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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 08.11.2005
Aktenzeichen: 1 VAs 53/05
Rechtsgebiete: StPO, EGGVG


Vorschriften:

StPO § 456a
EGGVG § 28
Die Entscheidung der Vollstreckungsbehörde, bei einem zur Ausreise verpflichteten Straftäter von der weiteren Strafvollstreckung abzusehen, liegt in deren pflichtgemäßem Ermessen und ist deshalb nur eingeschränkt einer gerichtlichen Nachprüfung zugänglich. Das OLG hat deshalb gem. § 28 Abs. 3 EGGVG nur zu prüfen, ob bei der Ermessensentscheidung rechtsfehlerfrei verfahren wurde, ob also die Vollstreckungsbehörde von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, ob sie die Grenzen des Ermessens eingehalten und von ihm in
Beschluss

Justizverwaltungssache

betreffend den Strafgefangenen C.G.

wegen Rechtmäßigkeit von Maßnahmen der Justizbehörden (hier: Entscheidung nach § 456 a StPO)

Auf den Antrag des Betroffenen vom 23. August 2005 auf gerichtliche Entscheidung nach den §§ 23 ff. EGGVG gegen den Bescheid der Staatsanwaltschaft Duisburg vom 30. Mai 2005 in der Form des Beschwerdebescheides des Generalstaatsanwalts in Düsseldorf vom 29. Juli 2005 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 08. 11. 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung des Generalstaatsanwalts in Hamm beschlossen:

Tenor:

Der Antrag wird auf Kosten des Betroffenen als unbegründet verworfen.

Tenor:

Der Geschäftswert wird auf 2.500,00 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Die 3. große Strafkammer des Landgerichts Duisburg hat den Betroffenen am 05. Juli 2002 wegen schweren Raubes in zwei Fällen unter Einbeziehung der durch Urteil des Amtsgerichts Duisburg vom 17. Juni 2002 wegen Diebstahls (im besonders schweren Fall) in zwei Fällen verhängten Einzelstrafen von jeweils 9 Monaten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 7 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Die Hälfte dieser Gesamtfreiheitsstrafe wird am 05. November 2005, 2/3 werden am 05. Februar 2007 verbüßt sein. Mit bestandskräftiger Ordnungsverfügung vom 07. Juli 2003 hat der Oberbürgermeister der Stadt Remscheid die Ausweisung und Abschiebung des Verurteilten angeordnet.

Mit Schreiben vom 26. Mai 2005 hat der Betroffene beantragt, von der weiteren Vollstreckung der Freiheitsstrafe nach Verbüßung der Hälfte der Strafe gem. § 456 a StPO abzusehen. Zur Begründung hat er ausgeführt, er müsse ohnehin auf Grund der Ausweisungsverfügung die Bundesrepublik Deutschland nach der Entlassung aus der Strafhaft verlassen. Er habe auch vor, wieder in Rumänien zu leben, weil dort seine Frau und der gemeinsame Sohn wohnen. In Rumänien sei es ihm außerdem möglich, in der örtlichen Schuhfabrik zu arbeiten. Schließlich sei auch zu berücksichtigen, dass er sich bereits seit dem 7. Dezember 2001 in Haft befinde und zuvor schon eine Jugendstrafe von 6 Monaten verbüßt habe. Demgegenüber bestehe ein besonderes öffentliches Interesse an einer nachhaltigen Strafvollstreckung im vorliegenden Fall nicht. Die Staatsanwaltschaft Duisburg hat den Antrag mit Entschließung vom 30. Mai 2005 zurückgewiesen und dazu u. a. ausgeführt, eine über den Halbstrafenzeitpunkt hinausgehende Vollstreckung sei erforderlich, wenn dies aus besonderen, in der Tat und in der Persönlichkeit eines Verurteilten liegenden Gründen oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unabweisbar geboten sei. Das sei hier der Fall. Gleichzeitig hat die Staatsanwaltschaft angekündigt, es sei beabsichtigt, ab dem 08. November 2006 von der weiteren Strafvollstreckung abzusehen.

Gegen diese Entscheidung hat der Betroffene mit Schreiben vom 26. Mai 2005 Beschwerde eingelegt und dazu u. a. ergänzend ausgeführt, die ablehnende Entscheidung der Staatsanwaltschaft begnüge sich mit der Wiedergabe des Gesetzeswortlauts und stelle keine Ermessensausübung dar. Besondere Umstände, die einem Absehen von weiterer Strafvollstreckung entgegenstehen könnten, seien aus der Tat nicht ersichtlich und auch die Verteidigung der Rechtsordnung gebiete nicht den weiteren Strafvollzug. Es sei schließlich auch zu berücksichtigen, dass seine an den damaligen Straftaten beteiligten Mittäter bereits sämtlich nach Verbüßung der Halbstrafe entlassen und nach Rumänien abgeschoben worden seien. Außerdem habe die damalige Verurteilung durch das Landgericht Duisburg auch "auf einem Deal" beruht, denn es sei ihm im Fall eines geständigen Verhaltens eine frühzeitige Abschiebung "in Aussicht gestellt" worden.

Der Generalstaatsanwalt in Düsseldorf hat die Beschwerde mit Entschließung vom 29. Juli 2005 zurückgewiesen und dazu u. a. ausgeführt, die weitere Vollstreckung der gegen den Betroffenen verhängten Freiheitsstrafe sei auch über die Verbüßung der Halbstrafe hinaus erforderlich, weil die dem Betroffenen zur Last gelegten Straftaten ganz erhebliche schulderhöhende Umstände aufwiesen. Ausweislich der Urteilsfeststellungen habe der Betroffene bereits kurz nach seinem Ausbruch aus der Justizvollzugsanstalt Plötzensee mit der Verwirklichung der dem Urteil des Landgerichts zu Grunde liegenden Straftaten begonnen. Dabei seien der Betroffene und seine Mittäter nicht davor zurückgeschreckt, unmittelbare körperliche Gewalt gegen ihre Opfer auszuüben. Aus vorangegangenen Verurteilungen ergebe sich im übrigen auch, dass solche Verhaltensweisen dem Betroffenen nicht wesensfremd seien.

Der zeitlichen Abfolge der Ein- und Ausreisen des Betroffenen sei schließlich zu entnehmen, dass dieser - offensichtlich zur Geldbeschaffung für das Leben in seinem Heimatland - versucht habe, seinen Lebensunterhalt im wesentlichen durch Straftaten zu bestreiten. Angesichts der besonderen Schwere der Schuld des Betroffenen, bei dem es sich um einen gefährlichen Raubtäter handele, sei deshalb eine über den Halbstrafenzeitpunkt hinausgehende Vollstreckung unabweisbar geboten. Die familiäre Situation des Betroffenen und sein persönlicher Werdegang seien nicht geeignet, eine andere Entscheidung zu rechtfertigen, denn diese Aspekte müßten hinter dem mit der Strafvollstreckung bezweckten Schutz der Bevölkerung vor gewalttätigen Raubtätern zurücktreten.

Gegen diese, dem Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen am 08. August 2005 zugestellte, Entschließung richtet sich der am 25. August 2005 beim Oberlandesgericht eingegangene Antrag des Betroffenen vom 23. August 2005 auf gerichtliche Entscheidung nach den §§ 23 ff. EGGVG. In Ergänzung seines bisherigen Vorbringens führt er darin aus, er habe sich während der Strafvollstreckung im wesentlichen beanstandungsfrei geführt und auch intensiv mit seiner strafrechtlichen Vergangenheit auseinandergesetzt.

II.

Der Antrag ist gem. §§ 23 ff. EGGVG zulässig, in der Sache aber nicht begründet.

Die Entscheidung der Vollstreckungsbehörde, bei einem zur Ausreise verpflichteten Straftäter von der weiteren Strafvollstreckung abzusehen, liegt in deren pflichtgemäßem Ermessen und ist deshalb nur eingeschränkt einer gerichtlichen Nachprüfung zugänglich. Der Senat hat deshalb gem. § 28 Abs. 3 EGGVG nur zu prüfen, ob bei der Ermessensentscheidung rechtsfehlerfrei verfahren wurde, ob also die Vollstreckungsbehörde von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, ob sie die Grenzen des Ermessens eingehalten und von ihm in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Um die gerichtliche Nachprüfung der Ermessensentscheidung zu ermöglichen, müssen die Gründe einer ablehnenden Entscheidung der Vollstreckungsbehörde die dafür wesentlichen Gesichtspunkte mitteilen und eine Abwägung der für und gegen ein Absehen der weiteren Strafvollstreckung sprechenden Umstände erkennen lassen (vgl. OLG Hamm NStZ 1983 S. 524, Kammergericht StV 1989, S. 27; OLG Hamburg STV 1996, S. 328; Senatsbeschluss vom 03. Mai 2005 - 1 VAs 10/05).

Diese eingeschränkte Überprüfung ergibt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen.

Zutreffend hat die Strafvollstreckungsbehörde auf den hohen Unrechtsgehalt der abgeurteilten Straftaten abgestellt, der auch in der Höhe der verhängten Gesamtfrei-heitsstrafe zum Ausdruck kommt. Nach den vom Landgericht Duisburg getroffenen Feststellungen haben der Betroffene und seine Mittäter etwa bei dem Überfall auf die Filiale der Deutschen Post AG in Wandlitz die dortigen Geschäftsräume mit gezogenen Scheinfaustfeuerwaffen betreten und die Postangestellte mit aufgesetzter Waffe zu Boden gezwungen. Dieses Vorgehen war geeignet, die Zeugin in erhebliche Furcht zu versetzen, zumal die Täter den direkten Körperkontakt zu der Zeugin hergestellt und sie geschlagen haben. Dies stellt - wie das Landgericht zutreffend festgestellt hat - eine erhebliche Steigerung gegenüber dem bloßen Beisichführen einer Scheinwaffe dar. Außerdem war zu berücksichtigen, dass der Betroffene erst wenige Tage vor dieser Raubtat aus der Justizvollzugsanstalt Plötzensee ausgebrochen war, sich in kurzer Zeit bereits mehrere Scheinfaustfeuerwaffen besorgt und ein geeignetes Tatobjekt ausgewählt hatte. Bei dieser Sachlage ist nicht zu beanstanden, dass die Strafvollstreckungsbehörde dem Unrechtsgehalt der Tat und der Schwere der Schuld des Betroffenen eine besondere Bedeu-tung beigemessen hat. Dabei hat sie die persönlichen Belange des Betroffenen mit einbezogen und dessen familiäre Situation angemessen berücksichtigt. Es ist auch nichts dafür ersichtlich, dass der Betroffene, der sich nach seiner Einlassung bisher im Vollzug "im wesentlichen" beanstandungsfrei geführt hat, durch den Vollzug der Freiheitsstrafe in einem für ihn fremden Land in besonderer Weise Beeinträchtigun-gen hinnehmen muß, die über die mit der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe üblicherweise verbundenen Nachteile hinausgehen. Aber selbst wenn sich dies so verhielte, wäre dies die zwangsläufge und von ihm hinzunehmende Folge davon, dass er sein Heimatland zur Begehung von schwerwiegenden Straftaten verlassen hat.

Soweit sich der Betroffene darauf beruft, dass seine Mittäter bereits nach Verbüßung der Halbstrafe abgeschoben worden seien, gilt, dass bei der Prüfung, ob ein Absehen von der weiteren Strafvollstreckung gem. § 456 a StPO in Betracht kommt, auf die jeweilige individuelle Schuld eines Betroffenen und seine persönliche und soziale Situation abzustellen ist. Bereits daraus folgt, dass aufgrund der unterschiedlichen und damit nicht vergleichbaren Lebensverhältnisse der damaligen Tatbeteiligten ein Anspruch auf gleiche oder ähnliche Behandlung nicht gegeben sein kann.

Auch der Einwand des Betroffenen, es sei ihm bereits in der Hauptverhandlung vor dem Landgericht Duisburg eine frühzeitige Abschiebung "in Aussicht" gestellt worden kann dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung nicht zum Erfolg verhelfen, denn weder die seinerzeit erkennende Strafkammer noch der damalige Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft waren befugt, insoweit verbindliche Zusicherungen abzugeben und damit zugunsten des Betroffenen einen Vertrauenstatbestand zu schaffen.

Die Staatsanwaltschaft hat mit ihrer Entschließung auch nicht gegen sie bindende Verwaltungsvorschriften verstoßen. Nach Ziffer 1) RV des Justizministers NW vom 20. August 1985 (9.174-III A 29) ist zwar in der Regel von der Vollstreckung nach Verbüßung der Hälfte einer zeitigen Strafe bei Anwendung des § 456 a StPO abzusehen. Nach Ziffer 3) dieser Rundverfügung kommt aber eine über den Halbstrafenzeitpunkt hinausgehende Vollstreckung jedenfalls dann in Betracht, wenn dies aus besonderen in der Tat und in der Person des Verurteilten liegenden Gründen oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unabweisbar geboten ist. Die Voraussetzungen, an welche diese Verwaltungsvorschriften die Strafvollstreckung über den Halbstrafenzeitpunkt hinaus knüpfen, sind hier unzweifelhaft gegeben. Ergänzend ist nachdrücklich darauf hinzuweisen, dass der Gesetzgeber die Möglichkeit, bei ausländischen Straftätern von der Strafvollstreckung abzusehen, nicht im Interesse dieses Täterkreises, sondern im Interesse der Bundesrepublik Deutschland geschaffen hat, um diese in einem vertretbaren Rahmen von der Last der Strafverfolgung zu befreien (vgl. Senatsbeschluss vom 25. März 2004 - 1 VAs 1/04). Insofern hat der Betroffene kein Recht auf ein Absehen der weiteren Strafvollstreckung, sondern nur einen Anspruch auf fehlerfreien Ermessensgebrauch der Vollstreckungsbehörde. Dem ist hier entsprochen worden.

Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 30 EGGVG, 30, 130 KostO.

Der Schriftsatz des Bevollmächtigten des Betroffenen vom 3. November 2005 hat vorgelegen. Er gibt zu anderer Beurteilung keinen Anlass.

Ende der Entscheidung

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