen, dass durch die Mitteilung der Seitenzahl, des Absatzes und Zeile oder durch eine sonst zweifelsfreie Benennung eindeutig klargestellt wird, in welchem Umfang die Bezugnahme erfolgt (KK-Engelhardt, a.a.O.). Diesen Anforderungen genügt der allgemeine Verweis auf die durch das Amtsgericht getroffenen Feststellungen nicht, zumal das Urteil des Amtsgerichts Dortmund vom 27.06.2006 auch im Rahmen seiner ab Seite 5, zweiter Absatz der Urteilsgründe beginnenden Beweiswürdigung weitergehende Feststellungen, u.a. zum Ergebnis der Obduktion (Seite 7, vierter Absatz der Urteilsgründe) sowie zum Wissen des Angeklagten um das Krankheitsstadium seiner Tochter (Seite 9, erster Absatz der Urteilsgründe), trifft und offen bleiben muß, ob die Strafkammer auf diese Feststellungen auch verweisen wollte oder sich die Verweisung nur auf die Feststellungen im eigentlichen Sinn (Seite 1, vierter Absatz, bis Seite 5, erster Absatz der Urteilsgründe) beziehen sollte.

Da eine Überprüfung des angefochtenen Urteils in sachlich-rechtlicher Hinsicht aus diesen Gründen nicht erfolgen kann, unterliegt es der Aufhebung."

Diesen Ausführungen, die durch die durchgeführte Hauptverhandlung nicht in Frage gestellt worden sind, schließt sich der Senat nach eigener Prüfung an und legt sie seiner Entscheidung zugrunde.

Aufgrund des aufgezeigten Rechtsfehlers war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Dortmund zurückzuverweisen.

Da der aufgezeigte Verfahrensfehler bereits zur Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung führt, kommt es auf die weiter erhobene und ausgeführte Sachrüge - die nach Auffassung des Senats allerdings nicht durchgreifend erscheint - nicht mehr an.

Ende der Entscheidung

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