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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 20.08.2003
Aktenzeichen: 11 UF 84/03
Rechtsgebiete: HausratsVO, FGG, ZPO


Vorschriften:

HausratsVO § 2
HausratsVO § 3
HausratsVO § 3 I
HausratsVO § 13
FGG § 19
ZPO § 148
1.

Eine trotz fehlender gesetzlicher Regelung auch im FGG-Verfahren mögliche Aussetzung wegen Vorgreiflichkeit setzt voraus, dass die in einem anderen Verfahren zu erwartende Entscheidung einen rechtlich erheblichen Einfluss auf die zu treffende Entscheidung hat; ein nur rein tatsächlicher Einfluss rechtfertigt eine Aussetzung aus Gründen der bloßen Zweckmäßigkeit nicht.

2.

Zu den Voraussetzungen einer vom Grundsatz des § 3 I HausratsVO abweichenden Wohnungszuweisung.


Oberlandesgericht Hamm Beschluss

11 UF 84/03 OLG Hamm

In der Familiensache

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragstellers vom 14.05.2003 wird der Beschluss des Amtsgerichts Warendorf vom 09.05.2003 aufgehoben.

Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.

Der Gegenstandswert der Beschwerde wird auf bis zu 3.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Parteien sind durch -hinsichtlich des Scheidungsausspruchs rechtskräftiges-Verbundurteil des Amtsgerichts Warendorf vom 19.07.2002 geschiedene Eheleute, die im Rahmen eines vor dem Senat anhängigen Parallelverfahrens (11 UF 279/02 OLG Hamm) um Ansprüche auf Versorgungs- und Zugewinnausgleich sowie den Anspruch der Antragsgegnerin auf nachehelichen Unterhalt streiten.

Der Antragsteller ist Alleineigentümer des Hausgrundstücks M in W in dem sich neben mehreren Mietwohnungen auch die nach Behauptung des Antragstellers ca. 200 qm große vormaligen Ehewohnung befindet, die seit der 1993 erfolgten Trennung der Parteien miet- und weitgehend kostenfrei von der Antragsgegnerin allein bewohnt wird.

Im vorliegenden Verfahren begehrt der Antragsteller die Zuweisung der Ehewohnung zur alleinigen Nutzung durch ihn. Zur Begründung verweist er darauf, dass er mit Ausnahme der gezogenen Mieteinnahmen ohne eigenes Einkommen sei, gleichwohl aber alle Kosten des Objektes des Objektes M trage. Solange die Antragsgegnerin weiterhin die vormalige Ehewohnung nutze, sei er an einer angemessenen wirtschaftlichen Verwertung seines Hausgrundstücks gehindert.

Die Antragsgegnerin ist dem Antrag entgegengetreten. Sie hat eingewandt, der Antragsteller habe ihr wiederholt versprochen, sie könne die vormalige Ehewohnung lebenslang unentgeltlich nutzen. Daneben hat sie darauf verwiesen, seit 35 Jahren in der Wohnung zu leben und aus gesundheitlichen wie auch aus finanziellen Gründen nicht in der Lage zu sein, einen Umzug durchzuführen.

Das Amtsgericht hat durch den angefochtenen Beschluss die Aussetzung des Verfahrens bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die im Parallelverfahren streitbefangenen Anträge zum Zugewinnausgleich und zum Nachscheidungsunterhalt angeordnet. Es hat zur Begründung ausgeführt, die Aussetzung sei erforderlich, um anhand des Ergebnisses des Parallelverfahrens beurteilen zu können, ob die Zuweisung der Ehewohnung an die Antragsgegnerin ausnahmsweise zur Abwendung einer unbilligen Härte geboten sei. Auch könne erst danach abschließend beurteilt werden, ob eine in dem Zuweisungsverlangen des Antragstellers möglicherweise liegende Kündigung eines etwaigen Leihvertrages über die Wohnung als unzulässige Rechtsausübung angesehen werden müsse.

Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Antragstellers, der das Amtsgericht nicht abgeholfen hat.

II.

Die Beschwerde des Antragstellers ist als einfache Beschwerde nach § 19 FGG i.V.m. § 13 HausratsVO zulässig (Keidel/Kuntze/Winkler, FGG, 14. Aufl., § 19 Rz. 13; Bumiller/Winkler, FGG, 7. Aufl., § 19 Rz. 6; OLG Brandenburg, FamRZ 1996, 496 /). Sie richtet sich zwar nur gegen eine Zwischenentscheidung, nämlich die Aussetzung des Wohnungszuweisungsverfahrens. Da hierdurch aber eine Entscheidung vorläufig abgelehnt wird, ist der Antragsteller mit der Folge der Beschwerdeberechtigung in seinen Rechten betroffen.

Die Beschwerde ist weiterhin auch in der Sache begründet.

1.

Auch im FGG-Verfahren, das keine ausdrückliche Regelung zur Aussetzung enthält, kommt eine Aussetzung wegen Vorgreiflichkeit in Betracht, wenn das Gericht sie nach pflichtgemäßem Ermessen für erforderlich hält und den Parteien die Verzögerung des Rechtsstreits zugemutet werden kann (Keidel/Kuntze/Kayser, aaO. § 12 Rz. 64 ff., § 19 Rz. 13; Bumiller/Winkler, FGG, aaO. § 12 Rz. 39, § 19 Rz. 6, jew. m.w.N.).

Im Rahmen der Beschwerde kann die Entscheidung des Amtsgerichts dabei durch den Senat allein daraufhin überprüft werden, ob überhaupt ein Fall der Vorgreiflichkeit vorliegt oder das Amtsgericht sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt hat (OLG Köln, OLGR 2002, 217; vgl. auch OLG München NJW-RR 1995, 779).

2.

Auch unter Berücksichtigung dieses nur eingeschränkten Prüfungsumfangs erweist sich die angefochtene Entscheidung indes als fehlerhaft, da eine Aussetzung des Verfahrens mit der vom Amtsgericht gegebenen Begründung verfahrensrechtlich nicht möglich ist.

a)

Bereits die tatbestandlichen Voraussetzungen einer Aussetzung nach § 148 ZPO liegen nicht vor, da es an einer Vorgreiflichkeit zwischen dem hiesigen Verfahren und dem Verfahren 11 UF 279/02 OLG Hamm fehlt. Vorgreiflichkeit im Sinne von § 148 ZPO ist gegeben, wenn die Entscheidung im auszusetzenden Rechtsstreit nicht erfolgen kann, ohne daß über eine für beide Verfahren gemeinsame Vorfrage entschieden wird. Zwar ist hierbei nicht zu verlangen, daß über die Vorfrage im anderen Prozess mit Rechtskraftwirkung für das auszusetzende Verfahren entschieden wird. Erforderlich ist aber, daß die im anderen Verfahren zu erwartende Entscheidung geeignet ist, einen rechtlich erheblichen Einfluss auf die Entscheidung auszuüben. Das ist hier nicht der Fall und wird auch vom Amtsgericht nicht nachvollziehbar dargelegt. Ein rein tatsächlicher Einfluss, der eine Aussetzung zweckmäßig erscheinen lässt, genügt dagegen nicht (Stein/Jonas-Roth, ZPO, 21. Aufl., § 148 Rn. 13 ff.; Baumbach/Lauterbach/Albers-Hartmann, ZPO, 60. Aufl., § 148 Rn. 3; Zöller/G reger, ZPO, 23. Aufl., § 148 Rn. 5; Thomas-Putzo, ZPO, 19. Aufl., Rn. 3).

Soweit in der Literatur eine gegenteilige Auffassung vertreten wird (vgl. etwa Peters in MüKo-ZPO, § 148 Rn. 10), vermag der Senat dem nicht zu folgen. Jede Partei hat einen Anspruch auf Durchführung des Verfahrens innerhalb eines angemessenen, nicht übermäßig langen Zeitraums. Dieser aus dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes entspringende Anspruch wird beeinträchtigt, wenn der Partei die Entscheidung unter Hinweis auf ein noch nicht abgeschlossenes Verfahren verweigert wird, auf das sie keinen Einfluss nehmen kann.

b)

Die Aussetzung des Rechtsstreites erweist sich auch aus anderen Gründen als rechtswidrig.

Das Amtsgericht hat sein Ermessen nicht rechtsfehlerfrei ausgeübt. Weder dem Aussetzungsbeschluss noch dem Nichtabhilfebeschluss ist zu entnehmen, dass das Amtsgericht überhaupt eine Abwägung bezüglich der mit der Aussetzung verbundenen Verzögerung des Verfahrens vorgenommen und dabei die Umstände, die für und gegen eine Aussetzung sprechen, unter Einbeziehung der widerstreitenden Interessen der Parteien gegeneinander abgewogen hat. Auch eine Prognose über den Ausgang des aus seiner Sicht präjudizierenden Rechtsstreites hat das Amtsgericht nicht angestellt. Die erforderliche Abwägung ergibt, dass eine Aussetzung des Verfahrens nicht rechtmäßig ist, da das Interesse der Antragsgegnerin an einer Aussetzung des Verfahrens das Interesse der Antragstellers an einer baldigen Entscheidung nicht überwiegt.

Ausgangspunkt der rechtlichen Überlegungen muss hier sein, dass nach § 3 I HausratsVO die Ehewohnung grundsätzlich dem Alleineigentümer, hier dem Antragsteller, zuzuweisen ist. Der dem Richter in § 2 HausratsVO eingeräumte Ermessensspielraum besteht damit nicht. Eine Abweichung von diesem Grundsatz kommt nach § 3 HausratsVO vielmehr nur in Betracht, wenn dies notwendig erscheint, um eine andernfalls eintretende unerträgliche Belastung für den anderen Ehegatten abzuwenden (Palandt-Brudermüller, 61. Aufl. § 3 HausratsVO Rz. 2). In einem solchen Fall ist dabei zudem die Zuweisungsdauer unter Festsetzung eines Nutzungsentgelts (BayObLG FamRZ 1974, 22, 24) oder Begründung eines Mietverhältnisses (BayObLG FamRZ 1965, 513) zeitlich zu begrenzen (Johannsen/Henrich a.a.O., Rn. 8 zu § 3 HausratsVO; OLG München FamRZ 1995, 1205 ff, 1206).

aa)

Bereits der letztgenannte Gesichtspunkt steht in Widerspruch zu der Überlegung des Amtsgerichts, dass sich das Vorliegen einer unbilligen Härte i.S.d. § 3 HausratsVO auf Seiten der Antragsgegnerin erst nach Abschluss des parallel geführten Streits der Parteien um Zugewinnausgleich und Unterhalt abschließend entscheiden lasse.

bb)

Überdies kann eine unbillige Härte aber auch nur dann angenommen werden, wenn die Zuweisung der Ehewohnung an den Ehegatten, der Alleineigentümer der Wohnung ist, für den anderen Ehegatten eine ungewöhnlich schwere Beeinträchtigung darstellen würde (OLG Naumburg, FamRZ 2002, 672; OLG München, FamRZ 1995, 1205 f; Palandt-Brudermüller, aaO., jeweils m.w.N.). Für die Annahme einer unbilligen Härte reichen dabei nach anerkannter Auffassung bloße Unannehmlichkeiten im Zusammenhang mit dem vorzunehmenden Wohnungswechsel allein ebenso wenig aus wie Schwierigkeiten bei der Beschaffung einer adäquaten Ersatzwohnung. Auch der Umstand, dass sowohl aufgrund des erforderlich werdenden Umzugs als auch wegen der danach voraussichtlich von der Antragsgegnerin zu zahlenden Miete neue finanzielle Belastungen auf sie zukommen werden, stellt für sich genommen -zumal vor dem Hintergrund des vorhandenen Vermögens der Antragsgegnerin- insoweit wird ergänzend auf ihren eigenen Vortrag im vor dem Senat anhängigen Rechtsstreit 11 UF 279/02 OLG Hamm verwiesen, dessen Akten der Senat zu Informationszwecken beigezogen hat- keine außergewöhnlich schwere Härte dar.

Hinzu kommt, dass wegen des Ausnahmecharakters des § 3 HausratsVO (OLG Stuttgart OLGZ 68, 126, 128) auch fehlende oder nur unzureichende Unterhaltsleistungen allein noch nicht die Annahme einer unbilligen Härte rechtfertigen, da die Zuweisung der Ehewohnung nicht zu einer Art Naturalunterhalt führen soll, der etwaige Unterhaltslücken schließt (OLG München, aaO.).

Soweit die Antragsgegnerin daneben auf gesundheitliche Beeinträchtigungen verweist, die ihr einen Wohnungswechsel angeblich unmöglich machen, fehlt hierzu bislang jeder konkrete Vortrag zu deren Schwere, Dauer und den tatsächlichen Auswirkungen, insbesondere was die behaupteten psychischen Beeinträchtigungen und deren Therapierbarkeit anbelangt.

cc)

Schließlich rechtfertigt auch der Hinweis des Amtsgerichts auf einen zwischen den Parteien möglicherweise bestehenden Leihvertrag über die vormalige Ehewohnung sowie die Treuwidrigkeit einer etwaigen Kündigung dieses Vertrages durch den Antragsteller keine Aussetzung des Wohnungszuweisungsverfahrens, da bereits das Bestehen eines derartigen Leihvertrages streitig ist und mithin weiterer Klärung bedürfte, bevor hieran weitergehende Erwägungen geknüpft werden können.

3.

Die Nebenentscheidung beruhen auf §§ 131 I 2, 30 KostO.

Ende der Entscheidung

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