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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 11.03.2003
Aktenzeichen: 1 Ss OWi 617/03
Rechtsgebiete: StVO, StPO


Vorschriften:

StVO § 4
StPO § 267
Zum erforderlichen Umfang der Feststellungen bei einer nach dem Pro-Vida-Verfahren durchgeführten Abstandsmessung.
Beschluss

Bußgeldsache

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen vom 07.11.2002 gegen das Urteil des Amtsgerichts Unna vom 07.11.2002 hat der 1. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 11. 03. 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung des Generalstaatsanwalts beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Unna, welches auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde zu entscheiden haben wird, zurückverwiesen.

Gründe:

Das Amtsgericht Unna hat gegen den Betroffenen durch Urteil vom 07.11.2002 wegen einer fahrlässig begangenen Ordnungswidrigkeit nach §§ 1 Abs. 2, 4 Abs. 1, 49 StVO, 24 StVG eine Geldbuße von 160,- € festgesetzt und ihm zugleich gemäß § 25 StVG ein Fahrverbot für die Dauer eines Monats erteilt. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner rechtzeitig eingelegten und form- und fristgerecht begründeten Rechtsbeschwerde. Diese hatte - einen zumindest vorläufigen - Erfolg. Die auf die allein erhobene Sachrüge vorzunehmende Überprüfung des Urteils in materiell-rechtlicher Hinsicht lässt Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen erkennen, so dass das Urteil aus diesem Grunde aufzuheben ist. Die Urteilsfeststellungen vermögen den Schuldspruch wegen der oben näher bezeichneten Ordnungswidrigkeit nicht zu tragen.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat zur Rechtsbeschwerde u.a. wie folgt Stellung genommen:

"Ein Urteil, das sich mit Geschwindigkeits- und Abstandsmessung befasst, muss grundsätzlich feststellen, auf welcher tatsächlichen Grundlage die Geschwindigkeitsfeststellung und die Abstandsmessung beruhen. Dazu gehören insbesondere Angaben darüber, ob die Messungen durch elektronische Aufzeichnungen oder durch Ablesen, durch stationäre Geräte oder aus einem fahrenden Fahrzeug erfolgten, wie lang gegebenenfalls die Verfolgungsstrecke und der Abstand des Polizeifahrzeugs zu dem verfolgten Fahrzeug waren, auf welche Fahrstrecke sich die Abstandsunterschreitung erstreckte und welcher Toleranzabzug bei der Feststellung der Geschwindigkeitsüberschreitung vorgenommen worden ist (zu vgl. OLG Düsseldorf, VRS 99, 133).

Diesen Anforderungen wird das angefochtene Urteil nur teilweise gerecht.

Es teilt zwar mit, dass die Messungen aus einem fahrenden Polizeifahrzeug unter Verwendung des ProViDa-Systems erfolgten. Dieses System ist sowohl zur Geschwindigkeits- als zur gleichzeitigen Abstandsmessung seit über zehn Jahren in ständigem Gebrauch und als standardisiertes Messverfahren für Geschwindigkeitsmessungen anerkannt. Daraus ergibt sich, dass es hinsichtlich von Geschwindigkeitsmessungen in den Urteilsgründen lediglich der Darstellung bedarf, dass nach dem ProViDa-System gemessen, welches der nach diesem System möglichen Messverfahren (z. B. Messung aus stehendem Fahrzeug, Nachfahren mit konstantem Abstand, Weg-Zeit-Messung) angewandt und welcher Toleranzwert zugrunde gelegt wurde (zu vgl. OLG Köln, VRS 97, 442 ff. m. w. N.).

Die Ausführungen des angefochtenen Urteils (S. 3 UA) lassen indessen besorgen, dass das Gericht das ProViDa-System als standardisiertes Messverfahren auch für die Abstandsmessung angesehen hat. Dies ist indessen nicht der Fall. Das System versetzt den Tatrichter vielmehr in die Lage, die Beobachtungen der Polizeibeamten im Wege des Augenscheinbeweises unmittelbar und in Anwesenheit der Prozessbeteiligten im Gerichtssaal nachzuvollziehen, insbesondere Abstände zwischen Fahrzeugen anhand der bei der Videoprojektion erkennbaren Fixpunkte zuverlässig zu berechnen (zu vgl. OLG Celle, VRS 81, 210). Da die Abstände - anders als die Geschwindigkeiten - nicht elektronisch gemessen, sondern unter Auswertung des Videobandes errechnet werden, genügt jedoch nicht die Bezeichnung des Verfahrens, sondern die Auswertung und Berechnung müssen, um eine Überprüfung zu ermöglichen, in den Urteilsgründen verständlich und widerspruchsfrei dargelegt werden (zu vgl. OLG Celle a. a. O.; OLG Düsseldorf VRS 99, 133, 135).

Derartige Berechnungen und andere Ergebnisse der Auswertung sind indessen in den Urteilsgründen nicht in genügendem Maße vorhanden. Uneingeschränkt ausreichend sind lediglich die Angaben zur Länge der Fahrstrecke, in dem die Abstandsunterschreitung festgestellt wurde, und hinsichtlich der gemessenen Geschwindigkeit. Hinsichtlich des Abstandes zwischen dem Fahrzeug des Betroffenen und dem voraussetzenden Fahrzeug, einem Pkw Citroen, der zwölf Meter betragen haben soll, wird lediglich mitgeteilt, dies habe sich errechnen lassen, ohne dass aber die Berechnungsgrundlagen dargelegt würden."

Dem schließt sich der Senat an.

Ergänzend weist er darauf hin, dass sich zwar Ansätze für die Berechnung des Abstandes im angefochtenen Urteil finden. Dort ist ausgeführt:

"Durch Auswertung (Heranführen der Fahrzeuge mit Hilfe der Einzelbildschaltung an bestimmte Punkte, wie etwa Ende einer Mittelmarkierung) ließ sich errechnen, dass der Abstand zwischen dem Fahrzeug des Betroffenen und dem vorausfahrenden Citroen 12 Meter betragen hat."

Dies reicht jedoch nicht aus. Vielmehr hätte der Amtsrichter näher darlegen müssen, an welchen Punkten die Fahrzeuge durch die Einzelbildschaltung genau herangeführt wurden und wie die Berechnung dann erfolgt ist. Dabei war darzulegen, von welchen Parametern (z.B. die zugrunde gelegte Länge der Mittelmarkierung) ausgegangen wurde. Ohne die Mitteilung der der Berechnung zugrunde liegenden Faktoren kann der Senat nicht überprüfen, ob diese richtig erfolgt ist.

Daher war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das Amtsgericht zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Der Senat hat keine Veranlassung gesehen, wie von der Generalstaatsanwaltschaft beantragt, von der auch im Rechtsbeschwerdeverfahren gegebenen Möglichkeit, vgl. §§ 79 Abs. 6 OWiG, 354 Abs. 2 StPO Gebrauch zu machen, die Sache an eine andere, für Bußgeldsachen zuständige Abteilung des Amtsgerichts zurückzuverweisen.

Ende der Entscheidung

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