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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 11.03.2004
Aktenzeichen: 1 Ws 56/04
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 145 a
StPO § 40
Zur Dauer und zum Umfang der Verteidigervollmacht.
Beschluss

Strafvollstreckungssache

wegen fahlässig falscher Versicherung an Eides statt

Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten vom 23. Januar 2004 gegen den Beschluss der 2. Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Siegen vom 1. Juli 2003 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 11. 03. 2004 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Landgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Die Aussetzung der Vollziehung des Widerrufsbeschlusses des Landgerichts Siegen vom 1. Juli 2003 wird gemäß § 307 Abs. 2 StPO angeordnet.

Gründe:

I.

Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Siegen hat mit Beschluss vom 1. Juli 2003 die dem Verurteilten mit Urteil des Amtsgerichts Halle/Saale vom 5. Juni 2002 (310 Ds 201 Js 22393/01) bewilligte Strafaussetzung zur Bewährung nach Anhörung der Staatsanwaltschaft Halle widerrufen und die öffentliche Zustellung des Beschlusses angeordnet. Der Widerrufsbeschluss war mit Rechtsmittelbelehrung in der Zeit vom 10. Juli bis 29. Juli 2003 an der Gerichtstafel des Landgerichts Siegen und in der Zeit vom 11. Juli bis 28. Juli 2003 an der Gerichtstafel des Amtsgerichts Halle/Saale angeheftet. Am 20. August 2003 bescheinigte der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Landgerichts Siegen die Rechtskraft des Widerrufsbeschlusses. Die Staatsanwaltschaft Halle erließ am 4. September 2003 Vollstreckungshaftbefehl gegen den Verurteilten, der auf der Grundlage dieses Haftbefehls am 20. Januar 2004 festgenommen und der Justizvollzugsanstalt Halle zur Verbüßung der Freiheitsstrafe von neun Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Halle vom 5. Juni 2002 zugeführt wurde. Am 21. Januar 2004 wurde dem Verurteilten der Beschluss der Strafvollstreckungskammer vom 1. Juli 2003 ausgehändigt. Mit Anwaltsschreiben vom 22. Januar 2004, bei dem Landgericht Siegen eingegangen am 27. Januar 2004, hat Rechtsanwalt Schock aus Halle unter Vorlage einer von dem Verurteilten unterzeichneten Vollmacht für diesen Beschwerde gegen den Widerrufsbeschluss der Strafvollstreckungskammer eingelegt. Mit Schriftsatz vom 30. Januar 2004 hat er für den Verurteilten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt und den Antrag auf nachträgliche (persönliche) Anhörung des Verurteilten sowie auf Abänderung des Widerrufsbeschlusses gestellt. Zu dem von der Strafvollstreckungskammer bejahten Widerrufsgrund des § 56 f Abs. 1 Nr. 3 StGB macht der Verurteilte geltend, er sei zur Erfüllung der ihm mit Bewährungsbeschluss vom 05. Juni 2002 erteilten Geldauflage finanziell nicht in der Lage gewesen, da sein monatliches Einkommen in den Monaten Juli bis Dezember 2002 bei durchschnittlich 500,- € und im Jahr 2003 bei ca. 800,- € gelegen habe. Von diesem Einkommen habe er die laufenden Kosten wie Krankenversicherung, Miete und sonstige Lebenshaltung bestreiten müssen. Ferner habe er Kindes- und Trennungsunterhalt geschuldet.

Die Generalstaatsanwaltschaft hat beantragt, die sofortige Beschwerde wegen Nichtwahrung der Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO als unzulässig zu verwerfen.

II.

Der Senat hielt es für geboten und sachgerecht, gemäß § 307 Abs. 2 StPO die Vollziehung der angefochtenen Widerrufsentscheidung der Strafvollstreckungskammer vom 1. Juli 2003 auszusetzen. Das öffentliche Interesse an der (weiteren) Vollziehung der Widerrufsentscheidung muss unter Berücksichtigung der Nachteile, die der Verurteilte bei weiterer Vollstreckung der widerrufenen Strafe aus dem Urteil des Amtsgerichts Halle vom 5. Juni 2002 erleidet, zurückstehen. Die sofortige Beschwerde des Verurteilten ist zulässig und nicht offensichtlich unbegründet.

1. Die gemäß § 453 Abs. 2 S. 3 StPO, § 56 f StGB statthafte sofortige Beschwerde wurde in zulässiger Weise eingelegt. Entgegen der von der Generalstaatsanwaltschaft vertretenen Auffassung hat der Verurteilte die Wochenfrist des § 311 Abs. 2 StPO zur Einlegung der sofortigen Beschwerde gewahrt. Der Rechtskraftvermerk auf dem Widerrufsbeschluss ist daher unzutreffend. Die Wochenfrist wurde erst am 21. Januar 2004 mit Aushändigung des Widerrufsbeschlusses an den Verurteilten in Lauf gesetzt. Die Beschwerdeschrift des (damaligen) Bevollmächtigten des Verurteilten vom 23. Januar 2004, eingegangen beim Landgericht Siegen am 27. Januar 2004, ging damit rechtzeitig ein. Eine wirksame öffentliche Zustellung der Widerrufsentscheidung der Strafvollstreckungskammer ist nicht erfolgt. Zwar hat die Strafvollstreckungskammer am 1. Juli 2003 neben dem Bewährungswiderruf die öffentliche Zustellung der Widerrufsentscheidung angeordnet. Die hierfür gemäß § 40 StPO erforderlichen Voraussetzungen lagen jedoch nicht vor. Die nach § 40 StPO vorgesehene öffentliche Zustellung ist nur dann zulässig, wenn die Zustellung nicht in der vorgeschriebenen Weise im Inland bewirkt werden kann. Das setzt voraus, dass eine Zustellung weder an den Beschuldigten, noch an den Verteidiger nach § 145 a StPO noch an einen Zustellungsbevollmächtigten möglich ist (vgl. OLG Köln, StV 1998, 211; HansOLG, MDR 1971, 775; Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl., § 40 Rdnr. 3). Vorliegend bestand die Möglichkeit, den Widerrufsbeschluss dem Wahlverteidiger Rechtsanwalt L.E: aus Halle, der sich in dem vorliegenden Verfahren 201 Js 22393/01 StA Halle als Verteidiger des Verurteilten gemeldet und eine vom Verurteilten am 29. Mai 2002 unterzeichnete Strafprozessvollmacht zur Akte gereicht hatte, gemäß § 145 a StPO zuzustellen. Die zur Akte gelangte Strafprozessvollmacht umfasste - in Übereinstimmung mit § 145 a Abs. 1 StPO - die Befugnis, Zustellungen aller Art, namentlich auch von Beschlüssen und Urteilen, in Empfang zu nehmen. Die zugrunde liegende Verteidigerbestellung bezog sich auf das gesamte Strafverfahren bis zu dessen rechtskräftigem Abschluss, darüber hinaus aber auch auf Nachtragsentscheidungen und auf das Vollstreckungsverfahren (zu vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., vor § 137 Rdnr. 5). Eine Anzeige darüber, dass das Rechtsanwalt Einsporn seinerzeit erteilte Mandat zum Zeitpunkt der Widerrufsentscheidung beendet war, ist nicht aktenkundig geworden. Soweit dem Verurteilten eine Unterrichtung der Zustellung an den Verteidiger nicht hätte zugesandt werden können (vgl. § 145 a Abs. 3 StPO), weil der Aufenthalt des Verurteilten seinerzeit unbekannt war, hätte dies der Wirksamkeit der Zustellung an den Verteidiger nicht entgegengestanden, denn bei § 145 a Abs. 3 StPO handelt es sich um eine bloße Ordnungsvorschrift (OLG Köln und HansOLG a.a.O.).

2. Die zulässige sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen den Widerrufsbeschluss erscheint nicht von vornherein unbegründet. Zwar leidet die angefochtene Entscheidung an keinem Verfahrensmangel, da die Strafvollstreckungskammer von der gemäß § 453 Abs. 1 S. 3 StPO vorgeschriebenen mündlichen Anhörung des Verurteilten im Hinblick auf dessen unbekannten Aufenthalt zum damaligen Zeitpunkt absehen konnte (vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 453 Rdnr. 6 m.w.N.). Der von der Strafvollstreckungskammer - ohne Anhörung des Verurteilten - angenommene Widerrufsgrund des § 56 f Abs. 1 Nr. 3 StGB in Gestalt eines gröblichen oder beharrlichen Verstoßes gegen die dem Verurteilten in dem Bewährungsbeschluss des Amtsgerichts Halle vom 5. Juni 2002 erteilte Auflage zur Zahlung einer Geldbuße in Höhe von 300,- € an eine gemeinnützige Einrichtung wäre jedoch nicht gegeben, wenn der Verurteilte - wie er nunmehr im Beschwerdeverfahren geltend macht - aufgrund seines geringen Einkommens und unter Berücksichtigung seiner anderweitigen finanziellen Verpflichtungen nicht in der Lage gewesen wäre, diese Geldbuße (auch nicht ratenweise) zu zahlen. Die diesbezüglichen Angaben des Verurteilten, die dieser in seinem handschriftlich verfassten und mit Schriftsatz seines (früheren) Verteidigers Rechtsanwalt S. vom 20. Februar 2004 zur Akte gereichten Schreiben gemacht hat, bedürfen jedoch noch der Konkretisierung und Nachprüfung. Dem Verurteilten ist Gelegenheit zu geben, seine diesbezüglichen Angaben in der auf seinen Antrag entsprechend § 33 a StPO nachzuholenden persönlichen Anhörung (zu vgl. Meyer-Goßner, a.a.O., § 33 a Rdnr. 4) zu präzisieren und insbesondere durch Vorlage geeigneter Unterlagen zu belegen.

Es lässt sich derzeit nicht ausschließen, dass ein gröblicher oder beharrlicher Auflagenverstoß unter Berücksichtigung eines ergänzenden Vorbringens des Verurteilten bei der nachzuholenden Anhörung nicht festgestellt werden kann und daher die Widerrufsentscheidung aufzuheben ist. Um den Verurteilten vor den nachteiligen Folgen einer weiteren Strafvollstreckung in vorliegender Sache bis zur Sachentscheidung des Senats zu bewahren, hat der Senat von der Möglichkeit des § 307 Abs. 2 StPO Gebrauch gemacht.

Ende der Entscheidung

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