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Beginn der Entscheidung

Gericht: Oberlandesgericht Hamm
Beschluss verkündet am 09.01.2004
Aktenzeichen: 11 WF 195/03
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 394
BGB § 1603 Abs. 2 Satz 2
Der Unterhaltsgläubiger kann sich nach Treu und Glauben dann nicht auf das Aufrechnungsverbot gem. § 394 BGB berufen, wenn die zur Verrechnung gestellten Überzahlungen darauf beruhen, dass er rückwirkend eine Änderung der Steuerklassen beantragt und damit die Grundlagen für die vom Schuldner bereits geleisteten Unterhaltszahlungen nachträglich verändert hat.
OBERLANDESGERICHT HAMM BESCHLUSS

11 WF 195/03 OLG Hamm

Hamm, den 09. Januar 2004

in der Familiensache

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsteller vom 16.09.2003 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Ahlen vom 21.08.2003 in der Fassung des Beschlusses vom 06.11.2003 wird zurückgewiesen.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin zu 2) und der Antragsgegner sind verheiratet. Aus der Ehe sind drei Kinder hervorgegangen: der Antragsteller zu 1), Felix, geboren am 27.08.1984, Wiebke, geboren am 23.11.1988 und Mats, geboren am 31.05.1990.

Schon während des Zusammenlebens hat die Antragstellerin zu 2) halbtags als Krankenschwester gearbeitet; nach der im Lauf des Jahres 2002 erfolgten Trennung hat sie den Arbeitsumfang auf 100 Stunden pro Monat ausgeweitet. Seit der Trennung leben die Söhne Felix und Mats bei der Mutter, während der Vater die Tochter Wiebke betreut.

Im Januar 2003 hat der Antragsgegner für seine Frau und die beiden Söhne Unterhalt in Höhe von insgesamt 1.600,- € bezahlt, von Februar bis April monatlich noch 1.200,- €. Nachdem er im Mai 2003 auf Antrag seiner Ehefrau rückwirkend ab Januar 2003 nach Steuerklasse 2 veranlagt wurde, hat er seine Zahlungen auf monatlich 333,- € für die Kinder reduziert.

Im Juli und August musste er zusätzlich die Hälfte der Miete für die von seiner Ehefrau weiterhin genutzte eheliche Wohnung (monatlich 513,- €) bezahlen, weil seine Frau den Vermieter aufgefordert hatte, die Hälfte der gesamtschuldnerisch geschuldeten Miete von ihrem Ehemann einzufordern.

Der Sohn Felix - Antragsteller zu 1) - begehrt Prozesskostenhilfe für eine Klage, mit der er ab Mai 2003 monatlichen Unterhalt von 364,60 € geltend machen will. Die Antragstellerin zu 2) will für den Sohn Mats ebenfalls ab Mai 2003 monatlich 150 % des jeweiligen Regelbetrages abzüglich des hälftigen Kindergeldes geltend machen und für sich selbst Differenzunterhalt wie folgt: restliche 207,09 € für Mai 2003 und ab Juni 2003 monatlich 540,09 €.

Das Amtsgericht hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zunächst durch Beschluss vom 21.08.2003 insgesamt mit der Begründung abgelehnt, dass die für die Zeit bis einschließlich August 2003 begründeten Ansprüche bereits erfüllt seien.

Für die Zeit ab September 2003 hat es (nach Beschwerdeeinlegung im Wege der Teilabhilfe) PKH zur Geltendmachung folgender Beträge bewilligt:

Antragsteller zu 1) mtl. 244,00 € Antragstellerin zu 2): Trennungsunterhalt mtl. 138,00 € Unterhalt für Mats 150 % des Regelbetrages ./. hälftiges Kindergeld

Gegen den Beschluss vom 21.08.2003 haben die Antragsteller Beschwerde eingelegt, die sie auch nach erfolgter Teilabhilfe weiter verfolgen.

II.

Die Beschwerde ist zulässig, bleibt aber ohne Erfolg, soweit das Amtsgericht ihr nicht bereits durch den Beschluss vom 06.11.2003 entsprochen hat. Die Einwände der Antragsteller rechtfertigen keine höheren Unterhaltsbeträge als die, für deren Geltendmachung das Amtsgericht bereits PKH bewilligt hat, wie die nachstehenden Berechnungen des Senats zeigen.

1. Ansprüche für die Zeit von Januar bis Juni 2003:

1.1 Einkommen des Antragsgegners:

a)

Die Antragsteller haben auf der Grundlage des vom Antragsteller im Jahr 2002 erzielten Gesamteinkommens für das Jahr 2003 unter Berücksichtigung des Steuerklassenwechsels ein durchschnittliches Einkommen von 3.079,79 € errechnet (Bl. 10). Gegen diese Berechnung sind keine Einwände erhoben worden. Davon ist deshalb auszugehen, bis der tatsächliche Jahresverdienst nachgewiesen wird.

b)

Die Steuererstattung im Jahre 2003 hat 863,- € betragen, das sind monatsanteilig 71,92 €.

c)

Die Antragsteller meinen, dem Antragsgegner sei ein Betrag von 200,- € einkommenserhöhend zuzurechnen, weil er zusammen mit der Tochter Wiebke mietfrei im Haus seiner neuen Lebensgefährtin wohnen könne. Der Streit, ob der Antragsgegner nicht doch eine Miete zu zahlen hat, kann dahinstehen. Auch wenn er mietfrei wohnen würde, handelte es sich nämlich um die freiwillige Zuwendung eines Dritten, die seinem unterhaltspflichtigen Einkommen nicht zuzurechnen wäre, weil sie offensichtlich nicht dazu bestimmt ist, dem Unterhaltspflichtigen höhere Unterhaltszahlungen zu ermöglichen (vgl. Kalthoener/Büttner, Die Rechtsprechung zur Höhe des Unterhalts, 8. Auflage, Rdnr. 785).

d)

Für eheprägende Schulden hat der Antragsgegner monatlich 746,08 € aufzuwenden. Mit der Beschwerde machen die Antragsteller insoweit lediglich geltend, der mit monatlich 406,54 € zu bedienende Sparkassenkredit sei nur mit einem geringeren Betrag zu berücksichtigen, weil der Antragsgegner versäumt habe, den Kredit in zumutbarer Weise zu strecken.

Denn folgt der Senat nicht. Auch wenn der Kredit weiter in eheprägender Höhe abgetragen wird, steht allen Beteiligten mehr als das Existenzminimum zur Verfügung. Deshalb ist keine Obliegenheit des Antragsgegners anzunehmen, sich um eine Reduzierung der Kreditraten zu bemühen.

e)

Also ist von folgendem Einkommen des Antragsgegners auszugehen:

prognostiziertes Durchschnittseinkommen 3.079,79 € + anteilige Steuererstattung 71,92 € ./. Zahlungen auf eheprägende Schulden 746,08 € verbleiben 2.405,63 €

1.2

Mit diesem Einkommen fällt der Beklagte nur in Einkommensgruppe 7 der Düsseldorfer Tabelle, nicht in Einkommensgruppe 8, wie vom Amtsgericht angenommen.

Da sich die Parteien einig sind, dass der Antragsgegner nicht nur den Barunterhalt für Mats, sondern auch den Barbedarf der bei ihm lebenden Tochter Wiebke aufbringen soll, ist der Bedarf für beide Kinder in gleicher Höhe mit monatlich 382,- € anzusetzen.

Da der Antragsgegner bis einschließlich März 2003 noch das gesamte Kindergeld bezogen hat, beträgt der Zahlbetrag für Mats bis einschließlich März 459,- € (382,- € + 77,- € Kindergeldanteil), ab April 305,- € (382,- € ./. 77,- €).

1.3

Der Unterhalt für Felix, der seit August 2002 volljährig ist, bestimmt sich nach den zusammengerechneten Einkünften seiner beiden Eltern, jeweils unter Berücksichtigung der unterhaltsrechtlich beachtlichen Abzüge. Setzt man das Einkommen der Antragstellerin zu 2) gemäß deren Berechnungen mit 1.314,74 € an, so ergibt sich folgendes Gesamteinkommen:

anrechenbares Einkommen des Antragsgegners 2.405,63 € ./. Unterhaltsansprüche für Mats und Wiebke 764,00 € verbleiben 1.641,63 € Einkommen der Antragstellerin zu 2) 1.314,74 € Zusammen 2.956,37 €

Also kann Felix Unterhalt nach Einkommensgruppe 9, Altersstufe 4 in Höhe von monatlich 498,- € verlangen. Auf diesen Bedarf ist das Kindergeld von 154,- € anzurechnen, so dass der offene Bedarf 344,- € beträgt, für den die Eltern nach dem Anteil ihres Einkommens am Gesamteinkommen einzustehen haben. Da Felix im Sinne von § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB privilegiert ist, ist das jeweils verfügbare Einkommen unter Abzug des notwendigen Selbstbehalts von 840,- € zu ermitteln (Ziffer 24 der Hammer Leitlinien). Das einzusetzende Einkommen des Antragsgegners beträgt dann 801,63 €, das der Antragstellerin zu 2) 474,74 €. Also hat der Antragsgegner 63 % von 344,- € aufzubringen, das sind gerundet 217,- €, die Antragstellerin zu 2) die restlichen 127,- €.

1.4

Als Differenzunterhalt für die Antragstellerin ergibt sich dann:

anrechenbares Einkommen des Antragsgegners 2.405,63 € ./. Unterhalt für Wiebke und Mats 764,00 € ./. Unterhalt für Felix 217,00 € verbleiben 1.424,63 € ./. Einkommen der Ehefrau (1.314,74 € ./. 127,- €) 1.187,74 € 236,89 € davon 3/7, 101,52 € gerundet 102,00 €

2. Ansprüche für die Zeit von Juli bis August 2003:

2.1

Die Antragstellerin hat den Antragsgegner durch den Vermieter auffordern lassen, ab Juli die Hälfte der prägenden Miete für die eheliche Wohnung in Höhe von 513,- € zu übernehmen. Die Antragsteller meinen, dies könne allenfalls als (teilweise) Deckung ihres Bedarfs berücksichtigt, nicht aber in voller Höhe auf den Unterhalt angerechnet oder gar vorab als ehebedingte Verbindlichkeit abgezogen werden. Zwar trifft es zu, dass Mietkosten grundsätzlich keine ehebedingten Verbindlichkeiten, sondern Kosten der allgemeinen Lebensführung sind, hier ist aber dennoch gerechtfertigt, diese Zahlung wie ehebedingte Verbindlichkeiten einkommensmindernd zu berücksichtigen, denn der Antragsgegner konnte sich dieser Verpflichtung auf Grund seiner gesamtschuldnerischen Mithaftung nicht entziehen (vgl. OLG Köln, FamRZ 2002, S. 98). Daher sinkt das anrechenbare Einkommen des Antragsgegners von 2.405,63 € auf 1.892,63 €

2.2

Der Unterhalt für Mats und Wiebke ist auf Grund des gesunkenen Einkommens nur noch aus Einkommensgruppe 4 zu entnehmen und beträgt nach der ab dem 01.07.2003 gültigen Tabelle jeweils 344,- €.

Zu zahlen sind für Mats unter teilweiser Anrechnung des auf den Antragsgegner entfallenden Kindergeldanteils 307,- € (§ 1612 b Abs. 5 BGB).

2.3

Damit ändert sich auch das Einkommen für die Berechnung des Unterhalts für Felix wie folgt:

anrechenbares Einkommen des Antragsgegners 1.892,63 € ./. Unterhalt für Mats und Wiebke 688,00 € verbleiben 1.204,63 € Einkommen der Antragstellerin zu 2) 1.314,74 € Zusammen 2.519,37 €

Der Bedarf für Felix ist deshalb nunmehr nur noch aus Einkommensgruppe 8, 4. Altersstufe zu entnehmen und beträgt 491,- €. Nach Abzug des anzurechnenden Kindergeldes verbleibt ein ungedeckter Bedarf von 337,- €, der von den Eltern wiederum anteilig aufzubringen ist.

Das einzusetzende Einkommen des Antragsgegners beträgt dann 364,63 € (1.204,63 € ./. 840,- €), das der Antragstellerin zu 2) weiterhin 474,74 €. Also hat der Antragsgegner 43 % von 337,- € aufzubringen, das sind gerundet 145,- €, die Antragstellerin zu 2) die restlichen 192,- €.

2.4

Differenzunterhalt für die Antragstellerin zu 2) ist nicht geschuldet, weil deren anrechenbares Einkommen das des Antragsgegners übersteigt.

3. Erfüllung der Ansprüche für Januar bis August 2003:

Das Amtsgericht hat die von Januar bis August 2003 erfolgten Zahlungen mit den insgesamt geschuldeten Leistungen verrechnet. Das beanstanden die Antragsteller, weil das darauf hinauslaufe, in den ersten Monaten erfolgte Überzahlungen gegen spätere Ansprüche aufzurechnen, was unzulässig sei.

Auch wenn eine Aufrechnung mit Bereicherungsansprüchen wegen früherer Überzahlungen grundsätzlich gemäß § 394 BGB ausgeschlossen ist, kann hier dennoch eine Gesamtverrechnung erfolgen. Das Aufrechnungsverbot aus § 394 BGB, das im öffentlichen Interesse Notlagen durch Entziehung der zum Lebensunterhalt erforderlichen Mittel verhindern soll, ist nämlich mit Rücksicht auf den Schutzzweck der Norm zu begrenzen (OLG Hamm, FamRZ 1999, S. 436, 437). Hier ist den Antragstellern die Berufung auf das Aufrechnungsverbot deshalb zu verwehren, weil ihnen im Hinblick auf die von der Antragstellerin zu 2) geplante und veranlasste rückwirkende Änderung der Steuerklasse von vornherein bewusst war, dass die vom Antragsgegner ab Januar 2003 gezahlten Unterhaltsbeträge zu hoch waren, weil er sich auf die Fortgeltung von Steuerklasse drei und damit auf ein zu hohes Einkommen verließ. Sie mussten und konnten sich daher auf spätere Kürzungen einstellen und haben das offenbar auch gemacht, denn es wird nicht vorgetragen, dass sie in eine Notlage geraten seien. Dann aber wird durch die Gesamtverrechnung billigerweise nur der tatsächlich geschuldete Zustand hergestellt, wie nachfolgende Berechnung zeigt:

Unterhalt für Felix (6 * 217,- € + 2 * 145,- €) 1.592,00 € Auskehrung des Kindgergelds für Felix (3+ 154,- €) 462,00 € Unterhalt für Mats (3 * 459,- € + 3 * 305,- € + 2 * 307,- €) 2.906,00 € Unterhalt für die Antragstellerin (6 * 102,- €) 612,00 € 5.572,00 €

Tatsächlich hat der Antragsgegner erheblich mehr gezahlt, nämlich:

Januar 2003 1.600,00 € Februar bis April (3 * 1.200,- €) 3.600,00 € Mai bis August (4 * 333,- €) 1.332,00 € 6.532,00 €

Also können die Antragsteller bis einschließlich August 2003 keine weiteren Zahlungen beanspruchen.

4. Ansprüche ab September:

4.1

Weil die Verpflichtung zur Mietzahlung ab September wieder entfallen ist, ist wie für die Zeit bis Juni 2003 mit einem anrechenbaren Einkommen von 2.405,63 € zu rechnen.

4.2

Der Bedarf für Mats und Wiebke ist wieder aus Einkommensgruppe 7 zu entnehmen und beträgt nach der ab dem 01.07.2003 gültigen Tabelle monatlich 404,- €.

Der Zahlbetrag für Mats beträgt dann 327,- €. PKH ist bereits zur Geltendmachung eines höheren Betrages bewilligt.

4.3

Das Einkommen für die Berechnung des Unterhalts für Felix ändert sich wie folgt:

anrechenbares Einkommen des Antragsgegners 2.405,63 € ./. Unterhalt für Mats und Wiebke 808,00 € verbleiben 1.597,63 € Einkommen der Antragstellerin zu 2) 1.314,74 € Zusammen 2.912,37 €

Der Bedarf für Felix ist also wieder aus Einkommensgruppe 9,4. Altersstufe zu entnehmen und beträgt 524,- €. Nach Abzug des anzurechnenden Kindergeldes verbleibt ein ungedeckter Bedarf von 370,- €, der von den Eltern anteilig aufzubringen ist.

Das einzusetzende Einkommen des Antragsgegners beträgt 757,63 € (1.597,63 € ./. 840,- €), das der Antragstellerin zu 2) 474,74 €. Also hat der Antragsgegner 61 % von 370,- € aufzubringen, das sind gerundet 226,- €, die Antragstellerin zu 2) die restlichen 144,- €.

Dem Antragsteller zu 1) ist bereits PKH zur Geltendmachung eines höheren Betrages als 226,- € bewilligt.

4.4

Als Differenzunterhalt für die Antragstellerin zu 2) ergibt sich folgender Betrag:

anrechenbares Einkommen des Antragsgegners 2.405,63 € ./. Unterhalt für Wiebke und Mats 808,00 € ./. Unterhalt für Felix 226,00 € verbleiben 1.371,63 € ./. Einkommen der Antragstellerin (1.314,74 € ./. 144,- €) 1.170,74 € Differenz 200,89 € davon 3/7 gerundet 86,00 €

Auch insoweit übersteigt die bewilligte Prozesskostenhilfe den errechneten Anspruch.

Ende der Entscheidung

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