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Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 13.06.2008
Aktenzeichen: 11 W 86/07
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, StVollzG, ZPO, VorschverfG NW, StrEG, GKG


Vorschriften:

ZPO § 127 Abs. 2
ZPO § 127 Abs. 4
ZPO § 114
BGB § 253 Abs. 2
BGB § 254
BGB § 839
BGB § 839 Abs. 3
StVollzG § 18
StVollzG § 18 Abs. 1 S. 1
StVollzG § 109
StVollzG § 114 Abs. 1
StVollzG § 114 Abs. 2
StVollzG § 114 Abs. 3
StVollzG § 115
StVollzG § 116
StVollzG § 144 Abs. 2
StVollzG § 201 Nr. 3
StVollzG § 201 Nr. 3 S. 1
ZPO § 114
VorschverfG NW § 1 Abs. 3 Satz 2
StrEG § 7 Abs. 3
GKG § 3 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 05.11.2007 wird der Beschluss der 4. Zivilkammer des Landgerichts Arnsberg vom 17.10.2007 abgeändert.

Dem Antragsteller wird ratenfreie Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt U aus C zu den Bedingungen eines ortsansässigen Anwalts für den Antrag bewilligt, das beklagte Land zu verurteilen, an ihn 2.880,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen und ihn von seiner Zahlungsverpflichtung in Höhe von 316,18 € gegenüber seinen Verfahrensbevollmächtigten aus deren Kostenrechnung vom 11.06.2007 freizustellen.

Die weitergehende sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.

Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Die Gerichtsgebühr für das Beschwerdeverfahren ist auf die Hälfte zu ermäßigen.

Gründe:

I.

Der Antragsteller, der in der (vor dem 01.01.1977 errichteten) JVA X eine Freiheitsstrafe verbüßt, begehrt mit seiner beabsichtigten Klage vom Land Nordrhein-Westfalen die Zuerkennung einer Entschädigung wegen der Unterbringung in einem Gemeinschaftshaftraum über einen Zeitraum von insgesamt 285 Tagen sowie Freistellung von Kosten, die ihm durch die außergerichtliche Tätigkeit seiner Prozessbevollmächtigten berechnet worden sind.

Er war vom 02.11.2006 bis zum 06.11.2006 im Haftraum F 2/18 mit zwei weiteren Gefangenen untergebracht. Dieser Haftraum war mit einer abgetrennten und gesondert entlüfteten Toilette ausgestattet. Vom 06.11.2006 bis zum 13.08.2007 war er jeweils mit einem weiteren Gefangenen zunächst im Haftraum F 3/24, dann im Haftraum F 3/26 und schließlich im Haftraum F 3/53 untergebracht, die sämtlich eine Bodenfläche von 11,15 m² hatten und mit 2 Betten, 2 Stühlen, 1 Tisch und 2 Kleiderschränken. Ferner befand sich eine Toilette in dem Raum, die nur durch einen Vorhang abgetrennt war und keine gesonderte Entlüftung hatte.

Einem Antrag des Antragstellers vom 09.05.2007 auf Einzelunterbringung wurde durch die Anstaltsleitung nicht stattgegeben. Ihm ist allerdings am 16.05.2007 die Verlegung in einen etwa 21 m² großen Haftraum mit abgetrennter Toilette angeboten worden, der mit zwei weiteren Gefangenen belegt war. Dieses Angebot hat der Antragsteller nicht angenommen.

Zwischen den Parteien ist streitig, ob und wann der Antragsteller bereits zuvor Verlegungsanträge gestellt hat.

Die JVA war in dem hier maßgeblichen Zeitraum unstreitig permanent überbelegt.

Der Antragsteller macht geltend, dass die gemeinschaftliche Unterbringung in den Hafträumen gegen das Gebot menschenwürdiger Unterbringung verstoßen habe. Das begründe eine Amtspflichtverletzung, für die das Land zumindest wegen Organisationsverschuldens hafte. Im Haftraum F 2/18 sei er von den beiden Mitgefangenen an der Religionsausübung gehindert worden, die für ihn als gläubigen Moslem fünf tägliche Gebete erfordere. Die anschließende Unterbringung mit jeweils einem weiteren Gefangenen habe ihn abgesehen von der Toilettensituation stark belastet, weil die Mitgefangenen starke Raucher gewesen seien und er den Gefahren des Passivrauchen ausgesetzt gewesen sei. Zwar sei er selbst auch Raucher, die Rauchbelastung durch zwei Raucher auf einem derart engen Raum sei aber ungleich größer. Die ihm am 16.05.2007 angebotene Verlegung sei für ihn nicht akzeptable gewesen, weil die beiden bereits in dem angebotenen Haftraum untergebrachten Häftlinge bereits im Vorfeld deutlich gemacht hätten, sie wüssten es zu verhindern, wenn er seine Gebete machen oder gar albanische Musik hören wolle. Ein Schmerzensgeld von 100 € pro Tag der menschenunwürdigen Unterbringung sei angemessen.

Das Land ist dem entgegengetreten und macht geltend, der Antragsteller habe die ihm angebotene Verlegung in den größeren Haftraum abgelehnt. Überdies seien die Belastungen auch durch Teilnahmemöglichkeiten an Freizeitveranstaltungen und der seit dem 18.12.2006 erfolgten Zuweisung einer Arbeitstätigkeit abgemildert gewesen. Es bestehe kein Junktim zwischen der Verletzung der Menschenwürde und einem Anspruch auf Geldentschädigung. Die verlangte Entschädigung sei in jedem Fall übersetzt.

Das Landgericht hat den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, ein Anspruch scheitere bereits daran, dass der Antragsteller den gebotenen Primärrechtsschutz nicht in Anspruch genommen habe. Ergänzend sei darauf hinzuweisen, dass der Antragsteller auch gesundheitliche Beeinträchtigungen aufgrund der ggf. zur Rechtswidrigkeit führenden Umstände nicht substantiiert dargelegt habe. Dies und der Umstand, dass der Antragsteller von Rechtsschutzmöglichkeiten keinen Gebrauch gemacht habe, zeige, dass die Mindestschwelle nicht überschritten worden sei, die zur Auslösung eines Schmerzensgeldes erreicht sein müsse.

Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seiner rechtzeitig eingelegten sofortigen Beschwerde, mit der er unter Wiederholung und Vertiefung des erstinstanzlichen Vortrages seinen ursprünglichen Antrag weiterverfolgt.

Das Land verteidigt die angefochtene Entscheidung.

II.

Die gem. § 127 Abs. 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde hat teilweise Erfolg. Die beabsichtigte Klage hat nur in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Aussicht auf Erfolg im Sinne von § 114 ZPO.

1.

Auf der Grundlage des für die Bewilligung von Prozesskostenhife maßgeblichen Vortrags des Antragstellers liegen die Voraussetzungen für einen Amtshaftungsanspruch nach § 839 BGB in Verbindung mit Art 34 GG vor.

1.1

Die in der Zeit vom 06.11.2006 bis zum 16.05.2007 erfolgte gemeinschaftliche Unterbringung des Antragstellers in den jeweiligen Hafträumen stellt eine Amtspflichtverletzung dar. Diese Unterbringung war rechtswidrig. Sie verstieß gegen Art. 1 und 2 Abs. 1 GG sowie Art 3 EMRK.

1.1.1

Allerdings ergibt sich eine solche Amtspflichtverletzung nicht schon aus der gemeinschaftlichen Unterbringung als solcher.

1.1.1.1

Zwar sieht § 18 Abs. 1 Satz 1 StVollzG grundsätzlich eine Einzelunterbringung von Strafgefangenen während der Ruhezeiten vor. Jedoch gilt für Anstalten, mit deren Errichtung bereits vor Inkrafttreten des Strafvollzugsgesetzes am 01.01.1977 begonnen wurde, was auf die Justizvollzugsanstalt X zutrifft, gem. § 201 Nr. 3 StVollzG eine Ausnahme. Danach dürfen abweichend von § 18 StVollzG während der Ruhezeiten Gefangene auch gemeinsam untergebracht werden, solange die räumlichen Verhältnisse der Anstalt dies erfordern.

Die Vorschrift verfolgt das Ziel, in den vor dem genannten Zeitpunkt errichteten Anstalten die Anwendung des § 18 Abs. 1 S. 1 StVollzG zu suspendieren. Der Gesetzgeber will damit verhindern, dass Strafgefangene in diesen Anstalten ohne eine Einschränkungsmöglichkeit im Einzelfall einen einfachgesetzlichen Anspruch auf Einzelunterbringung erfolgreich geltend machen können (BGH NJW 2006, 306 <309>). Mit dieser Regelung wird demnach auch einem in der Anstalt bestehendem Platzmangel begegnet (OLG Celle, NJW 2004, 2766). Gefangene dürfen danach, falls dies die beschränkten Raumverhältnisse erfordern und es die persönliche Disposition des Gefangenen erlaubt, in Altanstalten weiterhin mit bis zu sieben weiteren Personen untergebracht werden (vgl. auch BGH NJW 2006, 306 <309>). Auch wenn es sich bei der Vorschrift des § 201 Nr. 3 S. 1 StVollzG um ein Zeitgesetz handelt, wird der Zeitpunkt des Außer-Kraft-Tretens nicht bestimmt. Dieser Mangel beeinträchtigt aber die Wirksamkeit dieser Norm nicht, da die fehlende Befristung innerhalb des Gestaltungsermessens des Gesetzgebers liegt und von sachlichen Erwägungen getragen wird (vgl. BGH NJW 2006, 306 <307>).

Dem stehen nicht die vom Antragsteller angeführten europäischen Strafvollzugsgrundsätze entgegen. Soweit in den sogenannten European Prison Rules weitere Einschränkungen für die gemeinschaftliche Unterbringung enthalten sind, vermag das eine Rechtswidrigkeit nicht zu begründen. Denn bei den European Prison Rules handelt es sich lediglich um Empfehlungen des Europarates, die keine innerstaatliche Gesetzeskraft haben und den Anwendungsbereich des § 201 Nr. 3 S. 1 StVollzG nicht einschränken (vgl. Callies/Müller-Dietz, Strafvollzugsgesetz, 10. Auflage, Einl. Rdnr. 48).

Kann wegen Überbelegung der Anstalt nicht jedem Gefangenen ein Einzelhaftraum zur Verfügung gestellt werden, hat die Justizvollzugsanstalt im Anwendungsbereich des § 201 Nr. 3 StVollzG das ihr im Rahmen ihrer Organisationshoheit zustehende Ermessen in zwei Stufen auszuüben: Zunächst ist zu klären, ob dem Gefangenen aus besonderen Gründen ein Einzelhaftraum zugewiesen werden kann bzw. muss. Ist dies nicht der Fall, ist zu klären, mit wie vielen und welchen Gefangenen er in einer Zelle untergebracht wird. Das bei beiden Entscheidungen zustehende Ermessen ist an nachvollziehbaren und mit dem Strafvollzugsgesetz in Einklang stehenden Kriterien auszurichten (OLG Celle NJW 2004, 2766).

1.1.1.2

Eine Amtspflichtverletzung unter diesem Gesichtspunkt lässt sich dem Vorbringen des Antragstellers nicht entnehmen. Er beanstandet unter diesem Gesichtspunkt zwar, mit starken Rauchern untergebracht worden zu sein. Das begründet jedoch keinen Ermessensfehler. Das infolge des Rauchens des Mitgefangenen verursachte Passivrauchen unterscheidet sich qualitativ nicht von dem eigenen Aktivrauchen und dem zugleich damit verursachten Passivrauchen. Dass der Antragsteller bereit gewesen wäre, selbst das Rauchen in der Zelle zu unterlassen und insoweit eine Zusammenlegung mit einem Nichtraucher zu ermöglichen, ist weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

Soweit der Antragsteller sich zur Begründung seines Antrages auch auf die Unterbringung vom 02.11.2006 bis zum 06.11.2006 in dem Haftraum F 2/18 stützt, sind die Voraussetzungen eines Ermessensfehlers weder dargelegt noch ersichtlich. Der Antragsteller trägt nicht vor, dass mit Störungen seiner Religionsausübung zu rechnen war und deshalb die Entscheidung, ihn in diesen Haftraum unterzubringen, von vornherein falsch war. Nachdem der Antragsteller die Störungen angezeigt hat, ist er unstreitig sofort aus diesem Haftraum verlegt worden.

Soweit der Antragsteller schließlich Beeinträchtigungen bemängelt, die unabhängig von der baulichen Beschaffenheit der Toilette allein mit deren gemeinsamer Benutzung durch verschiedene Personen einhergehen, begründet auch das keinen Ermessensfehler, weil ebenso wie in anderen öffentlichen Einrichtungen (auch) in einer Justizvollzugsanstalt kein Anspruch auf eine Einzeltoilette besteht.

1.1.2

Die Amtspflichtverletzung ergibt sich hier jedoch daraus, dass die gemeinschaftliche Unterbringung in den Hafträumen, in denen der Antragsteller jeweils mit einem weiteren Gefangenen vom 06.11.2006 bis zum 16.05.2007 untergebracht war, menschenunwürdig war. Das begründet einen Verstoß gegen Art. 1 und 2 Abs. 1 GG sowie zugleich gegen Art 3 EMRK.

1.1.2.1

Die gemeinschaftliche Unterbringung eines Gefangenen kann gegen die Menschenwürde des betroffenen Strafgefangenen verstoßen.

Das Recht auf Achtung seiner Würde kann auch dem Straftäter nicht abgesprochen werden, mag er sich in noch so schwerer und unerträglicher Weise gegen die Werteordnung der Verfassung vergangen haben (BVerfG NJW 2002, 2700 <2701 m.w.N.>). Strafgefangene haben einen Anspruch auf eine menschenwürdige Unterbringung (BVerfG NJW 2006, 1580 m.w.N.). In der Strafvollstreckung ist zu beachten, dass die menschliche Würde unmenschliches, erniedrigendes Strafen verbietet und der Täter nicht unter Verletzung seines verfassungsrechtlich geschützten sozialen Wert- und Ausgleichsanspruchs zum bloßen Objekt der Vollstreckung herabgewürdigt werden darf. Aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. dem Sozialstaatsprinzip ist daher gerade für den Strafvollzug die Verpflichtung des Staates herzuleiten, jenes Existenzminimum zu gewähren, das ein menschenwürdiges Dasein überhaupt erst ausmacht (BVerfG NJW 2006, 1580 <1581 m.w.N.>).

Daraus folgt allerdings nicht, dass jedwede gemeinschaftliche Unterbringung menschenunwürdig ist. Der BGH hat selbst bei der durch die Strafvollstreckungskammer bindend ausgesprochenen Feststellung eines Verstoßes gegen den Anspruch auf Einzelunterbringung gem. § 18 Abs. 1 S. 1 StVollzG ausgeführt, dass die bloße gemeinsame Unterbringung eines Gefangenen entgegen § 18 Abs. 1 S. 1 StVollzG ohne Hinzutreten erschwerender, den Gefangenen benachteiligender Umstände nicht als Verstoß gegen die Menschenwürde anzunehmen ist (BGH NJW 2006, 3572). Dem folgt der Senat.

Die Frage, ob solche erschwerenden Umstände vorliegen, stellt eine Beurteilung des Einzelfalls dar. Sie ist abhängig von der Größe (Grundfläche und Rauminhalt) und Ausstattung (insbesondere in sanitärer Hinsicht) sowie Belegung (Anzahl der in dem Haftraum gleichzeitig untergebrachten Gefangenen) des Haftraums. Dabei sind an den Haftraum bestimmte Mindestanforderungen zu stellen. Er muss hinsichtlich seiner Größe und Ausgestaltung so beschaffen sein, dass das Recht auf Achtung der Menschenwürde gewahrt bleibt. Das schließt die Pflicht ein, die Privat- und Intimssphäre des Gefangenen als Ausdruck seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts (Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG) tunlichst zu wahren (BVerfG ZfStrVo 1997, 111). Daneben kann aber auch von Bedeutung sein, in welchen Zeiträumen und zu welchen Zwecken sich der einzelne Gefangene in dem betreffenden Haftraum aufhalten muss bzw. musste. Folgt allerdings bereits aus der Art der (gemeinsamen) Unterbringung, dass die Menschenwürde des Gefangenen berührt ist, kommt es für die verfassungsrechtliche Beurteilung auf die Dauer der Mehrfachunterbringung nicht mehr an; dann sind auch die genauen Aufenthaltszeiten in der Zelle für die Frage einer menschenunwürdigen Unterbringung rechtlich unerheblich (vgl. OLG Frankfurt NJW 2003, 2843, <2845>). Denn Achtung und Schutz der Menschenwürde ist aller staatlichen Gewalt gem. Art 1 Abs. 1 Satz 2 GG auferlegt und verbietet demgemäß auch eine nur vorübergehende menschenunwürdige Behandlung (BverfG NJW 2002, 2699 <2700>). Der Dauer der Unterbringung kommt demgemäß lediglich für die Frage Bedeutung zu, ob aus den menschenunwürdigen Haftbedingungen auch ein Entschädigungsanspruch folgt.

Eine menschenunwürdige Unterbringung ist nach Art. 1 und 2 Abs. 1 GG rechtswidrig. Ferner verstößt sie zugleich gegen den innerstaatlich mit Gesetzeskraft geltenden (BGH NJW 1993, 2927) Art. 3 EMRK, wonach niemand der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden darf. Diese Regelung legt den Staaten die Verpflichtung auf sicherzustellen, dass jeder Gefangene unter Bedingungen festgehalten wird, die mit der Achtung der Menschenwürde vereinbar sind, und dass seine Gesundheit und sein Wohlbefinden unter Berücksichtigung der praktischen Erfordernisse der Haft angemessen sichergestellt werden (EGMR NJOZ 2007, 2934 und NJW 2001, 2694).

Hingegen ist Art 5 EMRK vorliegend nicht einschlägig. Er erfasst nur den rechtswidrigen Vollzug einer freiheitsentziehenden Maßnahme als solcher, nicht aber die Modalitäten des Strafvollzugs (BGH NJW 1993, 2927 <2928>). Zwar ist anerkannt, dass auch die Umstände des Vollzugs die Rechtmäßigkeit der Haft in Frage stellen können, etwa wenn infolge der Haftbedingungen Vollzugsuntauglichkeit eintritt (BGH a.a.O.). Eine solche Konstellation liegt hier jedoch nicht vor. Die beanstandete Unterbringung in einer Gemeinschaftszelle führt nicht zur Rechtswidrigeit des mit der Vollstreckung der Strafhaft einhergehenden Freiheitsentzugs. Soweit dies teilweise anders gesehen wird (OLG Celle, NJW-RR 2004, 380), vermag der Senat dem nicht zu folgen.

1.1.2.2

Bei Anwendung dieser Maßstäbe liegt hier in der gemeinschaftlichen Unterbringung des Antragstellers ein Verstoß gegen die Menschenwürde vor.

Die Hafträume, in denen der Antragsteller jeweils zusammen mit einem weiteren Gefangenen untergebracht war, hatten eine Größe von 11,15 m² Fläche. Die Toilette war nur durch einen Vorhang abgetrennt und nicht gesondert entlüftet.

Konkrete Anforderungen an die Mindestgröße eines Haftraums enthält das StVollzG nicht. Eine zur Festlegung einer solchen Größe nach § 144 Abs. 2 StVollzG mögliche Rechtsverordnung fehlt bislang. Es ist auch in der Rechtsprechung noch nicht geklärt, welche Mindestgröße der Haftraum bei dessen Mehrfachbelegung nicht unterschreiten darf (vgl. die Zusammenstellung bei Arloth/Lückemann, StVollzG, § 144 Rn 2 und Calliess/Müller-Dietz, StVollzG, 10. Aufl., § 144 Rn 1). Teilweise ist die Belegung eines Haftraums mit zwei Gefangenen bei einer Zellengröße von 9 m² bzw. 9,82 m² mit räumlich abgetrennter Nasszelle mit Toilette und Waschbecken von 1,3 m² bzw. 1,42 m² nur als eine Verletzung einfachen Rechts, nicht hingegen von Art. 1 Abs. 1 GG, angesehen worden (OLG Karlsruhe, NStZ-RR 2005, 224 und OLG Celle NStZ-RR 2003, 316). Demgegenüber ist eine menschenunwürdige Unterbringung in einem Fall angenommen worden, in dem sich drei Gefangene eine Zelle teilen mussten, die abzüglich der Fläche für die abgetrennte Toilette eine Gesamtgröße von ca. 9 m² aufwies (OLG Frankfurt, NStZ-RR 2005, 155).

Vor diesem Hintergrund können die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Klage des Antragstellers im Sinne des § 114 ZPO nicht verneint werden. Der Senat hält einen Verstoß gegen die Menschenwürde jedenfalls dann für naheliegend, wenn die Grundfläche der Zellengröße pro Gefangenem 5 m² unterschreitet. Denn darin läge eine deutliche Unterschreitung derjenigen Mindestgröße, die in der Literatur als Untergrenze ernsthaft erwogen wird (Kaiser/Kerner/Schöch, Strafvollzug, 5. Aufl., § 7 Rdnr. 86: mindestens 7 m²). Bei einer Grundfläche von weniger als 5 m² ist die Fortbewegungsmöglichkeit und Freizeitbeschäftigung des Gefangenen auf der Fläche, die ihm unter Berücksichtigung des für die Möblierung notwendigen Flächenbedarfs noch verbleibt, bereits derart eingeschränkt, dass von einer menschenwürdigen Unterbringung kaum mehr die Rede sein kann. Die Klärung der Einzelheiten dieser bislang in der Rechtsprechung nicht abschließend beantworteten Frage ist dem Hauptsacheverfahren vorzubehalten, wobei im vorliegenden Verfahren eine Grundfläche von 5 m² in keinem der in Rede stehenden Hafträume unterschritten worden ist.

Unabhängig von der Zellengröße führt hier jedenfalls die sanitäre Ausstattung zur Annahme einer menschenunwürdigen Unterbringung. Die Toilette war räumlich nicht abgetrennt. Der vorhandene Vorhang bot weder hinreichenden Sicht- noch Geräusch- oder Geruchsschutz. In dieser Situation wird im Falle der Toilettenbenutzung durch einen Gefangenen in unzumutbarer Weise beiden Gefangenen jeder Rückzugsraum genommen, in ihre Intimsphäre eingegriffen und ihre Menschenwürde negiert.

Die Menschenunwürdigkeit einer derartigen Haftraumbelegung entspricht allgemeiner Auffassung in Rechtsprechung und Literatur (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 20.01.2005 - 1 Vollz (Ws) 147/04, BeckRS 2005, 02424 und OLG Hamburg, OLGR 2005, 306 sowie OLG Frankfurt, NJW 2003, 2843 jeweils mit weiteren Nachweisen). Sie ergibt sich aus der Missachtung der menschlichen Subjektivität unter Verletzung der körperlichen und psychischen Identität und Integrität.

1.1.2.3

Eine Amtspflichtverletzung kann allerdings nur für die bis zum 16.05.2007 erfolgte Unterbringung festgestellt werden. Denn das Land hat dem Antragsteller an diesem Tag unstreitig die Unterbringung in einem Gemeinschaftshaftraum angeboten, der mit einer abgeschlossenen Toilette ausgestattet war und dessen Größe so beschaffen war, dass die Unterbringung zweifellos nicht gegen die Menschenwürde verstoßen hätte. Damit ist das Land der ihm obliegenden Pflicht nachgekommen, dem Antragsteller eine menschenwürdige Unterbringung zur Verfügung zu stellen.

Dem steht nicht entgegen, dass die Menschenwürde nicht disponibel ist. Die weiterhin erfolgte Unterbringung des Antragstellers blieb menschenunwürdig. Sie beruhte indes nicht (mehr) auf einer Amtspflichtverletzung.

Es ist auch davon auszugehen, dass die angebotene Verlegung dem Antragsteller zumutbar war, insbesondere nicht ermessensfehlerhaft erfolgt ist. Sein Vortrag, dass er von den beiden bereits in dem angebotenen Haftraum befindlichen Häftlingen bedroht worden sei, seine Religionsausübung unterbinden zu wollen, ist - was Ort, Zeit und Umstände einer solchen Drohung anbelangt - ohne hinreichende Substanz und zudem auch ohne Beweisantritt. Überdies trägt der Antragsteller auch nicht vor, diesen Hinderungsgrund der Anstaltsleitung mitgeteilt zu haben, um ihm gegebenenfalls eine weitere Alternative anbieten zu können.

1.2

Die Amtspflichtverletzung in Form der menschenunwürdigen Unterbringung des Antragstellers in der Zeit bis zum 16.05.2007 ist auch schuldhaft begangen worden.

Bei der Beurteilung des Verschuldens ist nicht auf die an Ort und Stelle zuständigen Justizbediensteten abzustellen, denen angesichts der Überbelegung der Justizvollzugsanstalt keine andere Wahl der Unterbringung geblieben sein dürfte. Maßgeblich ist vielmehr das Organisationsverschulden des beklagten Landes. Ein erheblicher Mangel an Einzelhaftplätzen stellt nämlich keinen hinreichenden Grund dafür dar, geltendes Recht zu unterlaufen (BGH NJW 2005, 58 <59>). Das gilt unabhängig vom jeweiligen Grund für den Mangel an Einzelhaftplätzen in der betreffenden Justizvollzugsanstalt. Ein solcher Mangel mag eine gemeinschaftliche Unterbringung rechtfertigen, keinesfalls aber eine solche zu menschenunwürdigen Bedingungen (ebenso OLG Hamburg, a.a.O.).

1.3

Die Erfolgsaussichten der beabsichtigten Klage sind nicht auf einen kürzeren Zeitraum als bis zum 16.05.2007 beschränkt. Allerdings kommt das unter dem Gesichtspunkt § 839 Abs. 3 BGB in Betracht, wenn der Antragsteller durch den zumutbaren Gebrauch von Rechtsmitteln die Dauer der Unterbringung zu menschenunwürdigen Bedingungen hätte verkürzen können. Es obliegt jedoch dem Land, diese Voraussetzungen darzulegen und gegebenenfalls im Hauptsacheverfahren nachzuweisen.

1.3.1

Nach § 839 Abs. 3 BGB tritt die Ersatzpflicht nicht ein, wenn es der Verletzte vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen hat, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden. Es handelt sich dabei um eine besondere Ausprägung des Mitverschuldensprinzips, das in seiner allgemeinen Form in § 254 BGB niedergelegt ist. Die Bestimmung geht davon aus, dass nur demjenigen Schadensersatz zuerkannt werden kann, der sich in gehörigem und ihm zumutbaren Maße für seine eigenen Belange eingesetzt und damit den Schaden abzuwenden bemüht hat (vgl. BGH NJW 1971, 1694 <1695>). Es soll nicht erlaubt sein, den Schaden entstehen oder größer werden zu lassen, um ihn schließlich gewissermaßen als Lohn für eigene Untätigkeit, dem Beamten oder dem Staat in Rechnung zu stellen (BGH NJW 1971, 1694 <1695>). Der Betroffene hat kein freies Wahlrecht zwischen dem primären Rechtsschutz und der sekundären Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen (BVerfG NJW 2000, 1402). Anders als § 254 BGB führt die Regelung in § 839 Abs. 3 BGB bei jeder Form schuldhafter Mitverursachung zum völligen Anspruchsverlust (MünchKomm/Papier, BGB, 4. Auflage, § 839 Rdn. 329).

Rechtsmittel sind alle Rechtsbehelfe im weitesten Sinne, die sich unmittelbar gegen ein bereits erfolgtes, sich als Amtspflichtverletzung darstellendes Verhalten richten und darauf abzielen und geeignet sind, einen Schaden dadurch abzuwenden oder zu mindern, dass dieses schädigende Verhalten beseitigt oder berichtigt wird (BGH NJW 2003, 1208 <1203> und NJW-RR 2004, 706; Palandt/Sprau, BGB, 67. Auflage (2008), § 839 Rdn. 69). Dazu gehören insbesondere auch Gegenvorstellungen, Erinnerungen, Beschwerden und Dienstaufsichtsbeschwerden (BGH NJW 1974, 639 <640>).

Die Kausalität zwischen der Nichteinlegung des Rechtsbehelfs und dem Schadenseintritt ist in der Regel zu bejahen, wenn über den Rechtsbehelf voraussichtlich zugunsten des Geschädigten entschieden worden wäre; sie ist zu verneinen, wenn die schädigende Amtspflichtverletzung durch den Rechtsbehelf nicht mehr hätte beseitigt oder berichtigt werden können. Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, wie die Behörde oder das Gericht richtigerweise hätte entscheiden müssen. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt nach der Rechtsprechung des BGH, der der Senat folgt, nur, wenn eine Verwaltungsbehörde zur Überprüfung ihres eigenen Handelns veranlasst werden soll (BGH NJW 1986, 1924) oder wenn es um die (hypothetische) Entscheidung eines Gerichts geht und ersichtlich eine einigermaßen zuverlässige Beurteilung, wie richtigerweise zu entscheiden gewesen wäre, nicht ohne weiteres möglich ist (vgl. BGH NJW 2003, 1308 <1313>).

Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Betroffene den Schaden durch Einlegung eines Rechtsmittels hätte abwenden können, trägt der in Anspruch genommene Schädiger (BGH NJW 1986, 1924 <1925>; MünchKomm/Papier, BGB, 4. Auflage (2004), § 839 Rdn. 333).

Ob § 839 Abs. 3 BGB auch für den verschuldensunabhängigen Anspruch aus Art. 5 Abs. 5 EMRK gilt (so OLG München NJW 2007, 1986 und OLG Naumburg NJW 2005, 514), kann dahinstehen. Denn menschenunwürdige Vollzugsmodalitäten werden - wie dargelegt - nicht von Art. 5 EMRK sondern von Art. 3 EMRK erfasst. Dass ein - hier vorliegender - Verstoß gegen Art. 3 EMRK den Anwendungsbereich des § 839 Abs. 3 BGB einschränkt, ist nicht ersichtlich. Das ergibt sich nach Auffassung des Senats auch nicht mittelbar aus Art 41 EMRK. Nach dieser Regelung kann der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte der verletzten Partei eine gerechte Entschädigung zusprechen, wenn das innerstaatliche Recht nur eine unvollkommene Wiedergutmachung für die Folgen einer u.a. Konventionsverletzung gestattet und dies notwendig ist. Danach löst nicht jede Konventionsverletzung zwingend einen Entschädigungsanspruch aus. Vielmehr hängt ein solcher Anspruch von der Prüfung der Notwendigkeit ab, innerhalb derer der Mitverschuldenseinwand nicht unberücksichtigt bleiben kann. Dazu gehört auch der schuldhafte Nichtgebrauch von Rechtsmitteln zur Abwendung der Konventionsverletzung.

1.3.2

Nach diesen Grundsätzen lässt sich im Prozesskostenhilfeverfahren ein Haftungsausschluss oder eine Haftungsbegrenzung nicht feststellen. Es liegen keine tragfähigen Erkenntnisse darüber vor, ob und gegebenefalls innerhalb welchen Zeitraums die Einlegung der Rechtsmittel, die dem Antragsteller gegen die menschenunwürdige Unterbringung nach dem Gesetz offenstanden, zu einer vorzeitigen Beendigung der menschenunwürdigen Unterbringung geführt hätte.

1.3.2.1

Dem Antragsteller standen folgende Rechtsmittel zur Verfügung:

Gegen die Verlegung/Einweisung in den konkreten Haftraum kann der Gefangene sich beim Leiter der Justizvollzugsanstalt über die ihm menschenunwürdig erscheinenden Umstände beschweren. Bleibt eine solche Beschwerde erfolglos, ist nach dem Vorschaltverfahrensgesetz NW (VorschverfG NW) binnen einer Woche Widerspruch einzulegen, der keine aufschiebende Wirkung hat. Wenn die Behörde dem Widerspruch nicht abhilft, legt sie ihn mit einer Stellungnahme der nächsthöheren Behörde vor. Die nächsthöhere Behörde erlässt eine Widerspruchsentscheidung. Dagegen kann der Gefangene gerichtliche Entscheidung nach § 109 StVollzG binnen einer Frist von 2 Wochen beantragen, wobei der Antrag nach § 114 Abs. 1 StVollzG keine aufschiebende Wirkung hat. Nach § 114 Abs. 2 StVollzG kann Aussetzung des Vollzugs der angefochtenen Maßnahme oder der Erlaß einer einstweiligen Anordnung beantragt werden; dieser Antrag ist nach § 114 Abs. 3 StVollzG auch schon vor Stellung des Antrags nach § 109 StVollzG zulässig und gem. § 1 Abs. 3 Satz 2 VorschverfG NW auch schon vor Entscheidung über den Widerspruch, soweit das wegen der besonderen Umstände des Falles geboten ist.

1.3.2.2

Die Nichtergreifung dieser zur Verfügung stehenden Rechtsmittel dürfte regelmäßig schuldhaft sein.

Das bewusste Absehen von Rechtsmitteln wäre ein vorsätzliches Unterlassen. Soweit dem Gefangenen das dargelegte Rechtsmittelsystem unbekannt gewesen sein sollte, ist ihm Fahrlässigkeit anzulasten. Dabei ist unerheblich, ob die Hausordnung Hinweise auf Rechtsmittel enthält und diese in den Hafträumen ausgelegen hat oder sonst zugänglich war. Denn jedenfalls bestand insoweit eine Erkundigungspflicht. Dazu hätte der Gefangene sich etwa an fachkundige Mitarbeiter in der Anstalt (Sozialarbeiter, Betreuungspersonal) oder hilfsweise an Mitgefangene wenden können und müssen. Notfalls musste er sich der Hilfe eines Rechtsanwaltes bedienen.

Ein Verschulden könnte jedoch ausgeschlossen sein, wenn die Ergreifung der Rechtsmittel unzumutbar war. Das ist indes regelmäßig nicht der Fall. Eine Unzumutbarkeit ergibt sich namentlich nicht daraus, dass wegen der permanenten Überbelegung der Justizvollzugsanstalt die Anstaltsleitung eine einem Rechtsmittel stattgebende Entscheidung nur unter Verstoß gegen die Menschenwürde eines anderen Gefangenen, der an Stelle des Antragstellers in den betreffenden Haftraum hätte verlegt werden müssen, hätte befolgen können. In dieser Situation stellt sich das Absehen von Rechtsmitteln vielmehr so dar, dass der Antragsteller - statt anderer Gefangener - die menschenunwürdige Behandlung hinnimmt und für dieses für ihn freiwillige Opfer eine Entschädigung begehrt. Das liefe auf ein dem Amtshaftungsrecht fremdes, weil § 839 Abs. 3 BGB widersprechendes, Wahlrecht zwischen einerseits der Ergreifung von Rechtsmitteln und andererseits der Duldung und anschließender Liquidation hinaus.

1.3.2.3

Es kann jedoch im Prozesskostenhilfeverfahren nicht zu Lasten des Antragstellers von einer Kausalität zwischen dem Unterlassen der Ergreifung zur Verfügung stehender Rechtsmittel und der Fortdauer der menschenunwürdigen Unterbringung bis zum 16.05.2007 ausgegangen werden.

Es liegen keine tragfähigen Erkenntnisse darüber vor, ob und gegebenenfalls innerhalb welchen Zeitraums die Einlegung der Rechtsmittel zu einer vorzeitigen Beendigung der menschenunwürdigen Unterbringung geführt hätte.

Zwar rechtfertigt allein die permanente Überbelegung in der Justizvollzugsanstalt in der Regel nicht die Annahme, dass Rechtsmittel von vornherein aussichtslos und damit ohne Erfolg geblieben wären. Das käme nur dann in Betracht, wenn generell keine menschenwürdigen Unterbringungsmöglichkeiten bestanden oder jedenfalls eine solche Möglichkeit für den Antragsteller nicht gegeben war (so war die Sachlage im Fall OLG Celle, NJW-RR 2004, 380). Das lässt sich vor dem Hintergrund ständiger Fluktuation in den Anstalten und des Vorhandenseins menschenwürdiger Hafträume kaum annehmen, bedarf aber im Einzelfall gegebenenfalls der Klärung im Hauptsacheverfahren.

Jedoch hängt die gebotene Prognose des Erfolgs von Rechtsmitteln davon ab, innerhalb welchen Zeitraumes das nach dem VorschverfG NW erforderliche Widerspruchsverfahren mit welchem voraussichtlichen Ergebnis abgeschlossen worden wäre, wann und mit welchem Ergebnis die jeweils zuständige Strafvollstreckungskammer entschieden hätte und ob der Gefangene danach gegebenenfalls noch ein Rechtsbeschwerdeverfahren nach § 116 StVollzG hätte durchführen müssen sowie innerhalb welchen Zeitraumes eine gerichtliche Anweisung umgesetzt worden wäre.

Hierbei kann nicht ohne weiteres zu Lasten des Antragstellers unterstellt werden, dass ein Widerspruchsverfahren oder jedenfalls der Antrag nach § 115 StVollzG bei der Strafvollstreckungskammer Erfolg gehabt hätten. Dem steht die dem Senat aus verschiedenen Fällen bekannte Verwaltungspraxis entgegen, wonach auf Beschwerden keine Abhilfe geschaffen, sondern Gefangene lediglich auf eine sog. "Warteliste" für Einzelhafträume gesetzt worden sind und auch Strafvollstreckungskammern fehlerhaft eine menschenunwürdige Unterbringung verneint haben, so dass möglicherweise erst in einem Rechtsbeschwerdeverfahren auf der Grundlage der seit den Entscheidungen des BGH vom 04.11.2004 (NJW 2005, 58) und des hiesigen 1. Strafsenats vom 20.01.2005 (Az.: 1 Vollz (Ws) 147/04) gefestigten Rechtsprechung zu Gunsten des Antragstellers entschieden worden wäre.

Vor diesem Hintergrund verbietet sich im Prozesskostenhilfeverfahren eine verlässliche Prognose. Die dazu notwendigen Fragen sind im Hauptsacheverfahren zu klären, wenn und soweit von dem insoweit darlegungs- und beweispflichtigen Land hinreichender Sachvortrag erfolgt.

2.

Der Höhe nach rechtfertigt das Vorbringen des Antragstellers einen Anspruch auf Geldentschädigung von 15,00 € pro Tag mithin insgesamt 2.880,00 €.

2.1

Wie der BGH (NJW 2005, 58 <59>) ausgeführt hat, ist der geltend gemachte Schaden einerseits kein Vermögensschaden, andererseits auch kein bloßes Schmerzensgeld im Sinne des § 253 Abs. 2 BGB. Es geht vielmehr um den Ausgleich einer Verletzung der Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) und des aus Art. 1 und Art. 2 Abs. 1 GG hergeleiteten allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Die Zubilligung einer Geldentschädigung in bestimmten Fällen der Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts beruht auf dem Gedanken, dass ohne einen solchen Anspruch Verletzungen der Würde und Ehre des Menschen häufig ohne Sanktion blieben, mit der Folge, dass der Rechtsschutz der Persönlichkeit verkümmern würde (BGH a.a.O.). Anders als beim Schmerzensgeldanspruch steht bei dem Anspruch auf eine Geldentschädigung wegen einer Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Gesichtspunkt der Genugtuung des Opfers im Vordergrund.

2.2

Nach diesen Maßstäben kommt nach Auffassung des Senats eine Entschädigung in Höhe einer Bandbreite von 10 € bis zu 30 € je Tag für menschenunwürdige Unterbringungen der hier in Rede stehenden Art in Betracht. Welcher Betrag innerhalb dieser Bandbreite im konkreten Fall angemessen ist, hängt jeweils von den konkreten Umständen der Unterbringung ab.

2.2.1

Die Bandbreite von 10 € bis 30 € trägt der Bedeutung und Tragweite des Eingriffs und dem nicht unerheblichen Organisationsverschulden des haftenden Landes Rechnung.

Dabei ist besonders zu berücksichtigen, dass aufgrund der mangelnden Kapazitäten der Justizvollzugsanstalt zwangsläufig ständig eine bestimmte Anzahl an Gefangenen menschenunwürdig untergebracht war und die jeweiligen Gefangenen, denen diese Unterbringung auferlegt wurde, das als Zusatzstrafe empfinden mussten. Auch wenn diese Art der Unterbringung durch die Justizvollzugsanstalt aus dem Zwang der akuten Überbelegung erfolgt ist und nicht eine bewusst schikanöse Behandlung gerade des Antragstellers darstellt, so beruht sie letztlich auf einem durchaus erheblichen (Organisations-)Verschulden des Landes. Es ist jedenfalls im Prozesskostenhilfeverfahren nicht festzustellen - und muss bei geeignetem Vortrag gegebenenfalls der Klärung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben -, ob das Land geeignete Maßnahmen ergriffen hat, die seit Jahren bekannte Problematik (zutreffend schon OLG Celle, NJW-RR 2004, 380) der Überbelegung der Justizvollzugsanstalten und die Frage der auch bei beengten finanziellen Verhältnisse erforderlichen und verfassungsrechtlich gebotenen menschenwürdigen Unterbringung von Gefangenen zu lösen, was vor dem Hintergrund der dem Senat aus vielen verschiedenen Fällen bekannten chronischen Notsituation in unterschiedlichen Haftanstalten zweifelhaft erscheint, die in der Vergangenheit offenbar immer wieder zu menschenunwürdiger Unterbringung einzelner Gefangener nötigte und Anlass zur Bildung sogenannter Wartelisten für Einzelhaftplätze war.

Die Höhe der zuzubilligenden Entschädigung ist nicht auf eine Entschädigung innerhalb der Grenzen des Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen beschränkt, wonach unschuldig erlittene Haft gem. § 7 Abs. 3 StrEG nur mit 11, € täglich entschädigt wird. Nach der Intention dieses Gesetzes, das einen Aufopferungsanspruch gesetzlich regelt (BGHZ 72, 302 <305>), sollen nur die üblichen Unzuträglichkeiten, die die Haft mit sich bringt, ausgeglichen werden. Daneben bleiben aber Ansprüche außerhalb des StrEG wegen atypischer Folgen des Vollzugs oder der rechtswidrigen Anordnung der Haft bestehen (BGH VersR 1993, 972).

Auch wenn es hier um Ausgleich und Genugtuung für eine schuldhafte Beeinträchtigung durch unzulässige Haftbedingungen geht, muss dieser Eingriff aber nicht ohne Weiteres schwerer wiegen als der Verlust der Freiheit (vgl. KG, OLGReport 2005, 813 <814>). Zu beachten ist aber auch, dass die Entschädigung nach StrEG verschuldensunabhängig gewährt wird, während eine Entschädigung unter Amtshaftungsgesichtspunkten ein Verschulden voraussetzt. Hinzu kommt, dass in den nach StrEG zu entschädigenden Fällen die Untersuchungs- bzw. Strafhaft nur bei rückblickender Betrachtung als ungerechtfertigt anzusehen ist, während es hier um einen von vornherein rechtswidrigen Eingriff handelt (OLG Hamburg, OLG-Report 2005, 306), der dem betroffenen Gefangenen infolge von Organisationsmängeln des Landes bewusst zugefügt worden ist.

Die Abwägung dieser Umstände lässt allein aufgrund der objektiven Gegebenheiten der Unterbringung - ohne die zusätzliche Berücksichtigung im Einzelfall etwa in Betracht kommender weiterer subjektiver Beeinträchtigungen - eine Entschädigung von unter 10 € oder über 30 € täglich regelmäßig ausgeschlossen erscheinen.

2.2.2

Welcher Betrag innerhalb dieser Bandbreite im konkreten Fall angemessen ist, hängt jeweils von den konkreten Umständen der in Rede stehenden Unterbringung ab.

Dabei ist insbesondere das Ausmaß der Beeinträchtigungen in den Blick zu nehmen und auch die Frage, in welchem zeitlichen Umfang der Gefangene täglich den menschenunwürdigen Bedingungen ausgesetzt gewesen ist, ohne sich dem in zumutbarer Weise - etwa durch Ausübung einer Arbeitstätigkeit und Teilnahme an angebotenen Freizeitbeschäftigungen - entziehen zu können, zu berücksichtigen.

Soweit Beeinträchtigungen im Zusammenhang mit der Person und oder dem Verhalten des oder der Mitgefangenen hergeleitet werden, kommt dem regelmäßig eine Entschädigungsrelevanz nur zu, wenn der Gefangene gerade dadurch in seiner körperlichen Unversehrtheit oder in seinem körperlichen Wohlbefinden (zusätzlich) unzumutbar beeinträchtigt ist.

Wenn sich keine Besonderheiten aus den konkreten Umständen der Unterbringung ergeben, die die Beeinträchtigung als besonders erschwerend oder andererseits als weniger gravierend erscheinen lassen, dürfte bei einer gemeinschaftlichen Unterbringung ohne hinreichend abgetrennten Sanitärbereich vielfach ein Mittelwert von 20 € pro Tag als Entschädigung angemessen sein, während eine Überbelegung in einer Zelle mit abgetrennter Toilette kaum einen über die untere Grenze der Bandbreite von 10 € pro Tag hinausgehenden Betrag zu rechtfertigen vermag.

Der Senat steht mit dieser Beurteilung im Einklang mit der Rechtsprechung anderer Oberlandesgerichte, die in vergleichbaren Fällen einer gemeinschaftlichen Unterbringung ohne hinreichend abgetrennten Sanitärbereich Entschädigungsbeträge von 20 € (KG OLG Report, 2005, 813; OLG Karlsruhe NJW-RR 2005, 1267 <2.000,00 € für 98 Tage>) bzw. 25 € (OLG Hamburg OLG Report 2005, 306) in Betracht gezogen haben. Soweit darüberhinaus auch Beträge von 50 € (OLG München NJW 2007, 1986) oder gar 100 € (OLG Celle NJW 2003, 2463) diskutiert worden sind, vermag sich der Senat dem nicht anzuschließen.

2.2.3

Daraus folgt für den vorliegenden Fall, dass die Klage des Antragstellers auf eine Entschädigung für 192 Tage zu je 15,00 € = 2.880,00 € Aussicht auf Erfolg hat.

Es ist auf der Grundlage der vorstehenden Erwägungen von einer relevanten Haftdauer vom 06.11.2006 bis zum 16.05.2007 auszugehen. Das sind insgesamt 192 Tage.

Umstände, die die Unterbringung des Antragstellers als besonders erschwerend oder als weniger gravierend erscheinen lassen, ergeben sich aus seinem Vortrag nicht und sind auch sonst nicht ersichtlich. Aus den bereits dargelegten Gründen kommt dem insoweit angeführten Umstand der Unterbringung mit starken Rauchern keine Relevanz zu. Da hier eine Grundfläche von 5 m² nicht unterschritten worden ist, kommt eine höhere Entschädigung als 15,00 € je Kalendertag nicht in Betracht. Welche Entschädigung bis zu diesem Höchstbetrag im konkreten Fall angemessen ist, muss der Klärung im Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.

3.

Erfolgsaussichten zum Freistellungsantrag bestehen nur in Höhe von 402,82 €. Die Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe zur außergerichtlichen Geltendmachung des Amtshaftungsanspruch war nur nach einem Gegensatndswert von 2.880,00 € angemessen und erforderlich. Die nach VV RVG Nr. 2300 entstandene 1,3 Geschäftsgebühr beträgt 245,70 €; zuzüglich der Auslagenpauschale von 20,00 € und Mehrwertsteuer ergibt sich ein Gesamtkostenbetrag von 316,18 €, dessen Freistellung der Antragsteller in voller Höhe verlangen kann, weil - entgegen seiner insoweit nicht maßgeblichen Rechtsansicht - die Geschäftsgebühr nicht zur Hälfte auf die Verfahrensgebühr anzurechnen ist, vielmehr die Verfahrensgebühr auf die Geschäftsgebühr anzurechnen ist (vgl. BGH NJW 2007, 2049), und der danach berechtigte Betrag noch hinter dem Antrag des Antragstellers zurückbleibt.

4.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 127 Abs. 4 ZPO und Nr. 1811 Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG.

Ende der Entscheidung

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