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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 19.12.2006
Aktenzeichen: 1 VAs 93/06
Rechtsgebiete: StPO, EGGVG


Vorschriften:

StPO § 456a
EGGVG § 23
Die Entscheidung der Vollstreckungsbehörde, nach § 456 a StPO bei einem aus dem Inland ausgewiesenen Verurteilten von der Vollstreckung (erstmals oder erneut) abzusehen, liegt in ihrem pflichtgemäßen Ermessen. Das OLG hat deshalb gemäß § 28 Abs. 3 EGGVG nur zu prüfen, ob die Vollstreckungsbehörde ermessensfehlerfrei entschieden hat.
Beschluss

Justizverwaltungssache

betreffend G.W.

zurzeit in Strafhaft in der Justizvollzugsanstalt Werl,

wegen schweren Raubes,

(hier: Entscheidung gemäß § 456 a StPO).

Auf den Antrag des Betroffenen vom 10.10.2006 auf gerichtliche Entscheidung nach den §§ 23 ff. EGGVG gegen den Bescheid der Staatsanwaltschaft Paderborn vom 11.07.2006 in der Form des Beschwerdebescheides des Generalstaatsanwalts in Hamm vom 20.09.2006 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 19. 12. 2006 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, die Richterin am Oberlandesgericht und den Richter am Amtsgericht nach Anhörung des Generalstaatsanwalts in Hamm beschlossen:

Tenor:

Der Antrag wird auf Kosten des Betroffenen als unbegründet verworfen.

Der Geschäftswert wird auf 2.500,00 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Der Betroffene ist polnischer Staatsangehöriger. Er wurde unter den Personalien G.W., geboren am 12.04.1980, durch das Landgericht Paderborn am 31.07.2002 wegen schweren Raubes zu einer Freiheitsstrafe von sieben Jahren und drei Monaten verurteilt. Hintergrund der Verurteilung war ein bewaffneter Überfall auf einen Juwelier in Paderborn am 19.01.2002, bei dem die Täter Schmuck im Wert von über 54.000 € erbeuten konnten, der bis heute nicht aufgefunden wurde. Die Entscheidung ist seit dem 31.10.2002 rechtskräftig.

Nachdem sich der Betroffene in der Zeit vom 19.01.2002 bis zum 31.10.2002 in Untersuchungshaft befunden hatte, verbüßte er in der Zeit vom 31.10.2002 bis zum 01.09.2005 Strafhaft in vorliegender Sache.

Am 04.08.2003 beantragte der Betroffene, gemäß § 456 a StPO von der weiteren Vollstreckung der Freiheitsstrafe abzusehen und ihn vor dem Hintergrund einer rechtskräftigen Ausweisungsverfügung des Ausländeramtes vom 15.05.2003 nach Polen abzuschieben. Die Staatsanwaltschaft Paderborn entsprach diesem Antrag mit Entschließung vom 01.06.2005, ordnete aber gleichzeitig die Nachholung der Vollstreckung für den Fall der Rückkehr an. Der entsprechende Vollstreckungshaftbefehl wurde am 06.09.2005 erlassen. Zuvor war der Betroffene über die Folgen einer Rückkehr in das Bundesgebiet gemäß § 456 a Abs. 2 S. 4 StPO belehrt und am 01.09.2005 aus der Strafhaft entlassen und nach Polen abgeschoben worden.

Am 06.03.2006 wurde der Betroffene bei der grenzpolizeilichen Ausreisekontrolle am Grenzübergang Pomellen festgestellt und aufgrund der bestehenden Ausschreibung verhaftet. Bei seiner Festnahme führte er einen auf "R.W., geboren am 07.09.1982", lautenden Ausweis mit. Beim Abgleich der Fingerabdrücke wurde jedoch festgestellt, dass es sich bei ihm um die als "G.T.W., geboren am 12.04.1980", bekannte Person handelte. Seit seiner erneuten Festnahme befindet er sich im weiteren Vollzug der Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt Werl. 2/3 der verbleibenden Freiheitsstrafe werden am 22.05.2007 verbüßt sein. Endstrafenzeitpunkt ist für den 22.10.2009 notiert.

Der Betroffene beantragte mit Schreiben vom 27.04.2006, erneut von der weiteren Vollstreckung der Strafe gemäß § 456 a StPO abzusehen. Zur Begründung führte er im Wesentlichen aus, dass er sich nur kurzfristig zur Durchführung einer Wohnungsauflösung im Bundesgebiet aufgehalten habe. Er beabsichtige, künftig mit seiner Verlobten, die von ihm ein Kind erwarte, in Polen zu leben. Im Übrigen handele es sich bei den Personalien "R.W." um seine richtigen Personalien. Bei den Personalien "G.T.W, geboren am 12. Februar 1980" handele es sich um die Personalien seines älteren Bruders.

Mit Entschließung vom 11.07.2006 hat die Staatsanwaltschaft Paderborn den Antrag des Betroffenen zurückgewiesen und dies im Wesentlichen damit begründet, dass das öffentliche Interesse an einer nachhaltigen Strafverfolgung und Strafvollstreckung den weiteren Vollzug der Strafe gebiete. Ausschlaggebend hierfür sei insbesondere die Schwere der Tat und der persönlichen Schuld des Betroffenen sowie der Umstand, dass die Tatbeute bislang nicht aufgefunden werden konnte. Schließlich sei die Einreise nur ca. sechs Monate nach seiner Ausweisung zudem unter falschen Personalien erfolgt. Unter diesen Umständen habe die familiäre Planung des Betroffenen hinter dem Interesse an einer Strafvollstreckung zurückzustehen.

Die gegen diese Entschließung gerichtete Beschwerde des Betroffenen vom 14.08.2006 hat der Generalstaatsanwalt in Hamm mit Bescheid vom 20.09.2006, zugestellt am 26.09.2006, als unbegründet zurückgewiesen und ergänzend ausgeführt, dass die Rückkehr eines ausgewiesenen Verurteilten als rein tatsächliche Bedingung für die Nachholung der Strafvollstreckung nach § 456 a Abs. 2 S. 1 StPO kein Verschulden voraussetze.

Gegen diese Entschließung richtet sich der Antrag des Betroffenen vom 10. Oktober 2006 auf gerichtliche Entscheidung nach den §§ 23 ff. EGGVG, mit dem der Betroffene - unter Bezugnahme auf die von ihm im Verfahren bereits vorgetragenen Gründe - geltend macht, dass die Entschließung der Vollstreckungsbehörde ermessensfehlerhaft sei und seine besondere persönliche Lage nicht berücksichtigt worden sei.

II.

Der rechtzeitig gestellte und auch im Übrigen zulässige Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach den §§ 23 ff. EGGVG hat in der Sache keinen Erfolg.

Die Entscheidung der Vollstreckungsbehörde, nach § 456 a StPO bei einem aus dem Inland ausgewiesenen Verurteilten von der Vollstreckung (erstmals oder erneut) abzusehen, liegt in ihrem pflichtgemäßen Ermessen. Der Senat hat deshalb gemäß § 28 Abs. 3 EGGVG nur zu prüfen, ob die Vollstreckungsbehörde ermessensfehlerfrei entschieden hat, denn aus § 456 a StPO folgt kein Anspruch des Verurteilten auf ein Absehen von der Strafvollstreckung, sondern nur ein Recht auf ermessensfehlerfreie Entscheidung der Vollstreckungsbehörde. Die gerichtliche Überprüfung der Ermessensentscheidung der Vollstreckungsbehörde beschränkt sich darauf, ob diese von einem zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, die Grenzen des Ermessens eingehalten und von ihm in einer dem Zweck der Ermächtigung entsprechenden Weise durch Abwägung der maßgeblichen Umstände Gebrauch gemacht hat. Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung nach §§ 23 ff. EGGVG ist dabei der Ablehnungsbescheid in Gestalt des Beschwerdebescheides des Generalstaatsanwalts in Hamm, so dass grundsätzlich dessen Ermessenserwägungen maßgeblich sind.

Die angefochtene Beschwerdeentscheidung lässt Ermessensfehler nicht erkennen. Der rechtliche Ausgangspunkt der Vollstreckungsbehörde, ein erneutes Absehen von der Strafvollstreckung gemäß § 456 a StPO komme nur unter besonderen Umständen in Betracht, die so gewichtig sein müssten, dass gegenüber der grundsätzlich angezeigten Durchsetzung des staatlichen Vollstreckungsanspruchs eine weitere Inhaftierung des Betroffenen nicht vertretbar erscheine, ist zutreffend.

Nach dem Sinn und Zweck der in § 456 a StPO getroffenen Regelungen rechtfertigt sich die (vorläufige) Besserstellung des ausgewiesenen oder ausgelieferten Straftäters gegenüber deutschen Straftätern, die nur unter den Voraussetzungen des § 57 StGB eine vorzeitige Entlassung aus dem Strafvollzug erreichen können und im Fall der erneuten Straffälligkeit mit dem Widerruf der bedingten Strafaussetzung rechnen müssen, allein aus der Überlegung, dass nach Vollzug der Ausweisung oder Auslieferung eine Sicherung der Allgemeinheit vor einem gefährlichen Straftäter nicht mehr erforderlich ist, eine Resozialisierung nicht sinnvoll erscheint und zudem die Justizvollzugsanstalten entlastet werden (vgl. OLG Hamm, NStZ 1993, S. 524; OLG Frankfurt, NStZ-RR 2001, S. 93). Diese, der Ermessensentscheidung der Vollstreckungsbehörde regelmäßig zugrunde gelegte, Situation ändert sich indessen grundlegend, wenn der Verurteilte sich freiwillig erneut in den Geltungsbereich des deutschen Strafrechts und Strafverfahrensrechts begibt. Mit diesem Verhalten unterwirft er sich uneingeschränkt wieder der innerstaatlichen Rechtsordnung und ist demgemäß allen anderen abgeurteilten Straftätern gleichzustellen. Die im öffentlichen Interesse liegende Durchbrechung des auch im Strafvollstreckungsrecht grundsätzlich geltenden Legalitätsprinzips durch § 456 a Abs. 1 StPO verliert im Falle der freiwilligen Rückkehr eines ausgewiesenen oder ausgelieferten Straftäters ihren tatsächlichen Ansatz mit der Folge, dass damit das der Vollstreckungsbehörde zugewiesene Recht auf Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs wieder auflebt und sich im Regelfall auch zu einer Vollstreckungspflicht verdichtet (OLG Frankfurt a.a.O.; OLG Hamburg, NStZ-RR 1999, S. 123). Demgemäß können bei der gemäß § 456 a StPO zu treffenden Entscheidung über ein erneutes Absehen von der Vollstreckung in der Regel nur besondere Umstände oder Abwägungsgesichtspunkte, die so gewichtig sein müssen, dass sie gegenüber der grundsätzlich angezeigten Durchsetzung des Vollstreckungsanspruchs eine erneute Inhaftierung des Verurteilten unangebracht erscheinen lassen, ein erneutes Absehen von der Vollstreckung rechtfertigen. Allerdings sind auch hier in der Ermessensentscheidung neben dem vorrangigen Vollstreckungsinteresse grundsätzlich die Art des begangenen Delikts, die Umstände der Tat, der Umfang der im Urteil festgestellten Schuld, die Gefährlichkeit des Verurteilten, die Höhe des Strafrestes, die seit der Entlassung aus dem Strafvollzug verstrichene Zeitspanne sowie die Entwicklung des Verurteilten im Vollzug und seine persönlichen und familiären Verhältnisse zu berücksichtigen (OLG Frankfurt, a.a.O.).

Eine an diesen Maßstäben ausgerichtete Gesamtabwägung unter vornehmlicher Berücksichtigung des öffentlichen Interesses an einer nachhaltigen Strafvollstreckung hat der Generalstaatsanwalt in Hamm in seiner Entscheidung vom 20. September 2006 rechtsfehlerfrei vorgenommen. Seine Einschätzung, dass die dem Betroffenen anzulastende Tatschuld, die zu seiner Verurteilung geführt hat, von besonderem Gewicht ist und dass besondere Umstände, die eine Fortsetzung der Strafvollstreckung im gegenwärtigen Zeitpunkt als unangebracht erscheinen lassen, nicht zu erkennen seien, ist zutreffend und rechtlich nicht zu beanstanden. Bereits nach dem eigenen Vortrag des Betroffenen liegen solche besonderen Umstände schon nicht vor. Seine Festnahme am 06.03.2006 - nur ca. ein halbes Jahr nach seiner Abschiebung - beruhte allein auf dem Umstand, dass der Betroffene sich für eine unbekannte Zeitdauer in Deutschland aufgehalten hatte, um an einer Haushaltsauflösung mitzuwirken, um sich so Möbel für den eigenen Haushalt zu verschaffen. Zumindest bei seiner Ausreise benutzte er dabei bislang unbekannte Personalien, von denen bislang nicht festgestellt werden konnte, ob sie zutreffend sind.

Die Strafvollstreckungsbehörde hat bei ihrer ablehnenden Entscheidung schließlich auch die persönliche Situation des Betroffenen und die mit der weiteren Strafverbüßung verbundene Härte hinreichend berücksichtigt. Außergewöhnliche Belastungen, die über das hinausgehen, was üblicherweise mit dem Strafvollzug eines ausländischen Gefangenen verknüpft ist, liegen nicht vor. Insbesondere handelt es sich bei der von dem Betroffenen dargelegten Trennung von seiner Verlobten und dem gemeinsamen Kind um eine typische Folge des Strafvollzuges. Die Einschätzung der Vollstreckungsbehörde, dass die persönlichen und sozialen Belange des Betroffenen - auch unter Berücksichtigung seines jungen Alters zum Tatzeitpunkt - hinter dem öffentlichen Interesse an einer weiteren nachhaltigen Strafvollstreckung zurückzutreten haben, lässt Ermessensfehler nicht erkennen.

Nach alledem war der Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet zu verwerfen.

Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 30 EGGVG, 30, 130 KostO.

Ende der Entscheidung

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