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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 11.12.2002
Aktenzeichen: 1 VAs 87/02
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 456a
Zum Absehen von der Vollstreckung nach § 456 a StPO
Beschluss Justizverwaltungssache

betreffend A.I.

wegen Rechtmäßigkeit von Maßnahmen der Justizbehörden, (hier: Entscheidung nach § 456 a StPO).

Auf den Antrag des Betroffenen vom 21. Oktober 2002 auf gerichtliche Entscheidung nach den §§ 23 ff. EGGVG gegen den Bescheid der Staatsanwaltschaft Münster vom 23. August 2002 in der Form des Beschwerdebescheids des Generalstaatsanwalts in Hamm vom 20. September 2002 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 11. 12. 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Der Antrag wird auf Kosten des Betroffenen als unbegründet verworfen.

Der Geschäftswert wird auf 2.500,- € festgesetzt.

Gründe:

Der Betroffene ist durch Urteil des Landgerichts Münster vom 26. September 2000 wegen Geiselnahme in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt worden. Diese Strafe verbüßt er seit dem 25. April 2001, zurzeit in der Justizvollzugsanstalt Werl. Unter Berücksichtigung von 433 Tagen Untersuchungshaft sind Halbstrafenzeitpunkt auf den 31. Dezember 2002, 2/3-Zeitpunkt auf den 16. Dezember 2003 und Endstrafe auf den 16. November 2005 notiert. Mit Schriftsatz seines Verteidigers, Rechtsanwalt Dr. B., vom 13. Juni 2001 hatte der Verurteilte zunächst beantragt, zur weiteren Verbüßung der verhängten Freiheitsstrafe in die Türkei überstellt zu werden. Dieser Antrag ist durch Erlass des Justizministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen vom 10. Mai 2002 abgelehnt worden. Mit Schriftsatz seiner Verteidiger, Rechtsanwälte Dr. R. pp., vom 14. August 2002 hat der Betroffene sodann beantragt, von der weiteren Vollstreckung der Strafe zum Halbstrafenzeitpunkt gemäß § 456 a StPO abzusehen. Dieser Antrag ist mit Verfügung vom 23. August 2002 abgelehnt worden. Zur Begründung ist ausgeführt:

"Nach meiner Auffassung gebietet die Schwere der Straftat, wegen derer Ihr Mandant verurteilt ist, die Vollstreckung der gegen ihn verhängten Freiheitsstrafe zumindest bis zum 2/3-Zeitpunkt. Bei der Frage, wann von der weiteren Vollstreckung gemäß § 456 a StPO abgesehen werden sollte, sind nicht nur die Interessen des Verurteilten zu berücksichtigen, sondern auch die allgemeinen Sicherheitsinteressen der Bürger. Die allgemeinen Sicherheitsinteressen erfordern wiederum, dass bei schweren Straftaten nicht nur zur Abschreckung entsprechende Strafen verhängt, sondern diese auch bis zum 2/3-Zeitpunkt vollstreckt werden. Würde auch bei schweren Straftaten ausländischer Staatsbürger in der Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich bereits zum Halbstrafenzeitpunkt (oder gar früher) von der Möglichkeit des § 456 a StPO Gebrauch gemacht, wäre dies geradezu eine "Einladung" an ausländische Staatsbürger, sich in der Bundesrepublik nicht an die Gesetzesordnung zu halten. Dies muß unter allen Umständen vermieden werden.

Des weiteren gebietet nach meiner Auffassung der Gleichbehandlungsgrundsatz bei schweren Straftaten, dass ausländische Verurteilte nicht besser gestellt werden als deutsche Verurteilte."

Der Betroffene hat diese Entscheidung der Staatsanwaltschaft Münster in zulässiger Weise mit der Beschwerde angefochten. In der Beschwerdebegründung ist ausgeführt, dass der Betroffene den Kontakt zu seiner Familie wiederherstellen wolle, die in die Türkei abgeschoben worden sei.

Die Generalstaatsanwaltschaft in Hamm hat die Beschwerde des Betroffenen mit Entscheidung vom 20. September 2002 als unbegründet zurückgewiesen. Nach Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft hat die Staatsanwaltschaft Münster mit zutreffenden Erwägungen davon abgesehen, zum Ablauf des Halbstrafenzeitpunkts von der Vollstreckung der durch Urteil des Landgerichts Münster vom 26. September 2001 verhängten Freiheitsstrafe abzusehen. Nach Abwägung der Belange des Betroffenen und den Bedürfnissen der Bevölkerung nach einer nachhaltigen Ahndung und Verfolgung schwerer Straftaten sei eine Strafvollstreckung jedenfalls derzeit noch unabweisbar geboten.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung nach den §§ 23 ff. EGGVG. Er ist der Auffassung, die Strafvollstreckungsbehörden hätten die Besonderheiten des Einzelfalles nicht berücksichtigt. So sei nicht beachtet worden, dass seine Familie sich bereits seit langem in seinem Heimatland befinde und er in der Bundesrepublik weder Angehörige noch nähere Bekannte habe. Aus diesem Grunde sei er höchst strafempfindlich.

Der Antrag ist gemäß §§ 23 ff. EGGVG zulässig, aber nicht begründet.

Die angefochtene Entscheidung unterliegt nicht unbeschränkt der gerichtlichen Nachprüfung. Die Entscheidung der Vollstreckungsbehörde, bei einem aus dem Inland ausgewiesenen Verurteilten von der weiteren Vollstreckung abzusehen, liegt in ihrem pflichtgemäßen Ermessen. Der Senat hat deshalb gemäß § 28 Abs. 3 EGGVG nur zu prüfen, ob bei der Ermessensentscheidung rechtsfehlerfrei verfahren wurde, ob also die Vollstreckungsbehörde von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist, ob sie die Grenzen des Ermessens eingehalten und von ihm in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Um die gerichtliche Nachprüfung der Ermessensausübung zu ermöglichen, müssen die Gründe einer ablehnenden Entscheidung der Vollstreckungsbehörde die dafür wesentlichen Gesichtspunkte mitteilen und eine Abwägung der für und gegen ein Absehen von der weiteren Vollstreckung sprechenden Umstände erkennen lassen (OLG Hamm NStZ 1983, 524; KG StV 1989, 27; OLG Hamburg StV 1996, 328; OLG Karlsruhe ZfStrVO 2000. 251). Diese eingeschränkte Überprüfung ergibt keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Antragstellers.

Zutreffend hat die Strafvollstreckungsbehörde auf den hohen Unrechtsgehalt der abgeurteilten Straftaten abgestellt, der auch in der Höhe der trotz Vorliegens einiger zugunsten des Antragstellers berücksichtigten Strafzumessungsgesichtspunkte verhängten Freiheitsstrafe zum Ausdruck kommt. Beanstandungsfrei hat die Staatsanwaltschaft in ihre Erwägungen auch den Umstand einbezogen, dass die Öffentlichkeit, die zunehmend über den Anstieg der Kriminalität beunruhigt ist, kein Verständnis für eine Maßnahme nach § 456 a StPO bereits zu diesem Zeitpunkt aufbringen würde. Auch darin, dass die Staatsanwaltschaft Münster und die Generalstaatsanwaltschaft bei Vornahme einer Abwägung das mit den Umständen der Taten und der Schwere der Schuld begründete öffentliche Interesse an einer weiteren Strafverbüßung über das des Antragstellers an einem Leben außerhalb Deutschlands unter Berücksichtigung seiner persönlichen und familiären Situation gestellt hat, ist ein fehlerhafter Ermessensgebrauch nicht zu erkennen. Entgegen den Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft im gerichtlichen Verfahren ist der Senat auch der Auffassung, dass nicht zu beanstanden sei, dass die Generalstaatsanwaltschaft die persönlichen Umstände, die sie in die vorzunehmende Abwägung eingestellt hat, nicht näher konkretisiert hat. Insoweit ist zu berücksichtigen, dass der Betroffene Umstände, die gegenüber dem vorrangigen öffentlichen Interesse nach nachdrücklicher Vollstreckung hätten stärkere Berücksichtigung finden müssen, nicht detailliert dargelegt hat. Diesbezüglich ist lediglich ausgeführt, dass seine Familie sich in seinem Heimatland befindet. Dieser Umstand ist den Strafvollstreckungsbehörden bekannt. Angesichts des Umstandes, dass sich aus der Stellungnahme des Leiters der Justizvollzugsanstalt Werl vom 28. Februar 2002 ergibt, der Kontakt zu seiner Familie sei gänzlich abgebrochen, hätte es näherer Ausführungen durch den Betroffenen bedurft, inwieweit durch ein Absehen von der weiteren Vollstreckung die Wiedereingliederung des Betroffenen in den Familienverbund ermöglicht werden kann. Darüber hinaus ergibt sich aus diesem Bericht des Leiters der Justizvollzugsanstalt, dass dem Betroffenen insbesondere daran gelegen ist, wieder Kontakt zu seiner durch die vorliegende Straftat betroffenen Tochter aufzunehmen. Es fehlen indes jegliche Angaben des Betroffenen dazu, ob sich auch diese Tochter wieder in der Türkei befindet. Angesichts der Tatsache, dass der Betroffene keine besonderen Umstände vorgetragen hat, bedurfte es auch nicht der näheren Auseinandersetzung mit den persönlichen Belangen des Verurteilten in den Bescheiden der Vollstreckungsbehörden (vgl. Senatsbeschluss vom 26. September 2000 - 1 VAs 42/2000 -). Von daher kommt es vorliegend nicht auf die Frage an, ob die Staatsanwaltschaft im gerichtlichen Verfahren Gründe nachschieben darf, an.

Die Staatsanwaltschaften haben auch nicht gegen sie bindende Verwaltungsvorschriften verstoßen. Nach Ziffer 1 der Rundverfügung des Justizministers NRW vom 20. August 1985 ist zwar in der Regel von der Vollstreckung nach Verbüßung der Hälfte einer zeitigen Freiheitsstrafe bei der Anwendung des § 456 a StPO auszugehen. Nach Ziffer 3 dieser Rundverfügung kommt aber eine über den Halbstrafenzeitpunkt hinausgehende Vollstreckung jedenfalls dann in Betracht, wenn dies aus besonderen in der Tat oder in der Person des Verurteilten liegenden Gründen oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unabweisbar geboten ist. Die Voraussetzungen, an welche diese Verwaltungsvorschriften die Strafvollstreckung knüpfen, sind hier unzweifelhaft gegeben.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 30 EGGVG, 130, 30 KostO.

Ende der Entscheidung

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