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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 27.02.2003
Aktenzeichen: 1 Ws (L) 9/03
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 57 a
StPO § 454 Abs. 2 S. 3
Verwertung eines von der Justizvollzugsanstalt zur Frage der Lockerungseignung eingeholten psychiatrischen Sachverständigengutachtens im Rahmen der Prüfung nach § 57 a StGB.
OBERLANDESGERICHT HAMM BESCHLUSS

1 Ws (L) 9/03 OLG Hamm

Strafsache

gegen S geboren am 2. September 1953 in Mönchengladbach, zurzeit in Strafhaft in der Justizvollzugsanstalt Willich I,

wegen Mordes,

(hier sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen die Ablehnung der bedingten Entlassung)

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 31. Januar 2003 gegen den Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Krefeld vom 30. Dezember 2002 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 27. Februar 2003 durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Keppler, die Richterin am Oberlandesgericht Stilke-Wassel und den Richter am Oberlandesgericht Breidenbach

nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung - auch über die Kosten der Beschwerde - an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Krefeld zurückverwiesen.

Gründe:

Der Verurteilte ist vom Landgericht Köln am 14. Mai 1980 wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Vergewaltigung und wegen Mordes zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt worden. Mit Beschluss vom 19. Dezember 1995 hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Krefeld die Mindestverbüßungsdauer wegen der besonderen Schwere der Schuld auf 20 Jahre festgesetzt, die inzwischen verbüßt sind.

Mit Schreiben vom 10. Juni 2002 hat der Verurteilte den Antrag gestellt, den Rest seiner lebenslangen Freiheitsstrafe zur Bewahrung auszusetzen. Im Verfahren nach § 57 a StGB hat die Leiterin der Justizvollzugsanstalt Willich I Stellung genommen und ausgeführt, im Anschluss an die Voten des zuständigen Sozialarbeiters und des Psychologen könne dem Gefangenen eine positive Sozialprognose nicht gestellt werden. Die Stellungnahme nimmt insbesondere Bezug auf ein auf Ersuchen des Leiters der Justizvollzugsanstalt Willich I in Auftrag gegebenes Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. L vom 2. Juli 1999, das sich insbesondere zu der Frage verhält, wie sich die Prognose bezüglich des Risikos weiterer einschlägiger Straftaten darstellt. Der Sachverständige ist zu dem Ergebnis gekommen, dass bei dem Verurteilten weiterhin von einer hohen Gefahr der Begehung einschlägiger Straftaten auszugehen ist. Darüber hinaus gebe es seines Erachtens auch kaum Möglichkeiten, die Prognose entscheidend zu verbessern, weil die zugrunde liegenden Störungen therapeutisch kaum hinreichend beeinflussbar seien, zumal der Beschwerdeführer selbst jedenfalls derzeit kaum Einsicht in die Notwendigkeit einer tatsächlichen inneren Wandlung habe. Die Strafvollstreckungskammer hat dieses Gutachten beigezogen.

Durch Beschluss vom 30. Dezember 2002 hat die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Krefeld, nachdem sie den Verurteilten am 17. Dezember 2002 angehört hatte, die bedingte Aussetzung der Reststrafe aus dem Urteil des Landgerichts Köln vom 14. Mai 1980 abgelehnt. Nachdem die Kammer zunächst die der Verurteilung zugrunde liegende Tal geschildert hat, hat sie sodann das beanstandungsfreie vollzügliche Verhalten des Verurteilten gewürdigt, jedoch auch sein Vorleben nicht außer Betracht gelassen. Weiterhin ist ausgeführt:

"Aus dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. L vom 2. Juli 1999 ergibt sich, dass die maßgeblichen, die Rückfallgefahr des Verurteilten begründenden Persönlichkeitselemente nach wie vor vorhanden sind. Der Sachverständige kam aufgrund eingehender Exploration zu der Erkenntnis, dass bei dem Verurteilten keine eigentlich antisoziale Persönlichkeitsprägung vorliege, sondern im Wesentlichen ein Mangel an Eigenhalt, an innerer Struktur. Vor diesem Hintergrund sei es nicht erstaunlich, dass er sich jeweils im Strafvollzug gut führe, stets freundlich und zuverlässig sei. Indes verweist der Sachverständige auf den viel engeren Zusammenhang zwischen dem letzten Tötungsdelikt und einer sexuellen Motivation oder Handlung, als der Verurteilte es einräumt. In diesem Zusammenhang ist zu berücksichtigen, dass der Verurteilte insbesondere zum Ablauf der ersten Tat zum Nachteil der R T und nunmehr auch zu der Tat zum Nachteil der Frau R in Teilen unterschiedliche Darstellungen gibt.

Als Wesentlich bewertet der Sachverständige, dass bei dem Verurteilten kaum Empathievermögen vorhanden ist.

Dies ist ein Eindruck, den auch die Kammer bei der Anhörung deutlich hatte. Der Verurteilte sprach ohne erkennbare Anteilnahme von den Taten. Die Tötung der Irene U sei für ihn nach der ersten Ermordung "kein Problem mehr" gewesen Er habe die Frau R, vergewaltigt, "weil mir in dem Moment danach war". Nach der Tötung der Frau R; habe er "nichts mehr gefühlt, da war das zur Selbstverständlichkeit geworden."

Der Sachverständige Prof. Dr. L kam in seinem Gutachten zu der Bewertung, dass bei dem Verurteilten auch nach der langen Haftzeit eine hohe Rückfallgefahr bestehe. Es sei weiterhin von einer hohen Gefahr erneuter einschlägiger Delikte auszugehen. Die Möglichkeiten, die Prognose zu verbessern, seien als ausgesprochen gering zu bewerten.

Der Bericht der Justizvollzugsanstalt weist aus, dass seitdem keine Umstände eingetreten sind, die zu einer anderen Bewertung führen mussten. Die Justizvollzugsanstalt kommt zu dem Ergebnis, dass therapeutische Angebote in den Bereichen Gewalt und Sexualität zurzeit nicht angebracht seien, da sie nicht auf eine entsprechende Motivation des Verurteilten treffen würden. Um Fortschritte zu erzielen, sei es wichtig, dass er sich darum bemühe, sich in konstruktiver Weise mit den wichtigsten Aussagen des Gutachtens von Prof. Dr. L auseinanderzusetzen.

Dem kann nicht entgegen gehalten werden dass ihm das Gutachten, wie er angibt, nicht in Fotokopie übergeben worden ist. Er räumt nämlich ein und dies lässt sich auch dem Bericht der Justizvollzugsanstalt entnehmen, dass die wichtigsten Teile des Gutachtens mit dem Anstaltspsychologen erörtert worden seien.

Vor einer grundlegenden Änderung seiner Persönlichkeitsstruktur ist indes das Wagnis einer Erprobung in Freiheit nicht zu rechtfertigen."

Gegen diesen Beschluss richtet sich die sofortige Beschwerde des Verurteilten, mit der er insbesondere rügt, dass die Strafvollstreckungskammer ihre Entscheidung ohne erneute Einholung eines Sachverständigengutachtens getroffen habe.

Das Rechtsmittel hat einen - zumindest vorläufigen - Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung sowie zur Zurückverweisung an die Strafvollstreckungskammer.

Die Strafvollstreckungskammer hat es entgegen § 454 Abs. 2 S. 3 StPO unterlassen, den Sachverständigen Prof. Dr. L mündlich anzuhören, obgleich sie das Gutachten bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt hat. Zwar handelt es sich bei dem Gutachten des Sachverständigen nicht um ein vom Gericht gemäß § 454 Abs. 2 S. 1 StPO eingeholtes Gutachten. Zur Einholung eines derartigen Gutachtens sah die Strafvollstreckungskammer sich nicht veranlasst, da sie bereits nicht erwogen hat, die Vollstreckung des Restes der lebenslangen Freiheitsstrafe auszusetzen. Letztendlich hat die Kammer aber nichtsdestotrotz das Gutachten zur Gefährlichkeitsprognose herangezogen, indem sie sich zum einen auf die vom Sachverständigen festgestellte Gefährlichkeitsprognose bezieht und sodann ausführt, eine Änderung sei zwischenzeitlich nicht eingetreten, da der Beschwerdeführer sich mit den wichtigsten Aussagen des Gutachtens nicht auseinandergesetzt habe. Insoweit ist das Gutachten als Gutachten i. S. d. § 454 Abs. 2 StPO verwandt worden. In diesem Fall war die Strafvollstreckungskammer dann aber auch verpflichtet, gemäß § 454 Abs. 2 S. 3 StPO den Sachverständigen mündlich anzuhören (vgl. Beschluss des Senats vom 20. September 2001 - 1 Ws (L) 9/2001 -). Die durch das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998 eingefügte Vorschrift des § 454 Abs. 2 S 3 StPO ist zwingendes Recht und daher grundsätzlich unabdingbar (vgl. Senatsbeschluss vom 8. Dezember 1998 - 1 Ws (L) 10/98 -). Die Vorschrift dient auch dem Anspruch des Verurteilten auf Gewährung des rechtlichen Gehörs. Ihm ist nämlich - neben anderen Prozessbeteiligten - im Anhörungstermin Gelegenheit zu geben, Fragen an den Sachverständigen zu stellen und Erklärungen abzugeben (§ 454 Abs. 2 S. 6 StPO) Anhaltspunkte dafür, dass der Verurteilte, sein Verteidiger oder die Staatsanwaltschaft auf mündliche Anhörung des Sachverständigen verzichtet haben, sind den Akten nicht zu entnehmen.

Darüber hinaus liegen im vorliegenden Fall die Voraussetzungen, von der Mitwirkung eines Sachverständigen abzusehen, nicht vor. Zwar weist die Strafvollstreckungskammer zutreffend darauf hin, dass gemäß § 454 Abs. 2 S. 1 StPO ein Gutachten eines Sachverständigen nur dann erforderlich ist, wenn das Gericht erwägt, die Vollstreckung eines Strafrestes zur Bewährung auszusetzen. Dass die Strafvollstreckungskammer im vorliegenden Fall zu dem Ergebnis gekommen ist, eine bedingte Entlassung nicht in Erwägung zu ziehen, beruht aber nach den Entscheidungsgründen wesentlich auf dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. L. Dies zeigt, dass die Kammer ohne Sachverständigengutachten gerade nicht zu der Erkenntnis gekommen ist, die bedingte Aussetzung abzulehnen.

Die angefochtene Entscheidung war daher aufzuheben und die Sache zur erneuten Behandlung an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Krefeld zurückzuverweisen. Die Strafvollstreckungskammer wird im weiteren Verfahren zu überprüfen haben, ob sie nunmehr den Sachverständigen Prof. Dr. L mündlich anhört, was bedingt, dass dieser mündlich oder schriftlich ein ergänzendes Gutachten erstattet, oder ob sie einen weiteren Sachverständigen hinzuzieht. In beiden Fällen ist sodann nach mündlicher Anhörung des Sachverständigen erneut über die Frage einer bedingten Entlassung zu entscheiden.

Ende der Entscheidung

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