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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 10.04.2008
Aktenzeichen: 1 Ws 223/08
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 34
StPO § 35
Den gesetzlichen Anforderungen an die Schriftlichkeit einer außerhalb einer mündlichen Verhandlung und in Abwesenheit des Betroffenen in Beschlussform getroffenen richterlichen Entscheidung wird nicht dadurch genüge getan, dass der Richter in ein Formular oder ein von ihm handschriftlich gefertigtes unvollständiges Schriftstück etwa Blattzahlen, Klammern oder Kreuzzeichen einsetzt, mit denen er auf in den Akten befindliche Textpassagen Bezug nimmt oder anstelle einer erforderlichen Begründung einen Hinweis auf eine mit einem Datum und einer Zahlenkombination versehene "Datei" einfügt.
Beschluss

Strafvollstreckungssache

gegen W.K.

wegen Körperverletzung u. a. (hier: Ablehnung der Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung).

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 21. März 2008 gegen den Beschluss der 4. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Dortmund vom 13. März 2008 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 10. 04. 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht und die Richter am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens - an die 4. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Dortmund zurückverwiesen.

Gründe:

Mit der angefochtenen Entscheidung hat die Strafvollstreckungskammer die Aussetzung des Restes der wegen gefährlicher Körperverletzung, Hausfriedensbruchs in 9 Fällen und Diebstahls verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von 1 Jahr aus dem Urteil des Schöffengerichts Dortmund vom 15. Juli 2003 - 76 Ls 116 Js 82/02 (4/03) - nach Verbüßung von 2/3 der Strafe abgelehnt. Die hiergegen in zulässiger Weise eingelegte sofortige Beschwerde des Verurteilten führt zur Aufhebung des landgerichtlichen Beschlusses und zur Rückgabe der Sache an die Strafvollstreckungskammer.

In der Beschlussabschrift Bl. 58 - 60 VH heißt es zur Begründung der Ablehnung der Reststrafenaussetzung (das - die Urschrift darstellende - von dem Einzelrichter der Strafvollstreckungskammer handschriftlich ausgefüllte Formular enthält eine solche Begründung nicht, sondern in einer mit der Überschrift "(weitere Gründe)" versehenen Textlücke lediglich den ebenfalls handschriftlich vorgenommenen Eintrag "Datei 13 03 3508") wie folgt:

"Die Kammer verkennt in diesem Zusammenhang nicht, dass das vollzugliche Verhalten des Gefangenen ordnungsgemäß und nicht zu beanstanden war. Ihm steht eine Arbeitsstelle zur Verfügung, die ihm und seiner Familie ausreichendes Einkommen sichert. Eine gesicherte Unterkunft ist ebenfalls vorhanden. Der Gefangene scheint auch besonders haftempfindlich, weil er seiner Familie in zeitlich größerem Umfang zur Verfügung stehen möchte, bedingt auch durch Verhaltensauffälligkeiten seiner beiden Kinder, die in dem Bericht des Leiters der Justizvollzugsanstalt vom 17.10.2007 näher beschrieben werden. Es bleibt auch zu berücksichtigen, dass ein Hafteindruck erzielt ist. Nach dem weiteren Bericht vom 07.02.2008 ist der Haftzweck bereits zum gegenwärtigen Zeitpunkt erreicht.

Gleichwohl hat die Kammer zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine vorzeitige Entlassung abgelehnt. Im Rahmen der vorzunehmenden Gesamtwürdigung sind nämlich insbesondere auch die Straftaten einzubeziehen, die der Gefangene begangen hat. Danach bleibt festzustellen, dass das erkennende Gericht die Straftaten als mit nicht unerheblicher krimineller Energie begangen umschreibt. Das wird bereits daraus deutlich, dass der Gefangene zusammen mit seiner Frau bis zum Erreichen des angestrebten Zieles vorgelagerte Straftaten wie Diebstahl und Urkundenfälschungen begehen musste. Auch wurden die Straftaten über einen Zeitraum von mehreren Jahren begangen. Die Schadenshöhe ist erheblich. Letztendlich konnte auch nicht übersehen werden, dass die Taten ohne wirtschaftliche Notwendigkeit begangen wurden.

Diese aus der Tat folgenden Aspekte stehen nach Ansicht der Kammer einer vorzeitigen Entlassung entgegen.

Ergänzend weist die Kammer jedoch darauf hin, dass mit zunehmender Strafverbüßung den besonderen Umständen der Tat ein geringeres und den Umständen in der Persönlichkeit ein größeres Gewicht beigemessen werden kann mit der Folge, dass gegebenenfalls eine vorzeitige Entlassung vor dem 2/3-Termin in Betracht gezogen werden kann."

Nach Lage der Akten ist auszuschließen, dass diese Ausführungen, die sich offensichtlich über die Ablehnung einer Halbstrafenentlassung verhalten, die Person des Verurteilten, die von ihm begangenen Taten und den gegenwärtigen Vollstreckungsstand in vorliegender Sache betreffen. Es ist deswegen nicht erkennbar, auf welcher tatsächlichen und rechtlichen Grundlage die Strafvollstreckungskammer ihre ablehnende Entscheidung bezüglich einer bedingten Entlassung gegen den Verurteilten des vorliegenden Verfahrens Kurt Wegner getroffen hat bzw. ob die Entscheidung der Strafvollstreckungskammer vom 13. März 2008 diesen Verurteilten überhaupt betrifft. Das hat die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und die Rückgabe der Sache zur neuen Behandlung und Entscheidung an die Strafvollstreckungskammer zur Folge. Eine eigene Sachentscheidung des Senats kam nicht in Betracht.

Der Senat weist auf folgendes hin: Die Entscheidung, ob die Vollstreckung des Restes einer Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden soll, trifft das Gericht ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss (§ 454 Abs. 1 S. 1 StPO). Gerichtliche Entscheidungen, insbesondere Beschlüsse, die in Abwesenheit der davon betroffenen Person ergehen, werden gem. § 35 Abs. 2 S. 1 StPO durch Zustellung bekannt gemacht, wobei für das Zustellungsverfahren nach § 37 Abs. 1 StPO die Vorschriften der Zivilprozessordnung entsprechend gelten. Bei Beschlüssen wird einem mit dem Ausfertigungsvermerk der Geschäftsstelle und dem Dienstsiegel versehene vom Urkundsbeamten unterschriebene Abschrift zugestellt (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., § 37 Rdnr. 1). Daraus folgt, dass in Abwesenheit der davon betroffenen Person (en) erlassene Beschlüsse schriftlich zu treffen sind, wobei die schriftliche Entscheidung neben der Angabe des Gerichts, des Datums der Entscheidung, der Personalien des Betroffenen (Verurteilten) und des Entscheidungssatzes auch (soweit dies wie hier gem. § 34 StPO erforderlich ist) die Begründung enthalten muss. Den gesetzlichen Anforderungen an die Schriftlichkeit einer außerhalb einer mündlichen Verhandlung und in Abwesenheit des Betroffenen in Beschlussform getroffenen richterlichen Entscheidung wird nicht dadurch genüge getan, dass der Richter in ein Formular oder ein von ihm handschriftlich gefertigtes unvollständiges Schriftstück etwa Blattzahlen, Klammern oder Kreuzzeichen einsetzt, mit denen er auf in den Akten befindliche Textpassagen Bezug nimmt oder anstelle einer erforderlichen Begründung einen Hinweis auf eine mit einem Datum und einer Zahlenkombination versehene "Datei" einfügt, denn die Unterschrift unter ein solches "Blankett" - um nichts anderes handelt es sich dabei der Sache nach, wenn es der Richter so aus der Hand gibt - deckt nicht die spätere Einfügung von in Bezug genommenen Textstellen oder Dateien durch Geschäftsstellenbeamte bzw. Kanzleibedienstete (vgl. zum Bewährungswiderruf OLG Hamm, Beschluss vom 24. Juni 2004 - 1 Ws 191/04 - und zum Haftbefehl OLG Hamm, Beschluss vom 27. Juli 2000 - 5 Ws 146/00 -).

Dieser grundsätzliche Formmangel wird nicht dadurch geheilt, dass im Nachhinein auf der Geschäftsstelle oder in der Schreibkanzlei die Lücken entsprechend der von dem Richter angebrachten Zeichen oder stichwortartigen Einfügungen gefüllt werden und auf dieser Grundlage eine "Ausfertigung" oder "beglaubigte Abschrift" erstellt wird. Um eine Ausfertigung bzw. beglaubigte Abschrift kann es sich insoweit schon deshalb nicht handeln, weil mangels eines vollständigen Originals Übereinstimmung mit einem solchen nicht bescheinigt werden kann. Andererseits stellt ein derartiges Schriftstück keinen den Schriftformerfordernissen genügenden richterlichen Beschluss im Sinne der §§ 34, 35 Abs. 2 StPO dar, weil es nicht von einem Richter unterzeichnet ist. Zwar ist zur Wahrung der Schriftform die handschriftliche Unterzeichnung eines Schriftstückes nicht unbedingt erforderlich (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., Einleitung Rdnr. 128); auch schreibt das Gesetz die grundsätzliche Unterzeichnung von Beschlüssen nicht vor (vgl. BGH NStZ 1985, 492; BayObLG StV 1990, 395; Meyer-Goßner, a.a.O., vor § 33 StPO Rdnr. 6). So kann ein Eröffnungsbeschluss nach herrschender Meinung trotz fehlender Unterschrift gültig sein, wenn er tatsächlich gefasst worden ist und nicht lediglich einen Entwurf darstellt (vgl. OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2003, 332; OLG Düsseldorf, NStZ-RR 2000, 114; BayObLG StV 1990, 395). Aus der schriftlichen Erklärung muss dann allerdings zweifelsfrei die Person des Urhebers und dessen Wissen und Willen hervorgehen, die in dem Schriftstück dokumentierte Entscheidung in unveränderter Form in den Geschäftsgang zu geben, damit diese in den Rechtsverkehr gelangt.

Vorliegend hat der Einzelrichter der Strafvollstreckungskammer, davon muss jedenfalls nach dem Akteninhalt ausgegangen werden, die nach seiner Formularvorgabe erstellte "Ausfertigung" seines handschriftlich verfassten unterzeichneten "Beschlusses", der in der Urschrift die konkrete Begründung für die Ablehnung der bedingten Entlassung nicht enthält, weder inhaltlich überprüft noch in äußerlich erkennbarer Weise - als seinen Vorgaben und seinen Willen entsprechend - gebilligt. Insbesondere die in der richterlichen Verfügung vom 13. März 2008 getroffene Anordnung der Zustellung des Beschlusses an den Verurteilten kann nicht als Billigung der ohne richterliche Mitwirkung erstellten Beschlussabschrift bzw. -ausfertigung angesehen werden, da zum Zeitpunkt dieser richterlichen Verfügung die "Ausfertigung" des Beschlusses noch nicht erstellt worden war.

Ende der Entscheidung

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