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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 18.04.2002
Aktenzeichen: 1 Ws 77/02
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 140
StPO § 143
Zur Entpflichtung des bisherigen Pflichtverteidigers wegen (zu erwartender) Störungen des Vertrauensverhältnisses
Beschluss Strafsache

gegen M.L.,

wegen schweren Raubes (hier: Beschwerde des Angeklagten gegen die Nichtentpflichtung eines Pflichtverteidigers).

Auf die Beschwerde des Angeklagten vom 6. März 2002 gegen den Beschluss des Vorsitzenden der 2. Strafkammer des Landgerichts Arnsberg vom 25. Februar 2002 hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Hamm am 18. 04. 2002 durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht, den Richter am Oberlandesgericht und die Richterin am Oberlandesgericht nach Anhörung der Generalstaatsanwaltschaft beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Dem Angeklagten wird anstelle des Rechtsanwalts E. der Rechtsanwalt S.-E. als Pflichtverteidiger beigeordnet.

Die Kosten des Verfahrens, einschließlich der notwendigen Auslagen des Betroffenen, werden der Landeskasse auferlegt.

Gründe:

Gegen den Angeklagten ist ein Strafverfahren wegen schweren Raubes anhängig. Er wurde wegen dieser Tat von der 2. Strafkammer des Landgerichts Arnsberg am 20. November 2001 zu einer Jugendstrafe von sechs Jahren verurteilt. In diesem Verfahren wurde der Angeklagte an jedem der 12 Verhandlungstage von seinem Pflichtverteidiger, dem Rechtsanwalt E. jun., verteidigt. Gegen das Urteil hat der Angeklagte durch den nach der Urteilsverkündung von ihm selbst beauftragten Rechtsanwalt F. mit Schriftsatz vom 26.11.01 Revision einlegen lassen. Rechtsanwalt E. hat offensichtlich entgegen dem Wunsch des Angeklagten das Urteil nicht innerhalb der Frist des § 341 Abs. 1 StPO angefochten.

Am 28. Januar 2002 hat der Angeklagte sodann beantragt, ihm Rechtsanwalt S.-E. beizuordnen und Rechtsanwalt F. (mißverständlich: gemeint ist der bisherige Pflichtverteidiger Rechtsanwalt E.) von der Pflichtverteidigung zu entbinden. Mit Schriftsatz vom 6. Februar 2002 hat dann der Rechtsanwalt S.-E. außerdem selbst angezeigt, dass ihn der Angeklagte mit seiner weiteren Verteidigung beauftragt habe und "alle weiteren bestehenden Mandate bezüglich des Rechtsanwalts E. bzw. F. nicht mehr bestehen" würden. Der beigeordnete Pflichtverteidiger, Rechtsanwalt E., hat dazu mit Schriftsatz vom 19. Februar 2002 folgendes erklärt:

"(...) teile ich mit, dass ich die Sach- und Rechtslage mit Herrn L. nach Ende des Prozesses erörtert habe. Ich habe Herrn L. mitgeteilt, dass ich eine Revision für aussichtslos halte. Auf diesem Wege teile ich mit, dass ich selbstverständlich meinen anwaltlichen Pflichten entsprechend bereit bin, eine pflichtgemäße Begründung zu liefern. Ich weise an dieser Stelle nochmals darauf hin, dass ich diese für aussichtslos halte."

Die Revision ist sodann mit Schriftsatz vom 25.2.02 von dem Rechtsanwalt S.-E. ausführlich und rechtzeitig begründet worden. Rechtsanwalt E. hat sich diesem Revisionsvorbringen mit Schriftsatz vom 8. März 2002 angeschlossen.

Die 2. Strafkammer - Jugendkammer - des Landgerichts Arnsberg hat mit Beschluss vom 25. Februar 2002 den Antrag auf Beiordnung des Rechtsanwalts S.-E. als neuen Pflichtverteidiger zurückgewiesen, denn der Angeklagte habe bereits einen Pflichtverteidiger und für eine Abänderung der Beiordnung seien keine Anhaltspunkte ersichtlich, weil allein die eigenständige rechtliche Würdigung des bisherigen Pflichtverteidigers, dass die Revision nach seiner Meinung nicht aussichtsreich sei, das grundsätzlich gegebene Vertrauensverhältnis nicht beeinträchtige.

Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Angeklagten vom 6. März 2002, mit der er u. a. ausführt, dass sein bisheriger Pflichtverteidiger, Rechtsanwalt E., nicht bereit gewesen sei, das Revisionsverfahren überhaupt durchzuführen. Bereits daraus ergebe sich, daß das Vertrauensverhältnis zu Rechtsanwalt E. erheblich gestört sei.

Der dazu im Beschwerdeverfahren erneut angehörte bisherige Pflichtverteidiger (Rechtsanwalt E.) hat dazu unter dem 3.4.2002 erklärt:

"... mag nach den nunmehr vorliegenden Ausführungen der Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Arnsberg vom 25. Februar 2002 die Bestellung zum Pflichtverteidiger zurückgenommen werden. Tatsächlich ergeben sich aus dem Schreiben erhebliche Differenzen. Im Übrigen sei angemerkt, dass allein aufgrund der Äußerungen, die die Besprechungen und Verabredungen zwischen Anwalt und Verurteilten betreffen, nunmehr tatsächlich eine erhebliche Störung des Vertrauensverhältnisses festzustellen ist. Es mag entschieden werden, ob der Beschwerde gefolgt wird. Es wird an dieser Stelle ausdrücklich betont, dass nunmehr durch die vorliegende Beschwerde tatsächlich erhebliche Störungen im Vertrauensverhältnis feststellbar sind."

Die Beschwerde des Angeklagten hat danach Erfolg und führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung.

Nach allgemeiner Rechtsprechung hat der Angeklagte allerdings keinen Anspruch darauf, dass ein von ihm vorgeschlagener Rechtsanwalt zum Pflichtverteidiger bestellt wird. Vielmehr trifft allein der Vorsitzende des Gerichts die Auswahl des Pflichtverteidigers nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 142 Abs. 1 StPO), wobei dieses Auswahlermessen jedoch dahin eingeengt ist, dass der Angeklagte den Anwalt seiner Wahl stets dann erhalten soll, wenn dem nicht wichtige Gründe entgegenstehen. Diese Regelung bezieht sich aber nur auf die Auswahl eines Pflichtverteidigers und nicht etwa auch auf spätere Anträge auf Auswechslung eines bereits beigeordneten Pflichtverteidigers. Eine solche Auswechslung kann nicht schon dann in Betracht kommen, weil der Angeklagte dies wünscht, sondern nur dann, wenn er darlegt und glaubhaft macht oder sonst ersichtlich ist, dass hierfür ein wichtiger Grund vorliegt. Ein solcher kann darin gesehen werden, dass das Vertrauensverhältnis zwischen dem Angeklagten und dem Pflichtverteidiger ernsthaft gestört ist und der Angeklagte Umstände darlegt und glaubhaft macht, die bei objektiver Betrachtung zumindest aus der Sicht des Angeklagten eine Erschütterung seines Vertrauens zu dem bestellten Pflichtverteidiger besorgen lassen. Dabei reichen allein Differenzen über den Inhalt und den Umfang der Verteidigung wegen der Selbständigkeit des Verteidigers grundsätzlich nicht aus, einen Verteidigerwechsel vorzunehmen.

Daraus folgt für das vorliegende Verfahren:

Es kann dahingestellt bleiben, ob von einem nachhaltig gestörten Vertrauensverhältnis zwischen Rechtsanwalt E. und dem Angeklagten mit der Folge der Rücknahme der Bestellung des bisherigen und der Beiordnung eines neuen Pflichtverteidigers schon auszugehen war, nachdem Rechtsanwalt E. - ersichtlich gegen den Wunsch des Angeklagten - das Urteil nicht innerhalb der Frist des § 341 Abs. 1 StPO mit der Revision angefochten hat, weil er diese nicht für aussichtsreich hielt (ablehnend insoweit OLG Stuttgart MDR 79, 780).

Der erwähnten Stellungnahme des Rechtsanwalts E. vom 3.4.02, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, ist aber zu entnehmen, daß jedenfalls nunmehr konkrete Gründe für eine nachhaltige und ernsthafte Störung des Vertrauensverhältnisses auch aus der Sicht des Angeklagten vorliegen (vgl. dazu Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., § 143 Rn. 5 mit zahlreichen weiteren Nachweisen).

Der Beiordnung eines neuen Pflichtverteidigers steht auch nicht entgegen, daß inzwischen die Revision eingelegt und nach Zustellung des Urteils bereits fristgerecht begründet wurde, denn auch während des Revisionsverfahrens darf der Angeklagte im Fall einer notwendigen Verteidigung nicht ohne Verteidiger sein (OLG Hamm, NJW 70, 440; OLG Stuttgart a.a.O.), weil sich auch in diesem Verfahrensstadium Aufgaben für den Pflichtverteidiger (z. B. bei Haftentscheidungen) ergeben können.

Die Kosten des Verfahrens einschließlich der notwendigen Auslagen des Angeklagten waren gemäß § 473 Abs. 1 StPO der Landeskasse aufzuerlegen.

Ende der Entscheidung

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