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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 09.03.2004
Aktenzeichen: 1 Ss 680/03
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 21
StPO § 267
Zur Frage, wann sich das tatrichterliche Urteil mit den Voraussetzungen des § 21 StGB befassen muss
Beschluss

Strafsache

gegen S.H.

wegen Diebstahls

Auf die Revision der Angeklagten gegen das Urteil der VIII. kleinen Strafkammer des Landgerichts Dortmund vom 29. August 2003 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 09. 03. 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß § 349 Abs. 4 StPO einstimmig beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Dortmund zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht Dortmund hat die Angeklagte wegen Diebstahls in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Monaten verurteilt. Die hiergegen von der Angeklagten eingelegte, wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung hat die Strafkammer mit dem angefochtenen Urteil verworfen. Dagegen richtet sich die Revision der Angeklagten, mit der sie ohne nähere Ausführungen die Verletzung materiellen Rechts rügt.

II.

Die zulässige Revision der Angeklagten hat mit der Sachrüge Erfolg und führt zur Aufhebung des landgerichtlichen Urteils.

1. Nicht zu beanstanden ist allerdings, dass die Gründe des angefochtenen Urteils keine Ausführungen über das strafbare Verhalten, das der Angeklagten zur Last gelegt wird, enthalten und dass diese auch nicht durch eine ausdrückliche oder auch nur schlüssige Bezugnahme auf die Schuldfeststellungen des erstinstanzlichen Urteils mitgeteilt werden. Darin ist ein Rechtsfehler zu Lasten der Angeklagten - der bei seiner Bejahung zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führen würde - nicht zu sehen. Bundesgerichtshof hat in seiner auf Vorlage des Oberlandesgerichts Hamburg ergangenen Entscheidung vom 6. Juli 2000 - 5 StR 149/00 - (vgl. NStZ-RR 2001, 202) zur Frage des "unerlässlichen" Begründungsumfangs eines Berufungsurteils ausgeführt, dass er "eine Wiederholung der den Schuldspruch tragenden Feststellungen oder auch nur eine ausdrückliche, mehr oder weniger konkrete Bezugnahme auf das angefochtene Urteil hinsichtlich des rechtskräftigen Schuldspruchs gänzlich für entbehrlich" halte, es vielmehr "allein auf die ausreichende Feststellung der den rechtskräftigen Schuldspruch tragenden Feststellungen im erstinstanzlichen Urteil" ankomme. Dem schließt sich der Senat unter Aufgabe seiner früheren engeren Rechtsauffassung in Übereinstimmung mit den übrigen Strafsenaten des hiesigen Oberlandesgerichts nunmehr ausdrücklich an.

Die demnach maßgeblichen tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts tragen die Verurteilung der Angeklagten wegen Diebstahls in zwei Fällen. Die Beschränkung der Berufung ist somit unwirksam.

2. Das - infolgedessen nur noch den Rechtsfolgenausspruch betreffende - Urteil ist jedoch aufzuheben, weil die Ausführungen der Strafkammer zur Strafbemessung durchgreifenden rechtlichen Bedenken begegnen.

Die Strafzumessung ist zwar grundsätzlich Sache des Tatrichters. Der Eingriff des Revisionsgerichts ist aber u.a. dann möglich und erforderlich, wenn die Strafzumessungserwägungen fehlerhaft sind (vgl. BGHSt 29, 319, 320). Das ist hier der Fall, weil die Strafkammer einen für die Strafzumessung wesentlichen Gesichtspunkt unberücksichtigt gelassen hat. Denn sie hat sich nicht mit der Möglichkeit einer verminderten Schuldfähigkeit der Angeklagten i.S.v. § 21 StGB auseinandergesetzt. Das hätte sich nach den Feststellungen, die die Strafkammer zur Person der Angeklagten und - ergänzend - zu den von ihr begangenen Taten getroffen hat, sowie nach den Erwägungen, die zur Einzel- und Gesamtstrafenbildung und zur Frage der Strafaussetzung zur Bewährung angestellt worden sind, indes aufgedrängt. Hierzu heißt es in dem angefochtenen Urteil nämlich u.a. wie folgt:

"Die Angeklagte ist seit vielen Jahren drogenabhängig. Die von ihr am 13.10.2000 und 10.04.2001 verübten Diebstähle dienten allein dazu, sich finanzielle Mittel für den Drogenkonsum zu beschaffen. ...

Zugunsten der Angeklagten ist dabei zu berücksichtigen, dass sie die Taten eingeräumt hat, diese schon längere Zeit zurückliegen, das Diebesgut am 13.12.2000 sofort wieder an den Eigentümer zurückgelangt ist und zwischen den Diebstählen insofern ein Zusammenhang besteht, als beide Taten der Finanzierung der Drogensucht der Angeklagten dienten. ...

Die Angeklagte ist bereits in erheblicher Weise strafrechtlich in Erscheinung getreten. Sie ist Bewährungsversagerin. Zu den Tatzeiten stand sie allein in drei anderen Verfahren unter laufender Bewährung. Auch zuvor mussten schon mehrfach Strafaussetzungen zur Bewährung und Zurückstellungen widerrufen werden. Die Chance, die ihr durch die Aussetzung des Verfahrens in der Hauptverhandlung vom 05.07.2002 eingeräumt worden ist, hat die Angeklagte nicht genutzt. Die Kammer verkennt zwar nicht, dass bei der Angeklagten insoweit Ansätze zu einer Veränderung vorhanden waren, als sie sich erstmals einer stationären Therapie unterzogen hat. Diese hat sie jedoch ohne ärztliches Einverständnis abgebrochen, und anschließend hat sie erneut Heroin konsumiert. ...."

Bei dieser Sachlage hätte die Frage einer verminderten Schuldfähigkeit nicht unerörtert bleiben dürfen, da Anhaltspunkte für das Vorliegen der Voraussetzungen des § 21 StGB gegeben waren. Die Strafkammer hätte, ggf. unter Hinzuziehung eines Sachverständigen, prüfen müssen, ob die Unrechtseinsichtsfähigkeit der Angeklagten bei Begehung der Taten erheblich vermindert i.S.v. § 21 StGB war. Das Fehlen jeglicher Auseinandersetzung mit dieser Frage in dem angefochtenen Urteil stellt bei der gegebenen Sachlage einen durchgreifenden Rechtsfehler dar. Deswegen war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache gemäß § 354 Abs. 2 StPO zur neuen Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.



Ende der Entscheidung

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