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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 16.12.2003
Aktenzeichen: 1 VAs 60/03
Rechtsgebiete: StPO, StrVollStrO, EGGGVG


Vorschriften:

StPO § 459e
StPO §§ 459 f
StrVollStrO § 43
EGGVG § 23
Zu den Anforderungen an die nachträgliche Änderung der Vollstreckungsreihenfolge.
Beschluss

Justizverwaltungssache

betreffend J.E.

wegen Rechtmäßigkeit von Maßnahmen der Justizbehörden, (hier: nachträgliche Änderung der Vollstreckungsreihenfolge in vier Verfahren).

Auf den Antrag des Betroffenen vom 19. September 2003 auf gerichtliche Entscheidung nach den §§ 23 ff. EGGVG gegen die Entscheidungen der Staatsanwaltschaft Essen vom 25. Juli 2002 und 27. September 2002 in der Form des Beschwerdebescheids des Generalstaatsanwalts in Hamm vom 18. August 2003 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 16. 12. 2003 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft in Hamm beschlossen:

Tenor:

Der Antrag wird auf Kosten des Betroffenen als unbegründet verworfen.

Der Geschäftswert wird auf 2.500,00 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Gegen den Betroffenen wurden zuletzt die vier nachfolgend aufgeführten Strafen verhängt:

Durch Gesamtstrafenbeschluss des Amtsgerichts Essen vom 1. Juli 1998, rechtskräftig seit dem 22. Juli 1998, wurde gegen den Betroffenen wegen Diebstahls u.a. eine Gesamtgeldstrafe von 280 Tagessätzen zu je 15,- DM festgesetzt (53 Cs 40 Js 480/96 - 482/97 - = 40 VRs 395/97).

Das Amtsgericht Essen verhängte gegen den Betroffenen des weiteren mit Strafbefehl vom 18. Dezember 1998, rechtskräftig seit dem 8. Januar 1999, wegen Erschleichens von Leistungen eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu je 10,- DM (58 Cs 40 Js 1478/98 - 958/98 - = 40 VRs 10/99).

Das Amtsgericht Bottrop verurteilte den Betroffenen mit Urteil vom 3. März 1997, am selben Tage rechtskräftig, wegen Computerbetruges in 12 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde (27 Ds 300 Js 861/96 - 20/97 - = 300 VRs 290/97). Mit Beschluss des Amtsgerichts Bottrop vom 22. August 2001, rechtskräftig seit dem 15. September 2001, wurde die Strafaussetzung zur Bewährung widerrufen.

Mit Urteil des Landgerichts Essen vom 22. Dezember 1999, rechtskräftig seit dem 29. November 2000, wurde der Betroffene wegen schwerer räuberischer Erpressung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung sowie wegen versuchter räuberischer Erpressung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und sechs Monaten verurteilt (27 KLs 71 Js 328/99 - 35/99 = 71 VRs 5/01). Der Betroffene wurde in dem Verfahren 71 Js 328/99 am 13. Juli 1999 vorläufig festgenommen und befand sich aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Bottrop vom 14. Juli 1999 (29 Gs 240/99) seit diesem Tag in Untersuchungshaft. Mit Wirkung vom 11. November 1999 wurde der Vollzug der Untersuchungshaft aufgrund eines entsprechenden Beschlusses des Landgerichts Essen vom 27. Oktober 1999 zunächst unterbrochen und die Ersatzfreiheitsstrafe von 90 Tagen für das Verfahren 40 VRs 10/99 StA Essen bis zum 8. Februar 2000 vollstreckt. Im Anschluss daran verbüßte der Betroffene in weiterer Unterbrechung der Untersuchungshaft in der Zeit vom 9. Februar 2000 bis zum 10. November 2000 die Rest-Ersatzfreiheitsstrafe von 276 Tagen für das Verfahren 40 VRs 395/97 StA Essen.

Nach vollständiger Verbüßung der beiden Ersatzfreiheitsstrafen wurde anschließend in der Zeit vom 11. November 2000 bis zum 28. November 2000 erneut die mit Haftbefehl des Amtsgerichts Bottrop vom 14. Juli 1999 im Verfahren 71 Js 328/99 angeordnete Untersuchungshaft vollzogen, die am 29. November 2000 mit Rechtskraft des Urteils des Landgerichts Essen vom 22. Dezember 1999 in Strafhaft überging.

Die Strafhaft in der vorgenannten Sache wurde am 22. Juli 2003 nach 2/3-Verbüßung unterbrochen und die Vollstreckung in der Sache 300 VRs 290/97 StA Essen angeordnet, nachdem zwischenzeitlich mit Beschluss des Amtsgerichts Bottrop vom 22. August 2001 die Strafaussetzung zur Bewährung aus dem Urteil des Amtsgerichts Bottrop vom 3. März 1997 rechtskräftig widerrufen worden war. Seit dem 23. Juli 2003 wird die Freiheitsstrafe von einem Jahr aus dem Verfahren 300 VRs 290/97 gegen den Betroffenen vollstreckt. Strafende ist insoweit auf den 21. Juli 2004 vorgemerkt, die Hälfte dieser Gesamtfreiheitsstrafe wird der Betroffene am 21. Januar 2004 verbüßt haben; 2/3-Termin ist auf den 21. März 2004 notiert. Die Vollstreckung des Strafrestes aus dem Urteil des Landgerichts Essen vom 22. Dezember 1999 in der Sache 71 VRs 5/01 ist für die Zeit vom 22. Juli 2004 bis zum 21. Januar 2006 (Strafende) beabsichtigt.

Mit Schreiben seiner Verteidigerin vom 1. Juli 2002 und 18. September 2002 hat der Betroffene bei der Staatsanwaltschaft Essen beantragt, die Vollstreckungsreihenfolge nachträglich dahin abzuändern, dass die bislang verbüßte Freiheitsstrafe zunächst auf die Freiheitsstrafe aus dem Verfahren 71 VRs 5/01 (4 Jahre 6 Monate Freiheitsstrafe), sodann auf die Freiheitsstrafe aus dem Verfahren 300 VRs 290/97 (ein Jahr Freiheitsstrafe) und hiernach auf die zu vollstreckenden Ersatzfreiheitsstrafen aus den Verfahren 40 VRs 10/99 und 40 VRs 395/97 angerechnet wird. Diese Anträge hat die Staatsanwaltschaft Essen mit Bescheid vom 25. Juli 2002 und mit Verfügung vom 27. September 2002 abschlägig beschieden.

Die dagegen erhobenen Einwendungen des Verurteilten hat der Generalstaatsanwalt in Hamm mit Entschließung vom 18. August 2003, dem Verurteilten zugestellt am 22. August 2003, als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung ist u.a. ausgeführt, dass ein wichtiger Grund i.S.d. § 43 Abs. 4 StrVollstrO zur Abänderung der Reihenfolge der Strafvollstreckung nicht gegeben sei. Es sei nicht zu beanstanden, dass in Unterbrechung der Untersuchungshaft zunächst die Ersatzfreiheitsstrafen gegen den Betroffenen vollstreckt worden seien, da zum Zeitpunkt der Unterbrechung der Untersuchungshaft weder in dem Verfahren 71 VRs 5/01 noch in dem Verfahren 300 VRs 290/97 rechtskräftige Entscheidungen (Urteil bzw. Widerrufsbeschluss) vorgelegen hätten, die eine Vollstreckungsgrundlage hätten bieten können. Bei Eintritt der Rechtskraft des Urteils des Landgerichts Essen vom 22. Dezember 1999 in der Sache 71 VRs 5/01 und des Widerrufsbeschlusses des Amtsgerichts Bottrop vom 22. August 2001 in der Sache 300 VRs 290/97 seien die Ersatzfreiheitsstrafen bereits vollständig verbüßt gewesen, so dass insoweit eine nachträgliche Abänderung der Vollstreckungsreihenfolge weder zulässig noch geboten sei. Der Einwand des Betroffenen, er sei unter Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht darüber unterrichtet worden, dass ab dem 11. November 1999 in Unterbrechung der Untersuchungshaft Ersatzfreiheitsstrafe vollstreckt wurde und er sei deshalb davon ausgegangen, es werde Freiheitsstrafe nach Bewährungswiderruf in der Sache 300 VRs 290/97 vollstreckt, rechtfertige keine andere Entscheidung, zumal die Angaben des Betroffenen wenig glaubhaft seien. Schließlich habe der Betroffene auch nicht hinreichend dargelegt, mit welchen Mitteln er die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafen hätte abwenden können.

Gegen diese Entscheidung des Generalstaatsanwalts richtet sich der Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung gemäß §§ 23 ff. EGGVG vom 19. September 2003, der am 22. September 2003 beim Oberlandesgericht Hamm eingegangen ist. Der Betroffene vertritt die Auffassung, dass er durch die Art und Weise der Strafvollstreckung in seinen Rechten verletzt worden sei. Dadurch, dass die Ersatzfreiheitsstrafen - und zwar über den 2/3-Zeitpunkt hinaus - vorweg vollstreckt worden seien, müsse er länger in Haft verbleiben, als es die Gesetzeslage in § 454 b ff. StPO, § 43 StrVollstrO, § 57 StGB ermögliche. Durch die Unterbrechung der Untersuchungshaft und die nachfolgende Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafen sei dem Betroffenen die Möglichkeit genommen worden, durch Arbeit in der Strafhaft Geld zu verdienen und mit diesem Geld die Geldstrafen zu bezahlen. Da der Betroffene hinsichtlich der Taten, die Gegenstand des Haftbefehls des Amtsgerichts Bottrop vom 14. Juni 1999 und des Urteils des Landgerichts Essen vom 22. Dezember 1999 in der Sache 71 Js 328/99 = 71 VRs 5/01 StA Essen seien, von Anfang an geständig gewesen sei, mithin eine diesbezügliche Verurteilung zu einer längeren Freiheitsstrafe und aus Anlass einer solchen Verurteilung ferner der Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung aus dem Urteil des Amtsgerichts Bottrop vom 3. März 1999 sicher voraussehbar gewesen seien, hätte die Unterbrechung der Untersuchungshaft zur Vollstreckung von Ersatzfreiheitsstrafen unterbleiben müssen. Die Unterbrechung habe nämlich so zu einer Verlängerung der Strafverbüßung entgegen § 454 b StPO, § 57 StGB geführt. Jedenfalls sei es fehlerhaft gewesen, die Ersatzfreiheitsstrafen über den 2/3-Zeitpunkt hinaus zu vollstrecken. Hinzu komme, dass dem Betroffenen nicht klargeworden sei, dass die Ersatzfreiheitsstrafen gegen ihn vollstreckt wurden. Der Betroffene sei im Zusammenhang mit seiner Verlegung von der JVA Essen in die JVA Gelsenkirchen im Dezember 1999 davon ausgegangen, es werde die ursprünglich zur Bewährung ausgesetzte Strafe aus dem Urteil vom 3. März 1997 nach Bewährungswiderruf vollstreckt.

II.

Der auf nachträgliche Änderung der Vollstreckungsreihenfolge gemäß § 43 Abs. 4 StrVollstrO gerichtete Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach §§ 23 ff. EGGVG ist, da von §§ 454 b Abs. 1 und 2, 458 Abs. 2 StPO nicht erfasst, statthaft und in zulässiger Weise eingelegt. In der Sache hat der Antrag jedoch keinen Erfolg.

Ein wichtiger Grund i.S.d. § 43 Abs. 4 StrVollstrO, die Reihenfolge der Strafvollstreckung (nachträglich) zu ändern, ist nicht gegeben. In der obergerichtlichen Rechtsprechung, die sich auf der Grundlage einer Kammerentscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG NStZ 1988, 474) entwickelt hat, wird zwar überwiegend die Auffassung vertreten, dass eine rückwirkende Änderung der Vollstreckungsreihenfolge nicht von vornherein ausgeschlossen ist; derartige rückwirkende Eingriffe in die Reihenfolge der Vollstreckung werden danach zum Ausgleich von Benachteiligungen des Verurteilten bei der Anwendung der §§ 57, 57 a StGB, die durch Fehler oder Versäumnisse der Vollstreckungsbehörde bei der Festlegung von Vollstreckungszeiten eingetreten sind, für zulässig und verfassungsrechtlich geboten erachtet (vgl. OLG Celle NStZ 1990, 252; OLG Frankfurt NStZ 1990, 254; OLG Zweibrücken, Beschluss vom 22.09.1992 - 1 Ws 450 - 457/92 -). Den zitierten Entscheidungen liegen Fallgestaltungen zugrunde, bei denen mehrere Freiheitsstrafen nacheinander vollstreckt wurden und die Vollstreckungsbehörde die Vollstreckung der zunächst vollstreckten Freiheitsstrafe entgegen § 454 b Abs. 2 StPO zum maßgeblichen Unterbrechungszeitpunkt nicht rechtzeitig unterbrochen hatte, so dass zum Ausgleich dieses später bemerkten bzw. vom Verurteilten mit Erfolg gerügten Fehlers unter nachträglicher Unterbrechung der zuerst vollstreckten Freiheitsstrafe zum 2/3-Termin bzw. unter den Voraussetzungen des § 57 Abs. 2 StGB zum Halbstrafenzeitpunkt die über diesen Zeitpunkt hinaus verbüßte Freiheitsstrafe nunmehr nachträglich auf die im Anschluss vollstreckte und noch nicht vollständig verbüßte Freiheitsstrafe angerechnet wurde. Ist jedoch, wie im vorliegenden Fall die beiden Ersatzfreiheitsstrafen, eine bestimmte Strafe ganz vollzogen worden, so darf nicht nachträglich unter Neuberechnung der Strafzeiten eine andere Vollstreckungsreihenfolge bestimmt werden (vgl. Pohlmann/Jabel/Wolf, Strafvollstreckungsordnung, 8. Aufl., § 43 Rdnr. 26). Hat nämlich die ursprüngliche Vollstreckung bereits zur Erledigung eines oder mehrerer Vollstreckungstitel geführt, würde eine nachträgliche Umstellung der Vollstreckungsreihenfolge eine nachträgliche Gesamtstrafenbildung gemäß § 55 StGB im eventuellen weiteren Verfahren deutlich erschweren bzw. nachträglich unrichtig machen und damit zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit führen.

Davon abgesehen sind der Strafvollstreckungsbehörde vorliegend auch keine Fehler oder Versäumnisse anzulasten, deren für den Verurteilten negative Folgen durch nachträgliche Änderung der Vollstreckungsreihenfolge ausgeglichen werden müßten. Zu dem Zeitpunkt, als die Untersuchungshaft zur Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafen unterbrochen wurde, lagen weder in dem Verfahren 71 VRs 5/01 noch in dem Verfahren 300 VRs 290/97 rechtskräftige Entscheidungen vor, die eine Vollstreckungsgrundlage hätten bieten und Anlass für eine Änderung der Vollstreckungsreihenfolge hätten geben können.

Auch nach Eintritt der Rechtskraft des Urteils des Landgerichts Essen vom 22. Dezember 1999 am 29. November 2000 in der Sache 71 VRs 5/01 und des Widerrufsbeschlusses des Amtsgerichts Bottrop vom 22. August 2001 am 15. September 2001 in der Sache 300 VRs 290/97 war die Vollstreckungsreihenfolge in Bezug auf die Ersatzfreiheitsstrafen einerseits und die Freiheitsstrafen andererseits nicht zu ändern. Zum einen bestimmt § 43 Abs. 3 StrVollstrO, dass die Vollstreckung einer bereits begonnenen Ersatzfreiheitsstrafe unbeschadet des § 454 b StPO fortgesetzt wird. Zum anderen lagen zur Zeit der Vollstreckung der beiden Ersatzfreiheitsstrafen im Zeitraum vom 11. November 1999 bis 10. November 2000 in den Verfahren 71 VRs 5/01 und 300 VRs 290/97 noch keine rechtskräftigen Entscheidungen vor, die Raum für eine Änderung der Vollstreckungsreihenfolge gegeben hätten. Schon diese fehlende zeitliche Überlagerung der zugrunde liegenden Vollstreckungstitel (die den Ersatzfreiheitsstrafen zugrunde liegenden Vollstreckungstitel waren mit vollständiger Verbüßung der Ersatzfreiheitsstrafen bereits verbraucht, bevor in den Verfahren 71 VRs 5/01 und 300 VRs 290/97 die vollstreckungsrechtliche Grundlage für die Vollstreckung von Freiheitsstrafe geschaffen war) verbietet es, die als Verbüßung von Ersatzfreiheitsstrafe notierte Haftzeit nunmehr nachträglich auf die beiden Freiheitsstrafen 71 VRs 5/01 und 300 VRs 290/97 "umzubuchen".

Es ist auch weder zulässig, noch zum Ausgleich von Benachteiligungen des Betroffenen geboten, unter rückwirkender Änderung der Vollstreckungabfolge die von der Staatsanwaltschaft als Ersatzfreiheitsstrafenverbüßung berücksichtigte Zeit der Freiheitsentziehung vom 11. November 1999 bis zum 10. November 2000 nunmehr nachträglich als auf der Grundlage des Haftbefehls des Amtsgerichts Bottrop vom 14. Juli 1999 vollstreckte Untersuchungshaft anzusehen, die nach § 51 StGB auf die im Verfahren 71 VRs 5/01 ausgeurteilte Freiheitsstrafe anzurechnen wäre. Nach Anklageerhebung obliegt die Entscheidung, ob und über welchen Zeitraum hinweg Untersuchungshaft gegen einen Beschuldigten vollzogen wird, allein der Entscheidung des mit der Sache befassten Gerichts (§ 126 Abs. 2 StPO). Das Landgericht Essen hatte aber mit Beschluss vom 27. Oktober 1999 und 15. November 1999 die Unterbrechung der Untersuchungshaft aus dem Haftbefehl des Amtsgerichts Bottrop vom 14. Juli 1999 zum Zwecke der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafen in den Verfahren 40 VRs 10/99 und 40 VRs 395/97 angeordnet. Auch wegen der unterschiedlichen rechtlichen Ausgestaltung von Untersuchungshaft (§§ 119 ff. StPO, UVollzO) einerseits und (Ersatz-)Freiheitsstrafe (§ 459 e StPO, §§ 1 ff. StVollzG, §§ 50, 22 ff. StrVollStrO) anderseits ist es nicht möglich, Zeiten der (Ersatz-)Freiheitsstrafenverbüßung im Nachhinein und rückwirkend in Untersuchungshaft "umzuwandeln" und so zu tun, als wäre ein erlassener Untersuchungshaftbefehl in dieser Zeit weiter vollstreckt worden. Im Übrigen war die Unterbrechung der Untersuchungshaft zur Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafen auch nicht fehlerhaft. Die Unterbrechung der Untersuchungshaft zum Zweck der Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder einer freiheitsentziehenden Maßregel der Besserung und Sicherung ist zulässig (vgl. § 122 StVollzG, § 92 UVollzO) und in der Regel auch geboten (vgl. OLG Düsseldorf NStZ 1984, 236; JMBl. NW 1996, 138; Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., vor § 112 Rdnr. 14), weil Untersuchungshaft wegen des grundrechtlich verbürgten Freiheitsanspruchs (Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG) und der Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 MRK) nur in streng begrenzten Ausnahmefällen angeordnet und nur so lange aufrechterhalten werden darf, wie dies überwiegende Interessen des Gemeinwohls zwingend gebieten. Diese Grundsätze gelten auch für einen geständigen Beschuldigten. Die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafen in Unterbrechung der Untersuchungshaft beruhte auf einer rechtsfehlerfreien Anordnung der Vollstreckungsbehörde gemäß § 459 e Abs. 1 u. 2 StPO. Die gegen den Betroffenen mit Gesamtstrafenbeschluss vom 1. Juli 1998 und mit Strafbefehl vom 18. Dezember 1998 verhängten Geldstrafen waren uneinbringlich; in der Sache 40 VRs 10/99 war die Gestattung der Abwendung der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafe durch freie Arbeit zu Recht mit Verfügung der Staatsanwaltschaft Essen vom 12. August 1999 widerrufen worden, weil der Betroffene die ihm zugewiesene Arbeit nicht angetreten hatte.

Das Argument des Betroffenen, durch Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafen in Unterbrechung der Untersuchungshaft sei ihm die Möglichkeit genommen worden, die zugrunde liegenden Geldstrafen mithilfe von Arbeitsentgelten aus Gefangenenarbeit zu tilgen, verfängt nicht. Den Status eines Strafgefangenen mit der Möglichkeit zur Gefangenenarbeit gemäß §§ 37 ff. StVollzG hätte der Betroffene ohne die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafen erst mit Rechtskraft des Urteils des Landgerichts Essen vom 22. Dezember 1999 am 29. November 2000 erlangen können. Wäre bis zu diesem Zeitpunkt allein Untersuchungshaft gegen den Betroffenen auf der Grundlage des Haftbefehls des Amtsgerichts Bottrop vom 14. Juli 1999 vollstreckt worden, hätte er, da - wie die Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen in ihrer Antragsschrift selbst ausführt - in Untersuchungshaft nur wenige Arbeitsplätze zur Verfügung stehen, keine realistische Möglichkeit zur Ausübung einer ihm zugewiesenen Arbeit gemäß § 43 UVollzO, zu der er ohnehin nicht verpflichtet gewesen wäre (§ 42 UVollzO), gehabt.

Soweit der Betroffene geltend macht, er sei von der Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafen nicht unterrichtet worden und im Zusammenhang mit seiner Verlegung in die Justizvollzugsanstalt Gelsenkirchen im Dezember 1999 davon ausgegangen, dass ab dieser Zeit die Freiheitsstrafe von einem Jahr aus dem Urteil des Amtsgerichts Bottrop vom 3. März 1997 nach Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung vollstreckt würde, vermag auch dieses Vorbringen eine rückwirkende Änderung der Vollstreckungsreihenfolge, für die vorliegend schon aus den genannten Gründen kein Raum ist, zu rechtfertigen. Abgesehen davon, dass die diesbezügliche Einlassung des Betroffenen schwerlich nachvollzogen werden kann (üblicherweise wird jedem Verurteilten bei einer Änderung der Haftzeiten eine Durchschrift der aktuellen Strafzeitberechnung ausgehändigt; zudem entspricht es ständiger Gerichtspraxis, dem in Untersuchungshaft befindlichen Beschuldigten im Falle der Unterbrechung der Untersuchungshaft eine Ausfertigung bzw. Abschrift des entsprechenden Gerichtsbeschlusses zu übersenden; einen - erst später am 22. August 2001 gefassten - Beschluss über den Widerruf der Strafaussetzung zur Bewährung in der Sache 300 VRs 290/97 hatte der Betroffene zur fraglichen Zeit nicht erhalten), hat der Betroffene auch nicht hinreichend dargelegt, dass und mit welchen Mitteln er bei rechtzeitiger Unterrichtung die Vollstreckung der Ersatzfreiheitsstrafen ab dem 11. November 1999 hätte abwenden können.

Ein Rechtsfehler zum Nachteil des Betroffenen, der eine nachträgliche Korrektur bei der Strafzeitberechnung geboten erscheinen lassen könnte, liegt schließlich auch nicht darin begründet, dass die beiden Ersatzfreiheitsstrafen über den 2/3-Zeitpunkt hinaus vollstreckt worden sind. Ob Ersatzfreiheitsstrafen dem Anwendungsbereich des § 57 Abs. 1 u. 2 StGB unterfallen und daher unter den Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 StGB zum 2/3-Zeitpunkt nach § 454 b Abs. 2 Nr. 2 StPO zu unterbrechen sind, ist in Rechtsprechung und Schrifttum umstritten (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 51. Aufl., § 57 Rdnr. 3). Während die wohl herrschende Meinung die Auffassung vertritt, dass der Begriff "Freiheitsstrafe" in § 57 Abs. 1 u. 2 StGB Ersatzfreiheitsstrafen nicht umfasst, will die Gegenansicht § 57 StGB zumindest entsprechend auch auf Ersatzfreiheitsstrafen anwenden. Die letztgenannte Auffassung hat auch der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm in seinem Beschluss vom 23. Oktober 1997 - 1 Ws 337/97 - (StV 1998, 151) vertreten. An dieser seiner damaligen Entscheidung zugrunde liegenden Auffassung hält der Senat jedoch nicht mehr fest. Maßgebend für diese Abkehr von seinem früheren Standpunkt ist für den Senat, dass die Aussetzung der Vollstreckung des Restes einer Ersatzfreiheitsstrafe systemwidrig erscheint und die Aussetzung einer Restgeldstrafe ebensowenig gesetzlich vorgesehen ist wie deren späterer Erlass. Bei der Ersatzfreiheitsstrafe handelt es sich um ein in §§ 459 e, 459 f StPO speziell geregeltes Rechtsinstitut, auf die die Vorschriften der §§ 56 ff. StGB, die sich mit der Strafaussetzung zur Bewährung bei Freiheitsstrafen befassen, nicht zugeschnitten sind. Auch § 454 b StPO differenziert vom Wortlaut her zwischen Freiheitsstrafen und Ersatzfreiheitsstrafen und ordnet eine Unterbrechung bei mehreren, nacheinander zu vollstreckenden Freiheitsstrafen und Ersatzfreiheitsstrafen nur in Bezug auf die Vollstreckung der zunächst zu vollstreckenden "Freiheitsstrafe" an.

Nach alledem hat die Strafvollstreckungsbehörde den Antrag des Betroffenen, die Vollstreckungsreihenfolge nachträglich in der von ihm geforderten Weise abzuändern, zu Recht als unbegründet zurückgewiesen.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 30 EGGVG, 130, 30 KostO.

Ende der Entscheidung

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