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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 30.06.2006
Aktenzeichen: 11 WF 170/06
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB §§ 1601 ff.
BGB § 1615 I
1.)

Grundsätzlich ist jeder Elternteil verpflichtet, das Existenzminimum des bei dem anderen Elternteil lebenden Kindes sicherzustellen, auch wenn er selbst ein weiteres gemeinsames Kind betreut.

2.)

Haben zunächst nach der Trennung alle Kinder einverständlich bei der Mutter gelebt, so kann sich daraus eine Vereinbarung der Eltern herleiten, dass sich die Mutter vorrangig der Kinderbetreuung widmen soll. Eine solche Vereinbarung kann nicht ohne weiteres aufgekündigt werden, wenn ein Kind zum Vater wechselt.


OBERLANDESGERICHT HAMM BESCHLUSS

11 WF 170/06 OLG Hamm

in der Familiensache

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragstellerin vom 19.05.2006 wird der Beschluss des Amtsgerichts Hamm vom 08.05.2006 teilweise abgeändert.

Der Antragstellerin wird Prozesskostenhilfe für den Antrag bewilligt, die Antragsgegnerin ab Juli 2006 zur Zahlung von Kindesunterhalt in Höhe von monatlich 191,- € zu verurteilen.

Im Umfang der Bewilligung wird ihr Rechtsanwalt Klaus N aus W zu den Bedingungen eines beim Amtsgericht Hamm zugelassenen Anwalts beigeordnet.

Die weitergehende Beschwerde wird zurückgewiesen.

Die Gerichtsgebühren für das Beschwerdeverfahren werden auf die Hälfte ermäßigt.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin ist die am 24.08.1990 geborene Tochter der Antragsgegnerin aus deren seit dem 10.01.2006 geschiedener Ehe mit ihrem Vater. Sie hat nach der Trennung der Eltern zunächst bei der Antragsgegnerin gelebt, die zwei weitere aus der Ehe hervorgegangene Kinder betreut: Christin, geboren am 24.12.1991, und Jonas, geboren am 17.11.1998. Durch Vergleich vom 11.02.2003 hat sich der Ehemann der Antragsgegnerin zur Zahlung von Trennungsunterhalt und Barunterhalt unterschiedlicher Höhe für die drei Kinder verpflichtet.

Im Lauf des Januar 2006 ist die Antragstellerin zu ihrem Vater gewechselt. Sie will deshalb ihre Mutter ab Februar 2006 auf Zahlung des Mindestunterhalts in Höhe von monatlich 291,- € in Anspruch nehmen. Dafür hat sie Prozesskostenhilfe beantragt.

Diesen Antrag hat das Amtsgericht mit der Begründung zurückgewiesen, die Antragsgegnerin sei nicht leistungsfähig, da sie auf Grund der Betreuung des noch nicht 10 Jahre alten Jonas nicht mehr arbeiten müsse, als sie es mit einem Verdienst von monatlich 144,- € tue.

Dagegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin, die geltend macht, es sei durch nichts belegt, dass die Antragsgegnerin nur über Einkünfte unterhalb des Selbstbehalts verfüge. Darüber hinaus müsse sie sich zumindest vorhalten lassen, dass sie mehr arbeiten könnte, während Jonas in der Schule sei.

II.

Die Beschwerde ist zulässig und hat teilweise Erfolg. Da die Antragstellerin ihrer Tochter grundsätzlich gemäß den §§ 1601 ff. BGB unterhaltspflichtig ist und die Frage ihrer Erwerbsobliegenheit und Leistungsfähigkeit entgegen der Auffassung des Amtsgerichts weiterer Aufklärung bedarf, ist Prozesskostenhilfe zur Geltendmachung des Betrages zu bewilligen, den die Antragsgegnerin bei vollschichtiger Tätigkeit aufbringen könnte.

1.

Grundsätzlich kann sich ein Elternteil dem Unterhaltsanspruch des nicht bei ihm lebenden Kindes nicht mit der Begründung entziehen, er betreue dessen Bruder oder Schwester. Vielmehr ist er verpflichtet, das Existenzminimum des vom anderen betreuten Kindes sicherzustellen, wenn er dazu nach seinen beruflichen Fähigkeiten ohne Gefährdung seines Selbstbehalts in der Lage ist (Wendl/Staudigl, Das Unterhaltsrecht in der familiengerichtlichen Praxis, 6. Auflage, § 2, Rdnr. 315).

Zwar wird eine Vollzeiterwerbsverpflichtung des Ehegatten, der ein gemeinsames Kind betreut und Unterhalt für sich verlangt, frühestens angenommen, wenn dieses Kind das 15. Lebensjahr vollendet hat, doch setzt die Obliegenheit zur Erwerbstätigkeit wesentlich früher ein, wenn es wie hier um einen Fall gesteigerter Unterhaltspflicht gegenüber einem minderjährigen Kind geht (OLG Bremen, FamRZ 2005, S. 647 ff.). Auch der nichtehelichen Mutter wird gemäß § 1615 I BGB in der Regel zugemutet, ihren Unterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit sicher zu stellen, wenn das Kind 3 Jahre alt geworden ist.

Da die Antragsgegnerin im Juli 1989 eine Ausbildung zur Einzelhandelskauffrau abgeschlossen und anschließend noch ein Jahr in diesem Beruf gearbeitet hat, geht der Senat davon aus, dass sie beim Neueinstieg in ihrem erlernten Beruf einen Stundenlohn von 9,00 € erzielen könnte. Daraus errechnet sich auf der Grundlage einer monatlichen Arbeitszeit von 167 Stunden ein Bruttoverdienst von 1.503,- €. Davon würden netto übrig bleiben:

 Bruttoverdienst1.503,00 €
./. Lohnsteuern (Steuerklasse 2, 1,5 Kinderfreibeträge)99,50 €
./. Kirchensteuern0,00 €
./. RV-Beitrag146,54 €
./. KV-Beitrag (Beitragssatz 13,5 %)114,97 €
./. PV-Beitrag12,77 €
./. AV-Beitrag48,85 €
Nettoverdienst1.080,37 €

Unter Berücksichtigung des für (voll) Erwerbstätige maßgeblichen Selbstbehalts von 890,- € stünden der Antragsgegnerin also bei Erfüllung ihrer (zunächst anzunehmenden) Erwerbsobliegenheit für Unterhaltszwecke monatlich 191,- € zur Verfügung, allerdings erst nach Ablauf der Frist, die ihr bis Ende Juni 2006 für die Suche nach einer vollschichtigen Erwerbstätigkeit zuzubilligen ist.

2.

Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass erst nach weiterer Aufklärung des Sachverhalts abschließend zu beurteilen ist, ob und in welchem Umfang die Antragsgegnerin erwerbspflichtig bzw. leistungsfähig ist.

a)

Eltern können grundsätzlich vereinbaren, dass sich einer von ihnen vorrangig der Kinderbetreuung widmen soll. Eine solche im Interesse der kleineren Kinder getroffene Abrede kann nicht ohne weiteres aufgekündigt werden, wenn eines der Kinder zum anderen Elternteil wechselt, zumal dann, wenn das wechselnde Kind wesentlich älter und schon weitgehend selbständig ist (Wendl/Staudigl, a.a.O., § 2, Rdnr. 315). Also wird zu klären sein, welche Abreden hier bei Trennung der Parteien getroffen worden sind, aus welchem Anlass die Antragstellerin zum Vater gewechselt ist und in welchem Umfang der Vater überhaupt Betreuungsleistungen für sie zu erbringen hat. Wird er dadurch nur unwesentlich belastet, könnte geboten sein, es gemäß der bisherigen, im Vergleich vom 11.02.2003 getroffenen Regelung zur Zahlung von Barunterhalt dabei zu belassen, dass der Vater auch für die Antragstellerin aufzukommen hat.

b)

Wird der Antragsgegnerin hingegen eine vollschichtige Berufstätigkeit zugemutet, sind die Kosten abzusetzen, die dann durch die Betreuung des erst 7 Jahre alten Sohnes Jonas anfallen werden. Dazu wird zu klären sein, welche Betreuung erforderlich und möglich ist und welche Kosten dadurch entstehen werden. Sie sind abzusetzen, bevor die Leistungsfähigkeit zur Zahlung von Unterhalt für die Antragstellerin bestimmt wird.

Ende der Entscheidung

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