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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 01.02.2006
Aktenzeichen: 10 UF 147/04
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 1671 Abs. 2 Nr. 2
Die sexuellen Neigungen eines Elternteils stehen der gemeinsamen elterlichen Sorge nicht entgegen, wenn diese sich nicht auf das Wohl des Kindes auswirken.
OBERLANDESGERICHT HAMM BESCHLUSS

10 UF 147/04 OLG Hamm

In der Familiensache

hat der 10. Senat für Familiensachen des Oberlandesgerichts Hamm durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Brandes, den Richter am Oberlandesgericht Schossier und die Richterin am Amtsgericht Merz am 01. Februar 2006

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers vom 13.07.2004 gegen den Beschluss des Amtsgericht - Familiengericht - Witten vom 23.06.2004 wird zurückgewiesen.

Der Antrag der Antragsgegnerin vom 24.11.2004 auf Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge wird zurückgewiesen.

Die Gerichtskosten werden gegeneinander aufgehoben; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Der Beschwerdewert wird auf 3.000,00 € festgesetzt.

Gründe:

A.

Die Beteiligten streiten um das elterliche Sorgerecht und das Aufenthaltbestimmungsrecht für die heute achtjährigen, gemeinsamen ehelichen Zwillinge S. und N. C., geboren am XX.

Die Beteiligten heirateten nach der Geburt der Kinder am 08.04.2001. Bereits am 05.06.2002 wurde die Ehe geschieden, das Sorgerecht verblieb bei beiden Eltern gemeinsam. Von Januar 2003 bis November 2003 lebten sie nach einer Versöhnung erneut gemeinsam als Paar im Haus des Antragstellers, bis am 07.11.2003 die endgültige Trennung durch den Auszug der Antragsgegnerin erfolgte. Die Antragsgegnerin zog zunächst mit den Kindern zu ihrem ersten geschiedenen Ehemann, Herrn K; seit dem 01.04.2004 hat sie eine eigene Wohnung angemietet.

Die Antragsgegnerin hat aus ihrer ersten geschiedenen Ehe den am 08.03.1989 geborenen Sohn E. K, für den sie das alleinige Sorgerecht inne hat. E. wohnt überwiegend bei der Antragsgegnerin, aber auch teilweise bei seinem Vater. Die Antragsgegnerin geht einer Teilzeitbeschäftigung in einer Grillstube nach.

Der Antragsteller ist nicht erwerbstätig, er bestreitet seinen Lebensunterhalt aus Mieteinnahmen. Er bewohnt ein ihm gehörendes Einfamilienhaus in X, welches von der derzeitigen Wohnung der Antragsgegnerin ca. 500 m entfernt ist.

Der Antragsteller hat erstinstanzlich die Auffassung vertreten, die Antragsgegnerin sei nicht erziehungsgeeignet. Sie habe ständig wechselnde Männerkontakte sowie perverse sexuelle Neigungen, da sie sado-masochistische Praktiken ausübe. Dies ergebe sich aus den überreichten Photos sowie den ca. 3.500 Photos, die sich auf der überreichten CD-Rom befinden.

Der Antragsteller ist in den Besitz dieser Abbildungen wie folgt gekommen: Als sich die Antragsgegnerin von ihrem damaligen Freund, Herrn I, trennte, teilte sie dem Antragsteller mit, dass es pikante Fotos von ihr und Herrn I gäbe. Daraufhin brach der Antragsteller im Juni 2002 in die Wohnung des Herrn I ein und entwendete den Computer, auf dessen Festplatte die Fotos gespeichert waren, die während der einjährigen Beziehung zwischen Herrn I und der Antragsgegnerin entstanden waren. Er brannte die Fotos auf CD-Rom und zerstörte sodann den Computer. Das Strafverfahren gegen ihn wurde gegen Zahlung einer Geldbuße von 350,00 € nach § 153 a StPO eingestellt (2 Js 338/02 Staatsanwaltschaft Bochum).

Der Antragsteller hat ferner behauptet, die Antragsgegnerin sei hysterisch und neige zum Suizid, sie habe sich schon einmal die Pulsadern aufgeschnitten.

Die Antragsgegnerin wiederum hat den Antragsteller für erziehungsunfähig aufgrund seines übermäßigen Alkoholkonsums und seiner starken Depressionen gehalten. Im übrigen sei es ihre Privatsache, welche sexuellen Neigungen sie habe; negative Auswirkungen auf das Wohl der Kinder hätten diese jedenfalls nicht.

In einer Zwischenvereinbarung haben sich die Parteien am 18.02.2004 vor dem Familiengericht auf einen 14-tägigen Umgang des Antragstellers mit den Kindern von samstags 11:00 Uhr bis sonntags 18:00 Uhr sowie einen wöchentlichen Umgang mittwochs ab Schulschluss bis 18:00 Uhr unter zwischenzeitlicher Beibehaltung des Aufenthaltbestimmungsrechts bei der Antragsgegnerin geeinigt.

Beide Parteien haben wechselseitig beantragt, ihnen jeweils die alleinige elterliche Sorge zu übertragen.

Das Familiengericht hat durch Beschluss vom 23.06.2004 das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Kinder S. und N. der Antragsgegnerin übertragen und die weitergehenden Sorgerechtsanträge der Parteien zurückgewiesen. Es hat dabei die gemeinsame elterliche Sorge als im Kindeswohl liegend angesehen, da beide Eltern erziehungsfähig seien und die Kooperationsbereitschaft der Beteiligten in seinem solchen Maße gegeben sei, dass eine gedeihliche Zusammenarbeit im Sinne der Kinder möglich sei. Das Aufenthaltbestimmungsrecht hat es aus dem Gesichtspunkt der Kontinuität und des Kindeswillens auf die Antragsgegnerin übertragen. Wegen der Einzelheiten wird auf die Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung Bezug genommen (Bl. 99 bis 101 GA).

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde. Zur Begründung führt er an, dass der Grundsatz der Kontinuität keine durchgreifende Bedeutung habe, da er ein umfassendes Umgangsrecht habe und die Kinder nahezu gleichwertig betreue; sie könnten in ihre früher gewohnte Umgebung zu ihm zurückkehren.

Bei der Antragsgegnerin hingegen sei das Leben von großer Diskontinuität geprägt, sie sei in den letzten Jahren 5 mal umgezogen. Sie spräche erheblich dem Alkohol zu.

Von ihren unstreitigen sexuellen sado - masochistischen Praktiken bekämen die Kinder auch etwas mit. S. habe kein Schamgefühl, trage häufig keine Unterhose. Er stelle sich unbekleidet in den Garten und verrichte sein Geschäft; ebenso rede er mit seiner gleichaltrigen Cousine über Sex. Die Antragsgegnerin sei seit neuestem auch wieder mit Herrn I zusammen, so dass die Gefahr bestünde, dass die Kinder in einer sexualisierten Umgebung aufwüchsen.

Der Antragsteller beantragt,

abändernd das Aufenthaltbestimmungsrecht auf ihn zu übertragen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen und das Sorgerecht für die Kinder auf sie zu übertragen.

Der Antragsteller habe ein großes Alkoholproblem und sei deshalb nicht erziehungsgeeignet. Während der Erkrankungen der Kinder in der Vergangenheit, habe er sich nicht um sie gekümmert. Aufgrund des großen Zerwürfnisses zwischen ihnen seien sie nicht in der Lage, die elterliche Sorge gemeinsam auszuüben; das zeige sich insbesondere in dem unsachlichen Sachvortrag des Antragsstellers.

Der Senat hat aufgrund des Beschlusses vom 21.01.2005 (Bl. 213 GA) Beweis erhoben und ein familienpsychologisches Sachverständigengutachten eingeholt zu der Frage, welche Sorgerechtsregelung dem Wohl der Kinder N. und S. am besten entspricht; wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftliche Gutachten der Diplom-Psychologin Y vom 22.08.2005 verwiesen (Anlagenband).

Der Senat hat die beteiligten Eltern, die Kinder und die Verfahrenspflegerin im Anhörungstermin am 21.01.2005 angehört. Das Jugendamt hat sich schriftlich geäußert.

Im Anhörungstermin vom 01.02.2006 hat der Senat die beteiligten Eltern, die Verfahrenspflegerin und die Sachverständige nochmals angehört. Das Jugendamt hat sich schriftlich geäußert.

B.

I. Elterliche Sorge

Der Antrag der Antragsgegnerin, ihr die alleinige elterliche Sorge zu übertragen, ist zulässig, aber nicht erfolgreich.

Das Begehren der Antragsgegnerin ist nicht begründet, der erstinstanzliche Beschluss nicht zu beanstanden. Im vorliegenden Fall entspricht es dem Kindeswohl für die betroffenen Kinder S. und N., dass die elterlichen Sorge gemeinsam von beiden Eltern ausgeübt wird.

Die Entscheidung des Familiengerichts über die elterliche Sorge beruht auf § 1671 BGB. Leben die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern getrennt, ist gemäß § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB einem Elternteil auf seinen Antrag - auch ohne Zustimmung des anderen Elternteils - die elterliche Sorge nur dann allein zu übertragen, wenn dies dem Kindeswohl am besten entspricht. Diese Regelung bedeutet nicht, dass dem Fortbestand der gemeinsamen Sorge ein Vorrang vor der Alleinsorge eines Elternteils eingeräumt wird. Ebenso wenig besteht eine gesetzliche Vermutung dafür, dass die gemeinsame Sorge im Zweifel die beste Form der Wahrnehmung der elterlichen Verantwortung ist. Einer solchen Regelung stünde, wie der Bundesgerichtshof dargelegt hat, entgegen, dass sich elterliche Gemeinsamkeit in der Realität nicht verordnen lässt (FamRZ 1999, 1646, 1647).

Wenn sich die Eltern bei Fortbestehen der gemeinsamen Sorge fortwährend über die das Kind betreffenden Angelegenheiten streiten, kann dies zu Belastungen führen, die mit dem Wohl des Kindes nicht vereinbar sind. In solchen Fällen, in denen die gemeinsame elterliche Sorge praktisch nicht "funktioniert" und es den Eltern nicht gelingt, zu Entscheidungen im Interesse des Kindes zu gelangen, ist der Alleinsorge eines Elternteils gegenüber dem Fortbestand der gemeinsamen Sorge der Vorzug zu geben.

Die Übertragung der Alleinsorge setzt allerdings konkrete tatrichterliche Feststellungen voraus, aus denen sich ergibt, dass diese Voraussetzung vorliegt und die Übertragung der Alleinsorge auf einen Elternteil erfordert (BGH, FamRZ 2005, 1167). Die Anstrengungen für eine gemeinsame Wahrnehmung der Elternverantwortung muss in der Vergangenheit erfolglos geblieben sein und auch in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit erfolglos bleiben (OLG Hamm, FamRZ 2005, 537).

Es ist entscheidend darauf abzustellen, welche Auswirkungen eine eingeschrännkte Einigungsfähigkeit der Eltern bei einer Gesamtbeurteilung der Verhältnisse auf die Entwicklung und das Wohl des Kindes hat (OLG Hamm, FamRZ 2004, 1668).

Im vorliegenden ist nicht zu erwarten, dass nur die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge auf die Antragsgegnerin dem Wohl der Kinder am besten entspricht.

1.

Beide Eltern sind in gleichem Maße erziehungsgeeignet. Das steht fest aufgrund der gutachterlichen Feststellungen der Sachverständigen Y.

a)

Die Erziehungsfähigkeit des Antragstellers ist nicht durch die von der Antragsgegnerin behauptete Alkoholabhängigkeit oder durch eine psychische Erkrankung beeinträchtigt. Die Sachverständige konnte zwar eine Bereitschaft des Antragstellers, in emotional sehr belastenden Situationen Alkohol zu trinken, nicht ausschließen, fand im Rahmen der Begutachtung aber weder erhärtende Hinweise auf einen möglichen Alkoholismus des Antragstellers noch auf Depressionen.

b)

Die Antragsgegnerin ist gleichermaßen erziehungsfähig. Ihre sexuelle Neigung zum Sado-Masochismus steht dem nicht entgegen. Die sexuelle Ausrichtung eines Elternteils ist grundsätzlich seine Privatsache, es sei denn sie hat negative Auswirkungen auf das Kind (Salzgeber FamRZ 1995, 1311; AG Mettmann, FamRZ 1985, 528: Übertragung der elterlichen Sorge auf lesbische Mutter). Die sexuelle Veranlagung eines Elternteils ist für sich alleine genommen keine Disqualifikation als Sorgerechtsinhaber. Beurteilungen von Lebenswandel und Moral sind ebenfalls immer nur in ihren Auswirkungen auf das Kind zu beurteilen, was je nach Altersstufe des Kindes unterschiedlich sein kann. Auswirkungen auf das Kindeswohl hat immer nur konkretes Verhalten eines Elternteiles (Salzgeber aaO).

aa)

Die Sachverständige hat nicht feststellen können, dass das Sexualleben der Antragsgegnerin überhaupt Auswirkungen auf die Zwillinge hat. Die Kinder sind nicht in besonderem Maße sexualisiert und es sind keine anderen negativen Folgen durch die sexuelle Neigung der Antragsgegnerin eingetreten. Die vom Antragsteller bei S. beobachteten Verhaltensauffälligkeiten, vor allem das Einkoten, sind lediglich im väterlichen Umfeld aufgetreten und können aus psychologischer Sicht Auswirkungen des Druckes der elterlichen Auseinandersetzungen sein.

bb)

Es ist auch nicht feststellbar, dass die Wiederaufnahme der Beziehung der Antragsgegnerin zu Herrn I seit Sommer 2005 dazu führt, dass eine erhöhte Gefahr der Sexualisierung der Kinder besteht. Bislang hat es die Antragsgegnerin gewährleistet, dass der Lebensraum der Kinder und ihr Sexualleben von einander getrennt sind und es sichergestellt ist, dass die Kinder ihre sado-masochistischen Praktiken nicht wahrnehmen. Der Senat geht davon aus, dass die Antragsgegnerin sich dieser Verantwortung bewusst ist und auch zukünftig dafür Sorge trägt, dass die erforderliche Trennung ihres Sexuallebens vom Lebensraum der Kinder sicher gewährleistet ist und eine diesbezügliche Involvierung der Kinder ausgeschlossen ist. Da die Antragsgegnerin dies bislang getan hat und die Kinder bisher dem nicht ausgesetzt waren, bestehen keine konkreten Hinweise darauf, dass dies zukünftig anders sein sollte.

Dies steht in Übereinstimmung mit den Feststellungen des Jugendamtes. Selbst bei unangemeldeten Hausbesuchen fanden sich auch in jüngster Zeit keine Hinweise auf eine sexualisierte Umgebung; wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den aktuellen Bericht des Jugendamtes vom 27.12.2005 (Bl. 308 - 310 GA) verwiesen. Gefährdunen der Kinder bei gelegentlichen Übernachtungen in der Wohnung des Herrn I haben sich ebenfalls nicht feststellen lassen.

cc)

Der Senat folgt den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigengutachtens vollumfänglich. Es bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit der dort aufgezeigten Ergebnisse. Die Diplom-Psychologin Y2 ist immer von konkreten Anknüpfungstatsachen ausgegangen; ihre Darstellungen und Würdigungen sind in sich geschlossen, nachvollziehbar und plausibel. Ihre schriftlich festgehaltenen Ergebnisse hat sie in der Anhörung vor dem Senat widerspruchsfrei erläutert und sie hat kritische Nachfragen auch bezüglich der jüngsten Entwicklung nach dem Zeitpunkt der Exploration fachlich souverän, sachgerecht und mit schlüssigen Ergänzungen beantwortet.

dd)

Der Antragsteller versucht, diesem Ergebnis durch die Vorlage eines von ihm in Auftrag gegeben Privatgutachtens entgegenzutreten. Dieses wurde erstellt von der Diplom-Psychologin L (Bl. 262 - 274 GA). Sie gelangt zu dem Ergebnis, dass das vorliegende Gutachten der Sachverständigen Y unbrauchbar sei und die Sachverständige immer und ausnahmslos die Interesse/Wünsche der Mütter wahrnehme - unabhängig vom Einzelfall oder der jeweiligen Familienkonstellation.

Dieses Privatgutachten leidet vor allem daran, dass es lediglich auf einseitigen Gesprächen und Informationen des Antragstellers beruht und eine Exploration nicht durchgeführt wurde. Dem Gutachten fehlt mithin eine sichere tatsächliche Beurteilungsgrundlage, da die Verfasserin weder die betroffenen Kinder noch die Antragsgegnerin persönlich kennengelernt hat.

Gleiches gilt für die vom Antragsteller eingeholte und vorgelegt Stellungnahme der "Deutschen Gesellschaft für Familienplanung, Sexualpädagogik und Sexualberatung e.V." vom 23.11.2005 (Bl. 299 - 300 GA). Auch sie beruht ausschließlich auf einem Gespräch des Antragstellers mit der Beratungsstelle; Gespräche mit der Antragsgegnerin und den Kindern - um deren vermeintliche Sexualisierung es schließlich ging - wurden nicht geführt.

ee)

Andere im Verfahren behauptete Tatsachen, die zur Einschränkung der Erziehungsfähigkeit führen könnten, wurden nicht festgestellt. Die Antragsgegnerin ist keine Alkoholikerin, ist nicht krankhaft hysterisch oder suizidgefährdet.

2.

Im vorliegenden Fall ist trotz der Auseinandersetzung der Beteiligten die gemeinsame elterliche Sorge geboten. Denn nicht jede Spannung oder jeder Konflikt rechtfertigt den Ausschluss des gemeinsamen Sorgerechts; erforderlich sind vielmehr Konflikte zwischen den Eltern in wesentlichen Bereichen der elterlichen Sorge, die eine gemeinsame elterliche Sorge als dem Kindeswohl abträglich erscheinen lassen (BGH, FamRZ 2005, 1167).

Daran fehlt es hier. Denn es gibt keine Auseinandersetzung der Eltern über wesentliche Bereiche der elterlichen Sorge wie der Vermögenssorge, der religiösen Erziehung, Fragen der Schulwahl und der Gesundheitsfürsorge. Auch der Umgang gestaltet sich entsprechend der Zwischenvereinbarung der Parteien vor dem Familiengericht seit zwei Jahren, ohne dass es nennenswerte Schwierigkeiten dabei gegeben hat.

So ist auch die Sachverständige Y in ihrem Gutachten zu dem Ergebnis gelangt, dass trotz der bestehenden Konflikte die gemeinsame Ausübung des Sorgerecht durch die Kindeseltern zu befürworten ist. Denn beide Eltern sind bereit, Verantwortung für die Kinder zu übernehmen, die erzieherischen Differenzen sind als nicht gravierend einzuschätzen.

Der Senat verkennt nicht, dass derzeit die Kommunikationsfähigkeit und Kooperationsbereitschaft der Eltern nicht optimal ist und eine Verbesserung durchaus wünschenswert und zum Wohle der Kinder wäre. Dies empfehlen sowohl die Sachverständige, das Jugendamt und die Verfahrenspflegerin.

Der von der Antragsgegnerin angeführte Umstand, sie sei zerstritten mit dem Antragsteller, besagt noch nichts über die beiderseitige Unfähigkeit, in Angelegenheit der Kinder zu gemeinsamen kindeswohlverträglichen Lösungen zu gelangen. Die derzeitige Beziehung der Beteiligten ist noch sehr stark von den nicht verarbeiteten Konflikten auf der Paarebene sowie der Auseinandersetzung um die Kinder geprägt.

Es besteht jedoch die begründete Hoffnung und ernsthafte Perspektive, dass eine Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit nach Abschluss dieses Verfahrens möglich ist. So haben beide Elternteile nach den Erläuterungen der Sachverständigen in der Anhörung das Potential, sich verständigen zu können und einig zu werden; ihre Differenzen über die Kinder seien im Grunde genommen nicht groß. Denn beide lieben ihre Kinder, sind ihnen zugewandt und erkennen die Bedürfnisse ihrer Kinder. Erforderlich ist dazu von beiden Elternteilen, dass sie - zum Wohle ihrer Kinder - alle die Kinder betreffenden Sachverhalte, Fragestellungen, Entscheidungen und Probleme ausschließlich auf der Elternebene, losgelöst von der Paarebene, diskutieren. So haben beide Seiten - mit unterschiedlich starken Nuancen - die Bereitschaft zu einer Mediation erklärt, um sich die Fähigkeit zur kindzentrierten Kommunikation anzueignen.

Schließlich hat auch die Vergangenheit gezeigt, dass die Zerstrittenheit und fehlende Einigkeit der Eltern keine negativen Auswirkungen auf die Entwicklung der Kinder genommen hat. Die Zwillinge sind trotz des nunmehr über zweijährigen Verfahrens und der damit verbundenen Auseinandersetzungen ihrer Eltern zu gut entwickelten, fröhlichen und normalen Kindern herangewachsen. Die jüngsten Auseinandersetzungen um die Pässe, Zeugnisse, Fotos etc. belastet zwar die Eltern, haben bei den Zwillingen gleichwohl nicht zu manifestierten negativen Folgeerscheinungen geführt. Dies belegt, dass eine gemeinsame elterliche Sorge in der Vergangenheit dem Kindeswohl nicht abträglich war. Es ist mithin zu erwarten, dass dies in Zukunft nicht anders sei wird.

Letztendlich plädiert auch die Verfahrenspflegerin in ihrer Stellungnahme vom 30.01.2006 für eine gemeinsame Sorge, um die notwendige Kommunikation zwischen den Eltern zum Wohle der Kinder immer wieder einzufordern. Bei Abwägung aller maßgeblichen Belange und Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles gelangt der Senat zu dem Ergebnis, dass eine gemeinsame Sorge dem Kindeswohl am besten entspricht.

B. Aufenthaltbestimmungsrecht

Die nach § 621 e ZPO zulässige Beschwerde des Antragstellers gegen die Übertragung des Aufenthaltbestimmungsrechts auf die Antragsgegnerin hat keinen Erfolg.

Unter den gegebenen und festgestellten Umständen gelangt der Senat zu dem Ergebnis, dass die Aufenthaltbestimmungsrechtsentscheidung des Familiengerichts richtig ist und die Übertragung des Aufenthaltbestimmungsrechts auf die Mutter als die dem Kindeswohl am besten dienliche Lösung erscheint.

1.

Wie oben im einzelnen näher aufgezeigt, sind beide Elternteile in gleichem Maße erziehungsfähig. 2.

Auch sind bei beiden Eltern gleich gute Bindungen zu den Kindern vorhanden; beide Elternteile sind ihren Söhnen gleichermaßen gegenüber liebevoll verbunden und erkennen an, dass die Kinder auch den jeweils anderen Elternteil lieben. Sie sind beide in der Lage, sich in die Seele der Kinder in der schwierigen Situation zwischen den Eltern hineinzuversetzen, auch wenn es ihnen nicht immer gelingt, dies in konkrete Handlungen umzusetzen.

3.

Beide Eltern vermögen die Versorgung der Kinder sicherzustellen und sie in ihrer Entwicklung zu fördern. Die Antragsgegnerin hat die Kinder in der Vergangenheit beanstandungsfrei aufgezogen, so dass sie sich zu normalen Kindern entwickelt haben. Auch der Antragsteller wäre gleichermaßen in der Lage, eine solche Betreuung der Kinder sicherzustellen, obwohl er seit der Trennung der Parteien einen geringeren Erziehungsumfang hatte und ein eher freizeitorientiertes Beziehungsangebot gemacht hat. Es gibt jedoch keine Zweifel dafür, dass nicht auch er den normalen Alltag mit den Kindern leben kann.

4.

Die Betreuung der Kinder kann von beiden Elternteilen geleistet werden. Die Mutter ist teilzeitbeschäftigt und hat die Beaufsichtigung der Kinder in den Zeiten ihrer Berufstätigkeit organisiert, indem die Kinder sich entweder in der Schule oder bei Verwandten bzw. anderen Aufsichtspersonen befinden. Der Vater geht derzeit keiner Erwerbstätigkeit nach, so dass die Betreuungsmöglichkeit als etwas günstiger angesehen werden kann; dieser Vorteil ist gleichwohl nur als geringfügig einzuschätzen.

5.

Die Unterbringungsmöglichkeiten beim Vater ist den äußeren Umständen nach als günstiger zu bewerten, da er über ein Einfamilienhaus mit einem großen Garten mit Schwimmbad verfügt. Die Mutter bewohnt hingegen eine Drei-Zimmer-Wohnung, in der die Kinder aber ein eingerichtetes Kinderzimmer haben. Diese besseren materiellen Unterbringungsmöglichkeiten beim Vater sind unter psychologischen Gesichtspunkten gleichwohl nicht relevant. Gleiches gilt für die unterschiedlichen finanziellen Möglichkeiten der Eltern.

6.

Die Umgebungskontinuität ist hier bei beiden Elternteilen gleich, da die Wohnungen nur ca. 500 m von einander entfernt liegen und die Kinder sich so in demselben sozialen Umfeld bewegen.

7.

Die Bindungstoleranz ist, wie die Sachverständige in der Anhörung erklärt hat, bei beiden Eltern gleichermaßen gegeben.

8.

Die Kinder sind durch den Senat angehört worden. Die Zwillinge selbst fühlen sich mit beiden Elternteilen verbunden und bevorzugen keinen Elternteil eindeutig, wenn auch S. sich eher etwas zum Vater und N. eher etwas zur Mutter hingezogen fühlt. Konkrete Wünsche in Bezug auf ihren Aufenthaltsort äußern sie nicht. In ihrem letzten Bericht hat die Verfahrenspflegerin übermittelt, dass sie sich wünschen, mehr Zeit mit dem Vater verbringen zu können.

Eine Trennung der Geschwister scheidet aus, da beide als Zwillinge eng emotional miteinander verbunden sind und sich in dem familiären Trennungskonflikt gegenseitig eine Stütze sind. Das Zusammenbleiben der Kinder vermittelt nach der Trennung der Eltern das Gefühl einer fortbestehenden Gemeinschaft und dämpft den Eindruck des Zerbrechens der Familie ab (vgl. OLG Hamm FamRZ 2000, 1039, 1040).

9.

Beide Elternteile sind somit in gleichem Maße geeignet, die Kinder aufzuziehen, maßgebliche Unterschiede in den für die Entscheidung des Aufenthaltbestimmungsrecht maßgeblichen Kriterien sind bei den Eltern nicht gegeben.

Das von der Verfahrenspflegerin vorgeschlagene Wechselmodell scheitert daran, dass ein solches Wechselmodell neben dem Willen der Eltern deren engmaschige, reibungslos funktionierende Kommunikationsfähigkeit im Alltag voraussetzt und sich alle am Verfahren Beteiligten darüber einig sind, dass keines von beiden derzeit bei den Eltern vorhanden ist.

Da eine einvernehmliche Regelung durch die Eltern nicht möglich und somit eine gerichtliche Entscheidung zu treffen war, hat sich der Senat für die Übertragung des Aufenthaltbestimmungsrecht auf die Mutter entschieden, wobei dem Gesichtspunkt der Erziehungskontinuität letztlich ausschlaggebend war.

Die Erziehungskontinuität ist nach den sachverständigen Feststellungen besser bei der Mutter gewahrt, da diese in den letzten Jahren überwiegend die Erziehung übernommen hat und für die Zwillinge die maßgebliche Bezugsperson war. Die vom Antragsteller angeführten Umzüge und zeitweiligen Aufenthalte der Kinder bei anderen Personen ändern daran nichts, da sie keine kindesrelevanten Auswirkungen gehabt haben. Für die Kinder ist die Antragsgegnerin die Bezugsperson, die sich in der Vergangenheit hauptsächlich um ihre Belange im schulischen und gesundheitlichen Bereich sowie insgesamt gekümmert hat, wie die Sachverständige verdeutlicht hat. Ein Wechsel von der Antragsgegnerin zum Antragsteller wäre für die Kinder ein sie belastender Bruch in ihrer Lebenswirklichkeit, der zu vermeiden ist, da er nicht zwingend erforderlich ist.

C.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 13 a Abs. 1 FGG, 131, 30 KostO.

Ende der Entscheidung

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