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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 02.04.2009
Aktenzeichen: 11 UF 232/08
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 621
ZPO § 621 e
BGB § 1666
BGB § 1666 Abs. 1
BGB § 1666 a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Beschwerde des Kindesvaters und Antragsgegners vom 6. November 2008 und die Anschlussbeschwerde der Kindesmutter und Antragstellerin vom 21. November 2008 gegen den Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Ahlen vom 30. September 2008 werden auf Kosten der Beschwerdeführer zurückgewiesen.

Der Beschwerdewert wird auf 3.000,00 € festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Beteiligte zu 1. und Beschwerdeführerin ist die Mutter, der Beteiligte zu 2. und Beschwerdeführer ist der Vater des am 26. Februar 2007 geborenen Kindes N B O.

Die Kindeseltern hatten am 30. April 2001 geheiratet. Nach der Ende August 2007 erfolgten Trennung haben die Kindeseltern widerstreitende Anträge auf Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge gestellt.

Beide haben sich gegenseitig vorgeworfen, zur Erziehung ungeeignet zu sein.

Der Kindesvater stellt dabei vorrangig auf ein Alkoholproblem der Kindesmutter ab und behauptet, das Kind deshalb seit der Geburt überwiegend versorgt zu haben. Die Kindesmutter sei dazu wegen ihrer schon vor der Ehe bestehenden psychischen Probleme - sie befand sich nach Suizidversuchen bereits mehrmals in stationärer psychiatrischer Behandlung - nicht in Lage. Insbesondere sei durch ihn die erforderliche medizinische Versorgung des in 33. Schwangerschaftswoche geborenen und unter stark reduziertem Hörvermögen - auch die Kindesmutter leidet unter Schwerhörigkeit - und weiteren Entwicklungsverzögerungen leidenden Kindes sichergestellt worden.

Er behauptet überdies, die körperlichen Einschränkungen des Kindes beruhten auf einer Alkoholembryopathie.

Die Kindesmutter wirft dem Kindesvater körperliche Übergriffe vor, die dieser letztlich auch nicht bestritten, sondern nur in der Weise relativiert hat, dass seine Reaktionen aufgrund des Verhaltens der Kindesmutter erforderlich gewesen seien.

Diese hat ihrerseits behauptet, die eigentliche Bezugsperson des Kindes zu sein. Der Kindesvater habe sie bereits seit der Geburt bevormundet und behauptet, sie mache bei der Versorgung des Kindes alles falsch. Seit der Trennung versuche er, sie beim Jugendamt schlecht zu machen. Tatsächlich habe sie, seit sie im dritten Schwangerschaftsmonat von der Schwangerschaft erfahren habe, keinen Alkohol mehr getrunken.

Die Situation im Haushalt des Kindesvaters sei für ein Kleinkind ungeeignet.

Dieser lebt seit seinem Auszug aus der ehelichen Wohnung mit seiner Lebensgefährtin, Frau E2, zusammen. Diese hat aus ihrer Ehe drei am 2. Juli 1992, am 9. Dezember 1995 und am 12. Februar 1999 geborene Kinder.

Sie hat sich im September 2007 von ihrem Mann getrennt, ist mit den beiden jüngeren Kindern aus C2 direkt in den Haushalt des Kindesvaters in E gezogen und hat die Kinder in dortige Schulen umgeschult.

Im Oktober 2007 zog die ältere Tochter N1 ebenfalls dort ein.

Seit April /Mai 2008 lebt nur noch N1 in dem gemeinsamen Haushalt, während sich die beiden jüngeren Kinder derzeit in der Obhut ihres Vaters befinden. Auch um die elterliche Sorge für die Kinder der Lebensgefährtin ist zwischen ihr und dem Vater der Kinder ein familiengerichtliches Verfahren anhängig.

Auffällig waren häufige Fehlzeiten der Kinder während ihres Aufenthaltes im Haushalt der Mutter.

Unter dem 27. Februar 2008 wandte sich der Kinderarzt der drei Kinder E2 an das Jugendamt und zeigte an, der Kindesvater, der Beteiligte zu 2., übe auf Frau E2 einen negativen Einfluss aus, so dass diese zu adäquater Erziehung nicht mehr in der Lage sei (Bl. 67 ff. GA).

Ausweislich des Berichtes des Jugendamtes des Kreises X vom 5. März 2008 zu jenem Verfahren (Bl. 63 ff GA) spitzte sich die Situation zwischen N1 auf der einen Seiten und ihrer Mutter und dem Beteiligten zu 2. dieses Verfahrens derart zu, dass die Inobhutnahme N1 in einem Mädchenkrisenhaus angedacht war, wogegen sich N1 und ihre Mutter dann doch entschieden.

Der Bericht verhält sich weiterhin zu häufigen Fehlzeiten N1 in der Schule sowie zu zwei Polizeieinsätzen am 12. und 22. Februar 2008 im gemeinsamen Haushalt, die ihren Ursprung ebenfalls in Auseinandersetzungen zwischen dem Kindesvater dieses Verfahrens und seiner Lebensgefährtin auf der einen Seite und deren Tochter N1 auf der anderen Seite hatten.

Nach der Trennung hat N B zunächst im Haushalt des Kindesvaters mit dessen neuer Lebensgefährtin und deren Kindern gelebt.

Vor dem Amtsgericht vereinbarten die Kindeseltern am 11. Oktober 2007, dass das Kind bis zur endgültigen Regelung beim Kindesvater wohnt und die Kindesmutter es täglich von 13.00 bis 18.00 Uhr zu sich nehmen sollte.

Das Amtsgericht hat die Einholung eines Gutachtens dazu angeordnet, welche Regelung dem Kindeswohl am besten entspricht und die Sachverständige Diplom C beauftragt.

Am 3. Dezember 2007 um 22.15 Uhr noch während der laufenden Begutachtung wurde das Kind N B im Alter von acht Monaten mit einer Schädelprellung im Krankenhaus vorgestellt.

Der behandelnde Arzt notierte, das Kind sei vom Sofa gefallen, während es durch die "Geschwister" beaufsichtigt worden sei (Bericht Bl. 56 GA).

Die Sachverständige hat in ihrem Gutachten vom 24. April 2008 (Sonderband) ausgeführt, dass das Kind bei keinem der beiden Eltern aufwachsen sollte, weil bei beiden das Wohl des Kindes erheblich gefährdet sei.

Den Kindesvater hat sie nachvollziehbar begründet - mit ausführlicher und sehr anschaulicher Beschreibung des bei ihm beobachteten Verhaltens ihr selbst sowie den einzelnen Mitgliedern seines Haushaltes gegenüber - als unverschuldet nicht erziehungsgeeignet beschrieben.

Er mache zwar vordergründig einen insbesondere bezüglich der Gesundheitsfürsorge des Kindes engagierten Eindruck, sei aber nicht in der Lage grundlegende Dinge wie eine regelmäßige Tagesstruktur, Aufsicht und Schutz vor gewalttätigen Auseinandersetzungen der Erwachsenen oder der älteren Kinder untereinander sicherzustellen, was letztlich auch zu der Schädelprellung geführt habe.

Die hygienischen Zustände in seinem Haushalt hat sie anschaulich als für ein Kleinkind unzumutbar beschrieben. Für die Erziehung eines Kleinkindes unverzichtbare vorausdenkende Planungskompetenz sei bei ihm nur rudimentär vorhanden. Zu seinen Erziehungsmethoden gehören

- monatelanger Stubenarrest, den ein Kind durch Arbeitsleistung reduzieren könne (Kinder der Lebensgefährtin E2)

- körperliche Züchtigung

- Schreien

- "Fixieren" - um dem Baby das Hörgerät wieder anzulegen

Gegenüber der Sachverständigen hat er ausdrücklich geäußert, er sei in der Familie das "Alphamännchen", das bestimmen könne, ob ein Kind zur Toilette dürfe oder nicht, wenn es Stubenarrest habe.

Er sei nicht in der Lage zwischen den Auffälligkeiten bei den Kindern seiner Lebensgefährtin und den gewalttätigen Auseinandersetzungen der beteiligten Erwachsenen und seinen "Erziehungsmethoden" einen Zusammenhang zu erkennen.

Bereits 1995 sei bei ihm im St. S Hospital in U eine schizotype Störung aus dem Formenkreis der Schizophrenie und wahnhaften Störungen festgestellt worden. Diesen Befund fand die Sachverständige insbesondere durch seine alogischen Gedankensprünge und nach Anwendung des IDCL (Internationale Diagnosechecklisten für ICD 10 und DSM-IV) bestätigt.

Demgegenüber bestreitet der Kindesvater den Befund und gab an, keine Psychopharmaka einzunehmen und nicht psychiatrisch krank zu sein.

Die Sachverständige hat weiterhin bei ihm eine deutlich narzisstische Persönlichkeitsstruktur festgestellt, die ihn in Kognition, Affektivität und Impulskontrolle sowie im Umgang mit Sozialpartnern deutlich einschränke.

Schließlich fehle es ihm völlig an einer realistischen Einschätzung der Möglichkeiten des Kindes. Dazu hat sie beispielhaft aufgeführt, er gebe auf der einen Seite an, N B leide an einer Alkoholembryopathie, auf der anderen Seite äußere er, das Kind werde Medizin studieren, da es wahrscheinlich hochbegabt sei.

Den Umgang der Kindesmutter mit dem Kind beschreibt die Sachverständige als liebevoll und von Zuneigung geprägt.

Diese sei jedoch aufgrund der bei ihrer bestehenden Persönlichkeitsstörung unverschuldet erziehungsungeeignet.

Die Sachverständige sieht durch ihre Untersuchungen den bereits 1995 im St. S Hospital diagnostizierten Befund einer asthenischen Persönlichkeitsstruktur bestätigt. Diese Persönlichkeitsstruktur ist dadurch geprägt, dass die Kindesmutter eine Reihe von Taktiken anwendet, die sie ursprünglich zur Aufrechterhaltung ihrer Beziehung zu den eigenen Eltern entwickelte, um ihre Beziehungen um jeden Preis aufrechterhalten zu können. Echte Bindungsbeziehungen habe die Kindesmutter ebenso wie der Kindesvater nie erfahren.

Gegenüber der Sachverständigen hat die Kindesmutter angegeben, auf Anweisung des Kindesvaters Alkohol getrunken zu haben, damit sie willenlos sei. Dann habe sie seinem Wunsch entsprechend beim Sex Lack und Leder getragen. Ohne Alkohol habe sie keine Lust auf Sex gehabt, weshalb er sie öfter unter Alkohol gesetzt habe, damit sie zu den von ihm gewünschten Sexualpraktiken bereit gewesen sei.

An diesem von ihr selbst geschilderten Verhalten zeige sich, dass sie sich stets den Erwartungen und Vorstellungen ihrer Partner anpasse und diesen zustimme, ohne die Konsequenzen für sich und andere zu bedenken.

Sie sei deshalb aufgrund ihrer Persönlichkeitsstruktur nicht in der Lage, die bei der Erziehung eines Kindes erforderlichen Grenzen zu setzen. Sie könne ein Kind nicht gemäß dem Reifegefälle zwischen einem Kind und einem Erwachsenen erziehen, sondern im Verhältnis zur Kindesmutter würde das Kind die Leitungsperson sein.

Durch diese Störung würde bei ihr zusätzlich jede Eigeninitiative und Eigenaktivität erschwert, da eine übermäßige Abhängigkeit von der Beurteilung durch andere bestehe.

Schließlich kämen bei ihr Depressionen, massive Angstzustände und immer wiederkehrend auch Suizidversuche hinzu, woran sich die Instabilität ihrer Persönlichkeit zeige. Auch bestehe weiterhin das Risiko von Alkoholmissbrauch.

Nachdem das schriftliche Gutachten vorlag, hat das Amtsgericht den Eltern durch Beschluss vom 20. Mai 2008 (Bl. 85 ff GA) im Wege der einstweiligen Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht, die Gesundheitssorge sowie das Recht zur Beantragung von Sozialleistungen entzogen und das Jugendamt zum Pfleger bestellt sowie die Herausgabe des Kindes angeordnet.

Am 22. Mai 2008 kam es zur stationären Aufnahme des Kindes im Kinderkrankenhaus in B. Der Kindesvater behauptete massive Gewaltanwendungen der Kindesmutter gegen das Kind, während im Krankenhaus keine Anzeichen äußerlicher Gewaltanwendung festgestellt wurden.

Von dort wurde die Herausgabeanordnung vollstreckt und N am 26. Mai 2008 in die Obhut einer Bereitschaftspflegefamilie gegeben, wo er große Entwicklungsfortschritte gemacht hat.

Nach der Herausnahme zeigte das Kind nach den von der Verfahrenspflegerin wiedergegebenen Beobachtungen der Bereitschaftspflegemutter keine Trennungsreaktionen. Es ließ sich - abgesehen von den Auffälligkeiten, dass es keine feste Nahrung wie Brot gewohnt war, ungesüßte Getränke ablehnte und sich nahezu panisch gegen die Verabreichung von Nasentropfen wehrte - unproblematisch versorgen, schlief sehr lange und ließ ihm offenkundig unangenehme Situationen wie baden nahezu willenlos über sich ergehen. Es wies mit fünfzehn Monaten den Entwicklungsstand eines etwa acht bis neun Monate alten Kindes auf.

Bis August 2008 gab es Besuchskontakte des Kindesvaters von jeweils einer Stunde alle zwei Wochen, die nach einer Eskalation abgebrochen wurden.

Kontakte zur Kindesmutter hat es im selben Turnus weiterhin gegeben mit Ausnahme der Anbahnungsphase für die Dauerpflegefamilie.

Der letzte Kontakt vor dem Wechsel war am 17. November 2008. Ausweislich des Berichtes des Jugendamtes vom 27. März 2009 (Bl. 329 ff GA) hat die Kindesmutter danach mitgeteilt, keinen weiteren Abschiedstermin zu wollen. Sie selber könne N nicht die Botschaft geben, dass er sich auf neue Eltern einlassen dürfe.

Sie wolle zwar akzeptieren, dass es in der Anbahnungsphase keine weiteren Kontakte gebe, wolle aber unterrichtet sein.

Inzwischen lebt N seit dem 5. Januar dieses Jahres bei einer Dauerpflegefamilie, wo er sich gut eingelebt hat und - im Gegensatz zu Trennungen nach den Besuchskontakten - auch Trennungsverhalten zeigt.

Ausweislich des Berichtes der Verfahrenspflegerin (Bl. 318 ff GA) hat er gute Fortschritte in jeder Hinsicht gemacht.

Der Kindesvater hat bereits in der ersten Instanz alle Feststellungen der Sachverständigen bestritten und die von ihr geschilderten Situationen in dem Haushalt sowie seine Äußerungen teils bestritten, teils relativiert - nur zwei Ratten in der Wohnung zum Zeitpunkt der Besuche der Sachverständigen - und zu erklären versucht.

Zunächst hat er bestritten, die Sachverständige von ihrer Verschwiegenheitspflicht entbunden und keine Einwilligung zur Durchführung psychologischer Tests erteilt zu haben bis dieses durch Vorlage er entsprechenden von ihm unterzeichneten Erklärungen belegt worden ist.

Er hat insbesondere die Vernehmung seiner Lebensgefährtin Frau E2 als Zeugin für die Qualität der Versorgung des Kindes sowie die Einholung eines weiteren Gutachtens beantragt, da ein familien-psychologisches Gutachten sich zu medizinischen Befunden verhalte, für die es einer Begutachtung durch einen Arzt für Psychiatrie bedurft hätte.

Durch den angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht - dem Gutachten in der Begründung folgend - den Kindeseltern die elterliche Sorge entzogen und die Vormundschaft angeordnet.

Dagegen hat zunächst der Kindesvater Beschwerde und sodann die Kindesmutter Anschlussbeschwerde eingelegt haben.

Beide Eltern verfolgen mit ihren jeweiligen Beschwerden das Ziel weiter, die elterliche Sorge allein übertragen zu bekommen.

Die Kindesmutter begründet ihre Beschwerde im Wesentlichen damit, sie sei erziehungsgeeignet.

Sie habe sich erstinstanzlich nicht mit ihrer ganzen Kraft gegen den Entzug des Sohnes gewehrt, weil sie zur Aufnahme des "Kampfes" nicht gefestigt genug gewesen sei.

Sie hat sich im Anschluss an das erstinstanzliche Verfahren vom 16. Oktober bis zum 20. November 2008 in stationärer Behandlung im St. S Hospital in U befunden (Bericht Bl., 268 - 271 GA). Dort wird eine deutliche Verbesserung sozialer Kompetenzen attestiert. Sie habe gelernt, eigene Rechte und Bedürfnisse in angemessener Weise zu äußern sowie mit Kritik umzugehen. Außerdem habe sie von einer angemessenen Tagesstrukturierung profitiert. Es sei zu einem Rückgang der depressiven Symptomatik gekommen und die Patientin habe mehr Eigenständigkeit gelernt. Es sei sowohl psychische Stabilisierung als auch Stimmungsaufhellung und Antriebssteigerung im Therapieverlauf zu beobachten gewesen. Mit Hilfe des dortigen Sozialdienstes sei Kontakt zum sozialintegrativen Fachdienst hergestellt und eine berufliche Perspektive erarbeitet worden.

Seit Anfang Februar 2009 ist sie als Küchenhilfe bei der Provinzialversicherung in N. Alkohol hat sie nach ihren Angaben im Senatstermin nicht mehr konsumiert, seit sie von der Schwangerschaft erfahren hatte.

Der Kindesvater greift im Wesentlichen das Gutachten an.

Er bestreitet nach wie vor, an einer schizotypen Störung zu leiden. Die Diagnose auf die sich das Gutachten stütze, sei ihm nie unterbreitet worden.

Er sei seinerzeit nur zur Begleitung der Kindesmutter im S Hospital gewesen und habe bei dieser Gelegenheit auch Therapiestunden wahrgenommen.

Denkstörungen und paranoide Vorstellungen habe es bei ihm nie gegeben.

Er bestreitet jegliche körperliche Züchtigungen.

Aus seinen Erklärungen im Senatstermin ergibt sich, dass er davon überzeugt ist, das Opfer einer Verschwörung von Mitarbeitern des Jugendamtes und der Sachverständigen geworden zu sein.

Er behauptet, Umgangskontakte seien ihm in den letzten Monaten trotz vielfältiger Bemühungen seinerseits vom Jugendamt versagt worden. Nicht einmal zum Geburtstag des Kindes habe er die Gelegenheit dazu erhalten.

Das Jugendamt des Kreises X und die Verfahrenspflegerin befürworten eine Zurückweisung der Beschwerden.

Sie stellen die positive Entwicklung dar, die N B insbesondere nach dem Wechsel in die Dauerpflegefamilie genommen hat. Insbesondere sei auffällig, dass er bereits nach den Anbahnungskontakten Trennungsreaktionen gezeigt habe, was weder bei der Herausnahme noch nach den Besuchskontakten mit den Kindeseltern der Fall gewesen sei.

Im Senatstermin ist eine eingehende ergänzende Befragung der Sachverständigen erfolgt und die Beteiligten sind angehört worden.

Wegen des Inhaltes der Erörterungen im Termin wird auf den Berichterstattervermerk zum Senatstermin Bezug genommen.

II.

Die gemäß §§ 621 e, 621 ZPO zulässigen Beschwerden haben in der Sache keinen Erfolg.

Die von den Kindeseltern jeweils gegen die Entscheidung des Amtsgerichts erhobenen Einwände geben dem Senat keine Veranlassung zu einer Abänderung der angefochtenen Entscheidung.

Das Amtsgericht ist zu Recht sowie ausführlich und zutreffend begründet zu der Einschätzung gelangt, dass den Kindeseltern das Sorgerecht zu entziehen ist, weil bei jedem von ihnen die Voraussetzungen der §§ 1666, 1666 a BGB vorliegen.

Gemäß § 1666 Abs. 1 BGB hat das Familiengericht die zur Abwendung der Gefahr erforderliche Maßnahmen zu treffen, wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet wird und die Eltern nicht gewillt oder in der Lage sind, die Gefahr abzuwenden. Dabei sind Maßnahmen, mit denen eine Trennung der Kinder von der elterlichen Familie verbunden ist, nur zulässig, wenn der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch öffentliche Hilfen, begegnet werden kann (§ 1666 a BGB).

Bei der Auslegung des Begriffs Kindeswohl ist zu berücksichtigen, dass gemäß Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG dem Erziehungsrecht der Eltern Vorrang zukommt und der Staat in dieses Erziehungsrecht nur nach Maßgabe des Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG bei strikter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eingreifen darf. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dient das den Eltern gemäß Art. 6 Abs. 2 GG gewährleistete Grundrecht auf Pflege und Erziehung ihres Kindes in erster Linie dem Kindeswohl, das zugleich oberste Richtschnur für die Ausübung der Elternverantwortung ist (BVerfG FamRZ 2004, 354, 355 m.w.N.; FamRZ 2008, 492).

Dabei gehört es nicht zum staatlichen Wächteramt gemäß Art. 6 Abs. 2 GG, für eine den Fähigkeiten des jeweiligen Kindes bestmögliche Förderung zu sorgen; vielmehr gehören die Eltern und deren gesellschaftliche und wirtschaftliche Verhältnisse grundsätzlich zum Schicksal und Lebensrisiko des Kindes (Palandt/Diederichsen, BGB, § 1666 Rdnr. 18). Im Rahmen der §§ 1666, 1666 a BGB ist stets zu beachten, dass kein Kind Anspruch auf "Idealeltern" und optimale Förderung und Erziehung hat und sich staatliche Eingriffe auf die Abwehr von Gefahren beschränkt. Keinesfalls kann es für eine Trennung des Kindes von den Eltern oder einem Elternteil ausreichen, dass es andere Personen oder Einrichtungen gibt, die zur Förderung und Erziehung eventuell besser geeignet wären.

Darüber hinaus ist bei der Prüfung der Kindeswohlgefährdung i.S. der §§ 1666, 1666 a BGB auch zu berücksichtigen, dass Art. 8 EMRK das Recht auf Achtung des Familienlebens garantiert und Eingriffe des Staates nur unter engen Voraussetzungen zulässt. Dieses Gebot einer Achtung des Familienlebens führt dazu, dass der Staat bei Vornahme von Eingriffen grundsätzlich so handeln muss, dass eine Fortentwicklung in der familiären Erziehung erfolgen kann; er hat geeignete Schutzmaßnahmen zu ergreifen, um die Eltern und das Kind zusammenzulassen (vgl. EuGHMR, FamRZ 2002, 1393).

Gemessen an den vorstehend genannten Kriterien ist die Herausnahme des Kindes aus dem Haushalt des Kindesvaters und der zeitweiligen Obhut der Kindesmutter gerechtfertigt gewesen und weiterhin unabdingbar, um einer weiteren Gefährdung insbesondere des seelischen aber auch des körperlichen Wohls von N B zu begegnen.

Nach den Ausführungen der Sachverständigen sind beide Eltern aufgrund ihrer jeweiligen Persönlichkeitsstrukturen unverschuldet erziehungsungeeignet.

Die daraus resultierende Gefährdung insbesondere der seelischen Entwicklung hat die Sachverständige nachvollziehbar und anschaulich dargestellt. Der Senat folgt dieser Einschätzung nach eigener kritischer Überzeugungsbildung.

Dabei kann letztlich dahinstehen, ob die festgestellte Erziehungsungeeignetheit des Kindesvaters ihre Ursache in der von der Sachverständigen zugrunde gelegten schizotypen Störung aus dem Formenkreis der Schizophrenie und wahnhaften Störungen hat.

Die Ungeeignetheit zur Erziehung wird jedenfalls durch sein - von der Sachverständigen anlässlich ihrer Untersuchungen festgestelltes - Verhalten gegenüber den im Haushalt lebenden Kindern im Allgemeinen und gegenüber N B im Besonderen sowie durch die in dem Haushalt vorgefundenen hygienischen Verhältnisse belegt.

Dabei fällt neben dem Erbrochenen auf dem Frühstückstisch, dem seit zwei Tagen in der Küche liegenden auftauenden Hähnchen, dem ständigen Aufenthalt des Hundes in der Küche, dem Verhalten des Kindesvaters gegenüber N B beim Anlegen der Hörgeräte (Fixieren), insbesondere die Erörterung aller in diesem Verfahren bedeutsamen Umstände einschließlich der Sexualpraktiken der Kindeseltern in Anwesenheit der damals fünf und achtjährigen Kinder der Lebensgefährtin sowie das Außerachtlassen aller diesbezüglichen Hinweise der Sachverständigen auf. Diese Schilderungen der Sachverständigen sind von dem Kindesvater nicht bestritten worden.

Im Übrigen ist kein Anhaltspunkt dafür ersichtlich, warum die dem Senat aus einer Vielzahl von Verfahren als sachkundig bekannte Sachverständige ihre Eindrücke im Haushalt des Kindesvaters unzutreffend wiedergeben sollte.

Die festgestellten Zustände finden überdies ihre Bestätigung in dem Vorfall im Dezember 2007, als das Baby der Aufsicht der Kinder der Lebensgefährtin überlassen und bei dieser Gelegenheit verletzt wurde. Auch dieser Vorfall wird vom Kindesvater relativiert und die Schuld bei der ältesten Tochter der Lebensgefährtin gesucht, ohne eigene Verantwortung und Fehler wahrzunehmen.

Dass dem Kindesvater für die eigenen Defizite jegliche Einsicht abgeht, ist - ebenso wie die von der Sachverständigen beschriebenen alogischen Gedankengänge - durch seine Erklärungen im Senatstermin hinlänglich deutlich geworden.

Das deutlichste Merkmal seiner Erziehungsungeeignetheit ist indes die von der Sachverständigen festgestellte und von der Verfahrenspflegerin ebenfalls beschriebene fehlende Bindungsbeziehung des Kindes. Dabei geht es nicht darum, ob das fehlende Fremdeln des Kindes auf ein falsches Erziehungsverhalten zurückzuführen und dem Kindesvater vorzuwerfen ist, sondern darum, dass ein gesund entwickeltes Kind im Alter von acht bis zwölf Monaten beginnende Bindungen eingeht und diese in dem sogenannten Fremdeln zum Ausdruck kommen.

Daran, dass der zum Zeitpunkt der Herausnahme fünfzehn Monate alte N B keinerlei Fremdeln erkennen ließ, zeigt sich deutlich, dass bis zu diesem Zeitpunkt tragfähige Bindungsbeziehungen des Kindes zu keinem seiner Elternteile bestanden. Die Verfahrenspflegerin hat anschaulich beschrieben, dass die Personen, die die Versorgung des Kindes übernahmen, für das Kind austauschbar waren und er bei jedem Wohlverhalten und Lächeln zeigte, was bei allen Beteiligten zu dem Eindruck führte, er wolle Schlimmeres verhindern.

Dazu passt wiederum der von der Sachverständigen im Haushalt des Kindesvaters beschriebene Umgangston und die von dem Kindesvater selbst ihr gegenüber geschilderten Erziehungsmethoden wie Stubenarrest, bei dem sogar für Toilettengänge um Erlaubnis gebeten werden muss und der durch Arbeitseinsatz abgearbeitet werden kann.

Das von der Bereitschaftspflegemutter beobachtete Verhalten des Kindes bei der Verabreichung von Nasentropfen lässt sich zwanglos mit dem von der Sachverständigen beschriebenen Verhalten des Vaters beim Wiederanlegen der Hörgeräte in Übereinstimmung bringen.

Sowohl die Kindesmutter als auch der Kindervater sind nicht in der Lage dem Kind die für eine gesunde seelische Entwicklung unverzichtbare Bindung zu geben.

Bei dem Kindesvater zeigt sich die fehlende Erfahrung tragfähiger Bindungen in der eigenen Kindheit bereits in seinen Äußerungen gegenüber der Sachverständigen zu den eigenen "leiblichen Erzeugern", die sich mit den Lehrern gegen ihn verschworen hatten, um die Erlangung eines adäquaten Schulabschlusses bei ihm zu verhindern.

Ähnliche Verschwörungstheorien äußert er nun gegenüber dem Jugendamt und der Sachverständigen.

Die Sachverständige hat nachvollziehbar dargelegt, dass an den von N B bei den Dauerpflegeeltern gezeigten Trennungsreaktionen deutlich wird, dass die Ursache für die bis zur Herausnahme fehlenden Bindungen nicht bei dem Kind sondern bei den Eltern zu suchen sind.

Es bestand vor dem Hintergrund der umfassenden Feststellungen der Sachverständigen keine Veranlassung zu weiterer Sachverhaltsaufklärung.

Insbesondere sah der Senat keine Veranlassung die Lebensgefährtin des Kindesvaters, an deren Erziehungsgeeignetheit nach Aktenlage und zwar nicht nur aufgrund der Beobachtungen der Sachverständigen zumindest Zweifel bestehen, als Zeugin für die angemessene Versorgung des Kindes durch den Kindesvater zu vernehmen

Die unverschuldete Erziehungsungeeignetheit der Kindesmutter beruht nach den nachvollziehbaren Ausführungen der Sachverständigen auf der bei ihr vorliegenden Persönlichkeitsstörung in Form einer asthenischen Persönlichkeitsstruktur.

Dabei handelt es sich um frühkindlich erworbene und überdauernde situationsübergreifende Persönlichkeitsmerkmale, die ihrerseits das Ergebnis frühkindlicher Bindungsstörungen sind.

Die Sachverständige hat im Senatstermin ausführlich dargelegt, dass die stationäre Therapie im St. S Hospital, der sich die Kindesmutter Ende 2008 unterzogen hat, und der erörterte positive Entlassungsbefund nur die auf dieser Persönlichkeitsstörung beruhenden sekundären Befunde, nämlich die reaktiven Depressionen und Angstzustände betreffen, die primäre Persönlichkeitsstörung dadurch aber nicht behoben oder nur gemildert sei. Das zeige sich bereits daran, dass es in der Vergangenheit immer wieder derartige Klinikaufenthalte gegeben habe, deren Folge jeweils eine kurzzeitige Besserung hinsichtlich der Nebensymptome - Belastungsdepression, Angstzustände und Alkoholmissbrauch - gewesen sei.

Dass auch bei der Kindesmutter nicht nur die Gefahr besteht, dem Kind die für eine gesunde seelische Entwicklung erforderliche exklusive Bindungsbeziehung nicht ermöglichen zu können, sondern zum Zeitpunkt der Herausnahme eine Bindungsstörung bei N B bereits bestand, wurde bereits dargelegt.

Nach den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen, denen der Senat folgt, wird die Kindesmutter aufgrund ihrer Persönlichkeitsstörung auch zukünftig nicht in der Lage sein, dem Kind die erforderliche belastbare Bindung zu bieten.

Da es dabei nicht um das Erlernen von Versorgungsleistungen und einen liebevollen Umgang mit dem Kind geht - insoweit wurden bei der Kindesmutter allenfalls geringfügige Defizite festgestellt -, sondern um grundlegende Persönlichkeitsmerkmale, die allenfalls in einem sehr langwierigen Prozess veränderbar sind, kann der darin liegenden Gefahr für das Kindeswohl auch nicht durch Maßnahmen i.S. des § 1666a BGB begegnet werden.

Der Senat übersieht dabei nicht die von der Kindesmutter in jeder Hinsicht geäußerte und auch bereits gezeigte Kooperationsbereitschaft mit dem Jugendamt und die von ihr geäußerte Absicht, mit dem Kind in eine Mutter-Kind-Einrichtung zu ziehen, die ebenfalls ihre Bereitschaft verdeutlicht, eigene Interessen hinter die Belange des Kindes zurückzustellen. Nach den Ausführungen der Sachverständigen wäre auch diese Maßnahme nicht geeignet, ihrer auf der Persönlichkeitsstörung beruhenden Bindungsunfähigkeit und der daraus resultierenden gravierenden Kindeswohlgefährdung zu begegnen.

Dass Maßnahmen i.S. des § 1666 a BGB bezüglich der beim Kindesvater festgestellten Erziehungsungeeignetheit nicht in Betracht kommen, ergibt sich bereits aus dem von ihm gezeigten Verhalten. Aufgrund der von ihm auch im Senatstermin mit Überzeugung vertretenen Verschwörungstheorien und des Fehlens jeglicher Einsicht in eigene Defizite fehlt es bei ihm an jeglicher Kooperationsbereitschaft mit staatlichen Stellen.

Ende der Entscheidung

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