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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 05.01.2006
Aktenzeichen: 1 VAs 70/05
Rechtsgebiete: StPO, JGG, EGGVG, StGB, KostO


Vorschriften:

StPO § 456a
StPO § 456a Abs. 1
JGG § 85 Abs. 6
EGGVG §§ 23 ff.
EGGVG § 28 Abs. 3
EGGVG § 30
StGB § 57
KostO § 30
KostO § 130
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung und der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe werden als unbegründet verworfen.

Die Kosten des Antrags auf gerichtliche Entscheidung werden dem Betroffenen auferlegt.

Der Geschäftswert wird auf 2.500,- € festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Betroffene ist N Staatsangehöriger. Die 1. große Jugendkammer des Landgerichts verurteilte ihn am 5. Oktober 2001 wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr in Tateinheit mit Nötigung und wegen Missbrauchs von Kreditkarten in 460 Fällen unter Einbeziehung des Urteils des Amtsgerichts vom 6. Juni 1997 i.V.m. dem Urteil des LG vom 15. September 1997 zu einer Einheitsjugendstrafe von fünf Jahren und drei Monaten. Die Entscheidung ist seit dem 13. Oktober 2001 rechtskräftig. Bereits mit Beschluss vom 19. April 2002 sah der zuständige Jugendrichter beim Amtsgericht als Vollstreckungsleiter gemäß § 456 a StPO zum Halbstrafenzeitpunkt von der weiteren Strafvollstreckung ab. Der Betroffene, gegen den schon damals eine vollziehbare Ausweisungsverfügung bestand, wurde darüber belehrt, dass für den Fall seiner Rückkehr die weitere Strafvollstreckung und seine Inhaftierung angeordnet werden würde. Am 20. Juni 2002 wurde er schließlich nach M abgeschoben. Im Juni 2005 reiste der Betroffene gleichwohl wieder nach Deutschland ein und wurde in L am 10. Juni 2005 aufgrund des gegen ihn in dem vorliegenden Verfahren bestehenden Haftbefehls von der Polizei festgenommen. Seit dem 16. Juni 2005 befindet sich der Betroffene wieder im Vollzug der Strafhaft aus dem Urteil des Landgerichts vom 5. Oktober 2001. 2/3 der Strafe werden am 25. April 2006 vollstreckt sein, das Strafende datiert auf den 25. Januar 2008. Bereits am 17. Juni 2005 beantragte der Betroffene, der weiterhin vollziehbar ausreisepflichtig ist, die erneute Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 456a StPO. Die für diesen Antrag nach Übertragung der Vollstreckungsleitung gemäß § 85 Abs. 6 JGG nunmehr zuständige Staatsanwaltschaft, hat die (erneute) Zurückstellung mit Entschließung vom 12. Juli 2005 zurückgewiesen, weil nunmehr das öffentliche Interesse an einer nachhaltigen Strafverfolgung und Strafvollstreckung den weiteren Vollzug der Strafe gebiete. Ausschlaggebend dafür seien das Ausmaß der in der Verurteilung zum Ausdruck gekommenen konkreten Schuld des Betroffenen, die besonderen Umstände der von ihm verübten Straftat sowie die Tatsache, dass er entgegen der ihm erteilten Belehrung erneut in das Bundesgebiet eingereist sei. Auch unter Berücksichtigung der besonderen Schwierigkeiten, mit denen der Betroffene als ausreisepflichtiger Ausländer im Strafvollzug konfrontiert werde, sei deshalb eine nachhaltige Vollstreckung der verbleibenden Reststrafe geboten. In seiner dagegen gerichteten Beschwerde hat der Betroffene ausgeführt, er habe seit seiner Haftentlassung in M ein straffreies Leben geführt und verfüge über starke Bindungen an seine schwer erkrankten Eltern, die "allerdings teilweise" in M leben. Um "eine etwaige Rückkehr (nach Deutschland) auch wirtschaftlich vorzubereiten", habe er sich an dem Handyshop eines Bekannten in L beteiligt. Er sei nach Deutschland eingereist, um mit seinem Teilhaber geschäftliche Dinge zu erörtern. Dabei sei es zum Streit gekommen, in dessen Verlauf sein Geschäftspartner die Polizei von seinem Aufenthalt in Deutschland in Kenntnis gesetzt habe. Nach seiner Festnahme sehe er nunmehr "realistischerweise die Möglichkeit seines weiteren Verbleibs in Deutschland bis auf weiteres als beschränkt an". Seine Eltern hätten inzwischen die Absicht, endgültig nach M zurückzukehren. Aus diesem Grund und weil er sich auch wirtschaftlich in M inzwischen etabliert habe, sehe er seine Zukunft nicht mehr in Deutschland. Im Übrigen sei auch zu berücksichtigen, dass er sich im Strafvollzug beanstandungsfrei geführt habe. Wegen der gegen ihn bestehenden Ausweisungsverfügung sei er jedoch von Vollzugslockerungen ausgeschlossen. Der Generalstaatsanwalt in Köln hat die Beschwerde mit Entschließung vom 12. Oktober 2005 zurückgewiesen und unter Bezugnahme auf die Entschließung der Staatsanwaltschaft ergänzend ausgeführt, dem Betroffenen sei bereits durch die ihm am 20. Juni 2002 gewährte Zurückstellung der Strafvollstreckung eine erhebliche Vergünstigung gegenüber anderen Strafgefangenen gewährt worden. Kehre aber ein verurteilter Straftäter entgegen der ihm erteilten Belehrung dennoch nach Deutschland zurück, so lebe das der Vollstreckungsbehörde zugewiesene Recht auf Durchsetzung des staatlichen Strafanspruches wieder auf und verdichte sich im Regelfall sogar zu einer Vollstreckungspflicht. Nur besonders gewichtige Abwägungsgesichtspunkte der privaten und sozialen Situation des Betroffenen seien dann noch geeignet, der grundsätzlich angezeigten Durchsetzung des Vollstreckungsanspruchs entgegen zu stehen. Unter Berücksichtigung dieser Kriterien sei die ablehnende Entscheidung der Staatsanwaltschaft Aachen nicht zu beanstanden. Die besonderen Belastungen durch Verbüßung einer bereits vor längerer Zeit verhängten Jugendstrafe als zusätzliche Härte, fehlende Vollzugslockerungen aufgrund bestehender Ausweisungsverfügung sowie Einschränkungen bei Besuchen und Resozialisierungsmaßnahmen müssten hinter den vorgenannten Gesichtspunkten zurücktreten. Dabei seien die eigenen Ausführungen des Betroffenen zu seinem Vollzugsverhalten und zu seiner persönlichen Situation als zutreffend unterstellt worden. Gegen diese Entscheidung richtet sich der Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung nach den §§ 23 ff. EGGVG. Er ist - unter Bezugnahme auf die von ihm bereits im Verfahren vorgetragenen Gründe - der Auffassung, dass die Entschließung der Vollstreckungsbehörde ermessensfehlerhaft sei, weil sie nur formelhafte Ablehnungsgründe enthalte. Es sei sein "gefestigter Wunsch", mit seinen Eltern endgültig nach M zurückzukehren und dort seinen Lebensmittelpunkt zu begründen. Im Übrigen habe ihm auch der Leiter der Justizvollzugsanstalt L in seiner Stellungnahme vom 29. September 2005 eine günstige Sozialprognose bestätigt und eine Maßnahme nach § 456 a StPO befürwortet. Wegen des jahrelangen Aufenthalts in Freiheit sei er in besonderem Maße strafempfindlich. Die Strafvollstreckung habe inzwischen bei ihm erhebliche Depressionen ausgelöst, die durch die weitere Dauer der Strafhaft zunehmend vertieft worden seien. II. Der rechtzeitig gestellte und auch im Übrigen zulässige Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach den §§ 23 ff. EGGVG hat in der Sache keinen Erfolg. Das Rechtsmittel erweist sich als unbegründet. Die Entscheidung der Vollstreckungsbehörde, nach § 456 a StPO bei einem aus dem Inland ausgewiesenen Verurteilten von der Vollstreckung (erstmals oder erneut) abzusehen, liegt in ihrem pflichtgemäßen Ermessen. Der Senat hat deshalb gemäß § 28 Abs. 3 EGGVG nur zu prüfen, ob die Vollstreckungsbehörde ermessensfehlerfrei entschieden hat, denn aus § 456 a StPO folgt kein Anspruch des Verurteilten auf ein Absehen von der Strafvollstreckung, sondern nur ein Recht auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung der Vollstreckungsbehörde. Die gerichtliche Überprüfung der Ermessensentscheidung der Vollstreckungsbehörde beschränkt sich darauf, ob diese von einem zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, die Grenzen des Ermessens eingehalten und von ihm in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise durch Abwägung der maßgeblichen Umstände Gebrauch gemacht hat. Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung nach §§ 23 ff. EGGVG ist dabei der Ablehnungsbescheid in Gestalt des Beschwerdebescheides des Generalstaatsanwalts in Köln, so dass grundsätzlich dessen Ermessenserwägungen maßgeblich sind. Die angefochtene Beschwerdeentscheidung lässt Ermessensfehler nicht erkennen. Der rechtliche Ausgangspunkt der Vollstreckungsbehörde, ein erneutes Absehen von der Strafvollstreckung gemäß § 456 a StPO komme nur unter besonderen Umständen in Betracht, die so gewichtig sein müssten, dass gegenüber der grundsätzlich angezeigten Durchsetzung des staatlichen Vollstreckungsanspruchs eine weitere Inhaftierung des Betroffenen nicht vertretbar erscheine, ist zutreffend. Nach dem Sinn und Zweck der in § 456 a StPO getroffenen Regelungen rechtfertigt sich die (vorläufige) Besserstellung des ausgewiesenen oder ausgelieferten Straftäters gegenüber deutschen Straftätern, die nur unter den Voraussetzungen des § 57 StGB eine vorzeitige Entlassung aus dem Strafvollzug erreichen können und im Fall der erneuten Straffälligkeit mit dem Widerruf der bedingten Reststrafenaussetzung rechnen müssen, allein aus der Überlegung, dass nach Vollzug der Ausweisung oder Auslieferung eine Sicherung der Allgemeinheit vor einem gefährlichen Straftäter nicht mehr erforderlich ist, eine Resozialisierung nicht sinnvoll erscheint und zudem die Justizvollzugsanstalten entlastet werden (vgl. OLG Hamm, NStZ 1993, S. 524; OLG Frankfurt, NStZ-RR 2001, S. 93). Diese der Ermessensentscheidung der Vollstreckungsbehörde regelmäßig zugrunde gelegte Situation ändert sich indes grundlegend, wenn der Verurteilte sich freiwillig erneut in den Geltungsbereich des deutschen Strafrechts und Strafverfahrensrechts begibt. Mit diesem Verhalten unterwirft er sich uneingeschränkt wieder der innerstaatlichen Rechtsordnung und ist demgemäß allen anderen abgeurteilten Straftätern gleichzustellen. Die im öffentlichen Interesse liegende Durchbrechung des auch im Strafvollstreckungsrecht grundsätzlich geltenden Legalitätsprinzips durch § 456 a Abs. 1 StPO verliert im Fall der freiwilligen Rückkehr eines ausgewiesenen oder ausgelieferten Straftäters ihren tatsächlichen Ansatz mit der Folge, dass damit das der Vollstreckungsbehörde zugewiesene Recht auf Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs wieder auflebt und sich im Regelfall auch zu einer Vollstreckungspflicht verdichtet (OLG Frankfurt a.a.O.; OLG Hamburg, NStZ-RR 1999, S.123). Demgemäß können bei der gemäß § 456 a StPO zu treffenden Entscheidung über ein erneutes Absehen von der Vollstreckung in der Regel nur besondere Umstände oder Abwägungsgesichtspunkte, die so gewichtig sein müssen, dass sie gegenüber der grundsätzlich angezeigten Durchsetzung des Vollstreckungsanspruchs eine erneute Inhaftierung des Verurteilten unangebracht erscheinen lassen, ein erneutes Absehen von der Vollstreckung rechtfertigen. Allerdings sind auch hier in die Ermessensentscheidung neben dem vorrangigen Vollstreckungsinteresse grundsätzlich die Art des begangenen Delikts, die Umstände der Tat, der Umfang der im Urteil festgestellten Schuld, die Gefährlichkeit des Verurteilten, die Höhe des Strafrestes, die seit der Entlassung aus dem Strafvollzug verstrichene Zeitspanne sowie die Entwicklung des Verurteilten im Vollzug und seine persönlichen und familiären Verhältnisse zu berücksichtigen (OLG Frankfurt a.a.O.). Eine an diesen Maßstäben ausgerichtete Gesamtabwägung unter vornehmlicher Berücksichtigung des öffentlichen Interesses an einer nachhaltigen Strafvollstreckung hat der Generalstaatsanwalt in Köln in seiner Entschließung vom 12. Oktober 2005 rechtsfehlerfrei vorgenommen. Seine Einschätzung, dass die dem Betroffenen anzulastende Tatschuld, die zu seiner Verurteilung geführt hat, von besonderem Gewicht ist und dass besondere Umstände, die eine Fortsetzung der Strafvollstreckung im gegenwärtigen Zeitpunkt als unangebracht erscheinen lassen, nicht zu erkennen seien, ist zutreffend und rechtlich nicht zu beanstanden. Bereits nach dem eigenen Vortrag des Betroffenen liegen solche besonderen Umstände schon nicht vor. Seine Festnahme am 10. Juni 2005 in L beruhte allein auf dem Umstand, dass der Betroffene in Verfolgung eigener wirtschaftlicher Interessen nach Deutschland eingereist war, denn er beabsichtigte dort, als Teilhaber an einem Handyshop seine "etwaige Rückkehr auch wirtschaftlich vorzubereiten". Um die Schaffung der rechtlichen Grundlagen für eine - legale - Wiedereinreise nach Deutschland hatte sich der Betroffene zuvor aber nicht einmal ansatzweise bemüht. Familiäre Interessen - insbesondere die Bindung an seine "teilweise" in Deutschland lebenden Eltern - haben in diesem Zusammenhang bereits nach dem eigenen Vortrag des Betroffenen offensichtlich keine - jedenfalls aber allenfalls eine untergeordnete - Rolle gespielt. Die Strafvollstreckungsbehörde hat bei ihrer ablehnenden Entscheidung schließlich auch die persönliche und berufliche Situation des Betroffenen, die mit der weiteren Strafverbüßung verbundene Härte sowie die von dem Betroffenen behauptete positive Entwicklung im Strafvollzug hinreichend berücksichtigt. Außergewöhnliche Belastungen, die über das hinausgehen, was üblicherweise mit dem Strafvollzug eines ausländischen Gefangenen verknüpft sind, liegen ersichtlich nicht vor. Die Einschätzung der Vollstreckungsbehörde, dass die persönlichen und sozialen Belange des Betroffenen hier hinter dem öffentlichen Interesse an einer weiteren nachhaltigen Strafvollstreckung zurückzutreten haben, lässt Ermessensfehler nicht erkennen. Nach alledem war der Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet zu verwerfen. Auch der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe bleibt erfolglos, weil das Begehren des Betroffenen keine Aussicht auf Erfolg hat. Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 30 EGGVG, 30, 130 KostO.

Ende der Entscheidung

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