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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 31.01.2008
Aktenzeichen: 1 VAs 9/99
Rechtsgebiete: StGB, BtMG, EGGVG


Vorschriften:

StGB § 21
StGB § 24 Abs. 1
StGB § 64
BtMG § 35
BtMG § 35 Abs. 1
EGGVG §§ 23 ff.
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Dem Betroffenen wird auf seine Kosten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt.

Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird als unbegründet verworfen.

Der Betroffene trägt die Kosten des Verfahrens nach einem Geschäftswert von 1.000,00 DM.

Gründe:

Das Landgericht Bonn hat den Betroffenen am 12. November 1997 wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt.

Die Strafkammer ist dabei u.a. von folgenden Feststellungen ausgegangen:

Der Betroffene hat am Abend des 26.06.1997 seiner Bekannten M.B. mit einem von ihm stets mitgeführten Messer mit einer Klingenlänge von 8,5 cm sechs Messerstiche in den Bauch- und Brustbereich versetzt, weil sich das Opfer geweigert hatte, für ihn weitere Flaschen Weizenbier zu kaufen. Dabei hat der Betroffene zwar mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt, ist aber von dem Versuch eines vorsätzlichen Tötungsdelikts anschließend mit strafbefreiender Wirkung gemäß § 24 Abs. 1 StGB zurückgetreten. Während der Tat stand der Betroffene unter Alkoholeinfluß. Die ihm nahezu zwei Stunden nach der Tat entnommene Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,32 o/oo, wobei eine maximale Blutalkoholkonzentration von 1,87 o/oo nicht ausgeschlossen werden konnte. Vor der Tat hatte der Betroffene außerdem Diacepam (eine Substanz, die unter dem Namen "Valium" besser bekannt ist) und Tramal eingenommen, eine mäßig bis stark schmerzstillende Substanz, die geeignet ist, stimmungsverändernd zu wirken. Beide Arzneimittel sollen nicht zusammen mit Alkohol eingenommen werden, weil sie geeignet sind, die Wirkung des Alkohols weiter negativ zu beeinflussen.

In der Hauptverhandlung hatte der Betroffene sich zum Konsum von Suchtmitteln im übrigen dahingehend eingelassen, daß er seit 1993 - gelegentlich - Heroin konsumiere. Die von der Strafkammer veranlaßte psychiatrische Untersuchung durch den Sachverständigen Dr. H hat zu dem Ergebnis geführt, daß bei dem Betroffenen eine jahrelange polyvalente Suchtmittelabhängigkeit besteht, die bereits zu einer schweren anderen seelischen Abartigkeit geführt hat. Wegen der Kombination der Wirkung von Alkohol und Tabletteneinnahme hat die Strafkammer die Voraussetzungen des § 21 StGB als gegeben angesehen. Die Tat sei deshalb - auch nach der überzeugenden Darlegung des Sachverständigen Dr. H - nur dadurch zu erklären, daß die Mischintoxikation von Alkohol und sedierend zentral-nervös wirksamen Medikamenten eine leichtere Reizbarkeit sowie eine Situationsverkennung bewirkt habe. Weil der Angeklagte aufgrund seiner Persönlichkeit dazu neige, nach erheblichem Alkoholkonsum auftretende Probleme durch Aggressionsausbrüche "zu lösen", sei auch in Übereinstimmung mit dem Gutachten des Sachverständigen Dr. H, die Unterbringung des Betroffenen in einer Entziehungsanstalt gemäß § 64 StGB anzuordnen. Die durch Alkoholkonsum bedingte Enthemmung des Betroffenen lasse sonst erneute Gewaltdelikte gegen Dritte nicht nur wahrscheinlich, sondern nahezu sicher erwarten.

Nach teilweisem Vorwegvollzug der Freiheitsstrafe befindet sich der Betroffene inzwischen im Vollzug der Unterbringung nach § 64 StGB. Mit Schreiben vom 18. September 1998 hat der Betroffene die Zurückstellung der Vollstreckung gemäß § 35 BtMG beantragt. Die 4. große Strafkammer des Landgerichts Bonn hat dazu wie folgt Stellung genommen:

"Die Zustimmung zu einer Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 BtMG wird verweigert, da es bereits an einer Kausalität zwischen einer etwaigen BtM-Abhängigkeit und der abgeurteilten Tat fehlt."

Die Staatsanwaltschaft hat daraufhin den Antrag des Betroffenen zurückgewiesen und sich dabei auf die Verweigerung der Zustimmung durch das Landgericht und die dabei angeführten Gründe bezogen. Ergänzend war die Staatsanwaltschaft der Auffassung, daß auch die Verbüßung von noch mehr als zwei Jahren Freiheitsstrafe einer Zurückstellung der Strafvollstreckung entgegenstehe.

Der Betroffene hat diese Entschließung in zulässiger Weise mit der Beschwerde angefochten und dazu ausgeführt, daß seine Tat mit seiner langjährigen Heroinabhängigkeit in Zusammenhang stehe. Der Grad seiner Abhängigkeit sei im Urteil nicht berücksichtigt worden, obwohl er dazu in der Hauptverhandlung Angaben gemacht habe. Wenn in der von ihm nach der Tat entnommenen Blutprobe kein Heroin nachgewiesen worden sei, müsse dies daran liegen, daß das am Morgen des Tattages noch konsumierte Betäubungsmittel von schlechter Qualität und deshalb bereits abgebaut worden sei. Sodann führt der Betroffene aus:

"Ein Tatzusammenhang erklärt sich insoweit daraus, daß die konzentrierte Einnahme über regelmäßig langen Zeitraum vor der Tat und die dadurch einsetzenden Heroinentzugserscheinungen vom Morgen an des Tattages in der Verbindung mit der Alkohol-Tablettenkombination, die ich als Ersatzstoff einnahm, wenn kein Heroin da war, dann zur Tat führten. Dies sagte ich auch auf der Verhandlung."

Zum Nachweis dieser Behauptung hat der Betroffene ein Attest des Dr. med. X vom 19. Januar 1998 vorgelegt, in dem dieser bescheinigt, daß sich der Betroffene vom 18.07.1995 bis zum 23. Juni 1997 wegen einer Drogenerkrankung (Heroin- und Tablettenmißbrauch) in seiner ambulanten Behandlung befunden habe.

Der Generalstaatsanwalt in L2 hat gleichwohl die Einwendungen des Betroffenen zurückgewiesen. Er ist der Auffassung, daß die vom Landgericht festgestellte polyvalente Suchtmittelabhängigkeit im wesentlichen durch Alkohol- und Medikamentenabusus gekennzeichnet sei, während sich eine Drogenabhängigkeit im Sinne des BtMG den Urteilsgründen nicht entnehmen lasse. Zwar könne eine Betäubungsmittelabhängigkeit auch außerhalb der Urteilsgründe auf sonstige Art festgestellt werden, jedoch seien auch dafür Anhaltspunkte nicht ersichtlich. Schließlich könne das Begehren des Betroffenen auch deshalb keinen Erfolg haben, weil das Landgericht die erforderliche Zustimmung nicht erteilt habe.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung nach den §§ 23 ff. EGGVG. Der Antrag ist zulässig, erweist sich in der Sache jedoch als unbegründet.

Gemäß § 35 Abs. 1 BtMG kann die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe von nicht mehr als zwei Jahren zum Zwecke einer Therapie zurückgestellt werden, wenn sich aus den Urteilsgründen ergibt oder sonst feststeht, daß die Tat aufgrund einer Betäubungsmittelabhängigkeit begangen worden ist.

Diese Formulierung des Gesetzes verdeutlicht, daß die Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde bei ihrer Entscheidung über die Zurückstellung nicht an die Feststellungen des Urteils gebunden ist, sondern zu dieser Frage auch eigene Feststellungen treffen kann, die sogar den Urteilsgründen entgegenstehen können. Dem Urteil ist eine Abhängigkeit des Betroffenen von Betäubungsmitteln, die dem BtM-Gesetz unterfallen, nicht zu entnehmen. Nach den Feststellungen der Strafkammer hat der Betroffene lediglich eingeräumt, seit 1993 gelegentlich Heroin zu konsumieren. Bislang hat der Betroffene nicht dargetan, warum er sich insoweit in der Hauptverhandlung unrichtig eingelassen hat. Es kann indes dahingestellt bleiben, ob die jetzige Behauptung des Betroffenen, er habe bereits in den Jahren vor der Tat täglich 1,5 g Heroin konsumiert, zutrifft. Deswegen ist es auch nicht geboten, dazu den ihn seinerzeit behandelnden Arzt Dr. X und den von ihm weiter benannten Zeugen y hören.

Eine Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG kommt nämlich schon deshalb nicht in Betracht, weil es offensichtlich an dem erforderlichen Kausalzusammenhang zwischen einer Betäubungsmittelabhängigkeit im Sinne des BtM-Gesetzes und der Straftat fehlt. Ein solcher Zusammenhang ist nur dann gegeben, wenn die Betäubungsmittelabhängigkeit nicht hinweggedacht werden kann, ohne daß die Straftat als Folge entfiele. Daraus folgt, daß eine Zurückstellung der Strafvollstreckung gemäß § 35 BtMG nicht für alle Straftaten von Drogenkonsumenten in Betracht kommen kann, wenn diese Taten nur anläßlich, aber nicht aufgrund der Betäubungsmittelabhängigkeit begangen wurden (vgl. Körner, BtMG § 35 Rdnr. 40 m.w.N.).

So liegt der Fall hier. Selbst wenn man - was durchaus fraglich erscheint - zur Tatzeit eine Abhängigkeit des Betroffenen von Heroin unterstellt, so ist doch festzustellen, daß die zur Verurteilung führende Tat allein der Beschaffung von alkoholischen Getränken führte und der Betroffene zur Tatzeit eine maximale Blutalkoholkonzentration von 1.87 o/oo aufwies. Hinzu kommt, daß der im Strafverfahren gehörte Sachverständige Dr. H ausgeführt hat, daß der Betroffene wie sich auch gerade aus der abgeurteilten Tat ergibt nach erheblichem Alkoholkonsum zu Aggressionsausbrüchen neige; erneute Gewaltausbrüche gegen Dritte seien in diesem Fall nicht nur wahrscheinlich, sondern schon nahezu sicher zu erwarten. Damit kann sicher festgestellt werden, daß der vorangegangene Alkoholkonsum und die Einnahme von Medikamenten ursächlich für die von dem Betroffenen begangene Straftat waren. Dem Umstand, ob der Betroffene am Morgen des Tattages in geringfügigem Umfang möglicherweise - minderwertiges - Heroin konsumiert hat, kommt deshalb keine wesentliche Bedeutung mehr zu, denn unabhängig von dem Heroinkonsum des Betroffenen trinkt der Betroffene bereits seit Beginn der 80er-Jahre - und damit schon lange bevor er 1993 begonnen hatte, zusätzlich gelegentlich Heroin zu konsumieren - im Übermaß Alkohol. Deshalb ist auch dem Vorbringen des Verurteilten, nur auf Alkohol als Ersatz für Heroin angewiesen zu sein, kein Glauben zu schenken, zumal dies erst jetzt - und nicht schon in der Hauptverhandlung - erstmals vorgetragen wird. Auf die Abhängigkeit des Betroffenen von Alkohol und - möglicherweise von Medikamenten findet § 35 BtMG jedoch keine Anwendung.

Eine Zurückstellung der Strafvollstreckung kann deshalb offensichtlich nicht in Betracht kommen.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 30 EGGVG, 30, 130 KostO.

Ende der Entscheidung

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