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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Urteil verkündet am 27.05.2009
Aktenzeichen: 11 U 175/07
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, GG, PolG NW, StPO, StGB


Vorschriften:

ZPO § 540
BGB § 227
BGB § 253 Abs. 2
BGB § 254 Abs. 1
BGB § 827 Satz 2
BGB § 839 Abs. 1
GG Art. 34
PolG NW § 2
PolG NW § 34
PolG NW § 57 Abs. 1
PolG NW § 61 Abs. 1 S. 2
StPO § 127
StGB § 32
StGB § 22
StGB § 113
StGB § 123
StGB § 185
StGB § 223
StGB § 240
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 22. August 2007 verkündete Urteil des Einzelrichters der 8. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld - unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels - teilweise abgeändert.

Das beklagte Land wird verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 100.000,-- € zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass das beklagte Land verpflichtet ist, dem Kläger allen materiellen und weiteren immateriellen Schaden jeweils zur Hälfte zu ersetzen, welcher dem Kläger aus dem Polizeieinsatz vom 15.12.2002 in S noch entstehen wird, soweit die Ansprüche nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen oder übergegangen sind.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 3/8 und das beklagte Land zu 5/8.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beiden Parteien wird gestattet, die Zwangsvollstreckung der jeweils anderen Partei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund dieses Urteils gegen sie jeweils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung ihrerseits Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe:

I.

Der Kläger verlangt von dem beklagten Land Schadensersatz wegen eines Polizeieinsatzes am 15.12.2002 in und vor der Gaststätte "B" in S, durch welchen er nach seiner Behauptung eine Verletzung der Halswirbel und infolgedessen eine Querschnittslähmung erlitt.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird gemäß § 540 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils verwiesen.

Das Landgericht hat die Klage nach uneidlicher Vernehmung der Zeugen S2, M3 und N3 sowie Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. G abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass sich nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme eine schuldhafte Pflichtverletzung der einsatzbeteiligten Polizeibeamten nicht feststellen lasse. Vielmehr seien sie berechtigt gewesen, den von ihnen gegenüber dem Kläger ausgesprochenen Platzverweis mit körperlicher Gewalt durchzusetzen. Weil der Kläger versucht habe, sich dem Zugriff der Polizeibeamten durch Um-sich-Schlagen zu entziehen, habe seine Gegenwehr rechtmäßigerweise unterbunden werden dürfen. Dabei seien die gewöhnlichen Eingriffstechniken der Polizei angewendet worden. Deshalb könne auch nicht festgestellt werden, dass die Verletzung des Klägers auf eine Handlung der Polizeibeamten zurückzuführen sei. Auch eine Verschlimmerung der Verletzung in Folge pflichtwidrigen Handelns bei dem Verbringen des Klägers in Polizeiwagen und Polizeigewahrsam sei angesichts der erheblichen Alkoholisierung, die von einer schwerwiegenden Verletzung des Klägers abgelenkt habe, nicht festzustellen.

Mit seiner Berufung rügt der Kläger die Beweiswürdigung des Landgerichts. Insbesondere sei die Aussage des Zeugen N3 von einer Belastungstendenz zu seinen Lasten geprägt und stehe im Widerspruch zu dessen Aussagen im Ermittlungsverfahren wie auch in seinem - des Klägers - Rechtsstreit gegen die Q AG vor dem Landgericht Münster, weshalb sie nicht glaubhaft seien. Der Kläger vertieft seine Behauptungen, weder den Polizeibeamten M3 mit dem Ellenbogen in Richtung Gesicht noch sonst um sich geschlagen zu haben. Erst aufgrund des von den Polizisten ausgeführten Würgegriffs am Hals sei er in Panik geraten und habe deshalb versucht, sich mit Gegenwehr daraus zu lösen.

Der Kläger beantragt,

das am 22.08.2007 verkündete Urteil des Einzelrichters der 8. Zivilkammer des Landgerichts Bielefeld abzuändern und

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld (Vorstellung: mindestens 140.000,-- €) zu zahlen sowie

2. festzustellen, dass das beklagte Land verpflichtet ist, ihm zu einer Quote von 80 % allen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihm aus dem Polizeieinsatz am 15.12.2002 in S noch entstehen wird, soweit der Anspruch nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergeht.

Das beklagte Land beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Es verteidigt das angefochtene Urteil mit näheren Ausführungen.

Der Senat hat den Kläger angehört und Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung der Zeugen M3, S2, L, N3 und L2 sowie Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. G. Wegen der Ergebnisse der Anhörung und der Beweisaufnahme wird auf die Berichterstattervermerke zu den Senatsterminen vom 10.12.2008 und 25.03.2009, wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes im Berufungsverfahren auf die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen. Dem Senat haben ferner die Akten 26 Js 718/02 StA Bielefeld sowie 15 O 30/05 LG Münster = 20 U 173/05 OLG Hamm vorgelegen.

II.

Die zulässige Berufung hat teilweise Erfolg.

Dem Kläger steht gegen das beklagte Land wegen seiner bei dem Polizeieinsatz am 15.12.2002 in S erlittenen Verletzungen ein Schadensersatzanspruch gemäß § 839 Abs. 1 BGB i. V. m. Art. 34 GG zu.

1.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme geht der Senat von folgendem Sachverhalt aus:

Der Kläger besuchte am 14.12.2002 zunächst den Weihnachtsmarkt in S, wo er bereits Alkohol zu sich nahm. Im Laufe des Abends suchte er sodann die Gaststätte "B" auf, deren Inhaber der Zeuge N3 ist. Auch dort trank der Kläger weiter Bier, weshalb er schließlich nach Mitternacht erheblich angetrunken war (BAK mindestens 2,46 o/oo).

In einem Nebenraum der Gaststätte fand die sog. "Schneeschieberparty" statt, an der auch die Mitglieder des Fanfarenzuges des Ortes, darunter auch jüngere weibliche Gäste teilnahmen. Etwa um Mitternacht wurde der Kläger in Folge alkoholbedingter Enthemmung gegenüber diesen weiblichen Gästen zudringlich, was durch Gäste dem Zeugen N3 gemeldet wurde. Der Zeuge N3 begab sich zu dem Kläger und forderte diesen auf, die Gaststätte zu verlassen. Diesem Ansinnen kam der Kläger nicht nach, sondern beleidigte den Zeugen N3 vielmehr als "dickes Schwein". Daraufhin rief der Zeuge N3 die Polizei herbei.

Im Zeitraum zwischen 0.30 Uhr und 0.45 Uhr am 15.12.2002 trafen sodann die Polizeibeamten POK S2 und PK M3 an der Gaststätte ein. Sie wurden von dem Zeugen N3 auf den Kläger aufmerksam gemacht, begaben sich zu ihm und forderten ihn auf, das Lokal zu verlassen. Nachdem der Kläger, was ihm gestattet wurde, noch sein Bier ausgetrunken hatte, ging er zusammen mit den beiden Polizisten aus dem Nebenraum in den Gaststättenraum in Richtung Ausgang. In der Gaststätte begann der Kläger dann plötzlich die Polizisten zu beschimpfen ("Ihr deutschen Schweine" u. ä.) und machte Anstalten, in den Nebenraum zurückzukehren. Daran wurde er von den Polizisten jedoch durch Festhalten gehindert und weiter Richtung Ausgang gebracht. Kurz vor Erreichen des Ausgangs versuchte der Kläger sich jedoch erneut von den Polizisten zu lösen, beschimpfte diese mit ähnlichen Worten wie zuvor und schlug um sich, wobei er auch den Vorhang am Eingang der Gaststätte herunterriss. Ferner versuchte er, den PK M3 zu schlagen, was ihm jedoch nicht gelang. Die Polizisten drängten den Kläger an die Wand, drehten ihm den Arm auf den Rücken und konnten ihn so aus der Gaststätte herausführen.

Vor der Gaststätte wehrte sich der Kläger erneut gegen die Polizisten, versuchte diese zu schlagen und beleidigte sie fortwährend als "Schweine" und den PK M3 als "kleines Arschloch". Um zu verhindern, dass der Kläger in die Gaststätte zurückkehren konnte, und um seinen Widerstand zu brechen, wollten die Polizisten ihm nunmehr Handfesseln anlegen. Innerhalb des entstehenden Gerangels brachten sie den Kläger zu Boden und legten ihm, während er auf dem Bauch lag, Handfesseln an. Bei diesem Vorgehen kam es zu einer schwerwiegenden Verletzung des Klägers im Halsbereich, indem eine Luxation des 5. Halswirbelsäulenkörpers gegenüber dem 6. Halswirbelsäulenkörper eintrat, was wiederum zu einer Schädigung des Rückenmarks in diesem Bereich führte. Ferner erlitt der Kläger infolge des Vorgehens der Polizisten Einblutungen im Augenbereich. Der genaue Ablauf des Geschehens lässt sich dabei nicht mit Sicherheit aufklären, vielmehr kommen zwei Geschehensabläufe in Betracht. Entweder legte der POK S2 dem Kläger, um ihn zu Boden zu bringen, den Arm um den Hals und drückte mit erheblicher Kraft zu, wobei die Kraftanwendung mindestens eine halbe Minute andauerte und es infolge der entstehenden Blutstauung zu Einblutungen im Augenbereich kam. Während der Arm um den Hals gelegt war und er sich weiter gegen die Polizisten zur Wehr setzte, wurde der Kläger zu Boden gezogen. In Folge der gegenläufigen Kräfte, die auf die Halswirbelsäule wirkten, kam es zu der Luxation der Halswirbelkörper. Nicht auszuschließen ist jedoch auch, dass der Kläger zunächst ohne Verletzung der Halswirbelsäule zu Boden gebracht wurde und sich sodann einer der Polizeibeamten auf den Rücken- und Halsbereich des Klägers kniete, um ihn auf dem Boden zu fixieren, während der andere ihm Handfesseln anlegte. Dabei wurde das Knie mit erheblicher Kraft über eine Dauer von mindestens 30 Sekunden im Halsbereich des Klägers aufgesetzt, wodurch es zu einer Kompression der Blutgefäße und zu der Luxation der Halswirbelsäule kam.

Aufgrund seiner erheblichen Alkoholisierung nahm der Kläger den durch die Halswirbelsäulenverletzung entstehenden Schmerz kaum wahr. Am Boden liegend setzte er seine Beleidigungen fort und schlug weiter um sich, bis ihm die Handfesseln angelegt worden waren. Die Polizeibeamten wollten den Kläger nunmehr in den bereitstehenden Streifenwagen und sodann auf die Polizeiwache F zwecks Ausnüchterung verbringen. Die schwerwiegende Verletzung des Klägers hatten sie nicht erkannt. Da der Kläger jedoch nicht mehr in der Lage war zu laufen - wobei die Polizisten von Unwilligkeit des Klägers zum Laufen ausgingen -, verbrachten sie ihn mit Hilfe des Zeugen L in den Streifenwagen, setzten ihn dort auf die Rückbank und fuhren sodann zur Polizeiwache. Dort wurde der Kläger, der inzwischen eingeschlafen war, mit Hilfe des Zeugen L2, der seinerzeit Wachhabender auf der Polizeiwache war, in die Ausnüchterungszelle verbracht. Dort wurde der Kläger auf den Boden gelegt, wo er etwa eine Stunde verblieb. Versuche, die damalige Ehefrau des Klägers dazu zu bewegen, den Kläger auf der Wache abzuholen, scheiterten. Schließlich bestellten die Polizeibeamten für den Kläger ein Taxi, welches ihn nach Hause bringen sollte. Nach Eintreffen des Taxis und Aufsuchen des Klägers in der Zelle klagte dieser darüber, seine Beine nicht bewegen zu können. Die Polizisten riefen daher einen Krankenwagen herbei, welcher den Kläger in das Krankenhaus M verbrachte. Erst hier wurde die Schwere der Verletzung des Klägers erkannt. Der Kläger wurde in die unfallchirurgische Klinik des Klinikums N2 verlegt, wo eine Operation der Wirbelsäule (geschlossene Reposition in Narkose, ventrale Spondylodese) erfolgte. Gleichwohl verblieb bei dem Kläger eine dauerhafte inkomplette Querschnittslähmung mit Lähmung der Beine, aufgrund welcher er rollstuhlpflichtig ist.

2.

Die Feststellungen des Senats beruhen auf der Einlassung des Klägers, den Aussagen der vernommenen Zeugen S2, M3, L, N3 und L2, soweit ihren Aussagen jeweils gefolgt werden konnte, sowie den in jeder Hinsicht überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. G.

Während das Rahmengeschehen bis zum Verlassen des Nebenraums der Gaststätte durch den Kläger in Begleitung der Polizeibeamten und ab dem Verbringen des Klägers in den Streifenwagen zwischen den Parteien weitgehend unstreitig ist, vermochte der Kläger zur Überzeugung des Senats nachzuweisen, dass ihm seine Verletzung durch das Handeln der beiden Polizisten bei dem Geschehen außerhalb der Gaststätte beigebracht worden war. Sowohl der Kläger als auch die Zeugen L und N3 - letztlich auch vom Zeuge M3 bestätigt - haben bekundet, dass der Kläger von den Polizisten zu Boden gebracht wurde. Soweit der Zeuge S2 dargestellt hat, dass sich der Kläger unvermittelt fallengelassen habe, was er als Schauspielerei gewertet habe, ist dies unglaubhaft, zumal nach seiner Aussage nicht erklärlich ist, wie der Kläger eine derart schwerwiegende Verletzung bei dem von ihm geschilderten Geschehensablauf davontragen konnte. Die Einzelheiten des Geschehens wurden jedoch von dem Kläger und den Zeugen in vielen Details jeweils abweichend beschrieben, weshalb dem Senat genaue Feststellungen zum Ablauf des Geschehens vor der Gaststätte nicht möglich sind. Die Darstellungen des Klägers bei seinen Aussagen im Strafverfahren und im jetzigen Rechtsstreit weichen vielfach voneinander ab, sind von einer deutlichen Tendenz, die eigene Beteiligung am Geschehen herunterzuspielen, getragen und erscheinen auch deshalb nicht zuverlässig, weil aufgrund der beträchtlichen Alkoholisierung des Klägers keine Gewähr dafür besteht, dass er eine brauchbare Erinnerung an das damaligen Tatgeschehen besitzt. Andererseits ist auch die Aussage des Zeugen M3 von einer deutlichen Tendenz getragen, seine eigene wie die Beteiligung des POK S2 herabzuspielen und den Kläger letztlich als Alleinverantwortlichen für die Verletzung darzustellen. Dabei vermochte aber auch der Zeuge M3 keine schlüssige Erklärung dafür geben, wie es bei dem von ihm dargestellten Tatgeschehen zu der schwerwiegenden Verletzung des Klägers kommen konnte.

Die Aussagen der Zeugen L und N3 erscheinen demgegenüber jedenfalls insoweit glaubhaft, als sie übereinstimmend bekundet haben, dass der Kläger von den Polizisten zu Boden gebracht wurde. Während der Zeuge L lediglich das Geschehen außerhalb der Gaststätte miterlebt hat und dabei auch noch durch die ihm übertragene Aufgabe der Objektbewachung auf dem Weihnachtsmarkt zunächst abgelenkt war, ist die Darstellung des Geschehens durch den Zeugen N3 zur Überzeugung des Senats deutlich zuverlässiger, weil er das Gesamtgeschehen, das für ihn außergewöhnlich war, schlüssig und nachvollziehbar darzustellen vermochte und seine Aussage auch eine Erklärung für die Verletzung des Klägers liefert. Zwar war die Erinnerung des Zeugen N3 bei seiner Vernehmung durch den Senat aufgrund des Zeitablaufs seit dem Geschehen beeinträchtigt, weshalb er wegen bestehender Abweichungen im Detail und Erinnerungsschwächen auf seine Aussage vom 17.12.2002 vor der Polizei verwiesen hat. Nach dieser polizeilichen Aussage wurde der Kläger zu Boden gebracht, während ihm der POK S2 mit dem Arm um den Hals fasste und ihm der PK M3 die Arme auf den Rücken gedreht hatte. Der Senat verkennt allerdings nicht, dass es sich bei dem Geschehen um ein Turbulenzgeschehen handelte, welches innerhalb von sehr kurzer Zeit ablief und für einen Außenstehenden unübersichtlich erscheinen musste, weshalb nicht mit letzter Sicherheit ausgeschlossen werden kann, dass der Zeuge N3 die Einzelheiten des Geschehens nicht präzise wiedergeben konnte, wie es ersichtlich auch bei seiner unzutreffenden Annahme der Fall ist, dass es dem Kläger gelungen sei, den PK M3 zu schlagen. Hinsichtlich der Schilderung der Auseinandersetzung der Polizeibeamten mit dem Kläger unterscheiden sich die Aussagen des Zeugen N3 und des Zeugen L, denn letzterer hatte bei seiner Vernehmung vor der Polizei am 17.12.2002 - was er bei seiner Vernehmung vor dem Senat allerdings nicht mehr aus eigener Erinnerung bestätigen konnte - geäußert, dass dem Kläger beim Anlegen der Handfesseln von einem der Polizisten ein Knie auf den Rücken gedrückt wurde, um ihn zu fixieren. Hingegen beschreibt der Zeuge L nicht, dass einer der Polizisten dem Kläger den Arm um den Hals gelegt habe. Aus diesem Grunde vermag der Senat nicht sicher festzustellen, welche der beiden Schilderungen der Zeugen N3 und L hier zutrifft.

Letztlich kann dies aber dahinstehen. Denn nach den ausführlichen, nachvollziehbaren und in jeder Hinsicht überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. G kann festgestellt werden, dass sich eine der beiden vorgenannten Alternativen tatsächlich ereignet haben muss, weil die Verletzung des Klägers nur aufgrund einer massiven, von den Polizeibeamten ausgehenden Gewalteinwirkung eingetreten sein kann. Der Sachverständige hat insofern erläutert, dass es zwei klare Anhaltspunkte für eine derartige Gewaltanwendung gab, weil der Kläger nicht nur eine Luxation im Halswirbelbereich erlitten hatte, sondern auch Einblutungen im Augenbereich aufwies, welche auf den vom Sachverständigen am 17.12.2002 gefertigten Lichtbildern dokumentiert sind. Die Luxation der Halswirbelsäule erfordert eine Gewalteinwirkung von sehr hoher Intensität, die der Belastung der Halswirbelsäule bei einem Verkehrsunfall mit einer Kollisionsgeschwindigkeit von über 80 km/h vergleichbar ist. Sie tritt bei einer Verschiebung des Kopfes gegen den Rumpf auf, wobei es zu einer Dehnung und Reizung der Bänder der Wirbelsäule gekommen sein muss. Aus diesem Grund ist auszuschließen, dass ein einfaches Zu-Boden-Bringen des Klägers oder ein Sich-Fallen-Lassen eine derartige Verletzung auslösen konnte. Ebenso kann ausgeschlossen werden, dass die Verletzung erst beim Transport in oder aus dem Streifenwagen eingetreten ist oder die Verletzung erst entstand, als sich der Kläger bereits in der Zelle auf der Polizeiwache in F befand. Vielmehr sind nur die beiden Geschehensabläufe denkbar, wie sie einerseits der Zeuge N3 und andererseits der Zeuge L bei ihren polizeilichen Aussagen beschrieben haben. Soweit der Kläger zu Boden gerissen worden wäre, während ihm mit massivem Druck auf den Hals ein Arm um den Hals gelegt worden war, konnte die Verletzung ebenso eintreten, wie in dem Fall, dass dem bereits auf dem Boden liegenden Kläger mit voller Kraft ein Knie in den Halsbereich gedrückt worden wäre, um ihn zu fixieren. Bei beiden Vorgehensweisen konnte es auch zu einer Kompression der Blutgefäße kommen, wodurch erklärt ist, dass das Blut aus den Adern nicht abfließen konnte, weshalb es zur Blutstauung und infolgedessen zum Platzen kleinerer Blutgefäße und daher zu Einblutungen in den Augen des Klägers kam.

Auch den weiteren Geschehensablauf vermochte der Sachverständige aus medizinischer Sicht schlüssig zu erklären. Nach der Luxation der Halswirbelkörper kam es aufgrund der dadurch erfolgten Verletzung des Rückenmarks schlagartig zu neurologischen Ausfallerscheinungen beim Kläger. Insofern ist es nachvollziehbar, dass der Kläger bereits zum Streifenwagen getragen werden musste, wenngleich auch die Zeugen S2, M3 und L zu diesem Zeitpunkt ganz offensichtlich nicht erkannten, dass der Kläger gehunfähig geworden war und er nicht lediglich aufgrund seiner Alkoholisierung oder fortbestehender Renitenz getragen werden musste. Soweit der Sachverständige weiter ausgeführt hat, dass die Luxation der Wirbelsäule im Normalfall zu unerträglichen Schmerzen führen würde, vermochte er das nach den Zeugenaussagen anzunehmende Ausbleiben von der Verletzung entsprechenden heftigen Schmerzempfindungen und -äußerungen beim Kläger durch die beträchtliche Alkoholisierung und dadurch entstehende Schmerzunempfindlichkeit erklären, weil der Alkohol narkotisierend wirkte. Das Maß der beim Kläger im Vorfallszeitpunkt vorhandenen Alkoholisierung vermochte der Sachverständige auf mindestens 2,46 bis maximal 2,96 bis 3,16 o/oo BAK zu bestimmen, wobei die höchste Wahrscheinlichkeit bei einem BAK-Wert von etwa 2,71 o/oo lag.

Die - uneingeschränkt glaubhafte - Aussage des Zeugen L2 ist für die Beurteilung des Verletzungsgeschehens unerheblich, weil nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. G feststeht, dass der Zeuge L2 den Kläger erst zu Gesicht bekam, als die Verletzung bereits irreparabel eingetreten war.

3.

Bei dem oben festgestellten Sachverhalt fällt den Polizisten S2 und M3 eine Amtspflichtverletzung zur Last, für welche das beklagte Land als Anstellungskörperschaft einstehen muss. Zwar war das Einschreiten der Polizisten gegenüber dem Kläger zunächst dem Grunde nach gerechtfertigt, weil sie gegen ihn unmittelbaren Zwang zur Durchsetzung einer Platzverweisung gemäß §§ 34, 57 Abs. 1 PolG NW anwenden durften. Ob daneben auch ein Festnahmerecht gemäß § 127 StPO in Betracht kam oder auch eine Notwehrsituation für die beiden Polizisten gemäß §§ 32 StGB, 227 BGB bestand, kann dahinstehen, weil auch diese Rechte den Polizeibeamten ggf. keine weitergehenden Befugnisse geben würden. Aufgrund der Belästigungen anderer Gäste wie aufgrund der Beleidigungen gegenüber dem Wirt N3 war der Kläger Störer im Sinne des Polizeirechts. Die Polizisten waren daher berechtigt, ihm gegenüber eine Platzverweisung auszusprechen und ihn aufzufordern, das Lokal zu verlassen. Aufgrund seiner tätlichen Weigerung in und vor der Gaststätte, durch welche der Kläger den Verbleib in der Gaststätte erzwingen wollte, war auch sofortiges Handeln der Polizisten nach allen Umständen gemäß § 61 Abs. 1 S. 2 PolG NW geboten. Soweit sich der Kläger demgegenüber eingelassen hat, er habe dann auch Angst vor der Ausnüchterungszelle sich von den Polizeibeamten losreißen und fliehen wollen, ist dies durch die Aussage der vernommenen Zeugen widerlegt.

Jedoch haben die Polizeibeamten bei der Anwendung des unmittelbaren Zwangs den Grundsatz zur Verhältnismäßigkeit gemäß § 2 PolG NW nicht beachtet, indem ihre Gewaltanwendung den Rahmen des Erforderlichen überschritt. Auch wenn außer Frage steht, dass die Beamten in der konkreten Situation zur Anwendung körperlicher Gewalt mit dem Ziel, die Gegenwehr des Klägers zu brechen und ihm Handfesseln anlegen zu können, berechtigt waren, ergibt sich bereits aus dem dem Kläger zugefügten Verletzungsbild, dass die erfolgte Gewaltanwendung das Maß des Erforderlichen und Zulässigen erheblich überstieg. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Wirbelsäulenverletzung des Klägers durch das Zu-Boden-Reißen bei gleichzeitigem Anlegen eines Würgegriffs um den Hals oder beim Fixieren mit dem Knie in Halsbereich entstanden ist. Denn im Falle eines Würgegriffs ist nach den ebenfalls überzeugenden Darstellungen des Sachverständigen Prof. Dr. G davon auszugehen, dass der Würgegriff nicht nur mit erheblicher Kraft, sondern auch mit einer Dauer von mindestens 30 Sekunden ausgeführt sein musste, weil es anderenfalls nicht zu den Einblutungen im Augenbereich hätte kommen können. Hierfür ist auch unter Berücksichtigung von Größe und Gewicht des Klägers ebenso wenig eine Notwendigkeit erkennbar wie für den Umstand, dass der Kläger trotz des angelegten Würgegriffs und auf den Rücken gedrehten Arms mit solcher Kraft zu Boden gerissen wurde, dass eine so schwerwiegende Verletzung wie eingetreten entstehen konnte. Aber auch dann, wenn die Verletzung dadurch eingetreten ist, dass dem Kläger beim Fixieren auf dem Boden ein Knie mit erheblicher Kraft in den Halsbereich (statt unbedenklich auf den Rücken) gedrückt wurde, entfiele angesichts des erheblichen Gefährdungspotenzials, welches sich im vorliegenden Fall realisiert hat, eine Rechtfertigung dieses bei keiner polizeilichen Standardmaßnahme vorgesehenen Vorgehens.

An der Drittgerichtetheit der verletzten Amtspflichten zugunsten des Klägers ist ebenso wenig zu zweifeln, wie am fahrlässigen Verschulden der Polizeibeamten in jeder der beiden in Betracht kommenden Sachverhaltsalternativen. Die Polizisten konnten ohne weiteres erkennen, dass sie durch ihre massive und in dieser Form unnötige Gewaltanwendung den Kläger der Gefahr schwerer Verletzungen aussetzen würden. Ebenso hätten sie bei Einhaltung der gebotenen Sorgfalt erkennen können und müssen, dass eine derart massive Gewaltanwendung auch unter Berücksichtigung des außerordentlich renitenten Verhaltens des Klägers nicht geboten war, um das Ziel der Platzverweisung durchzusetzen und seinen Widerstand zu brechen.

Des Weiteren steht außer Frage, dass das pflichtwidrige Verhalten der beiden Polizeibeamten für die schwere Wirbelsäulenverletzung des Klägers mit nachfolgender Querschnittslähmung und Rollstuhlpflichtigkeit ursächlich geworden ist.

4.

Der Kläger muss sich jedoch ein erhebliches Mitverschulden an der Schadensentstehung gemäß § 254 Abs. 1 BGB zurechnen lassen. Dieses folgt daraus, dass die pflichtwidrige Gewaltanwendung der Polizeibeamten durch das vorangehende Verhalten des Klägers, welches die Straftatbestände der §§ 113, 123, 185, 223, 22, 240 StGB erfüllte, ausgelöst wurde.

Dem Ansatz eines Mitverschuldens steht nicht entgegen, dass ein Verletzter im Allgemeinen auf die Rechtsmäßigkeit der ihm gegenüber vorgenommenen Amtshandlungen vertrauen darf, weshalb er nur dann vorwerfbar handelt, wenn er nicht das ihm zumutbare Maß an Aufmerksamkeit und Sorgfalt bei der Besorgung eigener Angelegenheiten aufgewendet hat oder ihm Rahmen des Zumutbaren alles zur Vermeidung von Schwierigkeiten getan hat. In dem vorliegenden Einzelfall ergibt die gebotene wertende Betrachtung, dass der Verursachungsbeitrag des Klägers als Geschädigten nicht außerhalb der Grenze liegt, bis zu welcher ihm eine Mithaftung für seine Folgen billigerweise und bei vernünftiger Betrachtung zugemutet werden kann (vgl. Senat, Versicherungsrecht 1998, S. 495 ff.). Durch sein erhebliches, verbales wie tätliches Eindringen auf die Polizisten hat der Kläger in beträchtlichem Maße die Gefahr erhöht, dass die Polizisten ihm gegenüber Gewalt anwenden würden und dabei unwillentlich die Grenzen des Erlaubten überschreiten könnten. Allen Versuchen, ihn ohne Anwendung von Gewalt aus der Gaststätte zu bringen und seine Rückkehr zu verhindern, hatte sich der Kläger widersetzt. Letztlich ließ er durch sein Verhalten den Polizisten keine andere Wahl als eine nicht unerhebliche Gewaltanwendung, welche er damit herausgefordert hatte. Den Kläger entlastet dabei seine beträchtliche Alkoholisierung nicht, weil schon aufgrund der seinerzeit ersichtlich bestehenden Alkoholgewöhnung nicht festgestellt werden kann, dass er sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand befunden hat. Aber auch in diesem Fall ergäbe sich seine Mitverantwortlichkeit aus § 827 Satz 2 BGB.

Bei der Abwägung der beiderseitigen Verschuldensanteile ergibt sich ein gleichwertiges Verschulden auf beiden Seiten. Sowohl die massiv übertriebene Gewaltanwendung durch die Polizeibeamten als auch das vorangegangene auslösende renitente und provokante Verhalten des Klägers beinhalten jeweils ein grobes Fehlverhalten von erheblichem Gewicht.

5.

Aufgrund der durch den Vorfall erlittenen Verletzungen steht dem Kläger gemäß § 253 Abs. 2 BGB ein Schmerzensgeld zu, welches der Senat unter umfassender Berücksichtigung aller für die Bemessung maßgeblichen Umstände mit 100.000,-- € bemessen hat. Dabei waren zunächst die schweren, bereits oben beschriebenen Verletzungen des Klägers zu berücksichtigen, die dauerhaft sind und welche er als zuvor Gesunder in relativ jungen Lebensjahren erlitten hat. Infolge der Querschnittslähmung wird der Kläger zeitlebens hilfebedürftig sein. Er kann seinem erlernten Beruf als Heizungsbauer nicht mehr nachgehen. Es erscheint darüber hinaus plausibel, wenn der Kläger vorträgt, dass seine Behinderung maßgeblich zum Scheitern seiner Ehe beigetragen hat. Schmerzensgeld mindernd musste sich das Mitverschulden des Klägers auswirken, wie bereits zuvor erörtert wurde. Die Festsetzung des Senats hält sich im Rahmen der Rechtsprechung anderer Gerichte, die für vergleichbare Verletzungen in der Vergangenheit Schmerzensgeldbeträge zwischen 175.000,-- und 225.000,-- € ausgeurteilt hat, wobei im Rahmen dieser Entscheidungen jedoch kein Mitverschulden anzusetzen war (vgl. OLG Hamm, VersR 2002, S. 1164 m. w. N.; VersR 2005, S. 942).

Des Weiteren war dem Feststellungsantrag des Klägers in Höhe der auf das Land entfallenden Haftungsquote zu entsprechen mit der Klarstellung, dass sich die Feststellung der Einstandspflicht des beklagten Landes auf die weiteren immateriellen Schäden bezieht, die nicht bereits durch das zugesprochene Schmerzensgeld abgegolten sind.

6.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Zulassung der Revision gemäß § 543 ZPO war nicht geboten.

Die Entscheidung des Senats betrifft einen Einzelfall, der keine grundsätzliche Bedeutung besitzt. Von den Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte oder des Bundesgerichtshofs ist der Senat nicht abgewichen.

Das Urteil beschwert beide Parteien mit jeweils mehr als 20.000,-- €.

Ende der Entscheidung

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