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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 12.05.2005
Aktenzeichen: 1 Vollz (Ws) 40/05
Rechtsgebiete: StVollzG


Vorschriften:

StVollzG § 10
StVollzG § 11
Zu den Voraussetzungen für die Verlegung in den offenen Vollzug.
Beschluss

Strafvollzugssache

betreffend Z.J.

wegen Rechtmäßigkeit von Maßnahmen der Vollzugsbehörde (hier: Gewährung von Vollzugslockerungen, Verlegung in den offenen Vollzug).

Auf die Rechtsbeschwerde des Betroffenen vom 29. März 2005 gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Arnsberg vom 25. Februar 2005 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 12. 05. 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung des Präsidenten des Landesjustizvollzugsamtes Nordrhein-Westfalen beschlossen:

Tenor:

1. Die Rechtsbeschwerde wird zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen.

2. Der angefochtene Beschluss wird mit Ausnahme der Festsetzung des Gegenstandswertes aufgehoben.

Der Bescheid des Leiters der Justizvollzugsanstalt Werl vom 22. Juli 2004 und der Widerspruchsbescheid des Präsidenten des Landesjustizvollzugsamtes Nordrhein-Westfalen vom 06. Oktober 2004 werden aufgehoben.

Die Vollzugsbehörde wird angewiesen, den Antrag des Betroffenen auf Verlegung in den offenen Vollzug und Gewährung von Vollzugslockerungen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats erneut zu bescheiden.

3. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Betroffenen werden der Landeskasse auferlegt.

Gründe:

I.

Der Betroffene befindet sich seit dem 25. Juli 2002 als Strafgefangener in der Justizvollzugsanstalt Werl und verbüßt dort Gesamtfreiheitsstrafen von 6 Jahren und 1 1/2 Jahren, die vom Landgericht Essen mit Urteil vom 27. September 2001 und vom Amtsgericht Essen mit Urteil vom 04. Mai 1998 u.a. wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln gegen ihn verhängt wurden. 2/3 dieser Strafen werden am 25. Dezember 2005 verbüßt sein, das Strafzeitende ist auf den 26. Juni 2008 notiert. Der Betroffene bemüht sich seit längerem um seine Verlegung in den offenen Vollzug und um die Gewährung von Vollzugslockerungen. Im Rahmen eines früheren Verfahrens, das durch Widerspruchsbescheid des Präsidenten des Landesjustizvollzugsamtes NRW vom 27. Januar 2004 - für den Betroffenen ohne Erfolg - abgeschlossen wurde, hatte der Leiter der Justizvollzugsanstalt Werl dem Betroffenen mit Schreiben vom 16. Oktober 2003 mitgeteilt, dass Lockerungen oder auch die Verlegung in den offenen Vollzug im Rahmen der aktuellen Vollzugsplanfortschreibung noch nicht angedacht seien. Die Prüfung der bisherigen Lebensumstände des Betroffenen habe ergeben, dass keine stabilisierenden Außenkontakte vorhanden seien. Hierbei sei zu berücksichtigen gewesen, dass der (verstorbene) Vater des Betroffenen im Drogenhandel verwickelt gewesen sei und Handel mit Kokain im großen Umfang betrieben habe. Nach dem Tod des Vaters habe der Betroffene - so die Feststellungen des zu Grunde liegenden Urteils - die Rolle des Familienoberhauptes und auch die Rolle des Vaters als Drogenhändler übernommen. Der Handel sei durch zahlreiche nahe und entfernte Verwandte "vernetzt gewesen". Auf eine dagegen gerichtete Eingabe des Betroffenen hatte der Leiter der Justizvollzugsanstalt Werl mit Schreiben vom 15. November 2003 geantwortet und darin u. a. folgendes ausgeführt:

"Die problematischen familiären Verbindungen ergeben sich aus dem zu Grunde liegenden Urteil. Selbstverständlich wird nicht verkannt, dass nicht sämtliche Familienmitglieder in diesem Umfang tätig gewesen sein müssen oder können. Die problematischen Verbindungen und Vernetzungen sind aber auch nicht zu ignorieren. Entgegen ihrer Auffassung ist sehr wohl von Bedeutung, dass bereits der Vater ... in entsprechende Geschäfte verwickelt war und weitere Familienmitglieder ... hier eingebunden hat. Ob zu einem späteren Zeitpunkt die Einschätzung relativiert werden kann, bleibt dann zu prüfen. Zum jetzigen Zeitpunkt jedenfalls sind vollzugliche Lockerungen in jeglicher Form verfrüht."

Zu der von der Stadt Essen am 03. Februar 2003 gegenüber dem Betroffenen rechtskräftig erlassenen Ausweisungsverfügung heißt es in dem zitierten Schreiben:

"Selbst wenn diese Ausweisungsverfügung auf Grund der ungeklärten Staatsangehörigkeit auf Dauer nicht umsetzbar wäre - eine abschließende Entscheidung ist hier noch nicht ergangen -, kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht ohne weiteres von einer Entlassung zum 2/3-Termin ausgegangen werden."

Im vorliegenden Verfahren hat der Betroffene mit Schreiben seiner Verfahrensbevollmächtigten vom 25. Mai 2004 erneut seine Verlegung in den offenen Vollzug und "die Gewährung von Vollzugslockerungen wie Ausgang und Urlaub" beantragt. Diesen Antrag hat der Leiter der Justizvollzugsanstalt Werl mit Schreiben vom 22. Juli 2004 unter Hinweis auf die vorangegangenen Schreiben vom 16. Oktober und 18. November 2003 zurückgewiesen. Ergänzend ist in dem Bescheid vom 22. Juli 2004 folgendes ausgeführt:

"Eine Änderung der Sachlage hat sich zwischenzeitlich nicht ergeben. Insbesondere ist es unzutreffend, dass nach Ablauf eines halben Jahres die "zeitlichen Voraussetzungen für Lockerungen" nunmehr erfüllt sind. Das voraussichtliche Strafende ist mit dem Endstraftermin auf den 26.06.2008 terminiert. Eine vorzeitige Entlassung kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht angenommen werden. Eine Verlegung in den offenen Vollzug bzw. vollzugliche Lockerungen knapp 4 Jahre vor einer voraussichtlichen Haftentlassung ist nur in deutlichen Ausnahmesituationen denkbar, da ein so langer Zeitraum erfahrungsgemäß Inhaftierte unter gelockerten Bedingungen erheblich überfordert. Das Missbrauchsrisiko ist somit als deutlich erhöht anzusehen. Desweiteren war Herr Z. auch in der Zwischenzeit nicht in der Lage, sich realistischeren vollzuglichen Planungen zu öffnen. Er ist weiterhin nur bereit, etwaige schulische oder berufliche Förderungen unter gelockerten Bedingungen zu akzeptieren. Auch am hier angebotenen Kurs Deutsch als Fremdsprache nimmt er nicht teil. Ohne eine Änderung der Sachlage und insbesondere der Grundhaltung des Betroffenen sehe ich mich nicht in der Lage, in absehbarer Zeit vollzugliche Lockerungen zu gewähren oder eine Verlegung in den offenen Vollzug zu befürworten."

Den gegen die ablehnende Entscheidung des Leiters der Justizvollzugsanstalt Werl gerichteten Widerspruch des Betroffenen hat der Präsident des Landesjustizvollzugsamtes mit Entschließung vom 06. Oktober 2004 zurückgewiesen und sich dabei im wesentlichen auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung gestützt.

Den dagegen gerichteten, form- und fristgerecht beim Landgericht Arnsberg gestellten Antrag des Betroffenen auf gerichtliche Entscheidung nach den §§ 109 ff. StVollzG hat die Strafvollstreckungskammer mit dem angefochtenen Beschluss vom 25. Februar 2005 als unbegründet verworfen und darin die Auffassung vertreten, dass sich die Entscheidung der Vollzugsbehörde innerhalb des ihr zustehenden Beurteilungs- und Ermessensspielraums bewege. Die Vollzugsbehörde habe alle wesentlichen Gesichtspunkte berücksichtigt und in einer nicht zu beanstandenden Art und Weise gewürdigt. Soweit die Vollzugsbehörde ihre Ablehnung von Vollzugslockerungen auch auf das Argument eines hohen Strafrestes von fast 4 Jahren stütze, sei dem Betroffenen zwar darin beizupflichten, dass eine Entlassung zum 2/3-Zeitpunkt durchaus in Betracht kommen könne. Allerdings liege die Möglichkeit einer solchen Entlassung nicht derart nahe, dass der Fluchtanreiz nur unter Berücksichtigung des bis zum 2/3-Zeitpunkts verbleibenden Strafrestes geprüft werden dürfe. Nicht unbeachtlich in diesem Zusammenhang sei auch die bestehende Ausweisungsverfügung, wenngleich diese weder zur Zeit noch - voraussichtlich - in absehbarer Zeit vollzogen werden könne. Es erscheine nämlich nicht ausgeschlossen, dass die Herkunft des Betroffenen in einer Weise geklärt werden könne, dass sein Heimatstaat zu einer Aufnahme bereit wäre. Zwar dürfe der Ausweisungsverfügung unter diesen Umständen kein allzu großes Gewicht beigemessen werden. Eine entgegenstehende Auffassung der Vollzugsbehörde sei jedoch nicht zu erkennen. Was den sozialen Empfangsraum und die Herkunftsfamilie des Betroffenen angehe, sei eine ausführlichere Auseinandersetzung mit der familiären Situation des Betroffenen zwar wünschenswert, jedoch auf Grund der anderweitigen Gesichtspunkte nicht zwingend erforderlich gewesen.

Gegen diese Entscheidung der Strafvollstreckungskammer richtet sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen, mit der er mit näheren Ausführungen die Verletzung materiellen Rechts rügt.

II.

Das gem. § 116 Abs. 1 StVollzG statthafte und in zulässiger Weise eingelegte Rechtsmittel, das der Senat zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen hat, hat einen zumindest vorläufigen Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung der Strafvollstreckungskammer und der zugrundeliegenden Bescheide sowie zur Zurückverweisung der Sache an die Vollzugsbehörde zur Neubescheidung des Antrags des Betroffenen auf Verlegung in den offenen Vollzug und Gewährung von Vollzugslockerungen einschließlich Urlaub (§ 119 Abs. 4 S. 2, § 115 Abs. 4 S. 2 StVollzG).

Maßgebend für die Frage, ob der Betroffene in eine Anstalt des offenen Vollzugs verlegt werden muss bzw. kann, ist die gesetzliche Regelung in § 10 StVollzG. Nach § 10 Abs. 1 StVollzG soll ein Gefangener mit seiner Zustimmung in einer Anstalt oder Abteilung des offenen Vollzugs untergebracht werden, wenn er den besonderen Anforderungen des offenen Vollzugs genügt und namentlich nicht zu befürchten ist, dass er sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder die Möglichkeiten des offenen Vollzuges zu Straftaten missbrauchen wird. Was den daneben gestellten Antrag des Betroffenen auf Lockerungen des Vollzuges und Gewährung von Urlaub betrifft, sind die Vorschriften der §§ 11, 13 StVollzG einschlägig. Nach §§ 11 Abs. 2, 13 Abs. 1 S. 2 StVollzG können Lockerungen sowie Urlaub nur bewilligt werden, wenn nicht zu befürchten ist, dass der Gefangene sich dem Vollzug der Freiheitsstrafe entziehen oder die Lockerungen des Vollzuges zu Straftaten missbrauchen werde. Der Gefangene hat insoweit einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung der Vollzugsbehörde. Die Geeignetheit eines Gefangenen für den offenen Vollzug (§ 10 StVollzG) und für Lockerungen des Vollzuges nach § 11 StVollzG sowie Beurlaubung nach § 13 StVollzG ist, wie die Flucht- und Missbrauchsklausel in § 11 Abs. 2 StVollzG, ein unbestimmter Rechtsbegriff, der - wie Ermessensentscheidungen - nur einer eingeschränkten gerichtlichen Nachprüfung unterliegt. Nach ständiger Rechtsprechung darf das Gericht die Anwendung der unbestimmten Rechtsbegriffe der Eignung und der Flucht- und Missbrauchsbefürchtung durch die Vollzugsbehörde nur darauf überprüfen, ob die Vollzugsbehörde von einem zutreffenden und vollständig ermittelten Sachverhalt ausgegangen ist, ob sie ihrer Entscheidung den richtigen Begriff des Versagungsgrundes zu Grunde gelegt hat und ob sie dabei die Grenzen des ihr zustehenden Beurteilungs- und Ermessensspielraums eingehalten hat (vgl. BGHSt 30, 320; ständige Senatsrechtsprechung, vgl. u. a. Beschlüsse vom 18. März 2004 - 1 Vollz (Ws) 22/04 - und vom 14. Dezember 2004 - 1 Vollz(Ws) 153/04; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, 10. Aufl., § 11 Rdnr. 15 und § 15 Rdnr. 20 ff.). Unter Zugrundelegung dieses Prüfungsmaßstabes erweist sich die angefochtene Entscheidung der Strafvollstreckungskammer als rechtsfehlerhaft. Entgegen der rechtlichen Bewertung der Strafvollstreckungskammer kann vorliegend nicht festgestellt werden, dass sich die Vollzugsbehörde bei der Ablehnung des Antrags des Betroffenen auf Verlegung in den offenen Vollzug sowie auf Gewährung von Vollzugslockerungen und Urlaub innerhalb des ihr zustehenden Beurteilungs- und Ermessensspielraums gehalten hat. Zu Unrecht geht die Kammer davon aus, dass die Vollzugsbehörde ihrer Ablehnungsentscheidung einen ausreichend ermittelten Sachverhalt zu Grunde gelegt und alle wesentlichen Gesichtspunkte berücksichtigt und rechtsfehlerfrei abgewogen hat.

Einige der für die Entscheidung über die beantragten vollzuglichen Maßnahmen bedeutsamen Umstände hat die Vollzugsbehörde nicht oder nur unzureichend berücksichtigt; daneben erweist sich die ablehnende Entscheidung der Vollzugsbehörde auch deshalb als rechtsfehlerhaft, weil einigen der zum Nachteil des Betroffenen gewürdigten Gesichtspunkte zu großes Gewicht beigemessen worden ist.

So geht die Vollzugsbehörde bei ihrer ablehnenden Entscheidung von einem deutlich erhöhten Missbrauchsrisiko im Hinblick auf die hohe Reststrafzeit (Endstraftermin: 26. Juni 2008) aus und verweist darauf, dass eine Verlegung in den offenen Vollzug bzw. eine Gewährung vollzuglicher Lockerungen knapp 4 Jahre vor einer voraussichtlichen Haftentlassung auf Grund einer damit verbundenen erheblichen Überforderung des Gefangenen nur in deutlichen Ausnahmesituationen denkbar sei. Diese Ermessenserwägung begegnet deshalb rechtlichen Bedenken, weil die Vollzugsbehörde eine bedingte vorzeitige Entlassung des Betroffenen gem. § 57 Abs. 1 StGB zum gemeinsamen 2/3-Zeitpunkt am 26. Dezember 2005 praktisch von vornherein ausschließt, ohne jedoch auf die hierfür einschlägigen gesetzlichen Voraussetzungen des § 57 StGB näher einzugehen. Im Rahmen der nach § 57 Abs. 1 Nr. 2 StGB zu treffenden Prognoseentscheidung kommt insbesondere den bisherigen Straftaten großes Gewicht zu. Aus dem in dem angefochtenen Beschluss zitierten (früheren) Widerspruchsbescheid des Landesjustizvollzugsamtes vom 27. Januar 2004 geht insoweit zwar hervor, dass im Bundeszentralregister in Bezug auf den Betroffenen 4 Eintragungen vermerkt sind und es sich bei der Strafe von einem Jahr sechs Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Essen vom 04. Mai 1998 um eine widerrufene Bewährungsstrafe handelt. Nähere Angaben zu den früheren strafrechtlichen Verfehlungen des Betroffenen sind der Entscheidung der Vollzugsbehörde jedoch nicht zu entnehmen. So ist insbesondere unklar, ob der Betroffene bei den vom Amtsgericht Essen mit Urteil vom 04. Mai 1998 und vom Landgericht Essen mit Urteil vom 27. September 2001 geahndeten Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz jeweils den Verbrechenstatbestand des § 29 a Abs. 1 Nr. 2 BTMG (unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge) verwirklicht hat. Sollte dies hinsichtlich der vom Landgericht Essen verhängten Freiheitsstrafe von 6 Jahren der Fall sein, wäre zur Frage der bedingten Entlassung (§ 57 StGB) gegebenenfalls ein Gefährlichkeitsgutachten nach § 454 Abs. 2 Nr. 2 StPO einzuholen. Zu dieser Frage fehlen jegliche Angaben. Weiter ist unklar, ob der Betroffene sich erstmals in Haft befindet. Auch das Verhalten des Betroffenen im Vollzug ist von der Vollzugsbehörde bislang nur ausschnittsweise, nämlich in Bezug auf die Frage der schulischen und beruflichen Qualifikation, angesprochen und gewürdigt worden.

Soweit die Vollzugsbehörde als weiteres Argument für die Ablehnung vollzuglicher Lockerungen und des Antrags auf Verlegung in den offenen Vollzug die - bestandskräftige - Ausweisungsverfügung der Stadt Essen vom 03. Februar 2003 herangezogen hat, ist zu besorgen, dass sie dieser Ausweisungsverfügung ein zu großes Gewicht beigemessen hat. Nach den in dem angefochtenen Beschluss getroffenen Feststellungen ist nämlich davon auszugehen, dass diese Ausweisungsverfügung auf Grund der bislang ungeklärten Staatsangehörigkeit des Betroffenen weder zur Zeit noch in absehbarer Zeit vollzogen werden kann. Auf diesen Umstand hat die Strafvollstreckungskammer im Rahmen ihrer rechtlichen Ausführungen zu Recht hingewiesen. Entgegen der landgerichtlichen Auffassung lässt sich allerdings nicht feststellen, dass die Vollzugsbehörde der zur Begründung ihrer ablehnenden Entscheidung mit herangezogenen Ausweisungsverfügung nur geringes Gewicht beigemessen hat.

Soweit die Vollzugsbehörde ihre ablehnende Entscheidung auf das Fehlen "stabilisierender Außenkontakte" gestützt und dies mit der "Vernetzung des Drogenhandels durch zahlreiche nahe und entfernte Verwandte des Betroffenen" begründet hat, handelt es sich um eine lediglich pauschale Bewertung, deren Richtigkeit bzw. Vertretbarkeit mangels ausreichender Darlegungen zu den Umständen und Hintergründen der abgeurteilten Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz und zur familiären Situation des Betroffenen gerichtlich nicht überprüft werden kann. Insoweit leidet die angefochtene Entscheidung der Vollzugsbehörde jedenfalls an einem Darstellungsmangel. Aus den angegriffenen Bescheiden geht nicht hervor, zu welchen in Deutschland lebenden Verwandten der Betroffene Kontakte unterhält und welche seiner Verwandten in welcher Form in den früher vom Vater des Betroffenen betriebenen und dann von dem Betroffenen fortgeführten Drogenhandel verwickelt waren. Zu Recht weist die Strafvollstreckungskammer in dem angefochtenen Beschluss darauf hin, dass es an einer ausführlichen Auseinandersetzung mit der familiären Situation des Betroffenen fehlt. Auf eine eingehende Auseinandersetzung mit den familiären Verhältnissen des Betroffenen einschließlich einer etwaigen Einbindung von Familienangehörigen in den (früheren) Drogenhandel kann aber - insoweit entgegen der Auffassung der Kammer - vorliegend nicht verzichtet werden, weil die Vollzugsbehörde die von ihr bejahte Missbrauchsgefahr auch aus diesen - nicht näher beleuchteten - Verhältnissen abgeleitet hat.

Nach alledem waren der angefochtene Beschluss und der Bescheid des Leiters der Justizvollzugsanstalt Werl vom 22. Juli 2004 sowie der Widerspruchsbescheid des Präsidenten des Landesjustizvollzugsamtes NRW vom 06. Oktober 2004 aufzuheben - insoweit besteht Spruchreife im Sinne des § 119 Abs. 4 S. 2 StVollzG - und die Vollzugsbehörde gem. § 115 Abs. 4 S. 2 StVollzG zu verpflichten, den Betroffenen unter Beachtung der Rechtsauffassung des Senats neu zu bescheiden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 121 Abs. 4 StVollzG in Verbindung mit einer entsprechenden Anwendung der §§ 467, 473 StPO.

Ende der Entscheidung

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