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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 03.07.2008
Aktenzeichen: 1 Vollz (Ws) 357/08
Rechtsgebiete: StVollzG


Vorschriften:

StVollzG § 10
Zur Überprüfung der im Rahmen des § 10 StVollzG getroffenen Prognoseentscheidung der Justizvollzugsanstalt.
Beschluss

Strafvollstreckungssache

betreffend den Strafgefangenen O.B.

wegen Rechtmäßigkeit von Maßnahmen der Vollzugsbehörden (hier: Verlegung des Betroffenen in den geschlossenen Vollzug).

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen vom 19. Mai 2008 gegen den Beschluss der 4. kleinen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Kleve vom 18. April 2008 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 03. 07. 2008 durch die Richterin am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung des Justizministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen einstimmig beschlossen:

Tenor:

1. Die Rechtsbeschwerde wird zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung und zur Fortbildung des Rechts zugelassen.

2. Der Bescheid der Leiterin der Justizvollzugsanstalt Moers-Kapellen vom 05. Februar 2008 und der angefochtene Beschluss der Strafvollstreckungskammer werden aufgehoben - letzterer mit Ausnahme des Geschäftswertes.

Die Vollzugsbehörde wird verpflichtet, den Betroffenen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu bescheiden.

3. Die Kosten des Verfahrens und die dem Betroffenen erwachsenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe:

I.

Der Betroffene wurde vom Amtsgericht Moers am 07. November 2007 zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren verurteilt, weil er sich in 5 Fällen wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz strafbar gemacht hatte. Zur Verbüßung dieser Strafe stellte sich der Betroffene am 07. Januar 2008 entsprechend der ihm erteilten Aufforderung in der Justizvollzugsanstalt Moers-Kapellen, einer Anstalt des offenen Vollzugs. Gleichwohl entschied die Leiterin der JVA Moers-Kapellen am 5. Februar 2008, den Betroffenen in den geschlossenen Vollzug der Justizvollzugsanstalt Geldern zu verlegen. Anlaß für diese Entscheidung war ersichtlich der Vermerk eines Vollzugsbediensteten über ein von ihm am 29. Januar 2008 geführtes Telefongespräch mit einer Frau L., einer bei der Stadt Moers tätigen Sozialarbeiterin. Diese hatte erklärt, sie betreue den Betroffenen seit Jahren und sei "sprichwörtlich aus allen Wolken gefallen", als sie gehört habe, der Betroffene werde voraussichtlich im offenen Vollzug untergebracht. Frau L. habe außerdem darauf verwiesen, dass der Betroffene auch "während der vorigen Haft 2006 keine Lockerung erhalten" habe. Nach seiner Haftentlassung sei er "direkt in sein altes Verhaltensmuster bezüglich des Drogenhandels" zurückgefallen. Der Betroffene habe ständig "zwischen dem Hauptbahnhof Düsseldorf und sämtlichen polizeibekannten Drogenhandelsplätzen in der näheren Umgebung gependelt." Auch in seiner Unterkunft habe er für regen Nachschub gesorgt. Wegen des schädlichen Einflusses im Falle seiner Rückkehr in sein altes Umfeld könne sie eine Unterbringung im offenen Vollzug und die Gewährung von vollzuglichen Lockerungen "in keinem Fall befürworten". Den Betroffenen könne man "nur sicher wegsperren, um ihn am weiteren Drogenhandel zu hindern."

Der gegen die Entscheidung der Leiterin der Justizvollzugsanstalt Moers-Kapellen vom 05. Februar 2008 gerichtete Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung blieb erfolglos. Die 4. kleine Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Kleve hat in ihrer ablehnenden Entscheidung ausgeführt, es sei nicht zu beanstanden, dass dem Betroffenen die Eignung für den offenen Vollzug abgesprochen worden sei. Die Mitteilung der Sozialarbeiterin der Stadt Moers sei entgegen der Auffassung des Betroffenen verwertbar. Berufs- oder Dienstgeheimnisse seien nicht verletzt worden. Zu Recht habe die Sozialarbeiterin insbesondere auf die hohe Rückfallgeschwindigkeit des Betroffenen in sein altes Verhaltensmuster hingewiesen. Im Übrigen habe die Sozialarbeiterin lediglich ihre private Einschätzung kundgetan. Es sei deshalb nicht zu beanstanden, wenn der Betroffene gegenwärtig nicht als geeignet für den offenen Vollzug angesehen werde.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen. Er ist der Auffassung, dass die telefonischen Angaben der Sozialarbeiterin L. nicht ordnungsgemäß in das Verfahren eingeführt worden seien, zumal er dazu auch nicht angehört worden sei. Seine zunächst offensichtlich angenommene Eignung für den offenen Vollzug hätte ihm nicht aufgrund dieses Telefonats aberkannt werden dürfen.

II.

Die Rechtsbeschwerde war zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung und zur Fortbildung des Rechts zuzulassen und hat auch in der Sache - einen jedenfalls vorläufigen - Erfolg. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidungen und zur Zurückverweisung der Sache an die Vollzugsbehörde, denn die Entscheidung der Leiterin der Justizvollzugsanstalt Moers-Kapellen leidet an einem durchgreifenden Mangel, der von der Strafvollstreckungskammer nicht beachtet wurde.

Vorliegend war die Prognoseentscheidung der Justizvollzugsanstalt, welche im Rahmen des § 10 Strafvollzugsgesetz getroffen wurde, zu überprüfen. Die Voraussetzungen des Abs. 1 dieser Vorschrift, welche die Kriterien für die Eignung des Gefangenen für den offenen Vollzug darstellen, sind unbestimmte Rechtsbegriffe, die einer Überprüfung durch das Gericht zugänglich sind (vgl. Calliess/Müller-Dietz, Strafvollzugsgesetz, 10. Aufl., § 10 Rdnr. 6 m. w. N., zum Umfang der Nachprüfbarkeit vgl. § 11 Rdnr. 15 m. w. N.). Dabei unterliegt der uneingeschränkten gerichtlichen Nachprüfung das Vorliegen der Tatsachen, welche die Vollzugsbehörde zur Grundlage ihrer Entscheidung gemacht hat (vgl. BGH St 30, S. 320), d.h. diese Tatsachen müssen zutreffen und der zugrundeliegende Sachverhalt muss insgesamt vollständig ermittelt sein (vgl. BGH a.a.O.).

Das ist hier nicht der Fall.

Die Vollzugsbehörde hat ihre Entscheidung, den Betroffenen in eine Anstalt des geschlossenen Vollzuges zu überstellen, maßgeblich auf den Inhalt des Telefongesprächs mit der Sozialarbeiterin L. gestützt. Zwar bestehen keine Bedenken, die Erkenntnisse der Frau L., die den Betroffenen nach ihren Angaben in dienstlicher Eigenschaft seit Jahren betreut, bei der Entscheidung über die für den Betroffenen angezeigte Vollzugsform zu berücksichtigen.

Die Vollzugsbehörde wäre in diesem Fall aber verpflichtet gewesen, zu ermitteln, auf welche gesicherten Erkenntnisse Frau L. ihre Behauptung stützt, dass sich der Betroffene nach seiner letzten Haftentlassung weiterhin im Drogenmilieu bewegt hat und auch in seiner Unterkunft "für regen Nachschub" gesorgt haben soll. Auch die Vermutung der Sozialarbeiterin, der Betroffene könne nur durch den geschlossenen Vollzug daran gehindert werden, sich weiter an dem Handel mit Drogen zu beteiligen, ist durch keine Tatsachen oder eigene Erkenntnisse der Vollzugsbehörde belegt. Der inhaltlich nicht geprüfte Vermerk vom 29. Januar 2008 ist damit ohne nähere ergänzende - unterstützende - Feststellungen - noch - keine ausreichende Grundlage, um die fehlende Eignung des Betroffenen für den offenen Vollzug zu begründen.

Der angefochtene Beschluss und die Entscheidung der Leiterin der Vollzugsanstalt Moers-Kapellen vom 5. Februar 2008 waren deshalb aufzuheben und die Sache zur Neubescheidung an die Vollzugsbehörde zurückzuverweisen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 4 Strafvollzugsgesetz i. V. m. § 467 Abs. 1 StPO.

Ende der Entscheidung

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