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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 17.11.2005
Aktenzeichen: 1 VAs 73/05
Rechtsgebiete: BtMG, StPO, EGGVG


Vorschriften:

BtMG § 35
StPO § 44
EGGVG § 23
Im Verfahren zur Entscheidung über den Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach §§ 23 ff. EGGVG ist das Verschulden des gewählten oder bestellten Rechtsanwalts dem Antragsteller zuzurechnen.
Beschluss

Justizverwaltungssache

betreffend S.M.

wegen Rechtmäßigkeit von Maßnahmen der Justizbehörden, (hier: Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG).

Auf den Antrag des Betroffenen vom 19. September 2005 auf gerichtliche Entscheidung gemäß §§ 23 ff. EGGVG gegen den Beschluss des Amtsgerichts Euskirchen vom 5. April 2005 sowie gegen den Beschwerdebescheid des Generalstaatsanwalts in Köln vom 16. August 2005 und auf den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 17. 11. 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung des Generalstaatsanwalts in Hamm beschlossen:

Tenor:

Der Antrag wird auf Kosten des Betroffenen als unzulässig verworfen.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird als unbegründet verworfen.

Der Geschäftswert wird auf 2.500,- € festgesetzt.

Gründe:

Der Betroffene verbüßt zurzeit die in dem Verfahren 6 VRs 2/05 StA Bonn durch Urteil des Jugendschöffengerichts Euskirchen vom 17. März 2004 wegen gemeinschaftlichen Erwerbs und Einfuhr von Betäubungsmitteln sowie Sachbeschädigung und räuberischer Erpressung unter Einbeziehung der Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Euskirchen vom 30. Oktober 2000 verhängte Jugendstrafe von zwei Jahren. Die ursprünglich bewilligte Strafaussetzung zur Bewährung ist mit Beschluss vom 13. Oktober 2004 widerrufen worden.

Mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 16. März 2005 hat der Betroffene beantragt, die Vollstreckung der Strafe gemäß § 35 BtMG zurückzustellen. Diesen Antrag hat der Vollstreckungsleiter des Amtsgerichts Euskirchen mit Beschluss vom 5. April 2005 zurückgewiesen mit der Begründung, es bestünden erhebliche Bedenken, dass der Antragsteller sich einer Therapie unterziehen werde. Vielmehr erschienen entsprechende Bemühungen nur als Vorwand, sich dem Strafantritt zu entziehen. Die gegen diesen Beschluss gerichtete Beschwerde des Betroffenen vom 11. Mai 2005 hat der Generalstaatsanwalt in Köln mit Bescheid vom 16. August 2005 zurückgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, es fehle an der erforderlichen Kausalität zwischen der Betäubungsmittelabhängigkeit und den der Verurteilung zugrunde liegenden Straftaten. Dieser Bescheid enthielt folgende Rechtsmittelbelehrung:

"Gegen diesen Bescheid können Sie innerhalb eines Monats nach Zustellung den Antrag auf gerichtliche Entscheidung (§§ 23 ff., 26 EGGVG) bei dem Oberlandesgericht in Hamm stellen (Gesetz vom 8. November 1960 - GVBl. NW 352 - i.V.m. § 25 Abs. 2 EGGVG). Der Antrag ist schriftlich oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts Hamm oder eines beliebigen Amtsgerichts zu stellen (§ 26 EGGVG)."

Der Bescheid ist dem Prozessbevollmächtigen des Betroffenen nach eigenen Angaben zugegangen am 19. August 2005.

Mit Schriftsatz vom 19. September 2005, eingegangen beim Amtsgericht Euskirchen am selben Tag, hat der Prozessbevollmächtigte des Betroffenen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß §§ 23 ff. EGGVG gestellt und zugleich seine Beiordnung als Pflichtverteidiger beantragt. Mit Schreiben vom 5. Oktober 2005 hat das Amtsgericht Euskirchen den Antragsteller darauf hingewiesen, dass laut der in dem Beschluss enthaltenen Rechtsmittelbelehrung ein entsprechender Antrag bei dem Oberlandesgericht Hamm zu stellen ist. Daraufhin hat der Prozessbevollmächtigte unter dem 10. Oktober 2005 ausgeführt, "in" der vom Gericht angesprochenen Rechtsmittelbelehrung sei ersichtlich, dass der Antrag auf gerichtliche Entscheidung schriftlich oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle des Oberlandesgerichts Hamm oder eines beliebigen Amtsgerichts zu stellen sei. Der letztere Weg sei vom Unterzeichner gewählt worden, so dass der Vorgang entsprechend zur Entscheidung weitergeleitet werden möge. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß §§ 23 ff. EGGVG ist sodann am 24. Oktober 2005 bei dem Oberlandesgericht Hamm eingegangen.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist unzulässig.

Gemäß § 26 Abs. 1 EGGVG muss der Antrag auf gerichtliche Entscheidung innerhalb eines Monats nach Zustellung oder schriftlicher Bekanntgabe des Bescheids des Generalstaatsanwalts beim Oberlandesgericht eingehen. Der Bescheid des Generalstaatsanwalts in Köln ist dem Betroffenen nach eigenen Angaben am 19. August 2005 zugegangen. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung hätte daher spätestens am 19. September 2005 bei dem Oberlandesgericht eingehen müssen. Tatsächlich ist der Antrag aber erst am 24. Oktober 2005 beim Senat eingegangen. Durch den Eingang des Antrages am 19. September 2005 bei dem Amtsgericht Euskirchen, dem unzuständigen Gericht, wird die Frist nicht gewahrt. Infolgedessen war der Antrag als unzulässig zu verwerfen.

Dem Antragsteller kann auch nicht von Amts wegen gemäß § 26 Abs. 2 EGGVG Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Antragstellung gewährt werden, da er nicht ohne Verschulden verhindert war, die Frist einzuhalten.

Die Fristversäumung beruht hier darauf, dass der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers die Rechtsmittelbelehrung des Generalstaatsanwalts in Köln missverstanden hat. Nach dieser kann der Antrag auf gerichtliche Entscheidung zu Protokoll eines Amtsgerichtes erklärt werden, dies bedeutet aber nicht, dass die Frist des § 26 Abs. 1 EGGVG durch Eingang des Antrages bei dem Amtsgericht gewahrt wird. Der Antrag muss vielmehr innerhalb der Monatsfrist beim Oberlandesgericht eingehen. Die verspätete Anbringung des Antrags auf gerichtliche Entscheidung hat demnach der Verfahrensbevollmächtigte des Betroffenen verschuldet.

Dieses Verschulden hat der Betroffene gegen sich gelten zu lassen.

Es ist allgemein anerkannt, dass wegen der nicht den Wiedereinsetzungsvorschriften der Strafprozessordnung, sondern des Verwaltungsprozessrechts nachgebildeten Regelung des § 26 Abs. 2, Abs. 3 EGGVG grundsätzlich das Verschulden des gewählten oder bestellten Rechtsanwalts dem Antragsteller zuzurechnen ist (vgl. OLG Hamburg, NStZ-RR 2004, 185 m.w.N.; Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., § 26 EGGVG Rdnr. 7). Denn Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Verschuldens des Verfahrensbevollmächtigten kommt nur in Bezug auf das Schutzbedürfnis des Beschuldigten gegenüber dem Straf- (bzw. Maßnahme-)anspruch des Staates in Betracht, soweit sie der Verteidigung gegen einen solchen Anspruch dient (OLG Hamm, MDR 1983, 70). Im Rahmen der Strafvollstreckung und des Strafvollzuges geht es aber nach Rechtskraft nicht mehr um die Abwehr des staatlichen Strafanspruchs bzw. die Möglichkeit der Aufhebung des im Urteil getroffenen Schuld- und Rechtsfolgenausspruchs, sondern nur noch darum, in welcher Weise nach rechtskräftiger Verurteilung der feststehende staatliche Strafanspruch verwirklicht wird; seine Freiheit muss der zu Freiheitsstrafe Verurteilte schon aufgrund des rechtskräftigen Urteils entbehren (vgl. OLG Hamburg a.a.O.).

Umstritten ist allerdings, ob eine Ausnahme anzuerkennen ist, wenn der Antragsteller sich gegen den Strafvollstreckungsanspruch des Staates wendet. Unter Hinweis auf eine mit dem Strafverfahren vergleichbare Interessenlage und ein entsprechendes Schutzbedürfnis wird in Teilen der Rechtsprechung und des Schrifttums eine Ausnahme vom Grundsatz der Zurechenbarkeit anerkannt (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 26 EGGVG Rdnr. 7 m.w.N.). Dieser Auffassung vermag sich der Senat indes nicht anzuschließen. Systematisch stellt sich die zu § 44 StPO entwickelte Nichtzurechnung von Verteidigerverschulden als Ausnahme dar. Für alle anderen Verfahrensordnungen ist anerkannt, dass das Verschulden des Vertreters an einer Fristversäumung der Partei zugerechnet wird. Soweit die Zurechnung nicht ausdrücklich normiert ist, wird sie als allgemeines Prinzip anerkannt. Ausnahmeregelungen sind regelmäßig restriktiv anzuwenden. Wegen der, wie erörtert, aus dem Verwaltungsprozessrecht entwickelten Struktur des Verfahrens nach §§ 23 ff. EGGVG und der in § 26 Abs. 2 u. Abs. 3 EGGVG unabhängig von den §§ 44 ff. StPO normierten Ausgestaltung des Instituts der Wiedereinsetzung führt die ergänzende ("im Übrigen") Verweisung des § 29 Abs. 2 EGGVG auf die Beschwerdevorschriften der StPO unter systematischer Betrachtung nicht zur Anwendung des strafprozessualen Nichtzurechnungsprinzips (so auch OLG Hamburg a.a.O.). Demzufolge ist das Verschulden des Prozessbevollmächtigten vorliegend dem Antragsteller zuzurechnen.

Es sind auch keine Gesichtspunkte ersichtlich, die dieses Verschulden des Prozessbevollmächtigten auszuräumen vermögen.

Dem Antragsteller bleibt es unbenommen, einen erneuten Antrag auf Zurückstellung der Strafvollstreckung zu stellen.

Da der Antrag auf gerichtliche Entscheidung gemäß §§ 23 ff. EGGVG keinen Erfolg hat, kommt auch die Bewilligung von Prozesskostenhilfe und die Beiordnung eines Rechtsanwaltes nicht in Betracht.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 30 EGGVG, 30, 130 KostO.

Ende der Entscheidung

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