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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 19.12.2005
Aktenzeichen: 1 Ss OWi 839/05
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 261
StPO § 267
StPO § 344
1. Zur Zulässigkeit der Aufklärungsrüge.

2. Ist im Fall der Täteridentifizierung anhand eines vom Verkehrsverstoß gefertigten Lichtbildes eine prozessordnungsgemäße Verweisung auf das Beweisfoto gemäß § 267 Abs. 1 Satz 3 StPO nicht erfolgt, sind die an sich erforderlichen Ausführungen zur Bildqualität nicht erforderlich, wenn der Tatrichter in den Urteilsgründen einen ins Einzelne gehenden Vergleich mehrerer charakteristischer Merkmale vorgenommen hat, die zwingend den Rückschluss zulassen, dass das Beweisfoto zur Identifizierung geeignet war.


Beschluss

Bußgeldsache

gegen P.A.

wegen Verkehrsordnungswidrigkeit.

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen vom 11. Oktober 2005 gegen das Urteil des Amtsgerichts Castrop-Rauxel vom 4. Oktober 2005 hat der 1. Senat für Bußgeldsachen des Oberlandesgerichts Hamm am 19. 12. 2005 durch die Richterin am Oberlandesgericht als Einzelrichterin gemäß § 80 a OWiG nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft und des Betroffenen bzw. seines Verteidigers beschlossen:

Tenor:

Die Rechtsbeschwerde wird auf Kosten des Betroffenen als unbegründet verworfen.

Gründe:

I.

Das Amtsgericht hat mit dem angefochtenen Urteil gegen den Betroffenen wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit im Straßenverkehr ein Bußgeld in Höhe von 125,- € sowie ein Fahrverbot von einem Monat verhängt.

Nach den getroffenen Feststellungen befuhr der Betroffene am 23. April 2005 gegen 9.33 Uhr in Castrop-Rauxel die BAB A 42 in Fahrtrichtung Dortmund. In Höhe Kilometer 57,4 ist die zulässige Höchstgeschwindigkeit in diesem Autobahnbereich auf 80 km/h beschränkt. Eine mit der Messanlage MU VR 6 F Multaguard durchgeführte Messung ergab, dass der Betroffene die zulässige Höchstgeschwindigkeit nach Abzug der Toleranz um insgesamt 43 km/h überschritten hatte.

Die Identifizierung des Betroffenen als Fahrer des gemessenen Fahrzeugs hat der Amtsrichter wie folgt begründet:

"Der Betroffene hat auch anlässlich des Termins mitgeteilt, nicht der Fahrer des PKW gewesen zu sein.

Diese Einlassung ist nach Überzeugung des Gerichtes widerlegt. Die Überzeugung gründet sich auf den Ausführungen des Sachverständigen Dr. S., der anlässlich des Termins vom 04.10.2005 ein Gutachten erstattet hat. Nach diesem Gutachten konnte er zwischen der abgebildeten Person und dem Betroffenen 16 Vergleichsmerkmale erkennen. Sämtliche stimmten überein. So hat er ausgeführt, dass Übereinstimmung besteht u.a. im flachbogigen Verlauf auf der Augenbraue. Diese weise eine übereinstimmende dunkle und starke Betonung auf. Übereinstimmung habe er auch erkennen können im Bereich der Lidspalten und im Nasenwurzelbereich. Die Nasenkuppenform sei geradlinig und länglich. Sowohl die abgebildete Person als auch die Person des Betroffenen würden eine niedrige Hautlippenzone aufweisen. Identisch seien auch die Kinn-Lippenfurche. Die Mundspalte weise eine starke Verwölbung auf und sei betont. Die Gesichtsform sei bei den Personen trapez- bzw. schildförmig, die Wangenbeine weich betont. Auch im Ohrbereich habe er zwei Merkmale im unteren Abschnitt übereinstimmend feststellen können. Bei einer derartigen Häufigkeit übereinstimmender Merkmale gehe er davon aus, dass der Betroffene den Wagen gefahren habe.

Diesen in sich schlüssigen und nachvollziehbaren Angaben des Sachverständigen ist das Gericht gefolgt. Einer derartig hohen Übereinstimmung von Merkmalsprägungen der abgebildeten Person mit dem Betroffenen ist das Gericht der Überzeugung, dass dieser tatsächlich auch der Fahrer war. Das wurde ihm anlässlich des Termins vom 04.10.2005 auch mitgeteilt, was dessen Reaktion hervorrief, er wisse schon, wie sich das Ergebnis des Verfahrens darstelle."

Das Amtsgericht hat den Betroffenen eines fahrlässigen Verstoßes gegen die §§ 41 Abs. 2, 49 StVO, 24 StVG für schuldig befunden.

Zur Begründung des Rechtsfolgenausspruches heißt es in den Urteilsgründen, die zu verhängende Geldbuße sei im Hinblick auf eine Voreintragung angemessen auf 125,- € zu erhöhen. Angesichts einer Geschwindigkeitsüberschreitung von 43 km/h außerhalb geschlossener Ortschaften, sei ebenfalls ein Fahrverbot zu verhängen gewesen. Davon abzusehen, hätten sich keinerlei Anhaltspunkte ergeben.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen. Er hat zunächst die Verletzung der Aufklärungspflicht gerügt. Insoweit hat er ausgeführt, das Gericht hätte über die Identität des eigentlichen Fahrers eine weitere Sachverhaltsaufklärung betreiben müssen. Die Tatsache, dass sich der Betroffene zu der Person des tatsächlichen Fahrers nicht geäußert habe, hätte nicht zu seinen Lasten verwertet werden dürfen. Im Weiteren macht der Betroffene nun Angaben zu der Person des tatsächlichen Fahrers und benennt Zeugen, die bestätigen sollen, dass er zur Tatzeit sich im Hause der Familie aufgehalten habe.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Stellungnahme vom 29. November 2005 beantragt, die Rechtsbeschwerde als unzulässig zu verwerfen. Die Aufklärungsrüge sei nicht in der gebotenen Form erhoben worden, da der Betroffene nicht mitgeteilt habe, welches Ergebnis von der unterbliebenen Beweiserhebung zu erwarten gewesen wäre. Zwar enthalte das Urteil einen sachlich-rechtlichen Fehler, da es nicht den Anforderungen entspreche, die nach der obergerichtlichen Rechtsprechung an die Darstellung der Identifizierung des Betroffenen anhand eines bei einer Verkehrsüberwachung gefertigten Beweisfotos zu stellen seien. Indes habe der Betroffene die allgemeine Sachrüge nicht erhoben.

Der Betroffene hat innerhalb der Rechtsbeschwerdebegründungsfrist auf die Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft erwidert und nunmehr zusätzlich ausgeführt, dass die unterbliebene Beweisaufnahme zu einem Freispruch des Betroffenen geführt hätte. Im Übrigen erhebt er die allgemeine Sachrüge und macht sich im Wesentlichen die Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft zu eigen.

II.

Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 79 Abs. 1 Nr. 2 OWiG zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.

Die erhobene Aufklärungsrüge ist nach wie vor nicht in einer der Vorschrift des § 344 Abs. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 OWiG genügenden Form begründet worden.

Für die Begründung der Aufklärungsrüge haben sich in der Rechtsprechung bestimmte Regeln herausgebildet, die beachtet werden müssen. In zulässiger Form ist die Aufklärungsrüge nur erhoben, wenn die Rechtsbeschwerde die Tatsachen, die das Gericht zu ermitteln unterlassen hat, und das Beweismittel bezeichnet, dessen sich der Tatrichter hätte bedienen sollen. Ferner muss angegeben werden, welche Umstände das Gericht zu weiteren Ermittlungen hätten drängen müssen und welches Ergebnis von der unterbliebenen Beweiserhebung zu erwarten gewesen wäre (Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., § 244 Rdnr. 81). Zwar gibt der Betroffene die Tatsache, die das Gericht zu ermitteln unterlassen habe und das Beweismittel, dessen es sich habe bedienen sollen, an. In der Erwiderung zur Stellungnahme der Generalstaatsanwaltschaft wird nunmehr auch dargetan, dass sich die nicht aufgeklärten Tatsachen zugunsten des Beschwerdeführers ausgewirkt hätten. Es wird aber nicht mitgeteilt, aus welchem Grunde die bezeichneten Möglichkeiten zusätzlicher Sachaufklärung und Beweisführung dem Gericht bekannt oder zumindest erkennbar waren und aus welchen Gründen sich das Gericht zur weiteren Aufklärung gedrängt sehen musste. Hat der Betroffene es versäumt, in der Hauptverhandlung selbst durch Anträge, Anregungen, Fragen oder Hinweise das Gericht auf die Notwendigkeit weiterer Sachaufklärung aufmerksam zu machen, so kann nicht festgestellt werden, dass sich dem Tatsachengericht gleichwohl die Notwendigkeit weiterer Aufklärung habe "aufdrängen" müssen. Nach den Urteilsfeststellungen hat der Betroffene, nachdem ihm das Ergebnis des Sachverständigengutachtens vorgehalten worden war, lediglich gesagt, er wisse schon, wie sich das Ergebnis des Verfahrens darstelle. Ihm ist nicht nur das letzte Wort erteilt worden, sondern er hatte auch nach jeder Beweisaufnahme die Möglichkeit, sich zu erklären. Da er trotz alledem seine Fahrereigenschaft nicht qualifiziert bestritten hat, war das Amtsgericht nicht veranlasst, weiter nachzufragen, ob er Entlastungszeugen benennen könne. Die nunmehr in der Rechtsbeschwerdebegründung mitgeteilten Tatsachen waren dem Amtsgericht nicht bekannt.

Der Rechtsbeschwerde war aber auch der Erfolg zu versagen, soweit der Betroffene nunmehr mit der Sachrüge geltend macht, nach dem Ergebnis der Hauptverhandlung sei nicht nachgewiesen worden, dass er das gemessene Fahrzeug am Tattage geführt habe.

Nach den Anforderungen, die nach der höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung an die Identifizierung des Betroffenen anhand des von einer Abstands- und Geschwindigkeitsmessanlage gefertigten Beweisfotos zu stellen sind, müssen die Urteilsgründe so gefasst sein, dass das Rechtsbeschwerdegericht prüfen kann, ob das Foto überhaupt geeignet ist, die Identifizierung einer Person zu ermöglichen. Diese Forderung kann der Tatrichter dadurch erfüllen, dass er in den Urteilsgründen auf das in der Akte befindliche Foto gemäß § 267 Abs. 1 S. 3 StPO i.V.m. § 71 Abs. 1 OWiG Bezug nimmt (vgl. BGH NZV 1996, 157 ff.; ständige Rechtsprechung des Senats, vgl. u.a. Beschluss vom 11. Dezember 2003 - 1 Ss OWi 795/03 -). Die Bezugnahme muss dabei deutlich und zweifelsfrei zum Ausdruck kommen. Ohne eine Verweisung muss, da dem Rechtsmittelgericht das Foto dann nicht als Anschauungsobjekt zur Verfügung steht, durch eine entsprechende ausführliche Beschreibung des Fotos die Prüfung ermöglicht werden, ob es für eine Identifizierung geeignet ist. In diesem Fall muss das Urteil Ausführungen zur Bildqualität enthalten und die abgebildete Person oder jedenfalls mehrere Identifizierungsmerkmale in ihren charakteristischen Eigenarten so präzise beschreiben, dass dem Rechtsmittelgericht anhand der Beschreibung in gleicher Weise wie bei der Betrachtung des Fotos die Prüfung der Ergiebigkeit des Fotos ermöglicht wird (vgl. BGH a.a.O.).

Im vorliegenden Fall ist eine prozessordnungsgemäße Verweisung auf das Beweisfoto gemäß § 267 Abs. 1 S. 3 StPO nicht erfolgt, so dass grundsätzlich hier Ausführungen zur Bildqualität erforderlich waren. Entgegen der Ansicht der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 29. November 2005 waren derartige Ausführungen hier aber entbehrlich, weil der Tatrichter in den Urteilsgründen einen ins Einzelne gehenden Vergleich mehrerer charakteristischer Merkmale vorgenommen hat, die zwingend den Rückschluss zulassen, dass das Beweisfoto zur Identifizierung geeignet war (OLG Hamm, Senatsbeschluss vom 18. August 1998 - 3 Ss OWi 593/98 -). Dabei kann es dahingestellt bleiben, ob dann, wenn der Tatrichter für die Überführung des Betroffenen aufgrund eines Beweisfotos einen Sachverständigen hinzuzieht, es überhaupt Ausführungen zur Bildqualität bedarf, wenn jedenfalls der Sachverständige aufgrund seiner Sachkunde in der Lage ist, anhand des Fotos zu überprüfen, ob dieses den Betroffenen darstellt. Der Sachverständige war nach Vergleich des Betroffenen mit dem aufgenommenen Foto aufgrund von übereinstimmenden Vergleichsmerkmalen, die beschrieben werden, davon überzeugt, dass der Betroffene mit dem Fahrer des Wagens identisch ist. Diesem Gutachten hat sich der Tatrichter aufgrund eigener Meinungsbildung angeschlossen und dadurch seine Überzeugung von der Täterschaft des Betroffenen gewonnen. Denn anderenfalls hätte kein Anlass bestanden, das mündlich erstattete Sachverständigengutachten derart detailliert in den Urteilsgründen wiederzugeben. Es ist daher lediglich von einem Formulierungsmangel in den Urteilsgründen auszugehen.

Die Überprüfung des Urteils in materieller Hinsicht hat auch keine sonstigen Rechtsfehler zu Lasten des Betroffenen ergeben. Der Schuldspruch wird von den getroffenen Feststellungen getragen. Der Rechtsfolgenausspruch ist ebenfalls nicht zu beanstanden.

Nach alledem war die Rechtsbeschwerde mit der Kostenfolge aus § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 473 Abs. 1 StPO als unbegründet zu verwerfen.

Ende der Entscheidung

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