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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 13.06.2008
Aktenzeichen: 11 W 85/07
Rechtsgebiete: StVollzG, BGB, ZPO, VorschverfG NW, StrEG


Vorschriften:

StVollzG § 18
StVollzG § 18 Abs. 1 S. 1
StVollzG §§ 109 ff
StVollzG § 114 Abs. 1
StVollzG § 114 Abs. 2
StVollzG § 114 Abs. 3
StVollzG § 115
StVollzG § 116
StVollzG § 144 Abs. 2
StVollzG § 201 Nr. 3
StVollzG § 201 Nr. 3 S. 1
BGB § 253 Abs. 2
BGB § 254
BGB § 839
BGB § 839 Abs. 3
ZPO § 114
ZPO § 127 Abs. 2
VorschverfG NW § 1 Abs. 3 Satz 2
StrEG § 7 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 05.11.2007 wird der Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Arnsberg abgeändert.

Dem Antragsteller wird ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt U aus C zu den Bedingungen eines in B ansässigen Rechtsanwalts für den Antrag bewilligt, das beklagte Land zu verurteilen, an ihn 2.420,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen und den Antragsteller von seinen Zahlungsverpflichtungen gegenüber seinen Verfahrensbevollmächtigten aus deren Kostenrechnung vom 13.06.2007 in Höhe von 272,87 € freizustellen.

Die weitergehende sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Die Gerichtsgebühr für das Beschwerdeverfahren ist auf die Hälfte zu ermäßigen.

Gründe:

I.

Der Antragsteller, der in der (vor dem 01.01.1977 errichteten) JVA X eine Freiheitsstrafe verbüßte, begehrt mit seiner beabsichtigten Klage vom Land Nordrhein-Westfalen die Zuerkennung eines angemessenen Schmerzensgeldes wegen der Unterbringung in verschiedenen Gemeinschaftshafträumen.

Er war unstreitig vom 02.10.2006 bis zum 17.10.2006 - nach seiner Behauptung bis zum 02.11.2006 - zusammen mit 2 weiteren Gefangenen in einem 18 qm großen Gemeinschaftsraum untergebracht. Die Mitgefangenen waren starke Raucher, während der Antragsteller selbst nach unwidersprochenem Vortrag lediglich zwei Zigaretten täglich raucht. Die Toilette befand sich im Haftraum und war durch einen Stoffvorhang abgetrennt.

In der Zeit vom 12.12.2006 bis zum 17.01.2007 war der Antragsteller sodann mit einem weiteren Gefangenen - ebenfalls Raucher - in einem etwa 10 qm großen Raum untergebracht. Auch hier war die im Haftraum befindliche Toilette an einer Seite mit einem Vorhang abgetrennt, während an der anderen Seite eine Holzwand als Abtrennung diente.

Vom 17.01.2007 bis zum 08.06.2007 war der Antragsteller schließlich wieder mit zwei weiteren Gefangenen - ebenfalls Raucher - in einem 16 qm großen Haftraum untergebracht, die mit 2 Doppelbetten, 3 Stühlen, 2 Tischen und 4 Schränken ausgestattet war. Die Toilette, die nach unwidersprochenem Vortrag des Antragstellers eine Grundfläche von 4 qm in Anspruch nahm, war baulich abgetrennt und verfügte über eine gesonderte Entlüftung. Nach unwidersprochenem Vortrag des Antragstellers war ein Mitgefangener HIV-positiv und wachte nachts auf und schrie, während der andere geschnarcht hat.

Ob und wie häufig der Antragsteller, der selbst an Hepatitis C erkrankt ist, eine Verlegung beantragt hat, ist streitig. Rechtsmittel hat der Antragsteller insoweit jedenfalls nicht ergriffen. Die JVA war in dem hier maßgeblichen Zeitraum permanent überbelegt.

Der Antragsteller macht geltend, dass die oben näher dargestellte gemeinschaftliche Unterbringung gegen das Gebot menschenwürdiger Unterbringung verstoßen habe. Das begründe eine Amtspflichtverletzung, für die das Land zumindest wegen Organisationsverschuldens hafte. Die Dauer der Unterbringung unter menschenunwürdigen Vollzugsbedingungen erfordere zur Genugtuung und Prävention eine Geldentschädigung, die für die in der Zeit vom 02.10.2006 bis zum 17.01.2007 erfolgte gemeinschaftliche Unterbringung an 66 Tagen mit 100 € pro Tag anzusetzen sei und für die Zeit vom 17.01.2007 bis zum 08.06.2007 an 143 Tagen mit 50,00 € pro Tag. Ferner verlangt der Antragsteller Freistellung von vorgerichtlichen Anwaltskosten seiner Bevollmächtigten.

Das Land ist dem entgegengetreten und macht geltend, die Belastungen infolge der gemeinschaftlichen Unterbringung sei durch die Ausübung einer Beschäftigung durch den Antragsteller sowie durch Freistunden, Sportveranstaltungen und Umschluss gemildert worden. Der Antragsteller sei zudem weitgehend mit seiner Unterbringung einverstanden gewesen. Zwar habe seinen Anträgen vom 18.12.2006 und 20.01.2007 nicht entsprochen werden können. Dagegen habe er aber Widerspruch nicht eingelegt. Zudem sei der Antragsteller mit der zuletzt erfolgten Verlegung in den Gemeinschaftshaftraum mit 3 Plätzen und abgetrennter Toilette einverstanden gewesen, zumindest habe er danach keine Verlegung mehr beantragt.

Das Landgericht hat den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, der Anspruch scheitere bereits daran, dass der Antragsteller den Primärrechtsschutz in Form eines Antrages auf gerichtliche Entscheidung nach §§ 109 ff StVollzG einschließlich der Möglichkeit einstweiligen Rechtsschutzes entgegen § 839 Abs. 3 BGB nicht in Anspruch genommen habe. Ergänzend sei darauf hinzuweisen, dass die Klage auch im übrigen keine Erfolgsaussichten habe, weil auch bei menschenunwürdiger Unterbringung kein Anspruch bestehe. Zwischen rechtswidriger Unterbringung und Geldentschädigung bestehe kein Junktim, vielmehr hänge die Beurteilung von den Umständen des Einzelfalles ab, beispielsweise der Dauer der Unterbringung sowie deren psychische und physischen Folgen. Hier habe der Antragsteller psychische oder physische Beeinträchtigungen weder substantiiert dargelegt noch unter Beweis gestellt.

Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seiner rechtzeitig eingelegten sofortigen Beschwerde, mit der er unter Wiederholung und Vertiefung des erstinstanzlichen Vortrages seinen ursprünglichen Antrag weiterverfolgt. Er meint, das Landgericht habe ihm zu Unrecht angelastet, den gebotenen Primärrechtsschutz nicht ausgeschöpft zu haben. In diesem Zusammenhang verweist er namentlich darauf, dass Verlegungsanträge seitens der JVA X nicht beschieden worden seien und die Strafvollstreckungskammer bei dem Landgericht Arnsberg in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten habe, ohne Durchführung eines Widerspruchsverfahrens könne eine einstweilige Anordnung nicht ergehen. Der Antragsteller macht zudem geltend, ihm sei die Notwendigkeit eines Widerspruchs nicht bekannt gewesen.

Das Land verteidigt die angefochtene Entscheidung und verweist auf die Hausordnung der JVA X, die bei Aufnahme eines Gefangenen im Haftraum ausgelegt werde und aus der sich die Rechtsmittelmöglichkeiten ergäben.

Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde mit näheren Ausführungen nicht abgeholfen.

II.

Die gem. § 127 Abs. 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde hat teilweise Erfolg. Die beabsichtigte Klage hat nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Aussicht auf Erfolg im Sinne von § 114 ZPO.

1.

Auf der Grundlage des für die Bewilligung von Prozesskostenhife maßgeblichen Vortrags des Antragstellers liegen die Voraussetzungen für einen Amtshaftungsanspruch nach § 839 BGB in Verbindung mit Art 34 GG vor.

1.1

Die in der Zeit vom 01.10.2006 bis zum 08.06.2007 erfolgten gemeinschaftlichen Unterbringungen des Antragstellers stellen eine Amtspflichtverletzung dar. Diese Unterbringungen waren rechtswidrig. Sie verstießen gegen Art. 1 und 2 Abs. 1 GG sowie Art 3 EMRK.

1.1.1

Allerdings ergibt sich eine solche Amtspflichtverletzung nicht schon aus der gemeinschaftlichen Unterbringung als solcher.

1.1.1.1

Zwar sieht § 18 Abs. 1 Satz 1 StVollzG grundsätzlich eine Einzelunterbringung von Strafgefangenen während der Ruhezeiten vor. Jedoch gilt für Anstalten, mit deren Errichtung bereits vor Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes am 01.01.1977 begonnen wurde, was auf die Justizvollzugsanstalt X zutrifft, gem. § 201 Nr. 3 StVollzG eine Ausnahme. Danach dürfen abweichend von § 18 StVollzG während der Ruhezeiten Gefangene auch gemeinsam untergebracht werden, solange die räumlichen Verhältnisse der Anstalt dies erfordern.

Die Vorschrift verfolgt das Ziel, in den vor dem genannten Zeitpunkt errichteten Anstalten die Anwendung des § 18 Abs. 1 S. 1 StVollzG zu suspendieren. Der Gesetzgeber will damit verhindern, dass Strafgefangene in diesen Anstalten ohne eine Einschränkungsmöglichkeit im Einzelfall einen einfachgesetzlichen Anspruch auf Einzelunterbringung erfolgreich geltend machen können (BGH NJW 2006, 306 <309>). Mit dieser Regelung wird demnach auch einem in der Anstalt bestehendem Platzmangel begegnet (OLG Celle, NJW 2004, 2766). Gefangene dürfen danach, falls dies die beschränkten Raumverhältnisse erfordern und es die persönliche Disposition des Gefangenen erlaubt, in Altanstalten weiterhin mit bis zu sieben weiteren Personen untergebracht werden (vgl. auch BGH NJW 2006, 306 <309>). Auch wenn es sich bei der Vorschrift des § 201 Nr. 3 S. 1 StVollzG um ein Zeitgesetz handelt, wird der Zeitpunkt des Außer-Kraft-Tretens nicht bestimmt. Dieser Mangel beeinträchtigt aber die Wirksamkeit dieser Norm nicht, da die fehlende Befristung innerhalb des Gestaltungsermessens des Gesetzgebers liegt und von sachlichen Erwägungen getragen wird (vgl. BGH NJW 2006, 306 <307>).

Dem stehen nicht die vom Antragsteller angeführten europäischen Strafvollzugsgrundsätze entgegen. Soweit in den sogenannten European Prison Rules weitere Einschränkungen für die gemeinschaftliche Unterbringung enthalten sind, vermag das eine Rechtswidrigkeit nicht zu begründen. Denn bei den European Prison Rules handelt es sich lediglich um Empfehlungen des Europarates, die keine innerstaatliche Gesetzeskraft haben und den Anwendungsbereich des § 201 Nr. 3 S. 1 StVollzG nicht einschränken (vgl. Callies/Müller-Dietz, Strafvollzugsgesetz, 10. Auflage, Einl. Rdnr. 48).

Kann wegen Überbelegung der Anstalt nicht jedem Gefangenen ein Einzelhaftraum zur Verfügung gestellt werden, hat die Justizvollzugsanstalt im Anwendungsbereich des § 201 Nr. 3 StVollzG das ihr im Rahmen ihrer Organisationshoheit zustehende Ermessen in zwei Stufen auszuüben: Zunächst ist zu klären, ob dem Gefangenen aus besonderen Gründen ein Einzelhaftraum zugewiesen werden kann bzw. muss. Ist dies nicht der Fall, ist zu klären, mit wie vielen und welchen Gefangenen er in einer Zelle untergebracht wird. Das bei beiden Entscheidungen zustehende Ermessen ist an nachvollziehbaren und mit dem Strafvollzugsgesetz in Einklang stehenden Kriterien auszurichten (OLG Celle NJW 2004, 2766).

1.1.1.2

Eine Amtspflichtverletzung unter diesem Gesichtspunkt lässt sich dem Vorbringen des Antragstellers nicht entnehmen. Soweit der Antragsteller in diesem Zusammenhang darauf verweist, die Mitgefangenen seien starke Raucher gewesen, lässt sich daraus ein Ermessensfehler nicht ableiten. Der Antragsteller ist nämlich selbst Raucher, so dass die Entscheidung, einen Haftraum insgesamt mit Rauchern zu belegen, nicht zu beanstanden ist. Dass der Antragsteller bereit gewesen wäre, selbst das Rauchen in der Zelle zu unterlassen und insoweit eine Zusammenlegung mit einem Nichtraucher zu ermöglichen, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich. Unabhängig davon ist auch nicht ersichtlich, dass der Anstaltsleitung die vorgetragenen unterschiedlichen Rauchgewohnheiten bekannt waren oder bekannt sein mussten.

Auch der Umstand, dass ein Mitgefangener HIV-positiv war und ein weiterer geschnarcht hat, rechtfertigt nicht die Annahme eines Ermessensfehlers.

Insoweit handelt es sich ebenso wie bei der Hepatitis C - Erkrankung des Antragstellers um keine Eigenschaften, die einer gemeinschaftlichen Unterbringung als solcher entgegenstanden.

Soweit der Antragsteller schließlich Beeinträchtigungen bemängelt, die unabhängig von der baulichen Beschaffenheit der Toilette allein mit deren gemeinsamer Benutzung durch verschiedene Personen einhergehen, begründet auch das keinen Ermessensfehler, weil ebenso wie in anderen öffentlichen Einrichtungen (auch) in einer Justizvollzugsanstalt kein Anspruch auf eine Einzeltoilette besteht.

1.1.2

Die Amtspflichtverletzung ergibt sich hier jedoch daraus, dass die gemeinschaftliche Unterbringung in den konkret in Rede stehenden Hafträumen menschenunwürdig war. Das begründet einen Verstoß gegen Art. 1 und 2 Abs. 1 GG sowie zugleich gegen Art 3 EMRK.

1.1.2.1

Die gemeinschaftliche Unterbringung eines Gefangenen kann gegen die Menschenwürde des betroffenen Strafgefangenen verstoßen.

Das Recht auf Achtung seiner Würde kann auch dem Straftäter nicht abgesprochen werden, mag er sich in noch so schwerer und unerträglicher Weise gegen die Werteordnung der Verfassung vergangen haben (BVerfG NJW 2002, 2700 <2701 m.w.N.>). Strafgefangene haben einen Anspruch auf eine menschenwürdige Unterbringung (BVerfG NJW 2006, 1580 m.w.N.). In der Strafvollstreckung ist zu beachten, dass die menschliche Würde unmenschliches, erniedrigendes Strafen verbietet und der Täter nicht unter Verletzung seines verfassungsrechtlich geschützten sozialen Wert- und Ausgleichsanspruchs zum bloßen Objekt der Vollstreckung herabgewürdigt werden darf. Aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip ist daher gerade für den Strafvollzug die Verpflichtung des Staates herzuleiten, jenes Existenzminimum zu gewähren, das ein menschenwürdiges Dasein überhaupt erst ausmacht (BVerfG NJW 2006, 1580 <1581 m.w.N.>).

Daraus folgt allerdings nicht, dass jedwede gemeinschaftliche Unterbringung menschenunwürdig ist. Der BGH hat selbst bei der durch die Strafvollstreckungskammer bindend ausgesprochenen Feststellung eines Verstoßes gegen den Anspruch auf Einzelunterbringung gem. § 18 Abs. 1 S. 1 StVollzG ausgeführt, dass die bloße gemeinsame Unterbringung eines Gefangenen entgegen § 18 Abs. 1 S. 1 StVollzG ohne Hinzutreten erschwerender, den Gefangenen benachteiligender Umstände nicht als Verstoß gegen die Menschenwürde anzunehmen ist (BGH NJW 2006, 3572). Dem folgt der Senat.

Die Frage, ob solche erschwerenden Umstände vorliegen, stellt eine Beurteilung des Einzelfalls dar. Sie ist abhängig von der Größe (Grundfläche und Rauminhalt) und Ausstattung (insbesondere in sanitärer Hinsicht) sowie Belegung (Anzahl der in dem Haftraum gleichzeitig untergebrachten Gefangenen) des Haftraums. Dabei sind an den Haftraum bestimmte Mindestanforderungen zu stellen. Er muss hinsichtlich seiner Größe und Ausgestaltung so beschaffen sein, dass das Recht auf Achtung der Menschenwürde gewahrt bleibt. Das schließt die Pflicht ein, die Privat- und Intimssphäre des Gefangenen als Ausdruck seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG) tunlichst zu wahren (BVerfG ZfStrVo 1997, 111). Daneben kann aber auch von Bedeutung sein, in welchen Zeiträumen und zu welchen Zwecken sich der einzelne Gefangene in dem betreffenden Haftraum aufhalten muss bzw. musste. Folgt allerdings bereits aus der Art der (gemeinsamen) Unterbringung, dass die Menschenwürde des Gefangenen berührt ist, kommt es für die verfassungsrechtliche Beurteilung auf die Dauer der Mehrfachunterbringung nicht mehr an; dann sind auch die genauen Aufenthaltszeiten in der Zelle für die Frage einer menschenunwürdigen Unterbringung rechtlich unerheblich (vgl. OLG Frankfurt NJW 2003, 2843, <2845>). Denn Achtung und Schutz der Menschenwürde ist aller staatlichen Gewalt gem. Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG auferlegt und verbietet demgemäß auch eine nur vorübergehende menschenunwürdige Behandlung (BverfG NJW 2002, 2699 <2700>). Der Dauer der Unterbringung kommt demgemäß lediglich für die Frage Bedeutung zu, ob aus den menschenunwürdigen Haftbedingungen auch ein Entschädigungsanspruch folgt.

Eine menschenunwürdige Unterbringung ist nach Art. 1 und 2 Abs. 1 GG rechtswidrig. Ferner verstößt sie zugleich gegen den innerstaatlich mit Gesetzeskraft geltenden (BGH NJW 1993, 2927) Art. 3 EMRK, wonach niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden darf. Diese Regelung legt den Staaten die Verpflichtung auf sicherzustellen, dass jeder Gefangene unter Bedingungen festgehalten wird, die mit der Achtung der Menschenwürde vereinbar sind, und dass seine Gesundheit und sein Wohlbefinden unter Berücksichtigung der praktischen Erfordernisse der Haft angemessen sichergestellt werden (EGMR NJOZ 2007, 2934 und NJW 2001, 2694).

Hingegen ist Art 5 EMRK vorliegend nicht einschlägig. Er erfasst nur den rechtswidrigen Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßnahme als solcher, nicht aber die Modalitäten des Strafvollzugs (BGH NJW 1993, 2927 <2928>). Zwar ist anerkannt, dass auch die Umstände des Vollzugs die Rechtmäßigkeit der Haft in Frage stellen können, etwa wenn infolge der Haftbedingungen Vollzugsuntauglichkeit eintritt (BGH a.a.O.). Eine solche Konstellation liegt hier jedoch nicht vor. Die beanstandete Unterbringung in einer Gemeinschaftszelle führt nicht zur Rechtswidrigeit des mit der Vollstreckung der Strafhaft einhergehenden Freiheitsentzugs. Soweit dies teilweise anders gesehen wird (OLG Celle, NJW-RR 2004, 380), vermag der Senat dem nicht zu folgen.

1.1.2.2

Bei Anwendung dieser Maßstäbe liegt hier in der gemeinschaftlichen Unterbringung des Antragstellers ein Verstoß gegen die Menschenwürde vor.

Der Haftraum, in dem der Antragsteller zunächst zusammen mit 2 weiteren Gefangenen seit dem 02.10.2006 untergebracht war, hatte eine Größe von circa 18 m² Fläche. Die Toilette war nur durch einen Vorhang abgetrennt und nicht gesondert entlüftet. Die Größe des Haftraumes, in dem der Antragsteller sodann ab dem 12.12.2006 mit einem weiteren Gefangene untergebracht war, betrug etwa 10 m², wobei die Toilette ebenfalls nicht baulich, sondern nur durch einen Vorhang abgetrennt war. Schließlich betrug die Größe des Haftraums, den der Antragsteller in der Zeit vom 17.01.2007 bis zum 08.06.2007mit zwei weiteren Gefangenen teilen musste, etwa 16 m², wobei etwa 4 m² auf die baulich abgetrennte Toilette entfiel.

Konkrete Anforderungen an die Mindestgröße eines Haftraums enthält das StVollzG nicht. Eine zur Festlegung einer solchen Größe nach § 144 Abs. 2 StVollzG mögliche Rechtsverordnung fehlt bislang. Es ist auch in der Rechtsprechung noch nicht geklärt, welche Mindestgröße der Haftraum bei dessen Mehrfachbelegung nicht unterschreiten darf (vgl. die Zusammenstellung bei Arloth/Lückemann, StVollzG, § 144 Rn 2 und Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, 10. Aufl., § 144 Rn 1). Teilweise ist die Belegung eines Haftraums mit zwei Gefangenen bei einer Zellengröße von 9 m² bzw. 9,82 m² mit räumlich abgetrennter Nasszelle mit Toilette und Waschbecken von 1,3 m² bzw. 1,42 m² nur als eine Verletzung einfachen Rechts, nicht hingegen von Art. 1 Abs. 1 GG, angesehen worden (OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2005, 224 und OLG Celle NStZ-RR 2003, 316). Demgegenüber ist eine menschenunwürdige Unterbringung in einem Fall angenommen worden, in dem sich drei Gefangene eine Zelle teilen mussten, die abzüglich der Fläche für die abgetrennte Toilette eine Gesamtgröße von ca. 9 m² aufwies (OLG Frankfurt, NStZ-RR 2005, 155).

Vor diesem Hintergrund können die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Klage des Antragstellers im Sinne des § 114 ZPO nicht verneint werden. Der Senat hält einen Verstoß gegen die Menschenwürde jedenfalls dann für naheliegend, wenn die Grundfläche der Zellengröße pro Gefangenem 5 m² unterschreitet. Denn darin läge eine deutliche Unterschreitung derjenigen Mindestgröße, die in der Literatur als Untergrenze ernsthaft erwogen wird (Kaiser/Kerner/Schöch, Strafvollzug, 5. Aufl., § 7 Rdnr. 86: mindestens 7 m²). Bei einer Grundfläche von weniger als 5 m² ist die Fortbewegungsmöglichkeit und Freizeitbeschäftigung des Gefangenen auf der Fläche, die ihm unter Berücksichtigung des für die Möblierung notwendigen Flächenbedarfs noch verbleibt, bereits derart eingeschränkt, dass von einer menschenwürdigen Unterbringung kaum mehr die Rede sein kann. Die Klärung der Einzelheiten dieser bislang in der Rechtsprechung nicht abschließend beantworteten Frage ist dem Hauptsacheverfahren vorzubehalten, wobei im vorliegenden Verfahren eine Grundfläche von 5 m² in keinem der in Rede stehenden Hafträume unterschritten worden ist.

Unabhängig von der Zellengröße führt hier jedenfalls die sanitäre Ausstattung in den ersten beiden in Rede stehenden Hafträumen zur Annahme einer menschenunwürdigen Unterbringung. Die Toilette war räumlich nicht abgetrennt. Der Vorhang bot weder hinreichenden Sicht- noch Geräusch- oder Geruchsschutz. In dieser Situation wird im Falle der Toilettenbenutzung durch einen Gefangenen in unzumutbarer Weise allen Gefangenen jeder Rückzugsraum genommen, in ihre Intimsphäre eingegriffen und ihre Menschenwürde negiert.

Die Menschenunwürdigkeit einer derartigen Haftraumbelegung entspricht allgemeiner Auffassung in Rechtsprechung und Literatur (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 20.01.2005 - 1 Vollz (Ws) 147/04, BeckRS 2005, 02424 und OLG Hamburg, OLGR 2005, 306 sowie OLG Frankfurt, NJW 2003, 2843 jeweils mit weiteren Nachweisen). Sie ergibt sich aus der Missachtung der menschlichen Subjektivität unter Verletzung der körperlichen und psychischen Identität und Integrität.

1.2

Die Amtspflichtverletzung in Form der menschenunwürdigen Unterbringung des Antragstellers ist auch schuldhaft begangen worden.

Bei der Beurteilung des Verschuldens ist nicht auf die an Ort und Stelle zuständigen Justizbediensteten abzustellen, denen angesichts der Überbelegung der Justizvollzugsanstalt keine andere Wahl der Unterbringung geblieben sein dürfte. Maßgeblich ist vielmehr das Organisationsverschulden des Landes. Ein erheblicher Mangel an Einzelhaftplätzen stellt nämlich keinen hinreichenden Grund dafür dar, geltendes Recht zu unterlaufen (BGH NJW 2005, 58 <59>). Das gilt unabhängig vom jeweiligen Grund für den Mangel an Einzelhaftplätzen in der betreffenden Justizvollzugsanstalt. Ein solcher Mangel mag eine gemeinschaftliche Unterbringung rechtfertigen, keinesfalls aber eine solche zu menschenunwürdigen Bedingungen (ebenso OLG Hamburg, a.a.O.).

1.3

Die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Klage sind nicht auf einen bestimmten Zeitraum beschränkt. Allerdings kommt das unter dem Gesichtspunkt des § 839 Abs. 3 BGB in Betracht, wenn der Antragsteller durch den zumutbaren Gebrauch von Rechtsmitteln die Dauer der Unterbringung zu menschenunwürdigen Bedingungen hätte verkürzen können. Es obliegt jedoch dem Land, diese Voraussetzungen darzulegen und gegebenenfalls im Hauptsacheverfahren nachzuweisen.

1.3.1

Nach § 839 Abs. 3 BGB tritt die Ersatzpflicht nicht ein, wenn es der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden. Es handelt sich dabei um eine besondere Ausprägung des Mitverschuldensprinzips, das in seiner allgemeinen Form in § 254 BGB niedergelegt ist. Die Bestimmung geht davon aus, dass nur demjenigen Schadensersatz zuerkannt werden kann, der sich in gehörigem und ihm zumutbaren Maße für seine eigenen Belange eingesetzt und damit den Schaden abzuwenden bemüht hat (vgl. BGH NJW 1971, 1694 <1695>). Es soll nicht erlaubt sein, den Schaden entstehen oder größer werden zu lassen, um ihn schließlich gewissermaßen als Lohn für eigene Untätigkeit, dem Beamten oder dem Staat in Rechnung zu stellen (BGH NJW 1971, 1694 <1695>). Der Betroffene hat kein freies Wahlrecht zwischen dem primären Rechtsschutz und der sekundären Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen (BVerfG NJW 2000, 1402). Anders als § 254 BGB führt die Regelung in § 839 Abs. 3 BGB bei jeder Form schuldhafter Mitverursachung zum völligen Anspruchsverlust (MünchKomm/Papier, BGB, 4. Auflage, § 839 Rdn. 329).

Rechtsmittel sind alle Rechtsbehelfe im weitesten Sinne, die sich unmittelbar gegen ein bereits erfolgtes, sich als Amtspflichtverletzung darstellendes Verhalten richten und darauf abzielen und geeignet sind, einen Schaden dadurch abzuwenden oder zu mindern, dass dieses schädigende Verhalten beseitigt oder berichtigt wird (BGH NJW 2003, 1208 <1203> und NJW-RR 2004, 706; Palandt/Sprau, BGB, 67. Auflage (2008), § 839 Rdn. 69). Dazu gehören insbesondere auch Gegenvorstellungen, Erinnerungen, Beschwerden und Dienstaufsichtsbeschwerden (BGH NJW 1974, 639 <640>).

Die Kausalität zwischen der Nichteinlegung des Rechtsbehelfs und dem Schadenseintritt ist in der Regel zu bejahen, wenn über den Rechtsbehelf voraussichtlich zugunsten des Geschädigten entschieden worden wäre; sie ist zu verneinen, wenn die schädigende Amtspflichtverletzung durch den Rechtsbehelf nicht mehr hätte beseitigt oder berichtigt werden können. Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, wie die Behörde oder das Gericht richtigerweise hätte entscheiden müssen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt nach der Rechtsprechung des BGH, der der Senat folgt, nur, wenn eine Verwaltungsbehörde zur Überprüfung ihres eigenen Handelns veranlasst werden soll (BGH NJW 1986, 1924) oder wenn es um die (hypothetische) Entscheidung eines Gerichts geht und ersichtlich eine einigermaßen zuverlässige Beurteilung, wie richtigerweise zu entscheiden gewesen wäre, nicht ohne weiteres möglich ist (vgl. BGH NJW 2003, 1308 <1313>).

Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Betroffene den Schaden durch Einlegung eines Rechtsmittels hätte abwenden können, trägt der in Anspruch genommene Schädiger (BGH NJW 1986, 1924 <1925>; MünchKomm/Papier, BGB, 4. Auflage (2004), § 839 Rdn. 333).

Ob § 839 Abs. 3 BGB auch für den verschuldensunabhängigen Anspruch aus Art. 5 Abs. 5 EMRK gilt (so OLG München NJW 2007, 1986 und OLG Naumburg NJW 2005, 514), kann dahinstehen. Denn menschenunwürdige Vollzugsmodalitäten werden - wie dargelegt - nicht von Art. 5 EMRK sondern von Art. 3 EMRK erfasst. Dass ein - hier vorliegender - Verstoß gegen Art. 3 EMRK den Anwendungsbereich des § 839 Abs. 3 BGB einschränkt, ist nicht ersichtlich. Das ergibt sich nach Auffassung des Senats auch nicht mittelbar aus Art 41 EMRK. Nach dieser Regelung kann der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte der verletzten Partei eine gerechte Entschädigung zusprechen, wenn das innerstaatliche Recht nur eine unvollkommene Wiedergutmachung für die Folgen einer u.a. Konventionsverletzung gestattet und dies notwendig ist. Danach löst nicht jede Konventionsverletzung zwingend einen Entschädigungsanspruch aus. Vielmehr hängt ein solcher Anspruch von der Prüfung der Notwendigkeit ab, innerhalb derer der Mitverschuldenseinwand nicht unberücksichtigt bleiben kann. Dazu gehört auch der schuldhafte Nichtgebrauch von Rechtsmitteln zur Abwendung der Konventionsverletzung.

1.3.2

Nach diesen Grundsätzen lässt sich im Prozesskostenhilfeverfahren ein Haftungsausschluss oder eine Haftungsbegrenzung nicht feststellen. Es liegen keine tragfähigen Erkenntnisse darüber vor, ob und gegebenefalls innerhalb welchen Zeitraums die Einlegung der Rechtsmittel, die dem Antragsteller gegen die menschenunwürdige Unterbringung nach dem Gesetz offenstanden, zu einer vorzeitigen Beendigung der menschenunwürdigen Unterbringung geführt hätte.

1.3.2.1

Dem Antragsteller standen folgende Rechtsmittel zur Verfügung:

Gegen die Verlegung/Einweisung in den konkreten Haftraum kann der Gefangene sich beim Leiter der Justizvollzugsanstalt über die ihm menschenunwürdig erscheinenden Umstände beschweren. Bleibt eine solche Beschwerde erfolglos, ist nach dem Vorschaltverfahrensgesetz NW (VorschverfG NW) binnen einer Woche Widerspruch einzulegen, der keine aufschiebende Wirkung hat. Wenn die Behörde dem Widerspruch nicht abhilft, legt sie ihn mit einer Stellungnahme der nächsthöheren Behörde vor. Die nächsthöhere Behörde erlässt eine Widerspruchsentscheidung. Dagegen kann der Gefangene gerichtliche Entscheidung nach § 109 StVollzG binnen einer Frist von 2 Wochen beantragen, wobei der Antrag nach § 114 Abs. 1 StVollzG keine aufschiebende Wirkung hat. Nach § 114 Abs. 2 StVollzG kann Aussetzung des Vollzugs der angefochtenen Maßnahme oder der Erlaß einer einstweiligen Anordnung beantragt werden; dieser Antrag ist nach § 114 Abs. 3 StVollzG auch schon vor Stellung des Antrags nach § 109 StVollzG zulässig und gem. § 1 Abs. 3 Satz 2 VorschverfG NW auch schon vor Entscheidung über den Widerspruch, soweit das wegen der besonderen Umstände des Falles geboten ist.

1.3.2.2

Die Nichtergreifung dieser zur Verfügung stehenden Rechtsmittel dürfte regelmäßig schuldhaft sein.

Das bewusste Absehen von Rechtsmitteln wäre ein vorsätzliches Unterlassen. Soweit dem Gefangenen das dargelegte Rechtsmittelsystem unbekannt gewesen sein sollte, ist ihm Fahrlässigkeit anzulasten. Dabei ist unerheblich, ob die Hausordnung Hinweise auf Rechtsmittel enthält und diese in den Hafträumen ausgelegen hat oder sonst zugänglich war. Denn jedenfalls bestand insoweit eine Erkundigungspflicht. Dazu hätte der Gefangene sich etwa an fachkundige Mitarbeiter in der Anstalt (Sozialarbeiter, Betreuungspersonal) oder hilfsweise an Mitgefangene wenden können und müssen. Notfalls musste er sich der Hilfe eines Rechtsanwaltes bedienen.

Ein Verschulden könnte jedoch ausgeschlossen sein, wenn die Ergreifung der Rechtsmittel unzumutbar war. Das ist indes regelmäßig nicht der Fall. Eine Unzumutbarkeit ergibt sich namentlich nicht daraus, dass wegen der permanenten Überbelegung der Justizvollzugsanstalt die Anstaltsleitung eine einem Rechtsmittel stattgebende Entscheidung nur unter Verstoß gegen die Menschenwürde eines anderen Gefangenen, der an Stelle des Antragstellers in den betreffenden Haftraum hätte verlegt werden müssen, hätte befolgen können. In dieser Situation stellt sich das Absehen von Rechtsmitteln vielmehr so dar, dass der Antragsteller - statt anderer Gefangener - die menschenunwürdige Behandlung hinnimmt und für dieses für ihn freiwillige Opfer eine Entschädigung begehrt. Das liefe auf ein dem Amtshaftungsrecht fremdes, weil § 839 Abs. 3 BGB widersprechendes, Wahlrecht zwischen einerseits der Ergreifung von Rechtsmitteln und andererseits der Duldung und anschließender Liquidation hinaus.

1.3.2.3

Es kann jedoch im Prozesskostenhilfeverfahren nicht zu Lasten des Antragstellers von einer Kausalität zwischen dem Unterlassen der Ergreifung zur Verfügung stehender Rechtsmittel und der Fortdauer der menschenunwürdigen Unterbringung bis zu deren tatsächlicher Beendigung ausgegangen werden.

Es liegen keine tragfähigen Erkenntnisse darüber vor, ob und gegebenenfalls innerhalb welchen Zeitraums die Einlegung der Rechtsmittel zu einer vorzeitigen Beendigung der menschenunwürdigen Unterbringung geführt hätte.

Zwar rechtfertigt allein die permanente Überbelegung in der Justizvollzugsanstalt in der Regel nicht die Annahme, dass Rechtsmittel von vornherein aussichtslos und damit ohne Erfolg geblieben wären. Das käme nur dann in Betracht, wenn generell keine menschenwürdigen Unterbringungsmöglichkeiten bestanden oder jedenfalls eine solche Möglichkeit für den Antragsteller nicht gegeben war (so war die Sachlage im Fall OLG Celle, NJW-RR 2004, 380). Das lässt sich vor dem Hintergrund ständiger Fluktuation in den Anstalten und des Vorhandenseins menschenwürdiger Hafträume kaum annehmen, bedarf aber im Einzelfall gegebenenfalls der Klärung im Hauptsacheverfahren.

Jedoch hängt die gebotene Prognose des Erfolgs von Rechtsmitteln davon ab, innerhalb welchen Zeitraumes das nach dem VorschverfG NW erforderliche Widerspruchsverfahren mit welchem voraussichtlichen Ergebnis abgeschlossen worden wäre, wann und mit welchem Ergebnis die jeweils zuständige Strafvollstreckungskammer entschieden hätte und ob der Gefangene danach gegebenenfalls noch ein Rechtsbeschwerdeverfahren nach § 116 StVollzG hätte durchführen müssen sowie innerhalb welchen Zeitraumes eine gerichtliche Anweisung umgesetzt worden wäre.

Hierbei kann nicht ohne weiteres zu Lasten des Antragstellers unterstellt werden, dass ein Widerspruchsverfahren oder jedenfalls der Antrag nach § 115 StVollzG bei der Strafvollstreckungskammer Erfolg gehabt hätten. Dem steht die dem Senat aus verschiedenen Fällen bekannte Verwaltungspraxis entgegen, wonach auf Beschwerden keine Abhilfe geschaffen, sondern Gefangene lediglich auf eine sog. "Warteliste" für Einzelhafträume gesetzt worden sind und auch Strafvollstreckungskammern fehlerhaft eine menschenunwürdige Unterbringung verneint haben, so dass möglicherweise erst in einem Rechtsbeschwerdeverfahren auf der Grundlage der seit den Entscheidungen des BGH vom 04.11.2004 (NJW 2005, 58) und des hiesigen 1. Strafsenats vom 20.01.2005 (Az.: 1 Vollz (Ws) 147/04) gefestigten Rechtsprechung zu Gunsten des Antragstellers entschieden worden wäre.

Vor diesem Hintergrund verbietet sich im Prozesskostenhilfeverfahren eine verlässliche Prognose. Die dazu notwendigen Fragen sind im Hauptsacheverfahren zu klären, wenn und soweit von dem insoweit darlegungs- und beweispflichtigen Land hinreichender Sachvortrag erfolgt.

2.

Der Höhe nach rechtfertigt das Vorbringen des Antragstellers einen Anspruch auf Geldentschädigung von 15 € pro Tag für die ersten 66 Tage gemeinschaftlicher Unterbringung sowie 10 € pro Tag für die Unterbringung in der Zeit vom 17.01.2007 bis zum 08.06.2007 mithin insgesamt 2.420,00 €.

2.1

Wie der BGH (NJW 2005, 58 <59>) ausgeführt hat, ist der geltend gemachte Schaden einerseits kein Vermögensschaden, andererseits auch kein bloßes Schmerzensgeld im Sinne des § 253 Abs. 2 BGB. Es geht vielmehr um den Ausgleich einer Verletzung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) und des aus Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG hergeleiteten allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Die Zubilligung einer Geldentschädigung in bestimmten Fällen der Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts beruht auf dem Gedanken, dass ohne einen solchen Anspruch Verletzungen der Würde und Ehre des Menschen häufig ohne Sanktion blieben, mit der Folge, dass der Rechtsschutz der Persönlichkeit verkümmern würde (BGH a.a.O.). Anders als beim Schmerzensgeldanspruch steht bei dem Anspruch auf eine Geldentschädigung wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Gesichtspunkt der Genugtuung des Opfers im Vordergrund.

2.2

Nach diesen Maßstäben kommt nach Auffassung des Senats eine Entschädigung in Höhe einer Bandbreite von 10 € bis zu 30 € je Tag für menschenunwürdige Unterbringungen der hier in Rede stehenden Art in Betracht. Welcher Betrag innerhalb dieser Bandbreite im konkreten Fall angemessen ist, hängt jeweils von den konkreten Umständen der Unterbringung ab.

2.2.1

Die Bandbreite von 10 € bis 30 € trägt der Bedeutung und Tragweite des Eingriffs und dem nicht unerheblichen Organisationsverschulden des haftenden Landes Rechnung.

Dabei ist besonders zu berücksichtigen, dass aufgrund der mangelnden Kapazitäten der Justizvollzugsanstalt zwangsläufig ständig eine bestimmte Anzahl an Gefangenen menschenunwürdig untergebracht war und die jeweiligen Gefangenen, denen diese Unterbringung auferlegt wurde, das als Zusatzstrafe empfinden mussten. Auch wenn diese Art der Unterbringung durch die Justizvollzugsanstalt aus dem Zwang der akuten Überbelegung erfolgt ist und nicht eine bewusst schikanöse Behandlung gerade des Antragstellers darstellt, so beruht sie letztlich auf einem durchaus erheblichen (Organisations-)Verschulden des Landes. Es ist jedenfalls im Prozesskostenhilfeverfahren nicht festzustellen - und muss bei geeignetem Vortrag gegebenenfalls der Klärung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben -, ob das Land geeignete Maßnahmen ergriffen hat, die seit Jahren bekannte Problematik (zutreffend schon OLG Celle, NJW-RR 2004, 380) der Überbelegung der Justizvollzugsanstalten und die Frage der auch bei beengten finanziellen Verhältnisse erforderlichen und verfassungsrechtlich gebotenen menschenwürdigen Unterbringung von Gefangenen zu lösen, was vor dem Hintergrund der dem Senat aus vielen verschiedenen Fällen bekannten chronischen Notsituation in unterschiedlichen Haftanstalten zweifelhaft erscheint, die in der Vergangenheit offenbar immer wieder zu menschenunwürdiger Unterbringung einzelner Gefangener nötigte und Anlass zur Bildung sogenannter Wartelisten für Einzelhaftplätze war.

Die Höhe der zuzubilligenden Entschädigung ist nicht auf eine Entschädigung innerhalb der Grenzen des Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen beschränkt, wonach unschuldig erlittene Haft gem. § 7 Abs. 3 StrEG nur mit 11, € täglich entschädigt wird. Nach der Intention dieses Gesetzes, das einen Aufopferungsanspruch gesetzlich regelt (BGHZ 72, 302 <305>), sollen nur die üblichen Unzuträglichkeiten, die die Haft mit sich bringt, ausgeglichen werden. Daneben bleiben aber Ansprüche außerhalb des StrEG wegen atypischer Folgen des Vollzugs oder der rechtswidrigen Anordnung der Haft bestehen (BGH VersR 1993, 972).

Auch wenn es hier um Ausgleich und Genugtuung für eine schuldhafte Beeinträchtigung durch unzulässige Haftbedingungen geht, muss dieser Eingriff aber nicht ohne Weiteres schwerer wiegen als der Verlust der Freiheit (vgl. KG, OLGReport 2005, 813 <814>). Zu beachten ist aber auch, dass die Entschädigung nach StrEG verschuldensunabhängig gewährt wird, während eine Entschädigung unter Amtshaftungsgesichtspunkten ein Verschulden voraussetzt. Hinzu kommt, dass in den nach StrEG zu entschädigenden Fällen die Untersuchungs- bzw. Strafhaft nur bei rückblickender Betrachtung als ungerechtfertigt anzusehen ist, während es hier um einen von vornherein rechtswidrigen Eingriff handelt (OLG Hamburg, OLG-Report 2005, 306), der dem betroffenen Gefangenen infolge von Organisationsmängeln des Landes bewusst zugefügt worden ist.

Die Abwägung dieser Umstände lässt allein aufgrund der objektiven Gegebenheiten der Unterbringung - ohne die zusätzliche Berücksichtigung im Einzelfall etwa in Betracht kommender weiterer subjektiver Beeinträchtigungen - eine Entschädigung von unter 10 € oder über 30 € täglich regelmäßig ausgeschlossen erscheinen.

2.2.2

Welcher Betrag innerhalb dieser Bandbreite im konkreten Fall angemessen ist, hängt jeweils von den konkreten Umständen der in Rede stehenden Unterbringung ab.

Dabei ist insbesondere das Ausmaß der Beeinträchtigungen in den Blick zu nehmen und auch die Frage, in welchem zeitlichen Umfang der Gefangene täglich den menschenunwürdigen Bedingungen ausgesetzt gewesen ist, ohne sich dem in zumutbarer Weise - etwa durch Ausübung einer Arbeitstätigkeit und Teilnahme an angebotenen Freizeitbeschäftigungen - entziehen zu können, zu berücksichtigen.

Soweit Beeinträchtigungen im Zusammenhang mit der Person und oder dem Verhalten des oder der Mitgefangenen hergeleitet werden, kommt dem regelmäßig eine Entschädigungsrelevanz nur zu, wenn der Gefangene gerade dadurch in seiner körperlichen Unversehrtheit oder in seinem körperlichen Wohlbefinden (zusätzlich) unzumutbar beeinträchtigt ist.

Wenn sich keine Besonderheiten aus den konkreten Umständen der Unterbringung ergeben, die die Beeinträchtigung als besonders erschwerend oder andererseits als weniger gravierend erscheinen lassen, dürfte bei einer gemeinschaftlichen Unterbringung ohne hinreichend abgetrennten Sanitärbereich vielfach ein Mittelwert von 20 € pro Tag als Entschädigung angemessen sein, während eine Überbelegung in einer Zelle mit abgetrennter Toilette kaum einen über die untere Grenze der Bandbreite von 10 € pro Tag hinausgehenden Betrag zu rechtfertigen vermag.

Der Senat steht mit dieser Beurteilung im Einklang mit der Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte, die in vergleichbaren Fällen einer gemeinschaftlichen Unterbringung ohne hinreichend abgetrennten Sanitärbereich Entschädigungsbeträge von 20 € (KG OLG Report, 2005, 813; OLG Karlsruhe NJW-RR 2005, 1267 <2.000,00 € für 98 Tage>) bzw. 25 € (OLG Hamburg OLG Report 2005, 306) in Betracht gezogen haben. Soweit darüberhinaus auch Beträge von 50 € (OLG München NJW 2007, 1986) oder gar 100 € (OLG Celle NJW 2003, 2463) diskutiert worden sind, vermag sich der Senat dem nicht anzuschließen.

2.2.3

Daraus folgt für den vorliegenden Fall, dass die Klage des Antragstellers auf eine Entschädigung für 66 Tage zu je 15,00 € = 990,00 € und für 143 Tage zu je 10,00 € = 1.430,00 € also insgesamt 2.420,00 €Aussicht auf Erfolg hat.

Zu Gunsten des Antragstellers ist der von ihm konkret und hinreichend substantiiert behauptete und - soweit vom Land bestritten - unter Zeugenbeweis gestellte Unterbringungszeitraum im Prozesskostenhilfeverfahren zu berücksichtigen. Die Aufklärung des genauen streitigen Zeitraums bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.

Umstände, die die Unterbringung des Antragstellers in den ersten beiden Gemeinschaftshafträumen als besonders erschwerend oder als weniger gravierend erscheinen lassen, ergeben sich aus seinem Vortrag nicht und sind auch sonst nicht ersichtlich. Aus den bereits dargelegten Gründen kommt den insoweit angeführten Umständen (Unterbringung mit starken Rauchern; Mitgefangener HIV positiv, Mitgefangener schnarcht) keine Relevanz zu. Da hier eine Grundfläche von 5 m² nicht unterschritten worden ist, kommt insoweit eine höhere Entschädigung als 15,00 € je Kalendertag und für die Unterbringung in dem zuletzt in Rede stehenden Haftraum eine höhere Entschädigung als 10 € pro Tag nicht in Betracht. Welche Entschädigung bis zu diesen Höchstbeträgen im konkreten Fall angemessen ist, muss der Klärung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.

3.

Erfolgsaussichten zum Freistellungsantrag bestehen nur in Höhe von 316,18 €. Die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe zur außergerichtlichen Geltendmachung des Amtshaftungsanspruch war nur nach einem Gegenstandswert von 2.420,00 € angemessen und erforderlich. Die nach VV RVG Nr. 2300 entstandene 1,3 Geschäftsgebühr beträgt 209,30 €; zuzüglich der Auslagenpauschale von 20,00 € und Mehrwertsteuer ergibt sich ein Gesamtkostenbetrag von 272,87 €, dessen Freistellung der Antragsteller in voller Höhe verlangen kann, weil - entgegen seiner insoweit nicht maßgeblichen Rechtsansicht - die Geschäftsgebühr nicht zur Hälfte auf die Verfahrensgebühr anzurechnen ist, vielmehr die Verfahrensgebühr auf die Geschäftsgebühr anzurechnen ist (vgl. BGH NJW 2007, 2049), und der danach berechtigte Betrag noch hinter dem Antrag des Antragstellers zurückbleibt.

4.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 127 Abs. 4 ZPO und Nr. 1811 Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG.

Ende der Entscheidung

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