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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 10.08.2004
Aktenzeichen: 1 Vollz (Ws) 115/04
Rechtsgebiete: StGB, StVollzG


Vorschriften:

StGB § 57
StVollzG § 10 Abs. 1
Die Strafvollstreckungskammer hat in Strafvollzugssachen den für erwiesen erachteten Sachverhalt, der ihrer rechtlichen Würdigung zugrunde liegt, in den Gründen ihres Beschlusses wenigstens in gedrängter Form unter Verzicht auf eine Bezugnahme darzulegen, damit eine rechtliche Überprüfung anhand der tatrichterlichen Feststellungen der Strafvollstreckungskammer ermöglicht wird.
Beschluss

Strafvollzugssache

betreffend den D.S.

wegen Rechtmäßigkeit von Maßnahmen der Vollzugsbehörden, (hier: Verlegung in den offenen Vollzug).

Auf die Rechtsbeschwerde des Leiters der Justizvollzugsanstalt Hamm vom 9. Juli 2004 gegen den Beschluss der 6. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Dortmund vom 5. Juli 2004 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 10. 08. 2004 durch die Richterin am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht nach Anhörung des Präsidenten des Landesjustizvollzugsamtes Nordrhein-Westfalen beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde - an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Dortmund zurückverwiesen.

Gründe:

Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Dortmund hat mit dem angefochtenen Beschluss die Entscheidung des Leiters der Justizvollzugsanstalt Hamm vom 13. April 2004, durch welche der Antrag des Verurteilten auf Verlegung vom geschlossenen in den offenen Vollzug abgelehnt worden ist, sowie den Widerspruchsbescheid des Präsidenten des Landesjustizvollzugsamtes NRW vom 1. Juni 2004 aufgehoben. Desweiteren hat sie die Justizvollzugsanstalt Hamm angewiesen, den Verurteilten zum Zwecke der Teilnahme an der vom Arbeitsamt Bielefeld vermittelten und finanzierten Ausbildung zum Lagerhalter (Disponent) vom geschlossenen in den offenen Vollzug zu verlegen, und zwar rechtzeitig zum nächstmöglichen Ausbildungsbeginn. Darüber hinaus hat sie dem Verurteilten aufgegeben, sich einer ambulanten Drogentherapie, einer Interferontherapie zur Behandlung der Hepatitis und einer Sexualtherapie zu unterziehen.

Zum Sachverhalt hat die Strafvollstreckungskammer ausgeführt:

"Der Betroffene befindet sich seit dem 14. Juni 2003 in Strafhaft. - Er verbüßt derzeit die Freiheitsstrafe von 10 Monaten für die Staatsanwaltschaft Bückeburg in 406 Js 1663/01 VRs. Derzeitiges Strafende ist der 12. Januar 2005. Dieses wird sich wegen eines am 21. Mai 2004 ergangenen (Berufungs-)Urteils durch das Landgericht Dortmund um 8 Monate verschieben.

Der Verurteilte beantragt die (Rück)-Verlegung in den offenen Vollzug, um eine vom Arbeitsamt angebotene und finanzierte Ausbildung zu absolvieren.

In der Vollzugskonferenz vom 13. April 2004, an der sämtliche mit dem Verurteilten befaßten Bediensteten einschließlich des Anstaltspsychologen teilnahmen, wurde mehrheitlich der Beschluß gefaßt, den Verurteilten nicht in den offenen Vollzug zu verlegen, da er für den offenen Vollzug "ungeeignet" sei. Die Entscheidung stützt sich letztlich auf das Votum des Anstaltspsychologen K.P., der sich wiederum - u.a. - auf zwei zurückliegende psychologische Beurteilungen, der Psychologin der JVA Bielefeld-Brackwede II ORR'in B. vom 24. Juni 2003 und des Psychologen der JVA Werl H. vom 8. August 2003 stützt.

Wegen der Einzelheiten wird auf die genannten Gutachten, die Entscheidung des Leiters der JVA Hamm vom 13. April 2004, den Widerspruchsbescheid des Präsidenten des Landesjustizvollzugsamts NRW vom 1. Juni 2004, die diversen Schriftsätze des Verurteilten sowie die Akten 14 (6) StVK 35/04 HAM verwiesen."

Zur Begründung ihrer Entscheidung hat die Strafvollstreckungskammer ausgeführt, sie sei - nach mühevollem Abwägen - letztlich zu dem Ergebnis gekommen, dass entgegen den psychologischen Voten und der sich darauf stützenden Entscheidung des Leiters der Justizvollzugsanstalt Hamm die "Ungeeignetheit" des Verurteilten für den offenen Vollzug nicht festgestellt werden könne. Die Kammer maße sich keineswegs höhere oder bessere psychologische Kenntnisse als die der genannten Anstaltspsychologen an. Sie sei jedoch der Auffassung, dass bei der zu stellenden Prognose die Entwicklung des Verurteilten im Vollzug und der Wunsch, das von ihm gesteckte Ziel zu erreichen - unter Inkaufnahme längerer Haftzeiten durch Verzicht auf vorzeitige Entlassungen - nicht hinreichend gewertet worden sei. Darüber hinaus sei dem Verurteilten, so jedenfalls der Eindruck der Kammer, offensichtlich die angestrebte Umschulung, die nun mal nur im offenen Vollzug möglich sei, so wichtig, dass diese auch zur Erreichung des eigentlichen Vollzugszieles, nämlich zukünftig keine Straftaten mehr zu begehen, geeignet sei. Im Weiteren zitiert die Strafvollstreckungskammer auszugsweise eine Stellungnahme der Staatsanwaltschaft Bückeburg aus dem Verfahren 14 (6) StVK 9/04 HAM - betreffend die Entscheidung nach § 57 StGB -, den letzten Absatz der Stellungnahme des Anstaltspsychologen K.P., Ausführungen des Rechtsanwaltes H. aus einem Schriftsatz vom 14. Juni 2004 sowie einen Zwischenbericht der Bewährungshelferin R. im Rahmen einer Führungsaufsicht. Gegen diese Entscheidung wendet sich der Leiter der Justizvollzugsanstalt Hamm mit seiner form- und fristgerecht erhobenen Rechtsbeschwerde, mit der er die Verletzung materiellen Rechts rügt. Diese hat der Senat zur Herbeiführung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen. Sie hat auch in der Sache Erfolg und führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache.

Indem die Strafvollstreckungskammer den Antragsgegner verpflichtet hat, den Antragsteller zur Teilnahme an einer Ausbildungsmaßnahme in den offenen Vollzug zu verlegen, hat sie sowohl in den der Vollzugsbehörde vorbehaltenen Beurteilungsspielraum eingegriffen, als auch das der Vollzugsbehörde zustehende Folgeermessen in unzulässiger Weise durch eigene Ermessensausübung ersetzt.

Grundsätzlich darf das Gericht nicht in die Funktion der Vollzugsbehörde eingreifen. Namentlich ist es ihm verwehrt, sein eigenes Ermessen an die Stelle des Verwaltungsermessens zu setzen. Vielmehr ist es auf die Prüfung beschränkt, ob die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder ob von dem Ermessen in einer dem Zwecke der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht ist (Calliess/Müller-Dietz, Strafvollzugsgesetz, 9. Aufl., § 115 Rdnr. 18 ff. m.w.N.); OLG Hamm, ZfStrVo 1989, 248; Senatsbeschluss vom 30. Mai 2000 - 1 Vollz (Ws) 42/2000 -). Spruchreife ist in solchen Fällen nur dann gegeben, wenn im konkreten Fall nur eine einzige Entscheidung zulässig ist, sich also das Ermessen der Vollzugsbehörde auf Null reduziert hat.

Ausführungen dazu, dass dies für die Entscheidung, mit der die Vollzugsbehörde verpflichtet wird, den Antragsteller zur Durchführung einer Ausbildungsmaßnahme in den offenen Vollzug zu verlegen, der Fall ist, finden sich im angefochtenen Beschluss nicht. Sie sind auch nicht ersichtlich. Im angefochtenen Beschluss befasst sich die Strafvollstreckungskammer allein mit der Frage, ob der Betroffene für den offenen Vollzug gemäß § 10 Abs. 1 StVollzG geeignet ist. Selbst wenn dies zu Unrecht von der Vollzugsbehörde verneint worden wäre, kann daraus allein nicht die Verpflichtung folgen, den Betroffenen an einer konkreten Ausbildungsmaßnahme im offenen Vollzug teilnehmen zu lassen. Dass auch hinsichtlich des Folgeermessens eine Ermessensreduzierung auf Null vorliegt, ist nicht zu erkennen.

Ferner tragen auch die bisherigen Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung die Feststellung, die Vollzugsbehörde habe den ihr zustehenden Beurteilungsspielraum bei der Prognoseentscheidung im Rahmen des § 10 Abs. 1 StVollzG überschritten, nicht.

Zum einen lassen die Entscheidungsgründe bereits nicht in der gebotenen Weise erkennen, welchen Sachverhalt das Gericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat. Der Senat hat in ständiger Rechtsprechung unter Hinweis auf die Besonderheiten des revisionsrechtlich ausgestalteten Rechtsbeschwerdeverfahrens in Strafvollzugssachen ausgeführt, dass die Strafvollstreckungskammer den für erwiesen erachteten Sachverhalt, der ihrer rechtlichen Würdigung zugrunde liegt, in den Gründen des Beschlusses wenigstens in gedrängter Form unter Verzicht auf eine Bezugnahme darzulegen hat, damit eine rechtliche Überprüfung anhand der tatrichterlichen Feststellungen der Strafvollstreckungskammer ermöglicht wird (vgl. Senatsbeschlüsse vom 1. August 2000 - 1 Vollz (Ws) 79/00 -; vom 16. September 1999 - 1 Vollz (Ws) 186/99 -). Die Strafvollstreckungskammer hat deshalb die entscheidungserheblichen Tatsachen so vollständig wiederzugeben, dass anhand dieser Feststellungen eine rechtliche Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht möglich ist.

Diesen Anforderungen entspricht der angefochtene Beschluss in keiner Weise. Ihm ist weder zu entnehmen, auf welche Gründe im Einzelnen die Justizvollzugsanstalt Hamm ihre Ablehnung auf Verlegung in den offenen Vollzug gestützt hat noch mit welcher Begründung der Präsident des Landesjustizvollzugsamtes NRW den Widerspruch des Antragstellers verworfen hat. Darüber hinaus mangelt es dem angefochtenen Beschluss an der Wiedergabe der Stellungnahme des Anstaltspsychologen K.P.. Der Senat kann daher nicht überprüfen, welche Ermessenserwägungen der Leiter der Justizvollzugsanstalt bzw. der Präsident des Landesjustizvollzugs-amtes überhaupt angestellt hat und welche tatsächlichen Grundlagen der Ermessensentscheidung zugrunde gelegt worden sind.

Darüber hinaus ist der angefochtenen Entscheidung nicht in nachvollziehbarer Weise zu entnehmen, dass die Einschätzung der Vollzugsbehörden nicht auf einem richtig und vollständig ermittelten Sachverhalt beruht oder die Vollzugsbehörde bei der Entscheidung sich nicht vom richtigen Verständnis des Versagungsgrundes hat leiten lassen. Die für die Entscheidung wesentliche Stellungnahme des Anstaltspsychologen K.P. wird nur insoweit wiedergegeben, als in dieser Stellungnahme aus einem Beschlusstenor des Amtsgerichts Rinteln vom 24. Juni 2002 zitiert wird. Im Weiteren werden lediglich Meinungen von anderen, zum Teil unzuständigen Stellen (Staatsanwalt der Vollstreckungsbehörde, Bewährungshelferin, Verteidiger) wiedergegeben, die offensichtlich aus einem anderen Vollstreckungsverfahren stammen und dem Antragsgegner teilweise unbekannt waren. Soweit die Strafvollstreckungskammer zu dem Ergebnis gelangt, dass neu hervorgetretene, den Vollzugsbehörden bei ihren Entscheidungen noch nicht bekannt und deshalb unberücksichtigt gebliebene Umstände und Erkenntnisse zu einer anderen Beurteilung des Sachverhaltes Anlass geben könnten, kann die Strafvollstreckungskammer hierauf zwar bei ihrer Entscheidung abstellen, da es sich vorliegend um eine Verpflichtungsklage handelt, bei der es dem Betroffenen darauf ankommt, seine im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bestehenden Rechte zu realisieren. Dies kann aber allenfalls zur Aufhebung der Vollzugsentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Ermessensentscheidung der Behörde unter Berücksichtigung der neuen Umstände, nicht aber dazu führen, dass die Strafvollstreckungskammer ihr eigenes Ermessen an die Stelle desjenigen der Vollzugsbehörde stellt (vgl. Senatsbeschluss vom 1. August 2002 - 1 Vollz (Ws) 109/02 -). Ein Fall der "Ermessensreduzierung auf Null", in dem dies allenfalls ausnahmsweise möglich wäre, liegt hier ersichtlich nicht vor.

Desweiteren findet eine Bewertung durch die Strafvollstreckungskammer nicht statt. Es handelt sich lediglich um eine Aneinanderreihung von Stellungnahmen, die inhaltlich nicht näher gewürdigt werden. Aus diesem Grunde werden die dem Verurteilten erteilten Weisungen in keiner Weise verständlich. Eine Sexualproblematik sowie eine Drogenproblematik zeigt der Beschluss nicht auf.

Die Entscheidung war daher aufzuheben und die Sache an die Strafvollstreckungskammer zurückzuverweisen.

Ende der Entscheidung

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