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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 29.06.2006
Aktenzeichen: 1 VAs 36/06
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 465a
Die Entscheidung der Vollstreckungsbehörde, bei einem aus dem Inland ausgewiesenen Verurteilten von der Vollstreckung abzusehen, liegt in ihrem pflichtgemäßen Ermessen.
Beschluss Justizverwaltungssache

betreffend den Strafgefangenen B.W.

wegen Rechtmäßigkeit von Maßnahmen der Justizbehörden, (hier: Antrag auf Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 456 a StPO).

Auf den Antrag des Betroffenen vom 6. April 2006 auf gerichtliche Entscheidung nach den §§ 23 ff. EGGVG gegen den Bescheid der Staatsanwaltschaft Aachen vom 18. November 2005 in der Form des Beschwerdebescheides des Generalstaatsanwalts in Köln vom 6. März 2006 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 29. 06. 2006 durch die Richterin am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung des Generalstaatsanwalts in Hamm beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird auf Kosten des Betroffenen als unbegründet verworfen.

Der Geschäftswert wird auf 2.500,00 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Der inzwischen 43 Jahre alte Betroffene ist pakistanischer Staatsangehöriger. Seit 1986 befindet er sich ununterbrochen in Deutschland, nachdem sein Asylantrag letztlich vor dem Verwaltungsgericht Köln Erfolg hatte.

Am 28. Juni 1995 verurteilte ihn die 1. Schwurgerichtskammer des Landgerichts Aachen wegen Mordes in Tateinheit mit Raub mit Todesfolge zu lebenslanger Freiheitsstrafe. Die Entscheidung ist seit dem 11. November 1995 rechtskräftig. Nach den getroffenen Feststellungen hat der Betroffene am 18. September 1994 den katholischen Priester X.X., mit dem ihn eine langjährige homosexuelle Beziehung verband, zunächst zu Boden geschlagen und dann erdrosselt, weil der Geistliche angekündigt hatte, ihn wegen eines Diebstahls im Pfarrhaus bei der Polizei anzuzeigen. Der Betroffene erhoffte außerdem, nach der Tat im Pfarrhaus Geld zu finden, um so seine finanzielle Situation aufzubessern.

Seit seiner Festnahme in dieser Sache am 30. September 1994 befindet sich der Betroffene ununterbrochen in Haft. Nach der gegenwärtigen Vollstreckungsübersicht werden 15 Jahre der lebenslangen Freiheitsstrafe am 28. September 2009 verbüßt sein. Dieser Termin kann sich aber aufgrund der nachstehend genannten Verurteilung noch verschieben.

Am 18. Juli 2005 verurteilte ihn nämlich das Amtsgericht Aachen wegen Beihilfe zum unerlaubten Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge und wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten. Die dieser Verurteilung zugrunde liegenden Straftaten beging der Betroffene während des laufenden Strafvollzuges. Es ist zu erwarten, dass die Vollstreckung der lebenslangen Freiheitsstrafe in Kürze unterbrochen und zunächst diese Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Aachen vollstreckt wird.

Der Betroffene, gegen den die vollziehbare Ausweisungverfügung des Landrates des Kreises Düren vom 23. Juli 2004 besteht, hatte schon mit Schreiben vom 11. April 1996 beantragt, zur weiteren Vollstreckung der Strafe nach Pakistan überstellt zu werden. Diesen und weitere Anträge des Betroffenen auf Überstellung bzw. auf Absehen von der Strafvollstreckung gem § 456 a StPO hat die Staatsanwaltschaft in der Folgezeit zwar stets zurückgewiesen, jedoch bereits mit Schreiben vom 8. Mai 1996 angekündigt, dass beabsichtigt sei, mit Wirkung vom 28. September 2004, also nach Verbüßung von 10 Jahren Strafhaft gemäß § 456 a StPO zu verfahren.

Mit Schreiben seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 29. August 2005 beantragte der Betroffene, nunmehr von der weiteren Vollstreckung abzusehen und ihn nach Pakistan abzuschieben. Zur Begründung hat er ausgeführt, die Staatsanwaltschaft habe eine solche Maßnahme nach Verbüßung von 10 Jahren der lebenslangen Freiheitsstrafe zugesagt. Außerdem seien während der Haftzeit mehrere seiner Angehörigen verstorben, darunter seine Mutter im Jahr 1996, ein Bruder im Jahr 1997 und ein weiterer Bruder im Jahr 2003 in Deutschland. Der zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits 77 Jahre alte Vater des Betroffenen sei nach einem Schlaganfall linksseitig gelähmt und vollständig auf fremde Hilfe angewiesen. Aufgrund der schweren Erkrankung des Vaters müsse mit dessen Ableben gerechnet werden. Dem Interesse an einer nachhaltigen Strafvollstreckung sei durch die bisherige Strafhaft in jeder Hinsicht Genüge getan.

Die Staatsanwaltschaft hat den Antrag des Betroffenen mit Entschließung vom 18. November 2005 zurückgewiesen und dazu ausgeführt, ein Absehen von der weiteren Strafvollstreckung zu dem bisher vorgesehenen Zeitpunkt sei jetzt nicht mehr zu vertreten, weil der Betroffene während des Strafvollzuges erneut Straftaten begangen habe und deshalb vom Amtsgericht Aachen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt worden sei. Nunmehr gebiete das öffentliche Interesse an einer nachhaltigen Strafvollstreckung auch weiterhin den weiteren Vollzug der lebenslangen Freiheitsstrafe. Die von dem Betroffenen vorgetragenen familiären Gründe seien nicht geeignet, dieses Interesse der Öffentlichkeit zurückzustellen. Es sei nunmehr beabsichtigt, nach Verbüßung von 15 Jahren der lebenslangen Freiheitsstrafe von der weiteren Vollstreckung abzusehen.

Gegen diese Entscheidung hat der Betroffene mit Schreiben seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 29.11.2005 Beschwerde eingelegt und erneut darauf hingewiesen, dass während der Haftzeit seine Mutter und zwei Brüder verstorben seien und der in Pakistan lebende gesundheitlich schwer eingeschränkte Vater auf fremde Hilfe angewiesen sei. Die Staatsanwaltschaft habe sich im Übrigen nur unzureichend mit den vorgetragenen familiären Gründen auseinandergesetzt.

Der Generalstaatsanwalt in Köln hat die Beschwerde mit Entschließung vom 6. März 2006 zurückgewiesen und dazu ausgeführt, die Staatsanwaltschaft Aachen habe wegen der Nachverurteilung durch das Amtsgericht Aachen zu Recht von einer Maßnahme gemäß § 456 a StPO abgesehen. In der durch die zunehmende Kriminalität stark beunruhigten Öffentlichkeit würde es auf Unverständnis stoßen, wenn ein Straftäter, der unmittelbar vor einer in Aussicht stehenden Abschiebung in sein Heimatland derart gravierende Straftaten im Vollzug begehe, vor einer weiteren nachhaltigen Vollstreckung der Strafe abgeschoben würde. Auch unter Berücksichtigung der familiären und sozialen Situation des Betroffenen und der Einschränkungen, denen er als ausreisepflichtiger Ausländer ausgesetzt sei, komme ein Absehen von der weiteren Strafvollstreckung zurzeit nicht in Betracht. Soweit es die Versorgung des Vaters in Pakistan betreffe, sei darauf hinzuweisen, dass auch nach dem eigenen Vorbringen des Betroffenen noch sechs seiner Geschwister in Pakistan leben, die dem Vater bei seiner Lebensführung behilflich sein könnten. Im Hinblick auf den Unrechtsgehalt der Tat und die Schwere der Schuld überwiege deshalb gegenwärtig das öffentliche Interesse an einer nachhaltigen Strafvollstreckung. Persönliche Umstände, die gegenüber dem vorrangigen öffentlichen Interesse an einer weiteren nachdrücklichen Vollstreckung hätten Berücksichtigung finden müssen, würden bei der gegebenen Sachlage in den Hintergrund treten.

Gegen diese Entschließung richtet sich der Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung nach den §§ 23 ff. EGGVG. In Ergänzung seines bisherigen Vorbringens hat er ausgeführt, es sei unzulässig, wenn bei der Abwägungsentscheidung der Vollstreckungsbehörde der familiären und sozialen Situation eines Verurteilten nur eine untergeordnete Rolle zugebilligt würde. Schließlich sei die Familie des Verurteilten zusätzlich stark durch das Erdbeben in Mitleidenschaft gezogen, das sich im Jahr 2005 in Pakistan ereignet habe. Die finanzielle, soziale und humanitäre Situation habe sich extrem verschlechtert. Inzwischen sei auch am 11. Dezember 2005 der Vater des Betroffenen an einer Herzattacke verstorben, so dass sich die Befürchtungen des Betroffenen, seinen Vater nicht mehr lebend zu sehen, bewahrheitet hätten. Erstmals im vorliegenden Verfahren weist der Betroffene außerdem darauf hin, dass seine Ehefrau und sein 10 Jahre alter Sohn ebenfalls in Pakistan leben, "was eine nachvollziehbare zusätzliche Härte" darstelle. Unter den gegenwärtigen Vollzugsbedingungen (ausreisepflichtiger Ausländer) würde er besonders leiden, weil er keine vollzuglichen Lockerungen erhalte und von seinen in Pakistan lebenden Verwandten aus Kostengründen nicht besucht werden könne. Im Übrigen habe er, wenn man den ursprünglichen Abschiebungszeitpunkt (28. September 2004) zugrunde lege, die 18-monatige Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Aachen inzwischen schon vollständig verbüßt.

In einem weiteren von ihm selbst verfaßten Schreiben vom 6 Juni 2006 hat der Betroffene noch mitgeteilt, daß auch seine Ehefrau am 3. März 2006 in Pakistan verstorben und sein 11-jähriger Sohn auf seine Unterstützung angewiesen sei.

II.

Der Antrag ist gemäß §§ 23 ff. EGGVG zulässig, in der Sache aber nicht begründet.

Die Entscheidung der Vollstreckungsbehörde, gegenwärtig noch nicht von der weiteren Strafvollstreckung abzusehen, ist nicht zu beanstanden.

Die angefochtene Entscheidung unterliegt nicht unbeschränkt gerichtlicher Nachprüfung. Die Entscheidung der Vollstreckungsbehörde, bei einem aus dem Inland ausgewiesenen Verurteilten von der Vollstreckung abzusehen, liegt in ihrem pflichtgemäßen Ermessen. Der Senat hat deshalb gemäß § 28 Abs. 3 EGGVG nur zu prüfen, ob bei der Ermessensentscheidung fehlerfrei verfahren wurde, ob also die Vollstreckungsbehörde von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist, ob sie die Grenzen des Ermessens eingehalten und von ihm in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Um die gerichtliche Nachprüfung der Ermessensausübung zu ermöglichen, müssen die Gründe einer ablehnenden Entscheidung der Vollstreckungsbehörde die dafür wesentlichen Gesichtspunkte mitteilen und eine Abwägung der für und gegen ein Absehen von der weiteren Vollstreckung sprechenden Umstände erkennen lassen (OLG Hamm NStZ 83, S. 524; OLG Hamburg, StV 1996, S. 328; OLG Karlsruhe, ZfStrVo 2000, S. 251).

Diese eingeschränkte Überprüfung ergibt hier keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen. Zutreffend hat die Vollstreckungsbehörde auf den hohen Unrechtsgehalt der abgeurteilten Straftaten abgestellt, der auch in der Höhe der verhängten lebenslangen Freiheitsstrafe zum Ausdruck kommt. Der Betroffene hat im Zusammenhang mit der Mordtat schließlich drei Mordmerkmale verwirklicht und wurde außerdem wegen Raubes mit Todesfolge schuldig gesprochen. Die ursprüngliche Absicht der Staatsanwaltschaft, bereits nach 10 Jahren von der weiteren Strafvollstreckung abzusehen, erweist sich unter diesen Umständen als außerordentlich günstig für den Betroffenen.

Zu Recht hat die Strafvollstreckungsbehörde aber nunmehr wegen der Nachverurteilung durch das Amtsgericht Aachen von einer solchen Maßnahme jedenfalls vorläufig abgesehen, weil es in der durch die zunehmende Kriminalität stark beunruhigten Öffentlichkeit auf Unverständnis stoßen würde, wenn ein Straftäter, der unmittelbar vor einer in Aussicht stehenden Abschiebung in sein Heimatland derart gravierende Straftaten im Vollzug begeht, vor einer weiteren nachhaltigen Vollstreckung der Strafe abgeschoben würde.

Der Betroffene kann sich auch nicht mehr auf die frühere Zusage der Staatsanwaltschaft berufen, ihn schon nach 10 Jahren aus der Strafvollstreckung zu entlassen, denn er genießt insoweit keinen Vertrauensschutz. Grundlage der damaligen Absichtserklärung der Vollstreckungsbehörde war ganz offensichtlich eine weitere beanstandungsfreie Führung des Betroffenen im Strafvollzug. Gegen diese Erwartung hat der Betroffene aber in gravierender Weise verstoßen.

Es ist deshalb nicht zu beanstanden, wenn die Staatsanwaltschaft das öffentliche Interesse an einer nachhaltigen Strafverbüßung über das des Betroffenen an einem Leben außerhalb Deutschlands unter Berücksichtigung seiner persönlichen und familiären Situation stellt. Die Strafvollstreckungsbehörde hat auch die für den Betroffenen sprechenden Umstände hinreichend berücksichtigt und in ihre Ermessensentscheidung mit einbezogen. So ist der Betroffene zwar vollzuglichen Einschränkungen unterworfen und kann wegen der weiten Entfernung zu seiner in Pakistan lebenden (Herkunfts-) Familie nur eingeschränkt Kontakt unterhalten, jedoch vermögen diese Umstände, worauf die Vollzugsbehörde zutreffend abgestellt hat, das hier zweifelsfrei vorhandene besondere öffentliche Interesse an einer nachhaltigen Strafvollstreckung nicht auszuräumen. Soweit der Betroffene nunmehr im gerichtlichen Verfahren erstmalig vorgetragen hat, dass am 3. März 2006 auch seine in Pakistan lebende Ehefrau verstorben sei und er für seinen gleichfalls dort lebenden Sohn sorgen wolle, handelt es sich um neues Vorbringen, das von der Vollstreckungsbehörde noch nicht berücksichtigt werden konnte und damit auch einer Überprüfung im gerichtlichen Verfahren nach den §§ 23 ff. EGGVG nicht zugänglich ist.

Abschließend ist zu bemerken, dass der Gesetzgeber durch die Einführung des § 456 a StPO die Möglichkeit, bei Ausländern von der Strafvollstreckung abzusehen, keineswegs im Interesse solcher Ausländer geschaffen hat, um diese gegenüber deutschen Strafgefangenen zu begünstigen, sondern aus rein fiskalischen Erwägungen, um inländische Stellen von der Last der Vollstreckung von Straftaten gegen Ausländer befreien zu können (vgl. zuletzt Senatsbeschluss vom 17. Januar 2006 - 1 VAs 71 u. 72/05 -). Die genannten gesetzgeberischen Motive hindern zwar nicht daran, die persönlichen Verhältnisse eines Verurteilten bei der zu treffenden Entscheidung angemessen zu berücksichtigen. Diese stehen aber - anders als bei anderen im Rahmen der Strafvollstreckung zu treffenden Entscheidungen - nicht im Vordergrund.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 30 EGGVG, 130, 30 KostO.

Ende der Entscheidung

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