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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 18.01.2007
Aktenzeichen: 1 Ws 36/07
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 119
Zur Frage der Zulässigkeit der Trennung des in Untersuchungshaft befindlichen Angeklagten in der Justizvollzugsanstalt von anderen Strafgefangenen.
Beschluss

Strafsache

gegen J.M

wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz, (hier: Beschwerde des Angeklagten gegen die Anordnung der Trennung von Strafgefangenen).

Auf die Beschwerde des Angeklagten vom 13. Dezember 2006 gegen die Entscheidung des Vorsitzenden der VI. Strafkammer des Landgerichts Dortmund vom 04. Dezember 2006 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 18. 01. 2007 durch die Richterin am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und den Richter am Amtsgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Beschwerde - an den Vorsitzenden der VI. Strafkammer des Landgerichts Dortmund zurückverwiesen.

Gründe:

I.

Die Staatsanwaltschaft Dortmund hat gegen den Angeklagten am 03.08.2006 unter dem Aktenzeichen 150 Js 234/06 Anklage beim Landgericht Dortmund wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz erhoben. Dem Angeklagten wird zur Last gelegt, zwischen Sommer 2005 und dem 31.12.2005 durch 18 selbständige Handlungen mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel getrieben und dabei in 13 Fällen eine Schusswaffe mitgeführt zu haben. In dieser Sache befindet sich der Angeklagte seit dem 18.07.2006 aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Dortmund vom 03.07.2006, Aktenzeichen: 79 Gs 1020/06, in Untersuchungshaft. Der Haftbefehl war auf die Haftgründe der Flucht- und Verdunklungsgefahr gestützt. Mit Beschluss vom 12.10.2006 hat die VI. Strafkammer des Landgerichts Dortmund den Haftbefehl neu gefasst und nur noch auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gestützt.

Unter dem 21.11.2006 hat die Staatsanwaltschaft Dortmund gegen den Angeklagten eine weitere Anklage wegen des Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz erhoben. Mit dieser Anklage, Aktenzeichen: 150 Js 452/06, wird ihm zur Last gelegt, zwischen März 2005 und Februar 2006 durch 50 selbständige Handlungen mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel getrieben zu haben, wobei er in 48 Fällen eine Schusswaffe mitgeführt habe. Die Erkenntnisse aus beiden Verfahren sollen im wesentlichen auf Aussagen der Zeuginnen S. un C. beruhen. Beide Anklageschriften sind zwischenzeitlich verbunden und das Hauptverfahren eröffnet worden. Die Hauptverhandlung ist durch den Vorsitzenden auf den 12., 15., 17., 22., 24. und 26. Januar 2007 bestimmt. Die Zeugin S. wurde auf den ersten, die Zeugin C. auf den zweiten Verhandlungstag geladen.

Nachdem die Zeuginnen S. und C. am 13. bzw. 16.11.2006 gegenüber der Polizei berichteten, dass sie von den Brüdern des Angeklagten aufgefordert worden seien, keine belastenden Aussagen zu tätigen, beantragte die Staatsanwaltschaft Dortmund am 17. November 2006, dem Angeklagten sämtliche Besuche zu verweigern und die Teilnahme am Hofgang sowie Veranstaltungen der Justizvollzugsanstalt mit anderen Untersuchungshäftlingen und Strafgefangenen zu untersagen. Am 04. Dezember 2006 hat der Vorsitzende der VI. Strafkammer des Landgerichts Dortmund die Brüder M. und Y. des Angeklagten von weiteren Besuchen ausgeschlossen und im Übrigen für sämtliche Besuche des Angeklagten die optische und akustische Überwachung, gegebenenfalls unter Einschaltung eines Dolmetschers, angeordnet. Ferner hat er angeordnet, dass sicherzustellen sei, dass der Angeklagte keinen Umgang mit Strafgefangenen erhält. Zur Begründung hat der Vorsitzende folgendes ausgeführt:

"Der weitergehende Antrag der Staatsanwaltschaft in der Antragsschrift vom 17. November 2006 wird zurückgewiesen, da keine zureichenden Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Angeklagte selbst versucht hat, auf das Aussageverhalten von Zeugen Einfluss zu nehmen. Durch die Anordnung der optischen und akustischen Überwachungen sämtlicher Besuche und den Ausschluss des Umgangs mit Strafgefangenen erscheint ausreichend gewährleistet, dass es zu keinen Verdunklungshandlungen seinerseits kommen wird."

Nur gegen diese letzte Anordnung - die Trennung von anderen Strafgefangenen - wendet sich der Angeklagte in seiner durch seinen Verteidiger eingereichten Beschwerde vom 13.12.2006, in der er insbesondere geltend macht, dass durch die Trennung von anderen Strafgefangenen eine nahezu vollkommene Isolation eingetreten sei, die zu erheblichen psychischen Leidensdruck geführt habe.

Der Vorsitzende der Strafkammer hat der Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Senat zur Entscheidung vorgelegt. In seiner Nichtabhilfeentscheidung hat der Vorsitzende folgendes ausgeführt:

"Der Ausschluss des Angeklagten von dem Umgang von Strafgefangenen in der Justizvollzugsanstalt erscheint zur Vermeidung möglicher Verdunklungshandlungen erforderlich, da nach den Angaben der Zeuginnen H.C. und T.S. der begründete Verdacht besteht, dass es nach Versendungen der Zeugenladungen im November 2006 seitens der Brüder M. Und Y. des Angeklagten zu einer versuchten Einflussnahme auf ihre Aussagen - M.M. befindet sich deswegen in Untersuchungshaft (vgl. Bl. 75 II/251) - gekommen ist und die Zeugin T.S. nach ihren Erstangaben bei der Polizei am 18. Mai 2006 für den Fall einer Aussage gegen den Angeklagten schon im Vorfeld durch anonyme Anrufe damit bedroht worden ist, dass sie umgebracht oder man ihr die Beine brechen werde."

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die Beschwerde als unbegründet zu verwerfen, da es lebensnah erscheine, dass der Angeklagte letztlich die Beeinflussung der Zeuginnen veranlasst habe. Die Trennung von Strafgefangenen sei auch die geeignete Maßnahme, um weitere Einflussnahmen zu vermeiden. Da Strafgefangene nur in geringerem Maß bei ihrem Verkehr mit Personen außerhalb des Strafvollzuges überwacht würden, bestünde die nahe Wahrscheinlichkeit, dass sich der Angeklagte der Strafgefangenen bedienen könnte, um Nachrichten an zu Vereitelungshandlungen bereite Personen zu übermitteln.

II.

Die gem. § 304 Abs. 1 StPO, Nr. 74 Abs. 1 Untersuchungsvollzugsordnung statthafte und in zulässiger Weise eingelegte Beschwerde des Angeklagten hat in der Sache jedenfalls vorläufig Erfolg. Die von dem Strafkammervorsitzenden in dem angefochtenen Beschluss und in der Nichtabhilfeentscheidung angeführten Gründe rechtfertigen eine Trennung des Angeklagten von Strafgefangenen innerhalb der Justizvollzugsanstalt - nur insoweit hat der Angeklagte die Entscheidung des Vorsitzenden angefochten - nicht.

1. Die angeordnete Maßnahme kann bereits nicht auf § 119 Abs. 1 StPO gestützt werden, wonach ein Untersuchungshäftling nicht mit anderen Gefangenen in dem selben Raum untergebracht werden darf und möglichst von Strafgefangenen getrennt zu halten ist. Diese Bestimmung dient allein dem Schutz des als unschuldig geltenden Gefangenen, um ihn von den Lästigkeiten des Zusammenlebens mit anderen auf engstem Raum zu bewahren (vgl. Karlsruhe Kommentar StPO, 5. Aufl., § 119 Rdnr. 4 u. 5).

2. Die angeordnete Maßnahme rechtfertigt sich auch nicht aus § 119 Abs. 3 StPO. Nach dieser Bestimmung dürfen einem Untersuchungsgefangenen nur solche Freiheitsbeschränkungen auferlegt werden, die der Zweck der Untersuchungshaft oder die Ordnung in der Justizvollzugsanstalt erfordert.

Zweck der Untersuchungshaft - und nur über diesen Aspekt ist vorliegend zu befinden, weil die Ordnung der Anstalt durch das Begehren des Angeklagten soweit ersichtlich nicht berührt wird - ist es, die Durchführung eines geordneten Strafverfahrens zu gewährleisten und die spätere Strafvollstreckung sicherzustellen (vgl. dazu BVerfG Entscheidung 32, 87, 93). Im Einzelnen dient die Untersuchungshaft dabei den Zielen, die Anwesenheit des jeweiligen Beschuldigten im Strafverfahren zu gewährleisten, Störungen der Tatsachenermittlungen durch Beweisvereitelung - oder Erschwerung - zu verhindern und die Vollstreckung einer Freiheitsstrafe oder freiheitsentziehender Maßregeln zu sichern.

Dabei dürfte sich in der Regel der Zweck der Untersuchungshaft aus dem im Haftbefehl genannten Haftgrund ergeben. Dennoch können, wenn sich - wie hier - der Haftbefehl allein auf den Haftgrund der Fluchtgefahr stützt, bei den nach § 119 Abs. 3 StPO zu treffenden Beschränkungen auch Erwägungen im Hinblick auf eine mögliche Verdunklungsgefahr Berücksichtigung finden. In diesem Fall müssten allerdings konkrete Hinweise dafür bestehen, dass der Haftzweck durch den Untersuchungsgefangenen gestört wird (Karlsruhe Kommentar a.a.O., § 119, Rdnr. 10).

Zu Recht hat der Vorsitzende der Kammer bei seiner Anordnung angenommen, dass solche konkreten Anhaltspunkte dafür, dass die versuchte Beeinflussung der Zeuginnen auf den Angeklagten zurückzuführen sind, nicht existieren. Zwar liegt die Annahme nahe, dass der Angeklagte, in dessen vorrangigem Interesse eine Zeugenbeeinflussung stünde, entsprechende Maßnahmen veranlasst hat. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte seine Brüder hierzu beauftragt hat, bestehen jedoch nicht. Vielmehr erscheint es auch möglich, dass die Brüder des Angeklagten auf eigene Veranlassung tätig geworden sind, um diesem zu helfen. Aus diesem Grund hat der Vorsitzende der Strafkammer auch zu Recht von weiteren einschneidenden Maßnahmen im Sinne der Nr. 60 Untersuchungshaftvollzugsordnung abgesehen. Mangels konkreter Hinweise auf eine Beeinflussungstätigkeit des Angeklagten war jedoch auch die Anordnung seiner Trennung von Strafgefangenen nach Aktenlage nicht gerechtfertigt, zumal diese Maßnahme auch nicht geeignet erscheint, das erstrebte Ziel zu erreichen. Sollte der Angeklagte hinter der versuchten Zeugenbeeinflussung stehen, wäre es ihm - auch bei Aufrechterhaltung der angeordneten Maßnahme - möglich, über andere Untersuchungsgefangene Kontakte zu Personen außerhalb der Justizvollzugsanstalt, gegebenenfalls auch unter Zwischenschaltung eines Strafgefangenen, aufzunehmen.

3. Der Senat sieht sich allerdings gehindert, in der Sache selbst zu entscheiden. Zwar ist gem. § 309 Abs. 2 StPO die eigene Sachentscheidung durch das Beschwerdegericht die Regel. Von dieser Regelung sind jedoch Ausnahmen anerkannt, so beispielsweise, wenn der Vorderrichter seine Entscheidung entgegen § 34 StPO nicht begründet oder wegen fehlender Annahme der Unzulässigkeit des von ihm beschiedenen Antrags keine sachliche Entscheidung getroffen hat (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 49. Aufl., § 309 Rdnr. 7 ff.). Eine vergleichbare Konstellation ist auch vorliegend gegeben, denn die angefochtene Entscheidung enthält keine ausreichende Auseinandersetzung mit den gesetzlichen Voraussetzungen für die angeordnete Maßnahme. Während der Senat den vorliegenden Fall nur nach Aktenlage beurteilen kann, wird die Strafkammer einen weitaus umfassenderen Eindruck von der Persönlichkeit des Angeklagten, seinen Lebensumständen und der Beziehung zu seinen Brüdern gewonnen haben. Es ist nicht auszuschließen, dass die Strafkammer im Verlaufe der inzwischen begonnenen Hauptverhandlung konkrete Hinweise auf eine Beauftragung der Brüder des Angeklagten durch diesen erlangt hat. Insofern ist von Bedeutung, dass die von den Beeinflussungen betroffenen Zeuginnen S. und C. bereits für den 12. bzw. 15. Januar 2007 als Zeuginnen geladen waren und somit aller Voraussicht nach bereits im Rahmen der Hauptverhandlung ausgesagt haben. Der Senat kann daher nicht ausschließen, dass sich aus diesen Aussagen, oder einer möglichen Einlassung des Angeklagten, konkrete Hinweise für oder gegen die Beteiligung des Angeklagten an den Beeinflussungsmaßnahmen ergeben haben. Nicht auszuschließen ist auch, dass sich die vom Vorsitzenden angeordnete Maßnahme nach der Vernehmung der beiden Zeuginnen zwischenzeitlich erledigt hat und ein Bedürfnis hierfür nicht mehr besteht.

Die angefochtene Entscheidung war deshalb aufzuheben und die Sache an den Vorsitzenden der VI. Strafkammer des Landgerichts zurückzuverweisen.

Ende der Entscheidung

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