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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 04.11.2003
Aktenzeichen: 1 Ss OWi 729/03
Rechtsgebiete: StVO, StPO


Vorschriften:

StVO § 3
StPO § 267
Zu den Anforderungen an die tatsächlichen Feststellungen bei einer durch Nachfahren zur Nachzeit ermittelten Geschwindigkeitsüberschreitung
Beschluss

Bußgeldsache

gegen J. M.

wegen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit im Straßenverkehr.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Unna vom 7. August 2003 hat der 1. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 04. 11. 2003 durch den Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft gemäß §§ 79 Abs. 5 u. 6 OWiG beschlossen:

Tenor:

Das angefochtene Urteil wird mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Unna zurückverwiesen.

Gründe:

Durch das angefochtene Urteil ist gegen den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit außerhalb geschlossener Ortschaft um 50 km/h ein Bußgeld in Höhe von 160,- € verhängt worden. Außerdem ist ihm für die Dauer von einem Monat untersagt worden, Kraftfahrzeuge jeder Art im öffentlichen Straßenverkehr zu führen. Insoweit ist eine Anordnung nach § 25 Abs. 2 a StVG getroffen worden. Gegen dieses Urteil wendet sich der Betroffene mit der Rechtsbeschwerde, die er rechtzeitig und formgerecht u.a. mit der Rüge der Verletzung materiellen Rechts begründet hat.

Das zulässige Rechtsmittel hat mit der Sachrüge einen zumindest vorläufigen Erfolg.

Das Amtsgericht hat die Geschwindigkeitsüberschreitung, die der Betroffene am 16. März 2003 gegen 00:40 Uhr begangen haben soll, auf der Grundlage der Angaben der Polizeibeamten B. und H. festgestellt. Diese haben nach ihren Angaben durch Nachfahren mit ihrem Polizeifahrzeug über eine Strecke von mehr als 3000 m eine Geschwindigkeit des Fahrzeugs des Betroffenen von mindestens 200 km/h von ihrem justierten Tachometer abgelesen. Dabei hätten sie zunächst einen gleichbleibenden Abstand von etwa 150 m, den sie anhand von Leitpfosten geschätzt hätten, eingehalten. In der Folgezeit habe man über mehrere Kilometer stets die Höchstgeschwindigkeit gefahren, die der Streifenwagen habe fahren können (gut 200 km/h). Dabei habe sich der Abstand zum Fahrzeug des Betroffenen nicht verringert, sondern auf zeitweise 5 bis 6 Leitpfosten (also 250 bis 300 m) erhöht. Während der gesamten Nachfahrstrecke habe man zum Fahrzeug Sichtkontakt gehabt. Von diesem Messwert hat das Amtsgericht als Toleranz zum Ausgleich von Messungenauigkeiten 15 % abgezogen und so eine vorwerfbare Geschwindigkeitsüberschreitung von 50 km/h bei erlaubten 120 km/h ermittelt.

Diese Ausführungen genügen nicht den von der obergerichtlichen Rechtsprechung zur Feststellung einer Geschwindigkeitsüberschreitung durch Nachfahren zur Nachtzeit außerhalb geschlossener Ortschaften entwickelten Grundsätzen (vgl. OLG Köln VRS 86, 199 und 360; BayObLG VRS 88, 58; OLG Schleswig DAR 1964, 279; RÜ-Übersicht bei Burhoff in DAR 1996, 381; OLG Hamm, Beschluss vom 12. Oktober 1999 - 4 Ss OWi 612/99 -; OLG Hamm, Beschluss vom 16. Mai 2000 - 5 Ss OWi 19/00 -). Danach muss der Tatrichter bei einer durch Nachfahren zur Nachtzeit vorgenommenen Geschwindigkeitsermittlung über die allgemeinen Grundsätze zur Geschwindigkeitsmessung durch Nachfahren hinaus zusätzliche Feststellungen dazu treffen, wie die Beleuchtungsverhältnisse waren und ob bei den zur Nachtzeit regelmäßig schlechteren Sichtverhältnissen der Abstand zu dem vorausfahrenden Fahrzeug durch Scheinwerfer des nachfahrenden Fahrzeugs oder durch andere Lichtquellen aufgehellt worden ist und damit ausreichend erfasst und geschätzt werden konnte, sowie dazu, ob für die Schätzung eines gleichbleibenden Abstandes zum vorausfahrenden Fahrzeug ausreichende und trotz der Dunkelheit zu erkennende Orientierungspunkte vorhanden waren und ferner, ob die Umrisse des vorausfahrenden Fahrzeugs und nicht nur dessen Rücklichter erkennbar waren. Bei einem Abstand wie hier von 150 m und mehr kann nämlich ohne besondere Feststellungen angesichts der Reichweite des Abblendlichts nicht davon ausgegangen werden, dass die Rückseite des vorausfahrenden Kraftfahrzeugs des Betroffenen durch die Scheinwerfer des nachfolgenden Polizeifahrzeuges aufgehellt war oder etwa aufgrund anderer Lichtquellen die Silhouette des Fahrzeugs für die Polizeibeamten erkennbar war, so dass der Abstand ausreichend sicher erfasst und geschätzt werden konnte.

Dahingehende Feststellungen sind auch nicht deshalb entbehrlich, weil sich aus den übrigen Feststellungen ohne weiteres entnehmen lässt, dass die nachfahrenden Polizeibeamten das vorausfahrende Fahrzeug des Betroffenen im Blick hatten und den Abstand zwischen den Fahrzeugen nach eigener Einschätzung zuverlässig ermitteln konnten. Da an keiner Stelle angesprochen worden ist, dass der Abstand trotz der herrschenden Dunkelheit ermittelt werden konnte, steht zu befürchten, dass dieser Umstand keine Berücksichtigung gefunden hat.

Nach alledem war das angefochtene Urteil aufzuheben und zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen.



Ende der Entscheidung

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