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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 20.03.2008
Aktenzeichen: 1 VAs 11/08
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 456a
Begibt sich der Verurteilte, bei dem gem. § 456a StPO von der Vollstreckung abgesehen wordne ist, freiwillig erneut in den Geltungsbereich des deutschen Strafrechts und Strafverfahrensrechts, unterwirft er sich diesem Verhalten uneingeschränkt wieder der innerstaatlichen Rechtsordnung und ist demgemäß allen anderen abgeurteilten Straftätern gleichzustellen.
Beschluss

Justizverwaltungssache

betreffend N.K.

wegen Rechtmäßigkeit von Maßnahmen der Justizbehörden, (hier: Entscheidung nach § 456 a StPO).

Auf den Antrag des Betroffenen vom 18. Januar 2008 auf gerichtliche Entscheidung nach den §§ 23 ff. EGGVG gegen den Bescheid der Staatsanwaltschaft Düsseldorf vom 6. November 2007 in der Form des Beschwerdebescheids des Generalstaatsanwalts in Düsseldorf vom 14. Dezember 2007 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 20. 03. 2008 durch die Richterin am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung des Generalstaatsanwalts in Hamm beschlossen:

Tenor:

Der Antrag wird auf Kosten des Betroffenen als unbegründet verworfen.

Der Geschäftswert wird auf 2.500,- € festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Betroffene ist tunesischer Staatsangehöriger. Das Landgericht Düsseldorf verurteilte ihn am 26. September 1996 wegen Totschlags zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten. Nachdem die Staatsanwaltschaft Düsseldorf auf der Grundlage des § 456 a StPO von der weiteren Vollstreckung nach Verbüßung der Halbstrafe abgesehen hatte, wurde der Betroffene am 5. Mai 1999 nach Tunesien abgeschoben. Über die Nachholung der Vollstreckung im Fall einer unerlaubten Rückkehr wurde er zuvor belehrt.

Am 6. September 2005 wurde der Betroffene, der inzwischen mit einer polnischen Staatsangehörigen verheiratet ist, in der Nähe der deutsch-polnischen Grenze, jedoch auf deutschem Hoheitsgebiet, festgenommen und verbüßt seitdem wieder die Freiheitsstrafe aus dem Urteil vom 26. September 1996. 2/3 dieser Strafe waren am 10. Oktober 2006 verbüßt; das Strafende datiert auf den 10. April 2009. Der Betroffene hat inzwischen mehrere Anträge gestellt, von der weiteren Strafvollstreckung erneut abzusehen. Diese wurden von der Staatsanwaltschaft jeweils abschlägig beschieden.

Auch mit seinem jetzigen Antrag vom 25. Oktober 2007 verfolgt der Betroffene dieses Ziel und verweist darauf, dass er inzwischen mehr als sechs Jahre der gegen ihn verhängten Freiheitsstrafe von sieben Jahren und sechs Monaten verbüßt habe. Seine Ehefrau lebe in Polen und sei aus finanziellen Gründen nicht in der Lage, ihn in der Justizvollzugsanstalt zu besuchen. Die Grenze nach Deutschland habe er unabsichtlich überschritten. Ein Motorradfahrer habe ihm zugesichert, ihn zu einem "potentiellen Arbeitgeber" in Polen zu fahren und dabei offensichtlich die Grenze ohne sein Wissen überschritten. Soweit er in früheren Anträgen abweichende Angaben zu den Umständen seiner Einreise nach Deutschland gemacht habe, seien diese unzutreffend. Dieses Vorbringen stamme nicht von ihm, sondern von einem Sozialarbeiter bzw.von seinem damaligen Rechtsanwalt und sei ohne sein Einverständnis vorgetragen worden.

Die Staatsanwaltschaft hat diesen Antrag mit Entschließung vom 6. November 2007 zurückgewiesen, weil bei bestimmten Tätergruppen, denen auch der Betroffene zuzuordnen sei, bereits das öffentliche Interesse eine nachhaltige Strafverfolgung und Strafvollstreckung gebiete. Im Übrigen sei aufgrund des bisherigen Verhaltens des Betroffenen nicht zu erwarten, dass er sich an die Auslieferungs- bzw. Ausweisungsverfügung halten werde, weil er trotz eines entsprechenden Verbotes erneut in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sei.

Der Betroffene hat diese Entscheidung in zulässiger Weise mit der Beschwerde angefochten und dazu ausgeführt, es sei offenkundig, dass das öffentliche Interesse eine nachhaltige Strafverfolgung nicht mehr gebiete, weil "bereits vor über acht Jahren wegen derselben Verurteilung ein Absehen von der Strafvollstreckung gemäß § 456 a StPO erfolgte." Im Übrigen habe die Staatsanwaltschaft unberücksichtigt gelassen, dass er sich inzwischen mehr als weitere neun Monate im Strafvollzug befinde und der Endstrafenzeitpunkt immer näher rücke.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat die Beschwerde mit Entschließung vom 14. Dezember 2007 zurückgewiesen. Sie ist der Auffassung, dass sich die Hoffnung, der Betroffene werde sich nach seiner Abschiebung einem normgemäßen und straffreien Leben zuwenden, nicht bestätigt habe, denn er sei trotz der bestehenden Ausweisungsverfügung im Jahr 2005 wieder in Deutschland aufgegriffen worden. Hierdurch habe er dokumentiert, dass er nach wie vor nicht bereit sei, sich an bestehende Vorschriften zu halten und ein gesetzestreues Leben zu führen. Es sei auch davon auszugehen, dass der Betroffene bewusst in die Bundesrepublik Deutschland eingereist sei. Seine dazu vorgetragenen Einlassungen seien widersprüchlich und damit als Schutzbehauptungen anzusehen. Ein erneutes Absehen von der Strafvollstreckung komme auch in der Regel nur bei Vorliegen besonderer Umstände in Betracht, die so gewichtig sein müssten, dass sie gegenüber der grundsätzlich angezeigten Durchsetzung des Strafvollstreckungsanspruchs eine weitere Inhaftierung des Verurteilten unangebracht erscheinen lassen und ein erneutes Absehen von der Vollstreckung rechtfertigten. Das sei hier auch unter Berücksichtigung der besonderen Folgen, die die Inhaftierung für den Betroffenen mit sich bringe, nicht der Fall. Auch die persönlichen Umstände des Betroffenen seien nicht geeignet, das Interesse der Allgemeinheit an der weiteren Strafvollstreckung entscheidend abzuschwächen. Dem Betroffenen habe bei der erneuten Einreise klar sein müssen, dass er durch sein Verhalten eine mehrjährige Strafvollstreckung riskiere. Von dieser Entscheidung hätten ihn auch seine familiären Bindungen in Polen nicht abgehalten. Der Kontakt zu seiner Familie könne aber durch brieflichen Kontakt oder Besuche in der JVA aufrechterhalten werden. Die nunmehr bestehenden familiären Nachteile habe der Betroffene deshalb als selbstverschuldet hinzunehmen.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung nach den §§ 23 ff. EGGVG. Darin trägt der Betroffene ergänzend vor, es fehle an einer Ermessensentscheidung der Generalstaatsanwaltschaft, weil diese nur die Gründe wiederholt habe, mit denen frühere Anträge des Betroffenen abgelehnt worden seien. Durch die langjährige Trennung von seiner in Polen lebenden Ehefrau werde das Vollzugsziel der Resozialisierung gemäß § 2 StVollzG in erheblicher Weise verletzt.

II.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß §§ 23 ff. EGGVG ist zulässig, in der Sache aber nicht begründet.

1. Die Entscheidung der Vollstreckungsbehörde, bei einem aus dem Inland auszuweisenden Verurteilten von der weiteren Vollstreckung der Strafe abzusehen, liegt in ihrem pflichtgemäßen Ermessen und unterliegt damit nicht unbeschränkt der gerichtlichen Nachprüfung. Der Senat hat deshalb gemäß § 28 Abs. 3 EGGVG nur zu prüfen, ob bei der Ermessensentscheidung rechtsfehlerfrei verfahren wurde, ob also die Vollstreckungsbehörde von einem zutreffend ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, ob sie die Grenzen des Ermessens eingehalten und von ihm in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Um die Nachprüfung der Ermessensentscheidung zu ermöglichen, müssen die Gründe einer ablehnenden Entscheidung der Vollstreckungsbehörde die dafür wesentlichen Gesichtspunkte mitteilen und eine Abwägung der für und gegen ein Absehen von der weiteren Vollstreckung sprechenden Umstände erkennen lassen (OLG Hamm NStZ 1983, S.524; Senatsbeschluss vom 20. November 2007 - 1 VAs 92/07 -; OLG Karlsruhe ZfStrVo 2000, S. 251).

Nach dem Sinn und Zweck der in § 456 a StPO getroffenen Regelung rechtfertigt sich die (vorläufige) Besserstellung des ausgewiesenen oder ausgelieferten Straftäters gegenüber deutschen Straftätern, die nur unter den Voraussetzungen des § 57 StGB eine vorzeitige Entlassung aus dem Strafvollzug erreichen können und im Falle der erneuten Straffälligkeit mit dem Widerruf der bedingten Strafaussetzung rechnen müssen, allein aus der Überlegung, dass nach dem Vollzug der Ausweisung eine Sicherung der Allgemeinheit vor einem gefährlichen Straftäter nicht mehr erforderlich ist, eine Resozialisierung nicht sinnvoll erscheint und zudem die Justizvollzugsanstalten entlastet werden (vgl. OLG Hamm, NStZ 1993, S. 524; OLG Frankfurt, NStZ-RR 2001, S. 93).

Diese, der Ermessensentscheidung der Vollstreckungsbehörde regelmäßig zugrunde gelegte Situation ändert sich indessen grundlegend, wenn der Verurteilte sich freiwillig erneut in den Geltungsbereich des deutschen Strafrechts und Strafverfahrensrechts begibt. Mit diesem Verhalten unterwirft er sich uneingeschränkt wieder der innerstaatlichen Rechtsordnung und ist demgemäß allen anderen abgeurteilten Straftätern gleichzustellen. Die im öffentlichen Interesse liegende Durchbrechung des auch im Strafvollstreckungsrecht grundsätzlich geltenden Legalitätsprinzips durch § 456 a Abs. 1 StPO verliert im Falle der freiwilligen Rückkehr eines ausgewiesenen Straftäters ihren tatsächlichen Ansatz mit der Folge, dass damit das der Vollstreckungsbehörde zugewiesene Recht auf Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs wieder auflebt und sich im Regelfall auch zu einer Vollstreckungspflicht verdichtet (OLG Frankfurt a.a.O.; OLG Hamburg, NStZ-RR 1999, S. 123). Demgemäß können bei der nach § 456 a StPO zu treffenden Entscheidung über ein erneutes Absehen von der Vollstreckung in der Regel nur besondere Umstände oder Abwägungsgesichtspunkte, die so gewichtig sein müssen, dass sie gegenüber der grundsätzlich angezeigten Durchsetzung des Vollstreckungsanspruchs eine erneute Inhaftierung des Verurteilten unvertretbar erscheinen lassen, ein erneutes Absehen von der Vollstreckung rechtfertigen. Gleichwohl sind auch in diesem Fall neben dem vorrangigen Vollstreckungsinteresse grundsätzlich weiterhin die Art des begangenen Delikts, die Umstände der Tat, der Umfang der im Urteil festgestellten Schuld, die Gefährlichkeit des Verurteilten, die Höhe des Strafrestes, die Umstände seiner unerlaubten Einreise, die seit der Entlassung aus dem Strafvollzug verstrichene Zeitspanne sowie die Entwicklung des Verurteilten im Vollzug und seine persönlichen Verhältnisse mit in die Ermessensentscheidung einzubeziehen (OLG Frankfurt a.a.O.).

2. Eine an diesen Maßstäben ausgerichtete Gesamtabwägung unter nunmehr vornehmlicher Berücksichtigung des öffentlichen Interesses an einer nachhaltigen Strafvollstreckung hat der Generalstaatsanwalt in Düsseldorf in seiner Entscheidung vom 14. Dezember 2007 rechtsfehlerfrei vorgenommen.

Die Behauptung des Betroffenen, er habe ohne die Absicht der Wiedereinreise die deutsch-polnische Grenze überquert, ist bereits unter Berücksichtigung seiner zahlreichen unterschiedlichen Angaben zu dieser Frage unglaubwürdig. Im übrigen konnte spätestens nach seinem Gespräch mit der Zeugin H für den Betroffenen kein Zweifel daran bestehen, dass er sich - unerlaubterweise - in Deutschland befand. Dann ist es aber schon nicht nachvollziehbar, dass der Betroffene sich nicht sofort darum bemüht hat, möglichst schnell nach Polen zurückzukehren, sondern bei der Zeugin sogar ein Zimmer anmieten wollte. Damit ist auch seine - ohne den Beistand eines Rechtsanwalts oder Sozialarbeiters abgegebene - Erklärung auf der Bundespolizeiinspektion Pasewalk am 7. September 2005 als widerlegt anzusehen, wonach er erst beim Auftauchen der Polizeibeamten gemerkt haben will, dass er sich in Deutschland befand. Vernünftige Zweifel daran, dass der Betroffene bewusst und gewollt verbotswidrig nach Deutschland eingereist ist, bestehen daher nicht.

Im Übrigen hat die Vollstreckungsbehörde bei ihrer Entscheidung aber auch die sozialen Belange des Betroffenen in angemessener Weise berücksichtigt. Die Trennung von seiner Ehefrau hat der Betroffene als selbstverschuldete Folge seiner erneuten Einreise hinzunehmen. Fehlende Sprachkenntnisse hindern den Betroffenen offensichtlich nicht an einer Kontaktaufnahme zu Mitgefangenen, denn er hat bereits früher an einem Sprachkurs teilgenommen und konnte auch nach seiner Festnahme ohne die Hinzuziehung eines Dolmetschers vernommen werden. Gesundheitliche Einschränkungen werden von dem Betroffenen nicht vorgetragen.

Unter diesen Umständen ist der angefochtene Bescheid der Generalstaatsanwaltschaft nicht zu beanstanden, denn Umstände von besonderem Gewicht, die ein erneutes Absehen von der Strafvollstreckung rechtfertigen könnten, liegen nicht vor. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung war deshalb als unbegründet zu verwerfen.

III.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 30 EGGVG, 30, 130 KostO.

Ende der Entscheidung

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