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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 14.06.2005
Aktenzeichen: 1 VAs 17/05
Rechtsgebiete: EGGVG, StPO, StVollzG


Vorschriften:

EGGVG §§ 23 ff.
EGGVG § 28 Abs. 1 S. 4
StPO § 456
StPO § 457 Abs. 2 S. 1
StVollzG §§ 109 ff.
Zum Erlass eines Vollstreckungshaftbefehls.
Beschluss

Justizverwaltungssache

betreffend S.M.

wegen Rechtmäßigkeit von Maßnahmen der Justizbehörden, (hier: Rechtmäßigkeit eines Vollstreckungshaftbefehls).

Auf den Antrag des Betroffenen vom 12. April 2005 auf gerichtliche Entscheidung gemäß §§ 23 ff. EGGVG hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 14. Juni 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Es wird festgestellt, dass der Erlass des Vollstreckungshaftbefehls vom 4. April 2005 rechtswidrig war.

Die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Betroffenen werden der Landeskasse auferlegt.

Der Geschäftswert wird auf 2.500,- € festgesetzt.

Gründe:

Das Landgericht Münster hat den Betroffenen am 30. März 2004 wegen Vergewaltigung, sexueller Nötigung in einem minder schweren Fall und Bestechlichkeit in jeweils einem Fall zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Das Urteil ist seit dem 18. Februar 2005 rechtskräftig.

Am 24. Februar 2005 teilte die Kreispolizeibehörde in Borken zu den Akten mit, dass ausweislich eines Ermittlungsberichtes der Polizeibehörde in Bocholt vom 22. Februar 2005 das Fahrzeug des Verurteilten vor dem Hause der Zeugin H. gesehen worden sei. Da bereits während der Hauptverhandlung bei der Zeugin H. Drohanrufe erfolgten, die eine Entführung der Kinder H. in Aussicht stellten, wurden Objektschutzmaßnahmen eingeleitet. Aufgrund dieser Gefährdungsanalyse ist der Verurteilte am 23. März 2005 zum sofortigen Strafantritt in der Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Senne geladen worden.

In einem Telefongespräch am 24. März 2005 ist dem Verurteilten von der Staatsanwaltschaft Münster zugesichert worden, dass bis zum 4. April 2005 kein Haftbefehl ergehen werde. Er ist aufgefordert worden, zwischenzeitlich "das Notwendige" zu veranlassen. Am 4. April 2005 wollte der Verurteilte sich erneut telefonisch melden. Mit Schreiben seiner Verteidigerin vom 29. März 2005 beantragte der Verurteilte gemäß § 456 StPO darüber hinaus einen Vollstreckungsaufschub bis zum 14. April 2005. Zur Begründung führte er aus, dass sich die Dame zur Betreuung der Kinder bis zum 12. April 2004 im Urlaub befinde, so dass eine Betreuung nicht gewährleistet sei. Zudem wolle er diesen Zeitraum nutzen, um seine weiteren Belange zu regeln. Am Vormittag des 4. April 2005 meldete sich der Verurteilte telefonisch bei der Staatsanwaltschaft Müster und erkundigte sich nach dem beantragten Strafaufschub. Eine umgehende Prüfung und Bescheidung wurde in Aussicht gestellt. Noch am 4. April 2005 wurde der Antrag auf Vollstreckungsaufschub abgelehnt und Vollstreckungshaftbefehl erlassen. Am 4. April 2005 um 12.30 Uhr ist der Betroffene in seinem Haus festgenommen worden. Er wurde zunächst nach Bielefeld-Senne verbracht, von dort aus in die Einweisungsanstalt nach Hagen.

Mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung beantragt der Betroffene festzustellen, dass der Vollstreckungshaftbefehl der Staatsanwaltschaft Münster und die auf dieser Grundlage angeordnete Festnahme des Betroffenen am 4. April 2005 rechtswidrig war. Darüber hinaus begehrt er die Zurückversetzung in den Status des Selbststellers.

Der Antrag ist zulässig. Er ist als Feststellungsantrag nach § 28 Abs. 1 S. 4 EGGVG statthaft, da er mit dem vollzogenen Vollstreckungshaftbefehl einen bereits erledigten Justizverwaltungsakt angreift. Auch ein Interesse des Betroffenen an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Vollstreckungshaftbefehls liegt vor, da dies der Rehabilitierung des Betroffenen von der diskriminierenden Wirkung einer zwangsweisen Einweisung in den Strafvollzug dienen würde.

Die zwangsweise Zuführung zum Strafvollzug weckt den Anschein, der Betroffene wolle sich grundsätzlich der Haft entziehen. Dieser Anschein kann sich auf die Entscheidungen über vollzugslockernde Maßnahmen negativ auswirken. Die Möglichkeit des Rechtsweges nach §§ 109 ff. StVollzG gegen einen aus diesem Grunde abgelehnten Antrag hinsichtlich einer vollzugslockernden Maßnahme verdrängt das Feststellungsinteresse nicht. Es kann dem Betroffenen nämlich nicht zugemutet werden, zunächst einen negativen Bescheid der Vollzugsbehörde gegen sich ergehen zu lassen, wenn die Gründe, welche zur Ablehnung führen, ihrerseits auf rechtswidrigem Verwaltungshandeln beruhen (vgl. Senatsbeschlüsse vom 21. Dezember 1993 - 1 VAs 38/93 -; vom 23. Juni 2003 - 1 VAs 1/03 -).

Der Antrag ist auch begründet. Der Erlass des Vollstreckungshaftbefehls und die darauf beruhende Festnahme des Betroffenen waren rechtswidrig.

Gemäß § 457 Abs. 2 S. 1 StPO ist die Vollstreckungsbehörde befugt, einen Haftbefehl zur Vollstreckung einer Freiheitsstrafe zu erlassen, wenn sich der Verurteilte auf die an ihn ergangene Ladung zum Strafantritt - aufgrund eigenen schuldhaften Verhaltens - nicht gestellt hat oder der Flucht verdächtig ist.

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Zwar hat sich der Betroffene nicht zum Strafantritt gestellt. Ein eigenes schuldhaftes Verhalten kann indes nicht festgestellt werden. Dem Betroffenen kann nicht angelastet werden, dass er sich am 4. April 2005 nicht zum Strafantritt gestellt hat. Ihm ist in einem Telefongespräch am 24. März 2005 zugesichert worden, dass bis zum 4. April 2005 ein Vollstreckungshaftbefehl nicht ergehen werde. Die Aussage "bis zum 4. April" kann nach allgemeinem Sprachgebrauch durchaus dahingehend verstanden werden, dass die Frist mit Ablauf des 4. April endet, also am 4. April 2005 um 24.00 Uhr. Bei einer derartigen Auslegung der Zusicherung bestand bereits keine Verpflichtung des Verurteilten, sich am 4. April zum Strafvollzug zu stellen. Aber selbst wenn man die Erklärung der Staatsanwaltschaft dahingehend auslegt, ein Vollstreckungshaftbefehl werde zwar bis zum 4. April 2005 nicht, am 4. April 2005 aber ergehen - Fristablauf wäre somit der 3. April 2005 24.00 Uhr - kann dem Verurteilten nicht angelastet werden, dass er am 4. April 2005 der Ladung zum Strafantritt nicht nachgekommen ist. Denn es war bei dem Telefongespräch am 24. März 2005 zusätzlich vereinbart, dass der Betroffene sich am 4. April 2005 telefonisch bei der Vollstreckungsbehörde meldet. Dies ist auch geschehen. Ihm wurde jedoch lediglich mitgeteilt, über sein Strafaufschubgesuch werde umgehend entschieden. Weitere Konsequenzen wurden ihm nicht mitgeteilt. Von daher ist nicht auszuschließen, dass der Betroffene davon ausging, ein Vollstreckungshaftbefehl werde erst ergehen, wenn ihm die Entscheidung der Vollstreckungsbehörde über das Strafaufschubgesuch mitgeteilt werde. Die Rechtslage war demnach für den Betroffenen zumindest - auch verursacht durch die Staatsanwaltschaft - sehr unübersichtlich. Unter diesen Umständen hätte es vor dem Erlass des Vollstreckungshaftbefehls eines unmissverständlichen Hinweises darauf bedurft, dass der Betroffene sich nunmehr dem Strafantritt zu stellen habe. Tatsächlich ist er aber bereits am 4. April 2005 um 12.30 Uhr verhaftet worden.

Nach alledem war festzustellen, dass der Erlass des Vollstreckungshaftbefehls rechtswidrig war. Eine Entscheidung darüber, ob der Betroffene als Selbststeller anzusehen ist, obliegt nicht einer Entscheidung nach §§ 23 ff. EGGVG. Diese Bewertung ist vielmehr von den Vollzugsbehörden vorzunehmen.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 30 EGGVG, 30, 130 KostO.

Ende der Entscheidung

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